Ein Kunstgriff der Proponenten von Managementmodellen besteht in dem Verweis, dass das propagierte Erfolgsprinzip für die adressierten Organisationen zwar etwas Neues sei, es aber sehr wohl historische Vorbilder gäbe, auf denen man aufbauen könne. Als Beispiele dienen „Vordenker“ wie Laotse, Sun Tzu, Machiavelli oder Clausewitz und „Anwender“ wie Jesus, Moses, Mohammed, Hitler oder Mao.
Es wirkt dennoch paradox, dass sich bei den zur Neuigkeitsdramatisierung neigenden Führungsmoden wiederholt Referenzen auf historische Vorbilder einschleichen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Hervorhebung des revolutionär Neuen eines Konzepts bei den Rezipienten ein Bedürfnis nach Sicherheit weckt. Der Verweis auf prominente Vorbilder und Vordenker liefert eine solche Sicherheit, weil die Beständigkeit eines Führungskonzepts bestätigt, dass es über längere Zeit gereift ist und erfolgreich erprobt wurde.
Im NS-Staat dienten besonders Bezüge auf das Militär zur Rechtfertigung von Führungskonzepten. Laut Otto Marrenbach verkörpere der Soldat „all die Tugenden, die von einer nationalsozialistischen Gemeinschaft gefordert werden müssen, in vollendeter Form“. „Gerade weil der deutsche Mensch von Natur aus Soldat und Kämpfer“ sei, so Karl Arnhold, habe er ein „wundervoll feines Gefühl der Einordnung und Unterordnung“. Hans Bernhard Brauße betont, dass „insbesondere dem Soldatentum“ deswegen der Verdienst zukäme, die Grundsätze der Führung „in seltener Vollkommenheit entwickelt zu haben“.
Die Orientierung an der Armee führte zu zahlreichen Versuchen, die militärische Führungskonzeption auf andere Organisationskonzepte zu übertragen. Die Vorstellung war, dass „artgemäße Arbeit in Deutschland zu soldatischem Denken und zu soldatischer Haltung“ nicht nur in Armeen, sondern auch in Unternehmen und Verwaltungen führen müsse. „Soldaten und Arbeiter“ seien, so Arnhold, „durch die gleiche Ehrauffassung eng miteinander verbunden“. Der eine kämpfe dabei „mit der Waffe“, der andere „mit seinem Werkzeug“ für sein Volk, beide hätten aber „das gleiche Ziel“.
Die wachsende Bedeutung der Armee im Führerstaat führte dazu, dass Phänomene aus der Arbeitswelt in militärischen Begrifflichkeiten beschrieben wurden. Vorgesetzte wurden als „Offiziere der Wirtschaft“ und Belegschaftsangehörige als „Soldaten der Arbeit“ oder „Arbeitssoldaten“ bezeichnet. An „der Arbeitsfront“ und in der „Arbeitsschlacht“ würde es zu einer ausgeprägten „Arbeitskameradschaft“ in der Belegschaft kommen. Mit der Rede von einem „wehrhaften Arbeiten“ sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der gleiche „soldatische Geist“ sowohl im Militär als auch in der Wirtschaft herrsche.
Vor diesem Hintergrund entwickelte Reinhard Höhn, der sich schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs starke militärhistorische Interessen ausgebildet hatte, eine eigene Evolutionstheorie der militärischen Führung. Als Gegensatz diente ihm auch hier der absolutistische Staat. „Die soziale Struktur des absoluten Staates“ sei während der NS-Zeit eng mit „seinem zentralstaatlichen Verwaltungsapparat“ verwoben gewesen, in dem das Heer „der tragende Teil dieses staatlichen Apparates“ sei. Weil es im absolutistischen Staat keine allgemeine Wehrpflicht gegeben habe, sei der Krieg allein „zur Sache des Regenten“ – zu einem „bloßen Geschäft der Regierung“ – geworden. Das Heer sei aufgrund des wachsenden Bedarfs zunehmend durch einen willkürlichen „Zwang zum Dienst“ und „Zwang im Dienst“ geprägt worden, mit „Zwang“ seien „die Soldaten zum Heeresdienst gepreßt und mit Gewalt im Dienst gehalten“ worden. Eine Identifikation mit der „Sache“ selbst hätte es in der Armee des absolutistischen Staates nicht gegeben.
Nach der Niederlage Preußens gegen Frankreichs Revolutionsarmee habe sich in Deutschland ein neues militärisches Führungsleitbild herausgebildet. Preußische Militärreformer wie beispielsweise Gerhard von Scharnhorst behaupten nach Auffassung von Höhn, dass der Staat „dringend den völligen Einsatz des Bürgers, seine Hingabe für den Befreiungskampf, seinen Enthusiasmus“ brauche. Die begleitende Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sei dabei für Scharnhorst nicht primär dazu da gewesen, die durch Kriege gerissenen „Lücken“ zu stopfen, sondern sei die Basis dafür, dass der Bürger „mit innerer Anteilnahme“ in der Armee dienen würde.
Das „politische Vermächtnis“ des „Frontsoldaten“ bestehe darin, an die revolutionären Überlegungen Scharnhorsts mit seiner Idee einer höheren Selbständigkeit der Truppenführer, aber auch der einfachen Soldaten anzuschließen. Mit dem Begriff des „politischen Vermächtnisses“ will Höhn deshalb daran erinnern, dass die Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs „das Erlebnis der Volksgemeinschaft als teures Vermächtnis mit nach Hause“ gebracht hätten. So hätte „ein Frontsoldat, Adolf Hitler“ dieses „politische Vermächtnis der Gemeinschaft der Frontsoldaten damit in die Gemeinschaft des ganzen Volkes“ umgesetzt und dadurch den „Boden des neuen Reiches“ geschaffen.
Mit dem Bezug auf Scharnhorst knüpfte Höhn an eine allgemeine Begeisterung für den preußischen Militärreformer im NS-Staat an. So erschienen zahlreiche, für die breite Öffentlichkeit bestimmte Biographien zu Scharnhorst. Nicht nur etliche Straßen, sondern auch eines der größten Schlachtschiffe des „Dritten Reiches“ wurden nach ihm benannt und noch kurz vor Kriegsende gab das SS-Hauptamt von Heinrich Himmler einen Sonderdruck der Überlegungen von Scharnhorst zu „einer Armee in Friedenzeiten“ heraus.
Bei der Propagierung des Harzburger Modells, das Höhn in der frühen Bundesrepublik entwickelte, hielt sich Höhn anfangs mit militärhistorischen Referenzen zurück. Das war umso überraschender, als er sich in der Nachkriegszeit mit einer Reihe von schon in der NS-Zeit begonnenen Arbeiten zur Bedeutung von Scharnhorst, des Verhältnisses der deutschen Sozialdemokratie zur Armee und der Bedeutung der Armee als Erziehungsschule hervorgetan hatte. Vermutlich war es Höhn aber in der frühen Bundesrepublik zu riskant, mit seinem Führungskonzept allzu direkt an seine früheren Forschungen anzuschließen.
Mit der Absicherung seiner Position im Führungsdiskurs der Bundesrepublik stellte Höhn jedoch zunehmend Bezüge zur preußischen Militärreform her und betonte besonders die Konsequenzen für die Reorganisation der öffentlichen Verwaltung. Wie in der Armee des absolutistischen Staates hätte, so die bekannte Gegenüberstellung Höhns auch in der Nachkriegszeit, die strikte Befehlstaktik im Sinne autoritärer Führungsvorstellungen dominiert. Mit „Zwang“, so die fast wörtliche Übernahme aus einer Schrift der NS-Zeit, seien die „Soldaten zum Heeresdienst gepreßt“ und mit „Gewalt im Dienst gehalten“ worden. Die militärischen Vorgesetzten hätten den ihnen unterstellten Soldaten buchstäblich jeden Schritt vorgegeben. Der Soldat sei nicht „auf das Ziel hin erzogen“ worden, „unter der Einwirkung der Fährnisse der Schlacht als selbständig handelnde Persönlichkeit die Situation erfassen zu können und sich entsprechend zu verhalten“, sondern vielmehr darauf „dressiert“ worden, „genauso exakt wie auf dem Exerzierplatz in der Schlacht“ die Befehle „maschinenmäßig“ auszuführen. „Alles, was vom Soldaten getan“ werden sollte, habe befohlen werden müssen. „Der Soldat“ sei „nur ein Rädchen innerhalb der Maschinerie des Dienstes und der Schlachtordnung“ gewesen.
Erst durch die preußische Militärreform habe sich, so Höhn, in der Armee eine Auftragstaktik durchgesetzt, bei der die Untergebenen selbst entscheiden konnten, wie sie einen Auftrag genau ausführen. Den preußischen Militärreformern wie Scharnhorst sei es dabei darum gegangen, einen „dem neuen Geist entsprechenden militärischen Führungsstil innerhalb der Armee“ zu schaffen. Ausdruck habe der neue Geist in Form der „Gefechtsführung“ gefunden, in der sich statt der Vorstellung von „nur auf Kommando fechtenden Soldaten“ das neue Leitbild vom mit „Enthusiasmus fechtenden Einzelkämpfer“ ausgebildet habe.
Das Problem sei, so Höhn in der Nachkriegszeit, dass Verwaltungen und Unternehmen die Innovationen der preußischen Militärreform nicht nachvollzogen hätten. Besonders in der preußischen Verwaltung hätten die Reformer darauf vertraut, dass sich ein neuer Geist schon durch die Rekrutierung neuen Personals durchsetzen würde. „Was dem Militär recht“ sei, sollte, so Höhn, der Verwaltung und der Industrie „billig sein“. Es gehe darum, „Begriffe und Funktionen aus der Welt des Militärs“ auf andere Organisationstypen zu übertragen.
Man könnte aus dieser Übernahme historischer Überlegungen eine inhaltliche Kontinuität von Vorstellungen aus der NS-Zeit und denen in der Bundesrepublik Deutschland sehen. Gerade das in der Nachkriegszeit fertiggestellte Buch über Gerhard von Scharnhorst lässt den Eindruck entstehen, dass Höhn an seinen Ideen, Themen und Vorlieben aus den 1930er und 1940er Jahren festhielt. Es liegt daher nahe, „keine Spur eines Bruchs in seinen wesentlichen Gedanken, Postulaten und Grundsätzen“ feststellen zu können (abgesehen von einem aus Opportunitätsgründen resultierenden Verzicht auf die „‘Rassen‘-Fixierung“, der „‚jüdischen Gefahr“ und der „‘Lebensraum‘-Eroberung“).
Damit wird jedoch verkannt, welche Anschlussfähigkeit die preußischen Militärreformer nicht nur im „Dritten Reich“, sondern sowohl in der Armee der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Armee der Deutschen Demokratischen Republik besaßen. Die Bundeswehr legte den Tag ihrer Gründung bewusst auf den 200. Geburtstag Scharnhorsts am 12. November 1955, benannte mehrere Kasernen nach ihm und lobte den Scharnhorst-Preis für Offiziersanwärter an der Offizierschule des Heeres aus. Auch in der DDR wurde er als Theoretiker, Reformer und Patriot gefeiert; das Staatsfernsehen strahlte eine mehrteilige Fernsehserie aus und der Ministerrat der DDR vergab den Scharnhorst-Orden für besondere militärische Verdienste.
Im Nachkriegsdeutschland wurde Scharnhorst für unterschiedliche politische Programme instrumentalisiert. In Ostdeutschland konnte er vom Vorsitzenden des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei als Vorbild für ein vereinigtes Deutschland gefeiert werden. In Westdeutschland konnte aus einer rechts-konservativen Richtung unter dem Titel „Warten auf Scharnhorst“ gefragt werden, wie der „Scharnhorst unserer Zeit“ eine „Armee im Zeitalter der Atom- und Raketenwaffen“ konzipieren würde. Zu einer Zeit, in der Politiker in der BRD wie in der DDR um das Erbe Scharnhorsts kämpften, war es auch für einen ehemaligen hochrangigen SS-Funktionär kein Risiko, ein Managementkonzept mit Verweis auf einen Militärreformer zu legitimieren.
Auszug aus Stefan Kühl „Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie“ (Suhrkamp 2025, 24,- Euro).
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