Zum Niedergang des Harzburger Modells
Am Ende ist das Harzburger Modell grandios gescheitert. Die Teilnehmer in der Akademie blieben weg. Immer weniger Organisationen interessierten sich für die Implementierung des Modells. Der Umsatz der Akademie brach von Jahr zu Jahr immer weiter ein. Zwar konnten die strukturellen Defizite der Akademie durch Zuschüsse der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, Stundungen des Bad Harzburger Finanzamt und durch Kredite der Spar- und Darlehenskasse Hamm, die von Höhn selbst beraten wurde, zeitweise ausgeglichen werden. Aber am Ende musste die Harzburger Akademie Insolvenz anmelden (siehe dazu ausführlich Müller 2019, S. 245). Die Reste der Akademie wurden von einer Firma aufgekauft, die nach der Umbenennung in „Die Akademie“ versuchte, jede Verbindung zum Harzburger Modell zu kappen und schließlich auch Konkurs anmelden musste.
Als ein zentraler Grund für den Niedergang wird gesehen, dass ab Anfang der 1970er Jahre in den Massenmedien die frühere Karriere des Begründers des Harzburger Modells Reinhard Höhn als SS-Gruppenführer im Reichssicherheitshauptamt, Direktor des Instituts für Staatsforschung und einem der Chefideologen im NS-Staat zunehmend thematisiert wurde (siehe dazu Wildt 2011, S. 267f.; Schmid 2014, S. 88f.; Chapoutot 2021, S. 123; am ausführlichsten Müller 2019, S. 193ff.). Zwar war schon in den 1960er Jahren – nicht zuletzt aufgrund des von der DDR-Regierung initiierten Braunbuchs zu „Kriegs- und Naziverbrechern in der Bundesrepublik“ – Höhns Rolle im NS-Staat öffentlich bekannt geworden, aber erst in der Post-68er-Stimmung wurde seine NS-Verwicklung in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen.
Ansatzpunkt für die Kritik war nicht nur die Rolle, die Reinhard Höhn als einer der Chefideologen des NS-Staates und Vertrauter Heinrich Himmlers gespielt hat, sondern auch, dass Reinhard Höhn bei der Akquise von Kunden auf seine sehr guten Kontakte aus der NS-Zeit zurückgreifen konnte. Höhn – so die Kritik von Bernd Rüthers – sei die erfolgreiche Vermarktung des Harzburger Modells vor allem deswegen gelungen, weil er sich auf die „Solidarität vieler ‚alter Kameraden aus großer Zeit“‘ stützten konnte. Die „intensive Propaganda“ für den Besuch der Harzburger Akademie in Unternehmen und Verbänden sei in den frühen sechziger Jahren bevorzugt über „ehemalige SS-Kameraden“ gelaufen.
Besonders thematisiert wurde, dass Höhn eine Reihe von Bekannten aus seiner Zeit im Reichssicherheitshauptamt in die Harzburger Akademie nachgezogen hatte (siehe beispielsweise Engelmann 1971a). Als Dozent lehrte in der Harzburger Akademie der ehemalige SS-Obersturmbannführer Justus Beyer, ehemaliger Leiter des Referates „Allgemeine Fragen der Lebensgebietsarbeit“ im Reichssicherheitshauptamt und Experte für die Umsiedlung slawischer Bevölkerungsgruppen in Osteuropa im Rahmen des „Generalplan Ost“. Weiterer Dozent in der Harzburger Akademie war Franz Alfred Six, der während der NS-Zeit neben einer Universitätsprofessur in Königsberg im Reichssicherheitshauptamt von Höhn das Amt des Leiters der Abteilung „Gegnerforschung“ innerhalb des Sicherheitsdienstes (SD) der SS übernommen hatte. Die Pressearbeit der Akademie verantwortete Roger Diener, der Referent an Höhns Institut für Staatswissenschaft gewesen ist und dessen Karriere Reinhard Höhn im NS–Staat aktiv gefördert hatte.
Hervorgehoben wurde in der Kritik die Art und Weise, mit der sich Höhn seines alten Netzwerkes aus der Zeit im „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ bediente. Höhn hatte als Hauptabteilungsleiter II 2 im SD-Hauptamt in Berlin eine Vielzahl von Personen für den Sicherheitsdienst rekrutiert und ein enges Netzwerk an Kontakten geflochten (siehe Hachmeister 2003, S. 348). Einige wenige – wie der Leiter des Amtes „Deutsche Lebensgebiete“ Otto Ohlendorf oder wie der Referatsleiter „Räumungsangelegenheiten und Reichszentrale für jüdische Auswanderung“ im Reichssicherheitshauptamt Adolf Eichmann – wurden wegen ihrer Rolle während des Holocaust hingerichtet, den meisten gelangt es jedoch nach einer Zeit im Untergrund oder im Gefängnis, Karriere in der Bundesrepublik Deutschland zu machen. Zwar gab es kein formalisiertes Netzwerk, in dem sich die ehemaligen 6500 hauptamtlichen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Himmlers später in der Bundesrepublik organisierten, aber punktuell griffen die ehemaligen SD-Angehörigen immer wieder auf ihre alten Kontakte zurück (siehe Hachmeister 2003, S. 355).
In einem Strang der Kritik am Harzburger Modell wurde – nicht unähnlich späterer Teile der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung – versucht, von einer personalen Kontinuität auf eine inhaltliche Kontinuität zu schließen (so früh zum Beispiel Blume und Breuer 1972, S. 12). Die „faschistische Volksgemeinschaft sowie militärische Disziplin“ seien, so die Kritik vorrangig aus marxistischer Perspektive, „die ideologischen Wurzeln dieses Systems der Propagierung von Integration und Klassenharmonie im Betrieb“. Der „moderne ‚Führungsbegriff‘“ von Höhn sei mit der ebenfalls von ihm formulierten „faschistischen Ideologie des Führer-Gefolgschaftsverhältnis wesensverwandt“ (Boni et al. 1974, S. i). Die „Delegation von Verantwortung“ im Harzburger Modell sei, so das Argument der Kritiker, mit faschistischer Führung-Gefolgschafts-Ideologie vereinbar, wenn die „Integration der widersprüchigen sozialen Gruppen gelungen“ ist (Hickel 1974, S. 140).
Diese Kritik wurde aber innerhalb der Harzburger Akademie nicht als besonders bedrohlich wahrgenommen. Die Kritik war so stark durch eine marxistische Kapitalismuskritik geprägt, dass sie bei Kunden des Harzburger Modells nicht verfangen konnte. Eine Analyse, die auf der Basis einer „materialistischen Gesellschaftsanalyse“ die „Verkleisterung objektiver Widersprüchlichkeiten“ im Kapitalismus durch ein eine „integrationistisch, sozialpartnerische Interpretation“ des Harzburger Modelles versuchte, war bei den Kunden des Harzburger Modells nicht anschlussfähig (Hickel 1974, S. 116f.). Sie fühlten sich nicht angesprochen, wenn beklagt wurde, dass die „Führung im Mitarbeiterverhältnis“ sich in die „Vorstellung eines restaurativen Kapitalismus“ einfüge, „innerhalb dessen das im Kern strukturelle Gewaltverhältnis von Lohnarbeit und Kapital“ durch Manager nur „scheinbar gewaltfrei exekutiert“ werde (Hickel 1974, S. 152).
Als viel problematischer wurde die Kritik aus der Betriebswirtschaftslehre, Verwaltungswissenschaft und Organisationssoziologie angesehen, die auf immanente Schwächen des Modells abzielte. Dabei wurde die Betonung der Formalität im Harzburger Modell herausgestellt und daran eine Kritik an der Überbürokratisierung durch das Harzburger Modell angeschlossen. Informale Prozesse, die für den Erfolg von Organisationen wichtig seien, würden, so die Kritik, im Harzburger Modell nur als Pathologie einer unzureichend formalisierten Organisation wahrgenommen:
1. Die Wiederkehr des Gemeinschaftsgedankens in der Debatte über Organisationskultur
Nachdem in der Nachkriegszeit lange Zeit stark auf formale Steuerung abzielende Konzepte im Managementdiskurs dominierten, erlebten Gemeinschaftskonzeptionen ab den 1970er Jahren im Rahmen der Debatte über Organisationskultur eine Renaissance. In der Debatte über Organisationskultur wurden Vorstellungen von Gemeinschaft reaktiviert, die schon in der Idee der Werksgemeinschaft in der Weimarer Republik und dann später im Konzept der Betriebsgemeinschaft im NS-Staat eine wichtige Rolle gespielt haben (siehe dazu einschlägig Spurk 1990, S. 117ff. und Krell 1991, S. 147ff.; kritisch zu dieser Kontinuitätslinie Behr 1995, S. 328).
Es käme – so die Grundidee der Verfechter des Konzepts der Organisationskultur – darauf an, die Kultur einer Organisation so zu gestalten, dass ein starkes Gemeinschaftsgefühl entstehe. Dieses Gemeinschaftsgefühl dürfe sich nicht auf den Zusammenhalt innerhalb einer Berufsgruppe oder einer Hierarchiestufe beschränken, sondern müsse alle Mitarbeiter in einer Organisation erfassen. Die Kultur einer Organisation sei, so eine bekannte Metapher, der „Klebstoff“, der als „Quelle für die Identität und Stärke“ der Organisation diene (Schein 1984, S. 14).
Ähnlich wie im Konzept der Werksgemeinschaft und der Betriebsgemeinschaft versprachen auch die Promotoren des Ansatzes der Organisationskultur, dass Organisationen gleichzeitig zu einem Hort von Menschlichkeit und wirtschaftlicher Exzellenz werden, wenn man nur darauf achte, dass sich eine Gemeinschaft in der Organisation ausbilde. Nur Organisationen mit einer „starken Kultur“ würde es gelingen, Mitarbeiter langfristig zu binden und so die Effizienz und Innovationskraft der Organisation zu steigern (siehe prominent Peters und Waterman 1982, S. 55ff.).
Weil die Organisationskultur eine „kollektive Programmierung des Geistes“ (Hofstede 1980: S. 13) ermögliche, ließen sich, so die Vorstellung im Management, Organisationen auch bei zentrifugalen Kräften einheitlich ausrichten. Weil sich über die Organisationskultur die „Herzen, die Seele und der Geist“ managen ließen (Deetz et al. 2000: S. 1), müssten Manager Organisationen nicht mehr über hierarchische Weisungen und präzise Programmierungen zusammenhalten (Gagliardi 1986: S. 117ff.). Letztlich gebe es – so die Vorstellung der Verfechter der Organisationskultur – „keine effizientere Steuerung als eine ausgeprägte, in sich stimmige Unternehmenskultur“ (Doppler/Lauterburg 2002: S. 452).
Ihren Ausdruck findet diese Gemeinschaftsorientierung darin, dass Organisationen als Clans (so besonders Ouchi 1980; ausführlicher Ouchi 1981) oder Familien (so prominent Peters und Waterman 1983, S. 300; siehe kritisch dazu Hartz 2018) oder Stämme (so aktuell Murphy 2019) bezeichnet wurden. Mit diesen Metaphern wird zum Ausdruck gebracht, dass Organisationen sich an sozialen Gebilden orientieren sollten, in denen Personenvertrauen eine zentrale Rolle bei der Erwartungsbildung spielt.
Mit dem Kulturkonzept wird nicht auf den Menschen in seiner Rolle in der Organisation abgezielt, sondern auf den Menschen als ganze Person. Statt sich auf eine formal genau definierte Rolle zurückzuziehen, sollte einer Mitarbeiter als Person mit all seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen von der Organisation vereinnahmt werden.
Der Führung durch das Leitungspersonal wurde in dem Diskurs über Organisationskultur eine zentrale Rolle bei der Etablierung einer gemeinschaftsorientierten Organisationskultur zugeschrieben. Manager würden – so die Vorstellung – dadurch, dass sie die Werte glaubwürdig vertreten und modellhaft vorleben, die Kultur der Organisation prägen (Doppler/Lauterburg 2002: S. 461). Über die Fragen, die sie ihren Mitarbeitern stellen, über die Themen, über die sie mit ihnen sprechen, und über die Probleme, die ihnen wichtig sind, könnten sie einen unmittelbaren Einfluss auf die Organisationskultur nehmen.
Die Ausbildung des Diskurses über Organisationskultur war letztlich eine Reaktion auf die starke Betonung der Formalstruktur, die in den 1950er und 1960er Jahren den Managementdiskurs dominierte. Besonders der wirtschaftliche Erfolg Japans in den 1970er und 1980er Jahren führte dazu, dass debattiert wurde, wie das auf einer starken Vereinnahmung des Personals basierende japanische Modell durch europäische oder amerikanische Organisationen kopiert werden könnte. Die Bedeutung der Formalstruktur wird in der Literatur zur Organisationskultur nicht ignoriert. Sie spielt aber nur noch eine Rolle als Rahmen, in dem sich die für den Erfolg zentralen informalen Prozesse entwickeln können.
Bei dem von Praktikern vertretenen Ansatz zur Gestaltung der Organisationskultur handelt es sich letztlich um die Reaktivierung einer alten Steuerungsphantasie – den Traum des Managements, über informale Netzwerke und implizite Denkschemata die Gemeinschaft der Mitarbeiter so zu gestalten, dass sie die Organisation erfolgreicher machen. Mit dem Begriff der Organisationskultur konnten Manager einerseits den klassischen auf die formale Struktur basierenden Steuerungsvorstellungen abschwören, aber andererseits die Vorstellung einer, wenn auch schwerer zugänglichen, Steuerung von organisationalen Ordnungen aufrechterhalten (Luhmann 2000: S. 239f.).
Wie sensibel waren die Promotoren des Harzburger Modells für die Renaissance des Gemeinschaftsgedankens im Rahmen der Euphorie für Organisationskultur?
2. Die innere Kündigung als verpasster Anschluss an die Debatte über Organisationskultur
In den frühen 1980er Jahren brachte Reinhard Höhn mit der Beobachtung der „inneren Kündigung“ ein Konzept in die Managementdiskussion ein, das gut geeignet gewesen wäre, einen Anschluss an die immer wichtiger werdende Beschäftigung mit Organisationskulturen zu schaffen (siehe für eine erste Erwähnung Höhn 1982a und dann in schneller Folge verschiedene andere Beiträge zum Beispiel Höhn 1982b). Unter „innerer Kündigung“ verstand Höhn den „bewussten Verzicht auf Engagement und Einsatzbereitschaft in seinem Beruf“ (so zum Beispiel in Höhn 1989, S. 21). Mitarbeiter würden in eine Art „Selbstpensionierung“ gehen und ihre verbleibende Zeit in der Organisation nur noch absitzen (siehe dazu Höhn 1982c).
Mit seinem Konzept der „inneren Kündigung“ brachte Reinhard Höhn einen im Management anschlussfähigen Begriff für ein Phänomen ein, das aus einer marxistischen Perspektive schon länger beschrieben worden ist. Spätestens in der sogenannten Labour Process Debate wurde detailliert herausgearbeitet, wie Mitarbeiter versuchen, sich der Umwandlung ihrer von Unternehmern eingekauften „abstrakten Arbeitskraft“ – also die gekauften Anwesenheitszeiten am Arbeitsplatz – in „reelle Arbeitskraft“ – also faktisch erbrachte Arbeit – zu entziehen, und wie Unternehmer versuchen, diese Strategien der Arbeitnehmer zu konterkarieren. Für Reinhard Höhn war der Entzug von Arbeitskraft keine rationale Strategie der Mitarbeiter zur Entgegnung der Anforderungen im Kapitalismus, sondern ein Indiz dafür, dass etwas in der Organisation grundlegend schiefläuft.
Höhn nutzte das Konzept der inneren Kündigung, um an die Grundprinzipien des Harzburger Modells zu erinnern. Es sei, so seine These, gewöhnlich das „Verhalten des Vorgesetzten, das den Mitarbeiter zur inneren Kündigung veranlaßt“. Zur inneren Kündigung käme es aufgrund der „Nichtachtung des obersten Grundsatzes der Delegation von Verantwortung“, nämlich dass „der Mitarbeiter innerhalb des delegierten Bereiches selbständig handelt und entscheidet“. Gründe für innere Kündigung können auch „Richtlinien“ sein, die „keinerlei Gestaltungsspielraum“ lassen, „fehlende Informationen mit entsprechender Belastung des Vertrauensverhältnisses“ oder „Kontrolle mit demotivierendem Effekt“ (Höhn 1985, S. 221).
Auffällig ist, dass Höhn das Konzept der „inneren Kündigung“ von Mitarbeitern nicht nutzte, um – wie es der Managementdiskurs zu der Zeit angeboten hätte – Probleme in der Organisationskultur zu identifizieren. Vielmehr sah Höhn Probleme in der Formalstruktur als Ursache für die innere Kündigung an. Die am autoritären Führungsstil orientierte Formalstruktur würde – so seine fast schon monoton wiederholte Analyse – die Initiative der Mitarbeiter einschränken. Durch die konsequente Delegation der Verantwortung an die Mitarbeiter im Rahmen des Harzburger Modells würden nicht nur bessere Entscheidungen getroffen, sondern auch die innere Kündigung der Mitarbeiter verhindert. Ein gutes Betriebsklima – so schon frühe Überlegungen – werde nicht durch Appelle verhindert, sondern „resultiert aus der Konzeption“ des Harzburger Modells (Höhn 1967, S. 19)
3. Sachorientierung statt Personenorientierung
Wie stark Höhn die Organisation von der Formalstruktur her konzipiert wird daran deutlich, dass die ganze Organisation mit dem Prinzip der Sachorientierung aufgezogen werden müsse. Die Delegation von Verantwortung müsse, so Höhn, „stets sachbezogen (ad rem)“ und nicht im Hinblick auf die „vorhandenen Kräfte (ad personam)“ vorgenommen werden (Höhn 1961, S. 342). Bei den Stellenbeschreibungen dürfe keine „Rücksicht auf eine bestimmte Person“ genommen werden. Es werde in den Stellenbeschreibungen kein „Maßanzug“ für einen bestimmten Mitarbeiter angefertigt (Höhn, hier zitiert nach einer Kritik von Guserl und Hofmann 1972b, S. 55).
Es müsse immer zuerst festgestellt werden, „welche Aufgabe auf einer bestimmten Stufe der Hierarchie unter sachlichen Gesichtspunkten zu erfüllen sei. Erst danach sollte geprüft werden, „ob die Persönlichkeit, die diese Funktion ausübt oder ausüben soll, dafür geeignet“ sei: „Das Amt fordert die Person, der Arbeitsplatz die ihn ausfüllende Arbeitskraft und nicht umgekehrt.“ (Höhn 1961, S. 342). Wenn man eine Organisation von den vorhandenen Personen aus denken würde, dann käme es zu einer „sachlichen Desorganisation“ (Höhn 1961, S. 342).
Letztlich werden in dem Organisationsmodell von Reinhard Höhn alle Beziehungen in der Organisation in ein formales Korsett gezwungen. Ausgehend von der Aufgabenstruktur bildet die Hierarchie dabei das Rückgrat der Organisation. Die Informationsweitergabe in der Hierarchie wird dabei genau reguliert. In der Information von „unten nach oben“ müssen die Mitarbeiter ihrem Vorgesetzten einen „Überblick über den delegierten Bereich“ und „wichtige Kriterien für die Wahrnehmung seiner fachlichen und führungsmäßigen Aufgaben“ liefern (Höhn 1974, S. 86). In der Information von „oben nach unten“ bereiten die Vorgesetzten Informationen so auf, dass das „richtige selbständige Handeln und Entscheiden“ der Mitarbeiter möglich ist (Höhn 1974, S. 86). Dabei werden die Informationen, die von „unten nach oben“ und „oben nach unten“ weitergeben werden, nicht der informalen Erwartungsbildung überlassen, sondern in den Führungsanweisungen der Organisation genau spezifiziert.
Das Harzburger Modell sieht „Querinformationen“ zwischen Mitarbeitern aus unterschiedlichen Abteilungen vor. Sie ließen sich „angesichts der „komplizierten Struktur von Unternehmen in organisatorischer, wirtschaftlicher und technischer Hinsicht“ nicht verhindern (Höhn 1974, S. 86). Aber auch die „Querinformation“ wird nicht der informalen Erwartungsbildung überlassen, sondern im Detail formal festgelegt. In einem „Querinformationskolleg“ müsse die „Pflicht jedes Mitarbeiters zur Querinformation für sein Arbeitsgebiet festgelegt werden“. Dabei müssten auf der Grundlage der „Stellenbeschreibungen, Arbeitsablaufpläne, Richtlinien und Einzelanweisungen“ die „wichtigsten Fälle, die dem Mitarbeiter Veranlassung zur Querinformation geben“ festgelegt werden (Höhn 1974, S. 104f.).
Die Abgrenzungsfolie des Harzburger Modells ist dabei nur auf der einen Seite die autoritäre Führung. Auf der anderen Seite richtete es sich gegen die gruppendynamischen Konzepte, die im Zuge der Studentenbewegung in den 1970er Jahren an Attraktion gewannen. Mit der Betonung der formalstrukturellen Einbindung von Führungsprinzipien verstand es sich gerade in Kontrast zu den verachteten, immer populärer werdenden „gruppendynamischen Trimm-Dich-zurecht-Aktionen“ in Organisationen (Berger 1973).
4. Die Bürokratiekritik am Harzburger Modell
Parallel zur Herausstellung der NS-Vergangenheit von Reinhard Höhn besonders in sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organen wuchs in der Managementpresse die Kritik am Harzburger Modell. Dabei bezog sich der zentrale Strang der Kritik nicht darauf, dass Reinhard Höhn im NS-Staat eingesetzten Modelle zur Flexibilisierung von Organisationen auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen hatte. Zwar gab es – wie gezeigt – vereinzelte Versuche nicht nur eine personale, sondern auch eine inhaltliche Kontinuität in der Harzburger Akademie nachzuweisen (siehe Boni et al. 1974; Hickel 1974; siehe auch die kurze Referenz in Blume und Breuer 1972, S. 11ff.), als viel problematischer wurde die Kritik angesehen, die auf immanente Schwächen des Modells hinwiesen.
Die Kritik im Managementdiskurs richtete sich gegen eine Tendenz zur Überbürokratisierung im Harzburger Modell. Diese durch Zweifel an der Überlegenheit des Bürokratiemodells genährte Kritik kam aus der Organisationssoziologie (besonders Trebesch 1970, 1971), der Betriebswirtschaftslehre (besonders Reber 1970; Guserl 1972; Guserl und Hofmann 1972b, 1972a; ausführlich Guserl 1973 und erweitert Guserl und Hofmann 1976; Steinle 1975a; siehe ausführlich auch Steinle 1975b; siehe auch die Debatte mit Brandes Steinle 1976; für eine Kurzfassung siehe Steinle 1977) und der Verwaltungswissenschaft (besonders Kube und Kübler 1972; Laux 1972). Sie bezog sich auffälligerweise nicht auf eine Tradition des organisationalen Denkens Höhns aus der NS-Zeit bis zur Bundesrepublik Deutschland (siehe beispielsweise Trebesch 1969; Kube und Kübler 1972; Laux 1972; Guserl 1973 und die erweiterte Neuauflage Guserl und Hofmann 1976; Steinle 1975b). Die bedeutende Rolle von Reinhard Höhn im Nationalsozialismus wird nicht erwähnt, seine Texte vor 1945 nicht zitiert und keine Kontinuitätslinien in seinem Denken nachgezeichnet.
Stattdessen steht der „ausgeprägt bürokratische Formalismus“ im Mittelpunkt der Kritik (Steinle 1975b, S. 195). Es bestände im Harzburger Führungsmodell „der ausgesprochene Hang“ zu „detaillierter Normierung aller betrieblichen Situationen“ (Steinle 1975b, S. 195). Die umfangreichen „Regelkataloge“ seien Ausdruck einer „starken Sicherheitsorientierung“ (Steinle 1975b, S. 195).Kritisiert wird dabei eine „Überbetonung der Stabilisierungsfunktion“ im Harzburger Modell (Guserl 1972, S. 673). Die Führungsanweisungen seien „häufig sehr formalistisch aufgebaut“ (Baumgarten 1977, S. 160). Die „Regeln, Grundsätze, Pflichten und Rechte“ zum Beispiel für die Kontrolle der Mitarbeiter, für das Dienstgespräch, die Mitarbeiterbesprechung, die Information oder die Beschwerde würden so detailliert beschrieben, dass Mitarbeiter davon nicht abweichen könnten, ohne eine Kündigung zu riskieren (Guserl 1972, S. 673). „Vorgesetzte und Mitarbeiter“ müssten, „wollten sie alles ‚richtig‘ machen, ständig mit diesem Katalog herumlaufen“ (Baumgarten 1977, S. 160).
Gerade die „mechanistisch konstruierte Kontrolle auf der Grundlage von minuziösen Stellenbeschreibungen“ würde „in das Gegenteil von dem führen, was man im ersten Enthusiasmus über die ‚Befreiung des Mitarbeiters‘ vom ‚befehlenden‘ Vorgesetzten empfinden mag“. „Geheimer Kontrollplan, die feste Umzäunung des Handlungsfreiraums, die aus Gründen der Kontrollierbarkeit bis ins Einzelne festgelegte Funktion der Stelle“ könnten „den Mitarbeiter kaum so motivieren, daß er sich tatsächlich in der Individualität bestärkt“ fühle (Laux 1972, S. 170).
Der „extreme Formalismus“ käme besonders durch die detaillierten Stellenbeschreibungen zustande. Diese seien „wesensbestimmend für das Harzburger Model“, weil nur sie das „geschlossene System des Modells“ ermöglichten. „Nur klar umrissene und scharf gegeneinander abgegrenzte Aufgabengebiete mit den dazugehörigen Kompetenzen“ böten nach Auffassung der Vertreter des Harzburger Modells die „Voraussetzung für eine erfolgreiche Delegation der Verantwortung“ (Guserl und Hofmann 1972b, S. 52).
Letztlich würde die Konzentration auf die Stellenbeschreibungen zu einem „starren Organisationssystem“ führen. (Guserl und Hofmann 1972b, S. 52). „Die exakte Abgrenzung“ des Verantwortungsbereiches eines Mitarbeiters ließe „sich auf dem Papier leicht fordern“, erwiese sich, so die Kritik, „in der Praxis jedoch als schwierig und schwerfällig“. Die „Anwendung der Stellenbeschreibung“ führe deswegen zwangsläufig zu einer „organisatorischen Zementierung“ (Guserl und Hofmann 1972a, S. 62).
Dabei wird kritisiert, dass der „Dogmatismus“ der Harzburger in Bezug auf die Stellenbeschreibungen in der „Praxis zu einem ausgeprägten ‚Ressortdenken‘“ führe (Guserl 1972, S. 674). Das Harzburger Modell habe ein „Hasenstall-System“ zur Folge, das den „Ressort- und Gruppenegoismus“ fördere. Die durch das Harzburger Modell verstärkten „Trennwände“ zwischen Ressorts würden faktisch deren Kooperation verhindern (Kube und Kübler 1972, S. 132). Das Harzburger Modell bewirke, dass „jeder nur das mache, für was er verantwortlich ist“. „Die Folge“ sei, „daß nur das, was geregelt ist, erfüllt wird“. Jeder ziehe „sich auf jene Bereiche zurück, die schriftlich niedergelegt sind“. „Dieses Verhalten“ werde durch das Harzburger Modell, „direkt provoziert“ (Guserl und Hofmann 1972b, S. 53). Kurz: Statt „Kooperation“ bringe das Modell „bürokratische Erstarrung“ (Guserl und Hofmann 1972a, S. 60).
Ein „Führungsmodell mit starken Bürokratie-Merkmalen“ gerate in dem „heiklen Balance-System zwischen den Organisationselementen Tradition – Bürokratie – Innovation durch das Überwiegen der bürokratischen Stabilisierungsfunktion aus dem Gleichgewicht“. Die „Dynamik“ der Organisation sei gefährdet (Guserl und Hofmann 1972b, S. 52). Das Harzburger Modell sei durch „seine verhältnismäßig statische und starre Struktur“ für die Anforderungen „nicht geeignet, die auf Umwelteinflüsse rasch reagieren und neue Impulse setzen müssen“ (Kube und Kübler 1972, S. 134).
Das Harzburger Modell halte, so die Kritik, am klassischen zweckrationalen Organisationsmodell fest, in dem Organisationen als Pyramiden aus einem Oberzweck und daraus abgeleiteten Unterzwecken und Unterunterzwecken bestehen, die mit der hierarchischen Verantwortung gleichgeschaltet seien. Im Harzburger Modell seien „die Zwecke der Organisation“ den „Mitteln übergeordnet“ und damit auch „die Vorgesetzten den Untergebenen“. Das Delegationsprinzip beinhalte „nichts anderes, als daß das rationelle Handeln des Leiters auf die Untergebenen verlängert“ werde (Trebesch 1971, S. 9).
Konsequenz sei, dass in der Praxis vieler Organisationen, die das Harzburger Modell eingeführt haben, die Organisationsprinzipien unterlaufen werden. In den Organisationen, die das Harzburger Modell eingeführt haben, würden die gesetzten Normen eine „verschwindend geringe Rolle“ spielen (Guserl und Hofmann 1972a, S. 60; siehe dazu auch ausführlich Guserl 1973, S. 273ff.). In der Praxis der Organisationen, hätten die Führungsanweisungen keine „fundamentale Bedeutung für das Verhalten der Mitarbeiter“ entwickelt (Guserl 1972, S. 674). Statt auf einen Normenkatalog mit hunderten von Organisationsregeln zu setzen müsse man, so die Kritik, anerkennen, dass die „Politik im Leben jeder Organisation eine entscheidende Rolle“ spiele (Guserl und Hofmann 1972b, S. 52).
5. Die Vernachlässigung organisationskultureller Komponenten
Die Kritik am Harzburger Modell muss vor dem Hintergrund einer Umstellung im Managementdiskurs verstanden werden, in dem man zwar der Gestaltung der formalen Strukturen nach wie vor Aufmerksamkeit widmete, informale Strukturen aber immer wichtiger wurden. Die informale Struktur von Organisationen erhielt Anfang der 1970er Jahren im Rahmen der Programme zur Humanisierung der Arbeitswelt starke Aufmerksamkeit. Überlegungen aus der Human Relations Schule innerhalb der praxisorientierten Organisationswissenschaft wurden reaktiviert und in konkrete Veränderungsprojekte übersetzt. Spätestens mit dem Aufkommen der Popularisierung der Organisationskultur als Erfolgsfaktor von Organisationen, rückte die informale Struktur mit ihren Potentialen zur Gemeinschaftsbildung in den Mittelpunkt.
So wird kritisiert, das Harzburger Modell würde systematisch die Einflüsse aus dem „Milieu“ oder dem „Kulturbereich“ vernachlässigen (Guserl und Hofmann 1972a, S. 60). Die „Bedeutung der informellen Organisation“ würde systematisch missachtet (Guserl und Hofmann 1972a, S. 65; siehe auch Kube und Kübler 1972, S. 133). Weitergehend würde das Harzburger Modell die „informellen Beziehungen“ nicht nur vernachlässigen, sondern gar „nicht zulassen“. Kontakte würden ausschließlich auf „formale, vertikale Verbindungen“ beschränkt. „Horizontale Beziehungen“ würden nur in „Ausnahmefällen“ und auch hier über die vorgeschriebenen Kommunikationswege zugestanden (Trebesch 1969, S. 45).
Damit werde, so die Kritik, die wissenschaftliche Forschung über zwischenmenschliche Beziehungen, über informale Beziehungen und organisationskulturelle Erwartungen systematisch ignoriert. In jeder Organisation werde, so die Zusammenfassung, die formal angeordnete Struktur „durch ein Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen und Wertvorstellungen überlagert.“ Dieses reiche „vom informellen Kommunikationssystem“ über „Normen der gegenseitigen Anerkennung“ bis „zur mehr oder weniger festen Gruppenbildung“. Dass die „Kenntnis und die Pflege dieser informellen Struktur“ innerhalb einer Organisation zur Führungsaufgabe gehöre, werde im Harzburger Modell systematisch ignoriert (Kube und Kübler 1972, S. 133).
Diese Vernachlässigung der informellen Organisation falle, so die Kritik, um „so schwerer ins Gewicht“, als diese „organisatorische Erscheinungsform“ durch „die starren Strukturen des Harzburger Modells gerade besonders wuchern würde“. Es habe sich gezeigt, dass „dort, wo die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten formell strikt auf den unmittelbaren Vorgesetzten ausgerichtet“ sei, „dies verhältnismäßig oft dadurch umgangen wird, daß sich der Mitarbeiter an einen ‚informellen Führer‘ wendet“ (Kube und Kübler 1972, S. 133)
Letztlich werde, so die Kritik, die Bedeutung der Bildung von sowohl für die Effizienzsteigerung als auch für die Mitarbeiterzufriedenheit wichtigen Gemeinschaften im Harzburger Modell vernachlässigt. Im Harzburger Modell ginge es „im Wesentlichen nur um eine Beziehung, nämlich vom Vorgesetzten zum Mitarbeiter“, die „mechanistisch gedeutet und organisiert“ werde. Damit werde die Sicht auf „eine gruppenbezogene Zusammenarbeit“ erschwert, die für das „Zusammenwirken von Menschen im betrieblichen Bereich“ bestimmend sei (Laux 1972, S. 170).
Die „überwiegend auf den Verstand gerichteten Appelle des Harzburger Modells“ seien ein „verhältnismäßig unwirksames Mittel für die Erzielung von Verhaltensänderungen“. Das „verstandesmäßige Begreifen“ stände „eher am Schluss eines Lernprozesses“. Effizienter sei es, durch „gruppendynamische Methoden den Mangel an Motivation durch das Lernprogramm der Akademie wettzumachen“ (Guserl und Hofmann 1972b, S. 52).
6. Persönliche Verstrickungen als Lernverhinderungsmechanismus
Die Ursachen für den Niedergang des Harzburger Modells sind vielfältig. Sicherlich erschwerte die Kritik an Höhns NS-Vergangenheit den Zugang zu staatlichen Kunden wie Ministerien, Verwaltungen, Polizei und Bundeswehr. Darüber hinaus verlor wie jede Managementmode auch das Harzburger Modell irgendwann seinen Reiz. Es wurde deutlich, dass bei aller Plausibilität des Konzeptes die Einführung häufig mit Stolpersteinen verbunden war. Nachdem fast jedes deutsche Großunternehmen mit dem Konzept experimentiert hatte und Pilotimplementierungen in der öffentlichen Verwaltung durchgeführt wurden, war nach Jahren der Dominanz eines Führungsmodells der Bedarf nach etwas Neuem dar. Konkurrierende Führungssysteme kamen auf den Markt und bedrohten zunehmend die dominante Stellung des Harzburger Modells im Managementdiskurs der Bundesrepublik.
In dieser Situation war Reinhard Höhn nicht bereit, sein Modell anzupassen oder zu erweitern. Es gäbe, so der Hinweis, „sicherlich Ergänzungen und Korrekturen“ zum Harzburger Modell, aber es stecke einen Rahmen, in dem „Mitwirkungen bei Zielsetzungen“, „Entlohnungssysteme“ und „Teams“ unterzubringen seien (Brandes 1976, S. 53). Die Kritik, so die Reaktion der Harzburger, möge „Anregungen und Impulse“ beinhalten, sie würde aber nicht auf das Modell an sich zielen, sondern lediglich auf „Fehlentwicklungen“ bei der „Umsetzung“ verweisen, die zu vermeiden seien (Berger 1973). Das Harzburger Modell, so der Tenor, funktioniere einwandfrei, wenn nur in „hinreichend intensive Schulung“ investiert werde (Glahe 1972, S. 44).
Die geringe Anpassungsbereitschaft der Vertreter des Harzburger Modells wirkte sich besonders deswegen negativ aus, weil die Merkmale des Modells durch die Führungsgrundsätze bis in kleinste Details spezifiziert wurden. Dabei unterscheidet sich das Harzburger Modell von den meisten anderen Managementkonzepten, die eher allgemeine Handlungsmaximen ausgeben. Dies sind dann zwar dem Vorwurf ausgesetzt, in ihren Empfehlungen sich lediglich abstrakten Wertformeln zu bedienen, sind jedoch leichter in der Lage, neue Entwicklung zu integrieren und sich an aktuelle Trends anzupassen.
Reinhard Höhn ließ bis ins Detail hinein das Harzburger Modell über die Jahrzehnte unverändert. Aktuelle Entwicklungen im Managementdiskurs wurden bestenfalls zur Kenntnis genommen, aber führten nicht zu Änderungen im Modell.
Angepasst wurden lediglich die Präsentationsformen des Modells. Der etwas antiquiert wirkenden Name der Hauszeitschrift „Harzburger Hefte“ wurde – den in den 1970er Jahre dominierenden Trend zur Kleinschreibung übernehmend – in „management heute“ umbenannt. Das immer wieder in Neuauflagen erschienene Standardwerk mit dem etwas verstaubt klingenden Namen „Führungsbrevier der Wirtschaft“ (in der ersten Auflage Höhn 1966) wurde durch das peppiger klingendes Buch „Das tägliche Brot des Managements“ (in der ersten Auflage Höhn 1978) ergänzt.
Beim Niedergang des Harzburger Modells handelt es sich um den typischen Fall einer Kompetenzfalle (siehe dazu Levitt und March 1988; Levinthal und March 1993). Sind Promotoren eines Managementkonzepts erfolgreich, tendieren sie dazu, dieses Konzept immer weiter zu verfeinern. Je stärker dieses Konzept dann in Publikationen beworben wird, Schulungsprogramme daran angelehnt werden und die Managementvordenker mit dem Konzept assoziiert werden, desto schwer fällt es, sich von einem solchen Konzept zu lösen.
Überspitzt kann man bei Kompetenzfallen von der Gefahr eines „zu guten Gedächtnisses“ sprechen. Vermutlich sind wenige Promotoren von Managementkonzepten daran gescheitert, weil sie etwas Wichtiges vergessen hätten. Es ist viel wahrscheinlicher, so lässt sich ein Gedanke von Karl E. Weick paraphrasieren, dass sie deshalb gescheitert sind, weil sie wegen zurückliegender Erfolge viel bewährtes zu Lange im Gedächtnis behalten haben und deshalb damit fortgefahren sind, die Dinge so zu tun, wie sie es bisher immer mit Erfolg getan haben (siehe dazu Weick 1985, S. 320).
In Bezug auf das Harzburger Modell fällt jedoch auf, dass das „gute Gedächtnis“ von Reinhard Höhn in Bezug auf das Harzburger Modell kombiniert wurde mit einem auffällig „schlechten Gedächtnis“ in Bezug auf das Konzept der Volksgemeinschaft. Wegen der hohen Sensibilität der NS-Vergangenheit Reinhard Höhns schien er nicht in der Lage gewesen zu sein, den in Managementkonzepten immer populärer werdenden Gedanken der Bildung von „Gemeinschaften“ – mit oder ohne der Vorsilbe „Volk“ – in das Harzburger Konzept zu integrieren.
Insofern spielte beim Niedergang des Harzburger Modelles das schon in der Weimarer Republik, aber besonders im NS-Staat von Höhn propagierte Konzept der Volksgemeinschaft eine wichtige Rolle. Aber nicht wie bisher in der Forschung angenommen in der Form einer zu starken Kontinuitätslinie des Gemeinschaftskonzepts von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis hin zur Bundesrepublik Deutschland, sondern in Form eines aufgrund der persönlichen Verstrickungen nötigen Distanzierung Höhns von jeder Form von Gemeinschaftsvorstellung.
Der vorliegende Text ist ein Beitrag in der »Harzburger Reihe« auf „sozialtheoristen.de“, in der sich ein Forschungsteam der Uni Bielefeld aus einer organisationssoziologischen Sicht mit dem »Harzburger Modell« beschäftigt, dem verbreitetsten Managementkonzept in der deutschsprachigen Unternehmenslandschaft der 60er und 70er Jahre. Kontrovers ist in der Debatte über das Harzburger Modell vor allem dessen Begründer, Reinhard Höhn (1904-2000), einstmalig SS-Oberführer und Vertrauter Heinrich Himmlers. Das Forschungsteam beschäftigt sich mit zwei zentralen Fragen: Zum einen wird die langanhaltende Diskussion aufgegriffen und soziologisch reinterpretiert, welche Kontinuitäten und Brüche sich zwischen der im Nationalsozialismus dominierenden Gemeinschaftsideologie sowie dem späteren Harzburger Modell finden lassen. Zum anderen interessieren die Funktionen und Folgen der Implementierung des Harzburger Modells in solche Organisationstypen, für die das Managementkonzept zumindest ursprünglich nicht entwickelt wurde.
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