Diffusion oder Imitation? Über Kontinuitäten und Brüche nationalsozialistischer Betriebsstrukturen im Harzburger Modell

Teil 1/2

Viele Jahre lang galt Reinhard Höhns »Harzburger Modell« als das optimale Managementkonzept in der jungen Bundesrepublik. Die »Führung im Mitarbeiterverhältnis«, die die »Delegation von Verantwortung« im Rahmen der »Allgemeinen Führungsanweisung« samt möglichst ausführlicher »Stellenbeschreibungen« propagierte, war ein weitgehend durchformalisiertes und zweckrationales Führungsprogramm, welches vor allem in der deutschsprachigen Unternehmenslandschaft der 1960er und 1970er Jahre breit rezipiert wurde – das zeigt nicht zuletzt das Interesse hunderter renommierter Unternehmen, die im Laufe der Zeit gleich hunderttausende ihrer Mitarbeiter zu Fort- und Weiterbildungen in die Harzburger Akademie geschickt haben (Kühl 2021b; Schmid 2014).

Wenngleich sich das Harzburger Modell jedoch in seiner Hochphase einer vergleichsweise hohen Beliebtheit erfreuen konnte, mangelt es weder an zeitgenössischer noch an aktueller(er) Kritik. Nicht nur in inhaltlicher Hinsicht ließ das Harzburger Modell, welches gemeinhin als zu starr und zu bürokratisch aufgefasst wurde, aus Sicht vieler organisationstheoretischer Autorinnen und Autoren zu wünschen übrig (siehe am ausführlichsten etwa Guserl & Hofmann 1976; Trebesch 1969). Insbesondere Reinhard Höhns sehr ausführliche nationalsozialistische Lebensepisode wurde dem Harzburger Modell zum Verhängnis, schien der einstige SS-Oberführer doch ein geradezu idealtypisches Beispiel für die Verbindung von personaler und inhaltlicher Fortsetzung alten Gedankenguts in der Bundesrepublik Deutschland zu sein.

Daran anschließend erkennen vor allem geschichtswissenschaftliche Forschungsansätze in Höhns Harzburger Modell eine Fortsetzung nationalsozialistischer Betriebsstrukturen. Die Verfechter dieser »Kontinuitätsthese« bemühen eine inhaltliche Deutung des Modells, in der „das negative NS-Erbe in »entnazifizierten« Formen weitergetragen wurde“ (von Saldern 2009: 328), um auf diese Weise nicht nur „Teile seiner nationalsozialistischen Weltanschauung als »modern« […] zu codieren“ (Wildt 2011: 264), sondern um „an integrationistische Gemeinschaftskonzepte an[zuschließen], die Reinhard Höhn vor 1945 entwickelt hatte“ (ebd.: 265). Erst der präzise Blick offenbare dabei „die impliziten Vorstellungen von Gemeinschaft“ (Lelle 2016: 221), die zwar modifiziert wurden, alles in allem aber eine „beeindruckende Kontinuität seiner Ideen“ (Chapoutot 2021: 115) aufweisen würden.

Quantitativ sind die Vertreter dieser im vorigen Absatz angedeuteten Kontinuitätsthese im Vorteil. Sicherlich – angesichts Reinhard Höhns Vergangenheit mag eine solche Interpretation auf Anhieb erst einmal plausibel wirken. Ob man jedoch daraus den gleichen Schluss über die Qualität der Argumente ziehen kann, ist aus soziologischer Sicht mindestens fragwürdig. Ich möchte dies anhand von vier Beispielen – zwei in diesem Artikel, zwei weitere im nächsten Teil – verdeutlichen. Ihnen allen ist gemein, dass sie für die nationalsozialistische Betriebsgemeinschaft bzw. für die Genese der sozialen Betriebsstruktur und -ordnung in nationalsozialistischen Betrieben von bedeutender Wichtigkeit gewesen sind. Meine Ausführungen werden also von der Frage geleitet, ob und inwiefern sich eine Fortsetzung speziell dieser Aspekte im Harzburger Modell beobachten lässt.

1. Für (k)eine höhere Entität: Gesellschaftliche Implikationen

Das Verständnis von Arbeit im nationalsozialistischen Kontext wurde im Vorhinein als ein an der Volksgemeinschaft zu leistender Dienst skizziert (hierfür Firkus 2021a, 2021b). Gemeint ist, dass sich alle beruflichen Notwendigkeiten, Verpflichtungen sowie sonstigen Bedingungen der betrieblichen Gemeinschaft an dem übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu orientieren hatten. Individuelle Interessen sollten einer moralisch definierten Verpflichtung gegenüber der umfänglichen Gemeinschaft weichen (Wildt 2019: 208). Insbesondere im Zusammenhang mit der »Deutschen Arbeit« sollten sämtliche Handlungen ihre Genese in einer im Gemeinwesen zu verorteten Vernunft besitzen, wobei sich diese nicht nur an der Volksgemeinschaft zu orientieren, sondern sich dieser gar vollständig zu unterwerfen, der Einzelne – und das galt sowohl für den »Betriebsführer« als auch dessen »Gefolgschaft« – also den partikularistischen Normen der höheren Entität Folge zu leisten hatte (Wagner 2012: 7f., 64).

Im Gegensatz dazu lässt sich im Harzburger Modell zwar eine zielgerichtete Koordination der Tätigkeiten an allen Stellen beobachten, doch bildet die Spitze dieser Zielhierarchie ein stets von den Gründern bzw. der Unternehmensleitung intern kommuniziertes und ausgegebenes unternehmerisches Gesamtziel, welches dadurch zur obersten Norm im Betrieb aufsteigt (Höhn 1969: 167ff.). Das Harzburger Modell konstituiert sich also durch eine ausschließliche Strukturierung nach internen Anforderungen (Trebesch 1969: 48). Eine am gesellschaftlichen Gemeinsinn orientierte Tätigkeit wird ebenso wenig eingefordert wie die (deutsche) Arbeit als Dienst an einer höheren Entität. Die Inhalte des Harzburger Modells werden in erster Linie organisatorisch und ökonomisch-rational, keineswegs aber gesamtgesellschaftlich – geschweige denn -gemeinschaftlich – begründet (Blume & Breuer 1972: 37ff.; Kühl 2021b; Trebesch 1969: 42f.). Die Transformation der Arbeiterschaft zu einer umfassenden Volks-, Schicksals-, Arbeits- und/oder Werksgemeinschaft war de facto nicht vorgesehen. Überhaupt ist bemerkenswert, wie auffällig stark Höhn jegliche Konnotation in seinen zahlreichen Ausführungen über das Harzburger Modell zur Konzeption der Gemeinschaft meidet, obwohl letztere jahrzehntelang seine „Obsession“ (Chapoutot 2021: 79) gewesen ist (siehe auch Firkus 2021b).[1]

Dementsprechend scheint Michael Wildts (2011: 265) Behauptung, es handele sich beim Harzburger Modell um ein soziales Ordnungsmodell, welches über den einzelnen Betrieb hinausginge, eine jegliche Relationen außenvorlassende, eher konstruierte denn tatsächliche Kontinuität zu sein: Dass dem Harzburger Modell die Anwendbarkeit auf fast alle wirtschaftlichen Unternehmen – und später dann auch Verwaltungen – von Höhn und Co. nachgesagt wurde, ist zweifellos richtig (Trebesch 1969: 35). Für Managementkonzepte bzw. –moden ist es aber regelrecht wesensbestimmend, dass die propagierten Mechanismen zur (angeblichen) Verbesserung innerorganisatorischer Prozesse nach dessen Einführung kaum auf der Ebene einzelner Organisationen verbleiben, sondern stattdessen unterschiedliche Organisationstypen, ja sogar ganze Branchen »anstecken« und erobern wollen (Kühl 2018: 4; Spell 1999: 337, 345). Heraufbeschworene, sich zyklenartig wiederholende Wendepunkte oder Paradigmenwechsel im Zusammenhang mit neuen Managementprogrammen, zumeist durch entsprechende »Change-Management-Literatur« (Kieser 1996; Kühl 2018) sowie den dazugehörigen »Managementgurus« (siehe etwa Huczynski 2006) inszeniert – zu denen man freilich auch Höhn selbst zählen könnte –, waren und sind nichts Ungewöhnliches in derartigen Zusammenhängen (so auch Krell 1994: 12ff., für diverse Parallelen schon zwischen den 1920er und späterer Jahre, etwa den 1960er, 80er sowie 90er; hierfür auch Breisig 1990).

Dass sich in einem solchen Rahmen die Präsentation eines »Allzweckrezeptes« anschließt, welches den (natürlich einzig richtigen) Weg zum Erfolg suggeriert, ist deshalb eher die logische Folge eines ambitionierten und/oder gut rezipierten Managementkonzeptes (Kühl 2018: 14f.) als ein Beweis für die Fortführung nationalsozialistischen Gedankenguts. Die gesamtgesellschaftlichen bzw. gesellschaftspolitischen Implikationen des Harzburger Modells sind bestenfalls marginal. Überhaupt ist der Betrieb im Harzburger Modell, wie im Übrigen auch andere Organisationen, ein von der Umwelt isoliertes soziales Gebilde, welches gleichermaßen die auf sich selbst einwirkenden Umweltbeziehungen weitestgehend auszublenden versucht. Das Harzburger Modell macht an dieser Stelle also gerade durch das Nichtvorhandensein von auf die Außenwelt bezogenen Regel und Strukturbedingungen auf sich aufmerksam (Blume & Breuer 1972: 35; Trebesch 1969: 47f.) – was, gemessen an dem sonstigen Katalog an Regeln, welches dem Harzburger Modell zugrunde liegt, fast schon paradox erscheint.

In jedem Fall ist es auf dieser Grundlage nicht nachvollziehbar, eine Parallele zum nationalsozialistischen Betrieb zu beschreiben, der als „ein lebendiges Glied der sozialen und wirtschaftlichen Kräfteordnung und als solches teilhaftiger Organismus des ganzheitlichen Organismus Volk und Staat“ (Rössler 1935, zitiert nach Spohn 1984: 546) charakterisiert wurde. Die im Harzburger Modell kurz gefassten gesellschaftlichen Implikationen lassen einen solchen Schluss gar nicht zu.[2] Bei der Delegation von Verantwortung ginge es schließlich darum, so Höhn (1961: 33), sich gerade nicht „für das Ganze verantwortlich“ zu fühlen – und zwar unabhängig davon, so mag man hinzufügen, ob es sich um das gesellschaftliche oder betriebliche Ganze handelt. Der Höhn der 20er, 30er und 40er Jahre war jedenfalls anderer Meinung, wie seine Ausarbeitungen über die Volksgemeinschaft und das „Erleben der Gemeinschaft im Kleinen“ (Firkus 2021a) deutlichen machen.

Letztlich wurde die Identifikation mit der Volksgemeinschaft von den Nationalsozialisten instrumentalisiert, damit die gesellschaftliche Homogenisierung der erbgesunden deutschen Massen vorangebracht und sich ein Wille zur Gemeinschaft fernab individualistischer Neigungen manifestieren konnte (Höhn 1934: 6, 9ff., 1935: 9ff., 63, 78; siehe auch Breuer 2002: 366f., 369). Höhn selbst elaborierte hierfür noch die Überwindung des Gegensatzes zwischen öffentlichem und privatem Recht (1935: 16ff., 72ff.). Es gab den offensichtlichen Versuch, die private mit der öffentlichen Sphäre zu verschmelzen und eine gelebte Volksgemeinschaft aller in Frage kommenden »Volksgenossen« zu verwirklichen (Lelle 2016: 206f.). Im Harzburger Modell wird demgegenüber eine menschlich-gesellschaftliche Dimension als eine weitere, dritte Dimension des betrieblichen Geschehens ausgemacht, die neben einer technischen und ökonomisch-kalkulatorischen Sphäre zu sehen ist (Trebesch 1969: 14f.). Im nationalsozialistischen Konzept war die „Kreuzung von Ideologie, Politik und Wirtschaft“ unterdessen der „tiefere Sinn des Managements“ (Chapoutot 2021: 137).

2. Die Exklusivität der NS-Gemeinschaft 

Seit jeher bestand ein großes Anliegen des nationalsozialistischen Regimes darin, ein politisch-ideologisch aufgeladenes Bild der Erwerbsarbeit zu institutionalisieren. Für den vor allem antisemitisch aufgeladenen Topos der »Deutschen Arbeit« waren Leistungsbereitschaft und – mit Blick auf die eugenischen Vorstellungen des Regimes – auch die Leistungsfähigkeit kennzeichnende Merkmale des sozial homogenisierten »Menschenmaterials« (Chapoutot 2021: 64f.; Hörath 2014).[3]

Die Rigorosität und Irreversibilität der Zugehörigkeitseigenschaften resultierte in offen geforderten Aus- sowie Abgrenzungen von den und dem »Andersartigen« (Katz 1997: 160ff.; Möbius 2018: 188), was das Bild der xenophoben Gemeinschaftsideologie auf der Grundlage des arischen Rassenideals vervollständigen sollte (so schon Höhn 1935: 77f., 1938: 18; siehe auch Breuer 2002: 368). Das daraus resultierende Stigma der Exklusivität ermöglichte kategoriale Unterscheidungen nach Merkmalen, die etwa nach »deutscher« und »nichtdeutscher« oder »richtiger« und »falscher« Arbeit differenzieren ließen, mitunter gar zur Bestimmung einer »jüdischen Nicht-« oder »Anti-Arbeit« führte (Bach 2016: 53; Becker 2014: 117; Lelle 2016: 205ff.). Der nationalsozialistisch vielfach genutzten und popagierten Inklusionsrhetorik zum Trotz lässt sich also keineswegs die vergemeinschaftliche Veranlagung, sondern vor allem die Exklusivität der deutschen Gemeinschaftsideologie betonen (Bajohr & Wildt 2009: 8ff.; Wildt 2019: 61). Dem Topos der »Deutschen Arbeit« bediente man sich zwar zweifellos auch deshalb, weil er soziale Differenzen übertönte und die harmonische Gemeinschaftsvorstellung zu betonen verhalf (Möbius 2018: 179), doch elementarer Bestandteil der hergestellten Integrität war der damit zwangsläufig einhergehende Ausschluss vieler anderer Gruppierungen (Lelle 2015: 27, 29; Wildt 2014: 44, 52ff.).

Allen als »nichtdeutsch« oder »arbeitsunfähig« betitelten Menschen wurde infolgedessen der Bei- und Zutritt zur Gemeinschaft verwehrt. Im Falle der Erwerbsarbeit bedeutete dies beispielsweise, dass jüdische Mitarbeiter per se entlassen und nicht mehr eingestellt wurden, um eine nach arischen Kriterien bestehende Einheit des Betriebes zu ermöglichen bzw. zu wahren (Eiling 2018: 158). Auch das »AOG« (siehe Firkus 2021a) konnte auf jüdische Beschäftigte grundsätzlich keine Anwendung finden, weil sie angesichts ihrer mangelnden rassischen Abstammung kein Mitglied der betrieblichen Gemeinschaft werden konnten (Becker 2014: 117; ferner Krell 1994: 123). Ausländische Zwangsarbeiter wurden unterdessen sprachlich wie materiell diskreditiert, von den – im NS-System zahlreich vorhandenen (siehe nur Lelle 2015) – integrativen, humanitären oder gar freizeitlichen Angeboten ausgeschlossen und bis zum Punkt der physischen sowie psychischen Vernichtung durch Arbeit ausgenutzt (Rau-Kühne 1999: 148ff.; Wildt 2018: 127).

Der kurze Einblick in die Exklusionsdogmatik mag genügen. Relevant ist an dieser Stelle vor allem die Tatsache, dass die beschriebene Exklusivität elementarer Bestandteil der betrieblichen – und insofern der gesamten – nationalsozialistischen Gemeinschaftsideologie war. Die praktizierte Trennung nach primär rassehygienischen sowie sozialdarwinistischen Merkmalen stellte die kontradiktorischen Stellungen der in- und exkludierten Akteure offensichtlich zur Schau (Bajohr 2014: 190). Der Ein- und Ausschluss in oder aus der Gemeinschaft wurde dabei insbesondere durch die einer Person zugeschriebenen Einstellung zur Arbeit vorgenommen, was die (deutsche) Arbeit in letzter Konsequenz zu dem wohl zentralsten Bezugspunkt nationalsozialistischer Vergemeinschaftung gemacht hat (Bach 2016: 52f.; Schatz & Woeldike 2001: 75).

Eine solch repressiv-ausgrenzende Komponente, gerade in der engen Verbundenheit mit der auf der »Deutschen Arbeit« basierenden Konstruktion einer Wir-Gruppe im Pendant zum Gemeinschafts- bzw. Betriebsfremden, tritt im Harzburger Modell nicht auf. Wenngleich Nikolas Lelle im Zuge seiner Argumentation etwas zweideutig darauf hinweist, dass „Antisemitismus, Rassismus und Vorstellungen einer deutschen Herrenrasse keine sichtbare Rolle“ (2018: 71, eig. Hervorh.) im Harzburger Modell gespielt haben, gibt es tatsächlich weder eine sicht- noch eine unsichtbare Fortsetzung dessen. Hierbei herrscht weitestgehend Einigkeit bei den sich mit der Debatte um Kontinuitäten und Brüchen im Harzburger Modell auseinandersetzenden Autorinnen und Autoren: Auch diejenigen, die in ihren Studien umfassendere Fortsetzungen beschreiben, verweisen in ihren Publikationen auf eine zumindest »entnazifizierte«, das heißt transformierte, vor allem von rassebiologischen Kriterien distanzierte Fortsetzung besagten Gedankenguts (siehe exemplarisch von Saldern 2009: 305f., 328f.; Wildt 2011: 265, 270f.).

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[1] Interessanterweise finden wir im Gegensatz dazu in Peter F. Druckers »Management by Objectives«, einem parallel zum Harzburger Modell erscheinenden und inhaltlich grundsätzlich ähnlichen US-Amerikanischen Managementansatz, den Gemeinschaftsgedanken in recht hoher Prominenz wieder (Kühl 2021a).

[2] Eine der wenigen Verbindungen, die man herstellen könnte, liegt in dem Hinweis, dass es zwischen den gesellschaftspolitischen Anforderungen einerseits und den Führungsprinzipien in Betrieben andererseits keinen offenen Widerspruch geben dürfte (Höhn 1969: 38f.; Trebesch 1969: 14f.). Aber auch an dieser Stelle besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der im Nationalsozialismus verlangten Verantwortung für die Erfüllung der mit der Arbeit verbundenen gesamtgesellschaftlichen (bzw. -gemeinschaftlichen) Rolle sowie der im Harzburger Modell eingeforderten Verantwortung für ganz bestimmte, ausführlich definierte Aufgaben innerhalb der Organisation.

[3] Dieser Topos der »Deutschen Arbeit« ist natürlich nur einer von zahlreichen radikalen Sonderwegen, die das NS-Regime bekanntermaßen eingeschlagen hat. Andere Exempel schließen etwa die Vorstellung einer die Menschen einenden Volksgemeinschaft (Wildt 2019) sowie die sozialdarwinistische Eugenik mit ein (Trus 2019). Beides sind Phänomene, die sowohl vor 1933 als auch weit über die damaligen deutschen Staatsgrenzen hinaus diskutiert und (zumindest teilweise) umgesetzt wurden. Ähnliches lässt sich für die Nationalisierung der Arbeit in Deutschland feststellen (ausführlich hierzu Schatz & Woeldike 2001). All diesen (und sicherlich noch vielen weiteren) nationalsozialistischen Projektionen ist dabei gemein, dass sie einer radikalen, primär antisemitisch konnotierten Neuinterpretation unterlagen und gesellschaftspolitisch auch entsprechend umgesetzt worden sind (siehe zum Inklusions-Exklusions-Dualismus im Zusammenhang mit dem Antisemitismus, auch fernab des NS, Holz & Weyand 2018).

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Der vorliegende Aufsatz ist ein Text aus der mehrteiligen »Harzburger Reihe« auf „sozialtheoristen.de“, in der sich ein Forschungsteam der Uni Bielefeld aus einer organisationssoziologischen Sicht mit dem sogenannten »Harzburger Modell« beschäftigt, dem verbreitetsten Managementkonzept in der deutschsprachigen Unternehmenslandschaft der 60er und 70er Jahre. Kontrovers war und ist in der Debatte über das Harzburger Modell vor allem dessen Begründer, Reinhard Höhn (1904-2000), einstmalig SS-Oberführer und Heinrich Himmlers »Kronjust«. Das Forschungsteam beschäftigt sich mit zwei zentralen Fragen: Zum einen wird die langanhaltende Diskussion aufgegriffen und soziologisch reinterpretiert, welche Kontinuitäten und Brüche sich zwischen der im Nationalsozialismus dominierenden Gemeinschaftsideologie sowie dem späteren Harzburger Modell finden lassen. Zum anderen interessieren die Funktionen und Folgen der Implementierung des Harzburger Modells in solche Organisationstypen, für die das Managementkonzept zumindest ursprünglich nicht entwickelt wurde.

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