Der Zusammenhang von Gemeinschaft und Führung im Nationalsozialismus

Führung spielt in der nationalsozialistischen Ideologie eine zentrale Rolle. Auch wenn Adolf Hitler nie eine konsistente Theorie der Führung vorgelegt hat, wurde doch schon in seinem Mitte der 1920er Jahre entstandenen Buch Mein Kampf deutlich, wie er sich die Führung in der nationalsozialistischen Bewegung – und darüber hinaus in einem nationalsozialistischen Staat – vorstellte. Mit seinem Grundsatz „der unbedingten Führerautorität“ brachte Hitler seine Ablehnung des demokratischen Mehrheitsprinzips zum Ausdruck, das seiner Meinung nach den Führer „zum Vollstrecker des Willens der Meinung anderer“ degradiere.

Bei Führung käme es, so Hitler, zuallererst auf die „Persönlichkeit“ an. Diese müsse durch eine „Verbindung von Fähigkeit, Entschlußkraft und Beharrlichkeit“ gekennzeichnet sein. Die Überzeugungskraft dieser „Persönlichkeit“ drücke sich im „Fanatismus“ aus, mit der sich Anhänger ihr unterordnen. Führung hieße, so die Kurzformel, „Masse bewegen können“.

Folglich sei, so Hitler, das erste Fundament von Führung „stets die Popularität“ gegenüber der Gefolgschaft. Aber eine Autorität, die nur auf Popularität basiere, sei „schwach, unsicher und schwankend“. Zur Absicherung bedürfe es deswegen eines zweiten Fundaments, der „Bildung von Macht“, die in letzter Konsequenz auch Ausdruck in Gewalt finden könne. Wenn sich Führungsansprüche durch Popularität und Macht über längere Zeit stabilisiert hätten, dann bilde sich „Tradition“ als drittes Fundament aus und bewirke, dass die „Autorität als unerschütterlich“ betrachtet werde.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten diente die von Hitler formulierte Vorstellung nicht mehr nur als Leitbild für die Führung der NSDAP, der SA oder der SS, sondern als Orientierungsrahmen für alle Organisationen im NS-Staat. Ministerien sollten sich an diesen Führungsprinzipien orientieren, Verwaltungen sich auf diese umstellen, Armee und Polizei sich darauf ausrichten, Universitäten sich entsprechend umstrukturieren und die Unternehmen sich daranhalten.  

Die Nationalsozialisten betteten ihre Idee des Führens und Folgens in ihre Ideologie der Volksgemeinschaft ein. „Die Gemeinschaft“, so einer der Führungstheoretiker der Nationalsozialisten, Hans Bernhard Brauße, „aktiviert“ sich „als Einheit nicht von selbst“. Sie bedürfe „des Antriebs, der Tat, der Schöpferkraft, des zielbewussten Willens“. Die Gemeinschaft benötige eine „besondere treibende Kraft“, die „aus dem Ganzen und für das Ganze“ wirke und „das Ganze bewege“ sowie „in Bewegung“ halte. Die „Notwendigkeit der Führung“ ergebe sich deswegen „unmittelbar aus dem Wesen der Gemeinschaft“.

Das Individuum gehe, so die nationalsozialistische Vorstellung, in der Volksgemeinschaft auf und bekäme durch das Führerprinzip seinen Rang zugeordnet. Nach nationalsozialistischer Ideologie verlaufe das ganze Leben, so schon früh Adolf Hitler, „zwischen Führung und Gefolgschaft“. „Je höher die Entwicklung eines Volkes steigt, um so komplizierter wird das Leben. Der einzelne Mensch ist nirgends mehr Herr seiner selbst. Sein ganzes Dasein wird immer durch die Rücksicht auf andere bestimmt. Überall wird er geführt und dauernd muß er gehorchen.“

„Eine wahrhaft national-sozialistische Gemeinschaft“ sei, so der Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsfront und Leiter des Hauptpersonalamts der NSDAP, Otto Marrenbach, „kein Haufen zusammengewürfelter Menschen“, sondern „ausgerichtet“. „Jeder“ habe „seinen Platz“. „Ihr oberstes Gesetz“ liege in der „Disziplin“, die durch die „Begriffe ‚Führer‘ und ‚Gefolgschaft‘ ausgedrückt“ werde. Volk bedeute auch, so Höhn, „nicht Summe von Individuen, sondern eine in Rasse, Raum und Geschichte ruhende Gemeinschaft“. Sie sei durch den „Führer neu geschaffen worden“ und trete den deutschen Volksgenossen „in Gefolgschaft und Führung sichtbar entgegen“.

Die auf dem Gedanken der Volksgemeinschaft aufbauende nationalsozialistische Konzeption der Führung entsprach weitgehend dem von Max Weber ausgearbeiteten Idealtypus charismatischer Führung. Diese Führung umfasse eine zumindest „außeralltägliche“, wenn nicht sogar „übernatürliche“ und „übermenschliche“ Qualität einer Persönlichkeit, die Anhänger dazu bringt, einem Führer zu folgen. Über die Wirksamkeit entscheide dabei die „Anerkennung“ des Führungsanspruchs durch die Anhänger, die bis zu einer „persönlichen Hingabe“ gehen kann. Dieses Führungskonzept wurde von den Nationalsozialisten in drei Richtungen weiterentwickelt.

Ein erstes zentrales Element des nationalsozialistischen Führungskonzepts besteht in der Fähigkeit von Führern, ihre Anhänger von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Es gehe, so die Vorstellung der Nationalsozialisten, darum, für einen übergeordneten Wert, einen höheren Sinn zu begeistern. Ein Führer sei jemand, so der nationalsozialistische Staatsrechtler Reinhard Höhn, der es fertigbringe, „in den Kreisen, in die er hineingestellt“ worden sei, „einen neuen Geist einziehen zu lassen, der sich tagtäglich auswirkt und bewährt“. So werde ein „Gemeinschaftsgeist“ erzeugt, durch den Spannungen aufgrund von Standes- und Klassengegensätzen überbrückt werden würden.

Dafür sei es notwendig, so das zweite Element der nationalsozialistischen Führungslehre, dass die Führer einen Vorbildcharakter einnähmen. Führer müssten die von ihnen vertretenen Werte vorleben und dadurch ihre Anhängerschaft mitreißen. Ein Führer sei, so Höhn, der „ausgeprägte Träger des Geistes der Gemeinschaft, der für die Gesamtheit richtunggebend“ handle. Er sei „der Vorkämpfer, in dem jeder einzelne sich selbst in höchster Vollendung wiederfindet, der ‚Richtmann‘ seiner Gefolgschaft“. Weil die Vorstellung vorliegt, dass „Gemeinschaft sich nicht lehren“ und „Kameradschaft nicht befehlen“ lasse, müsse, so Arnhold, ein Führer durch sein Vorbild wirken. Germanische Menschen seien nur dadurch zu erziehen, dass man es ihnen immer wieder „vormacht“.

Wichtig sei dabei, so das dritte Element, die Ausbildung des Vertrauens zwischen Führern und deren Anhängern. Führer müssten, so Höhn, „jeden einzelnen der ihnen anvertrauten Menschen genau kennen, um seine Sorgen und Nöte wissen“, um ihn „zu erfassen, ihn zu mahnen, zu stützen und ihm helfen“ zu können. Sie müssen „fortschreitend darüber wachen und sich Rechenschaft geben“, inwieweit der „Geist der Gemeinschaft ihre Männer“ umfasse. Sie würden sich so „selbst an der werdenden Gemeinschaft läutern müssen, und erst wenn sie das alles geprüft“ hätten, dürften sie auch darüber urteilen, „ob ein ihnen Anvertrauter aus dem Keis der werdenden Gemeinschaft ausgeschlossen werden“ müsse. Kurz: Eine auf Vertrauen basierende Gemeinschaft als Einheit, „zu der Führer und Gefolgschaft verschmolzen“ seien.

In der nationalsozialistischen Ideologie wurde Führung als ein Akt des Dienens begriffen. Unter Führung, so der sich in der NS-Zeit mit seinen Texten zu diesem Thema hervortuende Arbeitswissenschaftler Willy Müller, dürfe man nicht nur „befehlen, anordnen, schreiben“ verstehen. Führung hieße vielmehr „Verantwortung tragen, sich seinen Aufgaben und Pflichten bewusst sein, die eigene Tätigkeit im Interesse des Volksganzen ehren und lieben, weil man hierdurch dem Vaterland dienen“ könne. „Führen“ sei, so Müller „nichts anderes als dienen“.

Das Prinzip des Führens als Dienen musste nach Vorstellung der Nationalsozialisten dabei die ganze Volksgemeinschaft durchziehen – von Hitler als oberstem Führer des Deutschen Reiches über die Führungsspitzen in den Ministerien, Verwaltungen, Universitäten, Krankenhäusern, Armeen, Polizeien und Unternehmen bis hin zu den Ortsgruppenleitern der NSDAP, den Führern der NS-Betriebszellen, den SA-Rotten, den Haushaltungsgruppen der NS-Frauenschaft und den Gruppen des Bundes Deutscher Mädel. Dabei komme, so die Auffassung Reinhard Höhns, Hitler als oberstem Diener seines Volkes eine besondere Bedeutung zu, trotzdem sei aber jeder einzelne Führer ein „kleines Rädchen im Getriebe“ und erbringe „ein ungeheures Werk für das Volksganze“.

Mit der Funktion des Dienens wird der Begriff der Führung so ausgeweitet, dass letztlich jedes Mitglied einer Organisation führen kann. Es sei, so Müller, zunächst ein ungewohnter Gedanke, dass „der einfachste Arbeiter, der kleinste Handwerker und der bescheidenste Beamte und Angestellte“ ein Führer sein soll. Aber selbst wenn diese Person es nur gewohnt sei, „Anweisungen zu empfangen“, und ihm „keine Befehlsgewalt“ zustehe, so würde sie trotzdem führen können. „Denn durch seine vorbildliche Arbeit“ wirke der Arbeiter „gestaltend auf die Tätigkeit und den Charakter seiner Mitmenschen“ ein. „Je vollkommener seine Arbeit“ sei, „je stärker in ihr die sorgsame Liebe, das Verantwortungsbewußtsein und das Pflichtgefühl zum Ausdruck“ komme, umso „größer und nachhaltiger“ sei der Einfluß auf die Umwelt“ und umso „mehr fühlen sich die Mitmenschen in den Bann jenes einzelnen Arbeiters gezogen“. Er würde immer mehr „zum Führer in seinem Wirkungskreise“ werden.

Grundlage einer dienenden Führung war die Einbettung des Verständnisses von Führung in das Konzept der Gemeinschaft. Wenn Führung in einer Gemeinschaft stattfindet, kann sie nur als Dienst verstanden werden. Man könne, so Höhn, „den Führer nicht aus der Gemeinschaft herauslösen“. Schließlich vollzöge dieser als „aktivster artgleicher Genosse“ „die Funktionen für die Gemeinschaft“. In ihm „konzentriere sich gewissermaßen die Gemeinschaft“. Der Führer sei, so Höhn, „kein Diktator“, sondern das, was er beschließe, entstehe lediglich aus dem „Gemeinschaftsgeist“ heraus.

Der Dienst der Führung wird dabei, den Grundgedanken der Nationalsozialisten entsprechend, an der deutschen Volksgemeinschaft erbracht. Das bedeutet, dass der Dienst der Führung zwar im unmittelbaren Bereich der Ortsgruppe der NSDAP, der NS-Betriebszelle, der SS-Rotte, der Haushaltungsgruppe der NS-Frauenschaft oder der Mädelschaft erbracht wird, die Wirkung aber darüber herausreicht. Führung ist in nationalsozialistischem Verständnis also immer dienende Führung für die kleine Gemeinschaft, die von den Führern angeführt wird, nutzt aber letztlich dem ganzen Volk. „Wer führt“ so Willy Müller, „dient dem Geführten, dem eigenen Werk und, wenn dieses volksnützlich ist, dem Volkswohl“.

Das Prinzip der Hierarchie wurde selbstverständlich in der Praxis des NS-Staates nicht aufgegeben. In der Wehrmacht dominierten die über Jahrhunderte etablierten militärischen Rangordnungen, die Ministerialverwaltungen waren nach den üblichen hierarchischen Prinzipien untergliedert und in den Unternehmen wurden aller Rhetorik der Betriebsgemeinschaft zum Trotz die Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisse beibehalten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass jenseits der gelebten organisatorischen Praxis in der nationalsozialistischen Führungsideologie die Bedeutung der formalen Hierarchie zur Absicherung von Führungsansprüchen aufgeweicht wurde.

So waren für Höhn die aus der Gemeinschaft heraus entstehenden Führer den aufgrund von formalen Rechten eingesetzten Führern weit überlegen. Der „eingesetzte Führer“ sei zunächst nichts weiter als ein „Vorgesetzter“. Erst wenn sich um den „Vorgesetzten“ und „seine Leute“ ein „Gemeinschaftsgeist“ schlinge, werde er zum Führer. Der „eingesetzte Führer“ stelle bei einer „umsichtigen höheren Führung, die um die Gesetze der Gemeinschaft weiß, keine Gefahr“ dar. Denn sie werden immer sehen, „ob er in der Lage ist, mit dem ihm anvertrauten Leuten eine Gemeinschaft zu bilden und so vom Vorgesetzten zum Führer zu werden“. Anderenfalls werden sie „ihn wegnehmen und einen anderen an seine Stelle setzen“. Sonst zeige sich die „sehr eigentümliche Erscheinung“, dass neben dem „eingesetzten Führer“ in „der Gemeinschaft unmerklich Führer“ entstünden, die „den Gemeinschaftsgeist“ in sich trügen, „richtungsgebend für die Gemeinschaft“ seien und den „eingesetzten Führer“ zu einer „rein äußerlichen, dekorativen Figur“ verkommen ließen.

Der Begriff der Führung wird im Nationalsozialismus im Kontrast zur Hierarchie geschärft. „Ein die Allgemeinbelange förderndes Zusammenarbeiten“ werde, so Müller, „noch lange nicht dadurch erreicht, daß man einem Vorgesetzten die formale Gewalt über den Untergebenen verleiht“. Das sei „lediglich eine organisatorische Maßnahme, die Zwang bedeutete, aber noch keine Vernunft zu sein braucht“. „Ein Zwangsgefühl“ bringe „stets Reibung und Kräfteverlust mit sich“, „die Vernunft“ sei dagegen „das natürliche Öl im Räderwerk des täglichen Lebens“.

In der nationalsozialistischen Ideologie wurde dabei das Konzept der Führung mit dem des Managements kontrastiert. Wichtig sei, so Heinrich Himmler, die „geistige Haltung“, die „menschliche Haltung“ und das „Führen“. In vielen Organisationen würde man, so Himmler mit Rückgriff auf die Klage von zu viel Management und zu wenig Führung, „nur verwalten und nicht führen“. Die Nationalsozialisten könnten mit dem deutschen Volk „alles machen“, wenn sie dieses „führen“ würden. Im Nationalsozialismus, so Höhn, werde „nicht regiert“, „sondern geführt“.

Man darf die Rhetorik der Nationalsozialisten nicht für bare Münze nehmen. Organisationen der Partei und des Staates waren häufig nicht durch ein harmonisches Zusammenwirken in einer durch die nationalsozialistische Ideologie beeinflussten Gemeinschaft geprägt, sondern durch heftige Machtkämpfe. Die Idee der Führung als Dienst an der Gemeinschaft konnte häufig nur mühsam kaschieren, dass gerade die nationalsozialistische Funktionärselite sorgsam darauf bedacht war, persönliche Vorteile zu erlangen. Organisationale Erwartungen wurden häufig nicht durch die Überzeugungskraft charismatischer Führer durchgesetzt, sondern durch die Ausübung brutaler Gewalt. Nichts desto trotz prägte die nationalsozialistische Rhetorik maßgeblich, wie über Führung gesprochen werden konnte. Es ist deswegen nicht überraschend, dass auch der Untergang des NS-Staates erheblichen Einfluss darauf hatte, wie über Führung nachgedacht wurde.


Auszug aus Stefan Kühl „Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie“ (Suhrkamp 2025, 24,- Euro).

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