Die Ähnlichkeit nationalsozialistischer Führungskonzepte mit aktuellen Führungsmodellen

Ich fürchte nicht die Wiederkehr des Faschismus gegen die Demokratie, sondern die Wiederkehr des Faschismus als Demokratie

Rephrasierung eines Gedankens von Theodor W. Adorno

Beim Blick auf neue Managementkonzepte mit ihrer Verklärung der Gemeinschaft, der Ausrichtung auf einen übergeordneten Zweck der Arbeit und der Forderung nach einer charismatischen, transformativen Führung mögen „manche Aspekte des Nationalsozialismus“ überraschend modern erscheinen. Aber man macht es sich zu einfach, wenn man versucht, die Modernität der nationalsozialistischen Ideologie über persönliche Kontinuitäten zu rekonstruieren.

Zugegeben – es hätte etwas Beruhigendes, wenn man die Kontinuitäten und Ähnlichkeiten zur Führungsideologie der Nationalsozialisten daran erkennen könnte, ob die Verfechter eines Führungskonzeptes Mitglied einer faschistischen Organisation waren, in rechtsextremen Zeitschriften publizierten oder in Bettwäsche mit Hakenkreuzen schliefen. Man müsste dazu lediglich die entsprechenden Mitgliederlisten, Artikelübersichten und Bildverzeichnisse auswerten und könnte daraus zur Einschätzung und Einordnung der Schriften kommen.

Um nicht missverstanden zu werden – Mitgliedschaften und Aktivitäten sind Indizien für die Haltung einer Person. Schließlich tritt man nicht ohne Grund in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei oder eine ihrer Nachfolgeorganisationen ein, publiziert aus Versehen im Völkischen Beobachter, in Nation Europa oder der Deutschen Stimme und lässt sich vor nationalsozialistischen Emblemen fotografieren. Aber man wählt einen zu bequemen Weg, wenn man von solchen früheren Aktivitäten direkt auf gegenwärtige Positionen schließt. Man droht damit, nicht nur Brüche in persönlichen Lebensläufen zu verkennen, sondern besonders auch die Renaissance dieser Vorstellungen aus überraschenden Richtungen zu übersehen.

Die Wiederkehr der Gemeinschaftsidee, die erneut aufkommende Orientierung von Organisationen an einem „Purpose“ und das Comeback der charismatischen Führung haben in den allermeisten Fällen überhaupt nichts mit einer Sympathie für die nationalsozialistische Ideologie zu tun. Die Idee der Gemeinschaft – auch in der Variante einer Volksgemeinschaft – gab es bereits, bevor die Nationalsozialisten diese zur Grundlage ihrer rassistischen Ideologie machten. Die Ablehnung einer Hierarchie, die primär durch formale Ordnung abgesichert wurde, war kein Alleinstellungsmerkmal der Nationalsozialisten, sondern lässt sich schon Jahrzehnte zuvor in den Selbstbeschreibungen politischer Bewegungen finden. Die Verklärung charismatischer, transformativer Führung fand sich nicht ausschließlich in den Vorstellungen der Nationalsozialisten, sondern auch in den Konzeptionen von Kommunisten, Anarchisten und Liberalen.

Die nationalsozialistische Vorstellung von Gemeinschaft – und das daraus abgeleitete Verständnis von Führung – ist durch drei Besonderheiten gekennzeichnet. Erstens bestimmten die Nationalsozialisten die Grenzen der Gemeinschaft über eine pseudobiologische Kategorisierung von Rassen und grenzten damit alle Personen aus, die dieser weitgehend willkürlichen Bestimmung nicht entsprachen. Zweitens beschränkten sie die Idee der Gemeinschaft nicht auf kleinere soziale Gebilde, sondern weiteten diese über das Konzept der Volksgemeinschaft auf alle Bürger des NS-Staats und die im Ausland lebenden Deutschen aus, wodurch sie einen totalitären Zugriff auf jeden einzelnen Bürger legitimierten. Drittens folgerten sie daraus, dass sich Gemeinschaften keiner staatlichen Rechtssetzung unterwerfen müssten, sondern propagierten vielmehr, dass Rechtsetzung und -sprechung der Idee der Volksgemeinschaft zu folgen hätten.

Es gibt keine Indizien dafür, dass die aktuellen Promotoren von Gemeinschaften, der Ausrichtung an einem übergeordneten „Purpose“ und der Durchsetzung charismatischer, transformativer Führung auch nur geringste Sympathien für die nationalsozialistische Vorstellung der Volksgemeinschaft hegen. Es mag die eine oder den anderen geben, der oder die sich nicht nur einzelne Organisationen, sondern auch Nationen als eine Gemeinschaft vorstellt, von deren Ausrichtung an einem übergeordneten „Purpose“ träumt und sich einen charismatischen, transformativen Führer herbeisehnt. Aber auch diese Gedanken münden nicht zwangsläufig in einer nationalsozialistischen Vision. Wahrscheinlicher ist es, dass eine breit geteilte Gemeinschaftsideologie von einem charismatischen Führer fast unmerklich mit autoritären, totalitären und rassistischen Komponenten aufgeladen wird und deren Ähnlichkeiten zur nationalsozialistischen Ideologie einen dann fast schon überraschen.


Auszug aus Stefan Kühl „Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie“ (Suhrkamp 2025, 24,- Euro).

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