Weswegen die Diskussion über die Einrichtung eines Digitalisierungsministeriums an der eigentlichen Sache vorbeigeht
Die Idee der Einrichtung eines eigenen Digitalisierungsministeriums geistert seit über einem Jahrzehnt durch die Öffentlichkeit. Immer wieder wird gefordert, dass ein so wichtiges Thema wie die Digitalisierung nicht in verschiedenen Ressorts aufgesplittert werden darf, sondern in einem eigenen Digitalisierungsministerium zusammengezogen werden sollte. Ähnlich wie bei Themen wie der Forschung und des Umweltschutzes, die zuerst von verschiedenen Ressorts betreut und dann jeweils in einem eigenen Ministerium konzentriert wurden, müsste auch die Digitalisierung in einem Haus gebündelt werden.
Die Diskussion über ein eigenes Ministerium für Digitales leidet darunter, dass die Digitalisierung in der Politik zu einem Staubsaugerbegriff geworden ist, mit dem eine Vielzahl von Vorhaben aufgesogen werden – die Vorbereitung eines Datengesetzes, die Schriftformerfordernisse bei Arbeitsverträgen, die Förderung von digitalen Startups in der Spätphasenfinanzierung, der Aufbau einer Halbleiterindustrie in Deutschland, die Ausweitung von Beurkundung per Videokommunikation, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz oder der Relaunch einer digitalen Bibliothek des Bundes. All dies wird unter dem Begriff der Digitalisierung subsumiert.
Um das Problem bei der Diskussion über die Einführung eines Digitalisierungsministeriums zu begreifen, muss man drei Formen der Digitalisierung unterscheiden. Beim ersten Typus handelt es sich um die staatliche Regulierung der Erzeugung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten durch Gesetze und Verordnungen. Man denke zum Beispiel an das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens oder das auf die Regulierung von Onlineplattformen zielende Digitale-Dienste-Gesetz für Sicherheit im Netz. Beim zweiten Typus handelt es sich um die finanzielle Förderung der Digitalisierungsvorhaben von Unternehmen, Stadtwerken, Universitäten, Forschungsinstituten, Schulen oder Kommunen. Beim dritten Typus handelt es sich um Bestreben, die auf die Effizienzsteigerung der Verwaltung zielen. Dabei kann es sich sowohl um Vorhaben handeln, die interne Verwaltungsprozesse der Bundesverwaltung verbessern, als auch um Vorhaben, die Schnittstellen zum Bürger beinhalten. Sie können sowohl von der Bundesverwaltung allein als auch durch eine Kooperation des Bunds mit den Ländern und Kommunen umgesetzt werden. Begriffe für diese Maßnahmen der Verwaltungsdigitalisierung sind „E-Government“, „E-Regierung“ oder „E-Verwaltung“.
Der zentrale Grund, weswegen bei der Bildung jeder neuen Bundesregierung über die Einrichtung diskutiert wird, liegt im Versagen der Politik, die Digitalisierung der Verwaltung – also des dritten Typus – mit der nötigen Geschwindigkeit voranzubringen. Denn sowohl bei der staatlichen Regulierung der Erzeugung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten als auch bei der Förderung von Digitalisierungsvorhaben von Unternehmen, Forschungsinstituten oder Kommunen setzen die jeweiligen Fachministerien ihre bewährten Mechanismen ein.
Wenn aber das Hauptproblem im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung liegt, dann ist die zentrale Frage nicht, ob eine Kompetenzbündelung über eigene Abteilungen im Bundesinnenministerium, über eine Staatssekretärin für Digitales im Bundeskanzleramt oder über ein eigenes Digitalisierungsministerium gewährleistet wird, sondern ob es gelingt, eine starke Agentur für Verwaltungsdigitalisierung zu etablieren. Es müsste in einer solchen Agentur darum gehen, Schnittstellen für die Zusammenarbeit von Ministerien mit ihren nachgeordneten Ministerien zu definieren, für alle Bundesbehörden verbindliche IT-Standards vorzuschreiben und die Entwicklung der Software zum Beispiel für eine bundeseinheitliche E-Akte zu koordinieren.
Wenn eine solche Bundesagentur für Verwaltungsdigitalisierung Erfolg haben soll, müsste der direkte politische Einfluss soweit es geht reduziert werden. Das Problem der bisherigen Zerklüftung der Zuständigkeiten für die Digitalisierung der Bundesministerien und ihrer nachgelagerten Behörden ist, dass jedes Ministerium und jede Bundesbehörde letztlich ihre eigenen Lösungen erarbeiten kann. Minister lassen sich dabei ungern die Kompetenzen über ihre digitalen Verfahren aus der Hand nehmen, auch wenn es für ihren politischen Erfolg keine Rolle spielt. Die Frage ist also, durch welche politische Einbettung die Bundesagentur für Verwaltungsdigitalisierung die größte Durchschlagskraft gegenüber den Ministerien und Bundesbehörden entwickeln kann. Für die politische Steuerung gibt es drei Möglichkeiten.
In der ersten Variante würde die Steuerung der Agentur beim Bundesinnenministerium liegen, das seit Jahrzehnten für die Gestaltung ressortübergreifender Verfahren der Ministerialverwaltung verantwortlich ist. In der Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass das Ministerium keinen Hebel hat, um einheitliche Prozesse auf Bundesebene durchzusetzen. Man mag den zuständigen Staatssekretär offiziell als „Chief Information Officer“ des Bundes bezeichnen – die Kompetenzen, über die er verfügt, rechtfertigen dies aber nicht. Letztlich treibt seine ihm vorgesetzte Innenministerin immer andere Aufgaben um als die Digitalisierung der Verwaltung.
Die zweite Variante bestände – allen Forderungen zur Reduzierung der Anzahl der Ministerien zum Trotz – in der Einrichtung eines eigenen Digitalisierungsministeriums. Das grundlegende Problem dieser Variante wäre, dass sich ein solches Ministerium nicht auf die Steuerung einer Agentur für Verwaltungsdigitalisierung beschränken würde. Schon die gehandelten Bezeichnungen für ein Digitalisierungsministerium – Internetministerium, Zukunftsministerium oder Deep-Tech-Ministerium – machen deutlich, dass niemand ein Interesse an einem Ministerium zur Optimierung der Bundesverwaltung hat. Jede Digitalministerin würde eine große Verlockung verspüren, bei den in Fachministerien gut aufgehobenen Themen wie Breitbandausbau, elektronische Identitätsnachweise, digitale Kfz-Zulassungen oder KI-Anwendungen in der Sozialversicherung mitentscheiden zu wollen. Effekt wäre eine weitere Verlangsamung der Entscheidungsfindung, weil ein weiterer Spieler in die üblichen „Mitzeichnungskriege“ zwischen den Ministerien eintreten würde.
Die dritte Variante wäre eine Steuerung der Bundesagentur für Verwaltungsdigitalisierung durch das Kanzleramt. Das ist insofern eine riskante Variante, weil das Bundeskanzleramt in der Regel als Moderator zwischen den Ministerien auftritt und so wenig operative Kompetenzen wie möglich in der Regierungszentrale verortet sehen möchte. Ministerien, so die seit Jahrzehnten eingespielte Rollenverteilung, können mit Vorhaben scheitern, das Bundeskanzleramt aber nicht. Die einfachste Form ein Scheitern zu verhindern, ist möglichst wenige direkte Kompetenzen beim Bundeskanzleramt anzusiedeln. Aber gerade, weil es an politischer Aufmerksamkeit für die Digitalisierung der Verwaltung und den nachgelagerten Behörden mangelt, könnte es eine Möglichkeit sein, die politische Steuerung einer Agentur für Verwaltungsdigitalisierung möglichst hoch aufzuhängen.
Über die eine Strategie zur Förderung der künstlichen Intelligenz, den Ausbau von Breitbandnetzen im ländlichen Raum oder die Sicherung des Datenschutzes kann und muss in der Öffentlichkeit gestritten werden. Das Erfolgskriterium für eine Bundesagentur für Verwaltungsdigitalisierung wäre es jedoch, wenn in der Öffentlichkeit nur wenig über sie gesprochen wird. Denn die Einführung einer einheitlichen elektronische Akte, die Erstellung von zentralen Registern oder die Standardisierung von Software werden nur dann ein Thema sein, wenn sie nicht funktionieren.
Schreibe einen Kommentar