
Das in Managementmoden propagierte Organisationsverständnis ist aufgrund ihrer simplen, zweckrationalen Bauart für Manager und Berater attraktiv. Es hat aber ein grundlegendes Problem: Organisationen funktionieren nicht nach solchen zweckrationalen Planungsvorstellungen. Dies erkennt man an einer Vielzahl von Dilemmata, Widersprüchen und Paradoxien, denen man sich in Organisationen gegenübersieht. Organisationen brauchen klare Zielvorstellungen, aber auch die Bereitschaft, möglicherweise von den festgelegten Zielen abzuweichen. Es ist sinnvoll, dass sich Mitarbeiter mit Prozessen identifizieren, gleichzeitig behindert diese Identifikation aber auch die notwendigen Veränderungen. Eine Beteiligung von Mitarbeitern kann Wandlungspotenziale freisetzen, eine zu starke Einbeziehung der Mitarbeiter erschwert jedoch die Fokussierung der Organisation auf dominierende Zwecke. Selbstorganisation kann hilfreich sein, weil Lösungen vor Ort entwickelt werden; häufig gewährleistet jedoch die Fremdorganisation eine höhere Originalität der Lösung. Organisationen sehen sich der Notwendigkeit ausgesetzt, organisationale Freiräume für Innovationen zu schaffen; dieser Aufbau von Puffern lässt jedoch häufig den organisatorischen Schlendrian einziehen. Sie sind auf erfolgreiche Lernprozesse angewiesen, aber gerade erfolgreiche Lernprozesse sind für den Niedergang von Organisationen verantwortlich. Deswegen kann gerade die Vermeidung von Lernen eine sinnvolle Strategie sein.
Dadurch, dass die unterschiedlichen Anforderungen in der Organisation selbst abgebildet werden müssen, entstehen zwangsläufig Organisationen mit inkonsistenten Zielen und Logiken. Der Konflikt zwischen Rechtsabteilung, dem Bereich Forschung und Entwicklung und der Stabsstelle Arbeitspolitik, ob ein neues Produktionsverfahren eingeführt wird, ist eine Auseinandersetzung, die aufgrund unterschiedlicher Umweltbezugspunkte der einzelnen Abteilungen nicht zu vermeiden ist. Konsequenz dieser Ausrichtung der Organisation auf verschiedene Umwelten – das Rechtssystem, das Wissenschaftssystem und das Politiksystem – ist, dass zwar unterschiedliche Umweltanforderungen bearbeitet werden können, jedoch die Organisation intern keine Rationalisierung mehr im Hinblick auf lediglich ein Bezugsproblem vornehmen kann.
Wenn man sich die Realität anschaut, dann sind die Anforderungen an Mitarbeiter zutiefst widersprüchlich. Einerseits sollen Mitarbeiter als „Unternehmer im Unternehmen“ innerhalb der Organisation konkurrieren, andererseits sollen sie mit anderen Mitarbeitern kooperieren können. Motto: Alle ziehen gemeinsam an einem Strang, aber nur die Besten setzen sich durch. Einerseits wird von den Mitarbeitern verlangt, dass sie ihren eigenen Weg gehen, andererseits sollen sie das Gesamtziel der Organisation nicht aus den Augen verlieren. Motto: Jeder sucht sich seinen eigenen Weg, aber wir sitzen alle in einem Boot. Einerseits sollen die Mitglieder ‒ wenn nötig ‒ die von oben verordneten Regelwerke verletzen, andererseits die von der Organisation vorgegebenen Strukturen achten. Motto: Tu, was du willst, aber verletze ja nicht die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze. Einerseits soll für Querdenker mit ihrer Kreativität und Flexibilität Platz und Handlungsspielraum vorhanden sein, andererseits sollen die Ressourcen der Organisation möglichst effektiv eingesetzt werden. Motto: Sei unorthodox, behindere dadurch aber nicht die im Namen der Effizienz stattfindende Standardisierung von Abläufen.
Diese Widersprüchlichkeit der Anforderungen hat schon sehr früh der Organisationstheoretiker und Wirtschaftswissenschaftler Herbert A. Simon bemerkt. Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass die landauf, landab verkündeten Prinzipien des Managements wie die bekannten Bauernregeln funktionieren. Zu jedem vor Weisheit strotzenden Sprichwort lässt sich ein ähnlich plausibel klingendes Sprichwort finden, das genau das Gegenteil belegen sollen. Soll man bei der Beziehungsanbahnung eher der Maxime „Gleich und gleich gesellt sich gern“ folgen oder dem Prinzip „Gegensätze ziehen sich an“? Ist es der „frühe Vogel, der den Wurm fängt“ oder doch eher die „zweite Maus, die den Käse bekommt“?
Und genauso lässt sich für jede Bauernregel, die ein Managementberater verkündet, die Bauernregel eines anderen – manchmal auch des gleichen – Managementberaters finden, die einem genau das Gegenteil empfiehlt. Soll man eher der plausiblen Empfehlung von Managementberatern folgen, die Hierarchien abzuflachen und damit die Kontrollspannen einzelner anwachsen lassen oder soll man der Empfehlung folgen, die Kontrollspannen möglichst klein zu halten, um die Ansprechbarkeit von Führungskräften zu gewährleisten, auch wenn das zwangsläufig eine Zunahme von Hierarchiestufen mit sich bringt? Soll man im Sinne eines Compliance Management die Tendenz zum Regelbruch als ersten Schritt ins „Chaos“ ansehen und mit Begriffen wie „integres Management“, „anständige Führung“ oder „ehrliches Verhalten“ die Einhaltung von Regeln einfordern oder soll man die Fixierung auf die Einhaltung von Regeln als „Bürokratismus“ diskriminieren und mit Begriffen wie „Musterbrecher“ die intelligente Ignorierung von Regeln huldigen?
Ein Großteil der Managementliteratur ist nach dem Prinzip von Bauernregeln gebaut. Der Autor eines typischen Managementbestsellers pickt sich eine der vielen Bauernregeln des Managements heraus, erfindet Geschichten von Organisationen, die durch die Befolgung dieser Bauernregel zum Erfolg gekommen sind und liefert Gründe, weswegen jede Organisation nur durch die Einhaltung genau der von ihnen gerade favorisierten Bauernregel überleben kann. Dass Organisationen mit sehr guten Gründen eine genau entgegengesetzte Bauernregel vertreten können, wird verschwiegen, ja weitergehend unfreundliche Bezeichnungen für das entgegengesetzte Prinzip gewählt, um die eigene Bauernregel plausibler erscheinen zu lassen.
Wenn man Managementschriften liest, fühlt man sich nicht selten an die Bücher erinnert, die allabendlich in den Kinderzimmern vorgelesen werden. Gearbeitet wird mit einfachen Schwarz-Weiß-Schemata – hierarchische Fremdsteuerung versus teambasierte Selbststeuerung; Weisungen von oben versus gemeinsame Vereinbarungen; zweckorientierte Formalstruktur versus wertebasierte Organisationskultur; geteilte Einheiten versus kooperierende Zellen; zentralisierte Verantwortlichkeit versus dezentralisierte Verantwortung; starres Management versus flexible Führung; oder gedankenlose Anpassung versus agile Haltung. Angesichts der simplen Gegenüberstellungen muss man nicht lange überlegen, mit welcher Seite man sich zu identifizieren hat.
Die Vorzüge solch simpel gebauter Kontraste dürfen nicht unterschätzt werden. Man kann sicher sein, dass die kognitiven Fähigkeiten der Rezipienten nicht überfordert werden. Es lassen sich übersichtliche Tabellen bauen, in denen das Böse mit dem Guten gegenübergestellt und damit ein schneller Konsens für das Richtige hergestellt werden kann. Damit einhergehend lassen sich leicht zugängliche Storys konzipieren, in denen der mühsame, aber hochbefriedigende Weg von der bösen zur guten Seite nachgezeichnet werden kann. Der Nachteil dieser einfachen Kontrastierungen ist aber, dass sie mit dem organisationalen Alltag nichts zu tun haben.
Aus „Managementmoden nutzen. Eine sehr kurze Einführung“ (Springer VS 14,90). Die Publikation der Auszüge soll die Auseinandersetzung mit den Überlegungen zu Managementmoden ermöglichen.

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