Da will man gerade seinen Beitrag einstellen, muß man feststellen, daß Stefan das Thema bereits behandelt – wenn auch in anderer Weise. Was mich aber nicht daran hindert, den Artikel doch noch einzustellen. Denn schließlich gab für mich die Tatsache, daß große Hoffnungen in Obama gesetzt werden nur den Ausschlag, mehr oder weniger unabhängig von diesem Anlass darüber zu sinnieren, was das überhaupt ist: Hoffnung. Und welche Bedeutung hat Hoffnung für das politische System?
Wie gesagt, es wird sinniert, will sagen: es bleibt unberücksichtigt, was es bereits an soziologischer Literatur zum Begriff der Hoffnung gibt (und ich hoffe(!), es gibt welche). Ausgangspunkt ist aber ein englischer Aufsatz Luhmanns, in dem zwischen trust und confidence unterschieden wird. Dabei darf spekuliert werden, daß die englische Sprache deshalb genutzt wurde, weil sie zwei verschiedene Ausdrücke für den Begriff Vertrauen bereitstellt. Während wir trust schlicht mit Vertrauen übersetzen können, fällt uns eine angemessene Übersetzung von confidence schwer. Wir wollen es hier mit Hoffnung versuchen.
Solche Wortklaubereien sind aber ohnehin zweitrangig, denn schließlich geht es um das Konzept. Und das unterscheidet grob gesagt zwischen einem Vertrauen, das im Fall der Enttäuschung der damit verbundenen Erwartungen zu Selbstzurechnung führt (trust), und confidence, bei dem im Enttäuschungsfall extern zugerechnet wird.
Hoffnung kommuniziert Erwartungen. Im politischen System sind es üblicherweise Wahlversprechen, die (hohe) Erwartungen wecken*. Erwartungen, die merkwürdigerweise auch dann noch aufrecht erhalten werden, wenn sie enttäuscht werden. Merkwürdig ist das deshalb, weil man inzwischen wissen könnte, daß Wahlversprechen in den seltensten Fällen erfüllt werden. Zugegeben: es sind meist nicht dieselben, die diese Erwartungen vor bzw. nach der Wahl kommunizieren. Denn es ist ja der politische Counterpart, der vor der Wahl bereits darauf hinweist, daß die Wahlversprechen nichts wert sind (aber natürlich nur die des Gegners!) – und schizophrenerweise nach der Wahl auf deren Einhaltung beharrt.
Aber darauf kommt es ja auch gar nicht an. Wichtig ist, daß innerhalb der öffentlichen Meinung ein normativer Erwartungsstil in bezug auf Wahlversprechen vorherrscht. Normativer Erwartungsstil scheint dabei ein generelles Merkmal von Hoffnung zu sein. Wenn Hoffnungen enttäuscht werden, führt das in den meisten Fällen zu „Verzweiflung“. Wobei mit Verzweiflung im soziologischen Sinne hier gemeint sein soll, daß keine Strategien zur Problembewältigung bereit stehen – oder die Situation zumindest so wahrgenommen wird, als wäre dies der Fall. In der scheinbaren Ausweglosigkeit der Verzweiflung wird dann derjenige, der Hoffnungen enttäuscht hat, weiterhin mit der Erwartung konfrontiert, sie schließlich doch zu erfüllen – oder, falls er dazu nicht in der Lage ist, alle Ansprüche auf den Posten, den er in seiner Eigenschaft als Hoffnungsträger erhalten hat, aufzugeben.
Damit wird dann auch deutlich, daß wir es im Falle von Hoffnung mit Fremdzurechnung zu tun haben. Es heißt dann nicht, die Wähler seien eben selbst schuld, diese Person überhaupt gewählt zu haben und das sei nun mal das Risiko in einer Demokratie. Sondern der Entscheidungsträger wird beschuldigt, seine Wahlversprechen gebrochen zu haben und sich sein Amt womöglich durch unhaltbare Versprechungen erst „erschlichen“ zu haben.
Der Gedanke liegt nahe, daß eine solche Fremdzurechnung auf normativem Erwartungsstil beruht. Das ist ja das Schöne bei Selbstzurechnung: nur wenn auf die eigene Entscheidung zugerechnet wird, kann man sich als handlungsmächtig definieren, kann man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und beginnen, etwas an der Situation zu ändern. Bei Fremdzurechnung hingegen scheint jedwede Strategieänderung sinnlos, da man selbst ja gar keinen Einfluß hat.
Was aber sagt das über das politische System aus, wenn Personen im Zuge einer Wahl zu Hoffnungsträgern gemacht werden, was dann unweigerlich zu einer derartigen Fremdzurechnung führt? Ist das ein Armutszeugnis für die Demokratie? Denn folgt man ihrer Selbstbeschreibung, sollten schließlich auch die Wähler der Überzeugung sein, mit ihrer Stimme Einfluß auszuüben. Wenn jedoch ein derart normativer Erwartungsstil vorherrscht, mit dem die Wähler jegliche Verantwortung von sich weisen und auf den Kandidaten abschieben, wenn der Aufbau von Hoffnungen eigentlich ein Ausdruck von Resignation ist, drängt sich die Frage auf: kann Demokratie überhaupt mit solchen Wählern funktionieren? Oder hat vielleicht umgekehrt die Tatsache, daß ständig hohe Erwartungen geschürt und dann notwendigerweise enttäuscht werden, erst dazu geführt, daß die Wähler längst resigniert haben und sich deshalb an ihre Hoffnung klammern? – anstatt Vertrauen zu haben…
* Und selbst ein Kandidat, der sich um Realismus bemüht und versucht, Hoffnung zu dämpfen (wie es Obama direkt nach seinem Wahlsieg getan hat), wird sich möglicherweise mit überzogenen Erwartungen konfrontiert sehen, die ihm später trotz seines Realismus als Wahlversprechen angerechnet werden. Man wird letzten Endes wohl kaum bestimmen können, ob ein Kandidat gezielt Hoffnungen geweckt hat, oder ob es nicht vielmehr die hoffenden Wähler waren, die den Kandidaten als Projektionsfläche ihrer Hoffnungen nutzen, die nur zu gerne dazu bereit waren, jemanden zu ihrem Hoffnungsträger zu machen.
Ja, das ist ein Thema, dass ich schon seit Wochen mit mir herumtrage. Eigentlich wollte ich dazu auch mal was abstraktes schreiben. Meine These ist nämlich folgende: Demokratie kann nur funktionieren, wenn die zu wählenden Politiker Hoffnungen wecken. (Weil Erwartungen zu sehr auf Fakten einer unbestimmten Zukunft beruhen.)
Ich stelle hier mal Hoffnung und Erwartung gegenüber. Erwartungen können enttäuscht werden, Hoffnungen jedoch nicht. Hoffnung ist eine Steigerung von Vertrauen – vielleicht ein Vertrauensbündel, das über Einzelfälle und Situationen hinausreicht – sich also in Diffusität von der faktischen Welt entkoppelt. Wenn sich Hoffnungen nicht erfüllen, kann man nicht einfach, wie bei Personen- oder Systemvertrauen die Person oder das System in das man vertraute verantwortlich erklären. Der Zurechnungsaspekt ist also wie du oben schreibst sehr wichtig.
Hoffnung und Verzweiflung würde ich aber nicht so einfach gegenüber stellen. Verzweiflung kann ursächlich auf den Mangel einer adequaten Problembewältigungsstrategie zurückzuführen sein – Hoffnung aber ebenso. Man hofft, weil man nicht weiss, was die Zukunft bringt. Hoffnung ist undurchsichtig und der Ausweg, wenn Stategien fehlen. Den glauben in eine Problemlösungsstrategie würde ich als Zuversicht bezeichnen. Karl Kardinal Lehmann sagt dazu treffen: „Zuversicht ist begründete Hoffnung.“
In Bezug auf Obama könnte man sagen: Die Menschen sollten hoffnungsvoll aber vielleicht nicht zu zuversichtlich sein. Hoffnung kann man begraben (selbst), aber nicht enttäuschen (andere) wie Vertrauen oder Zuversicht, dafür ist sie zu diffus. Missverständlich könnte man sagen: Wer hofft, ist selbst schuld.
Zunächst mal ist ja auffällig, dass diese Hoffnung in so ausweglosen Situationen entsteht – für die Wahl von Obama musste ja auch einiges zusammen kommen: Wirtschaftskrise, begonnene Kriege ohne Aussicht auf Lösung, eine völlig verkorkste Kampagne der politischen Gegner, bei der die beiden Kandidaten sich am Ende kaum noch miteinander abgestimmt haben und nicht zuletzt ein im allgeimeinen viel zu lange regierender schlechtester US-Präsident aller Zeiten.
Hoffnung erscheint mir dann, wie Stefan auch schon sagte, als Bündel solcher Enttäuschungen und einer diffusen Erwartung von Besserung. Typischerweise wird diese Hoffnung dann an Symbole geknüpft – wer eignet sich da besser, als ein farbiger US-Präsidentschaftskandidat? Etwas anders als Stefan würde ich formulieren: solche Hoffnungen können nur enttäuscht werden, bleiben aber folgenlos, da sie gegenstandslos sind – sie beziehen sich auf keine konkreten Erwartungen.
Dass das ein Armutszeugnis für die Demokratie ist, kann man so sehen, wenn man will, muss es aber nicht. Es ist ja klar, dass die Wähler nicht konkrete Vorhaben wählen können, die Legitimation muss ja in generalisierter unspezifischer Weise erteilt werden (weil die Zukunft ungewiss ist). Und da liegt es nahe, Hoffnungen zu schüren. Wer an dem Glauben festhält, dass die Wähler das wählen, was später entschieden wird und eben dieses Vorgehen für demokratisch hält, wird natürlich enttäuscht. Das einzige Problem an der Praxis, dass ständig Hoffnungen geweckt und dann enttäuscht werden, liegt jedoch bereits in dieser Enttäuschung als psychologischem Fakor selbst. Die Demokratie funktioniert unterdessen weiter. Gut, dass es die Vergesslichkeit als egalisierenden Faktor gibt. Die Komplexität des politischen Systems wäre andernfalls nicht aufrecht zu erhalten.
Jonas, Stefan, danke für Eure Beiträge, die mir sehr gut gefallen. Ich denke auch, dass Ihr damit ein zentrales Thema ansprecht, dass die Presse der nächsten Wochen und mindestens der „ersten 10 Tage“ des US-Präsidenten Obama dominieren wird: „Great Expectations“ (dazu auch die aktuelle Ausgabe des „Economist“).
Gleichzeitig bin ich unschlüssig, wie man sozialtheoretisch mit dem Thema „Hoffnung“ umgeht, vor allem, Stefan, ob ich Dir folgen möchte, dass Hoffnungen nicht enttäuscht werden können. Mir gehen diesbezüglich zwei Überlegungen zur Bedeutung von „Hoffnung“ für demokratische Politik durch den Kopf, die ich hier in aller Unausgereiftheit mal loswerden möchte:
(a.) „Demokratie“ ist die Lösung für das nahezu zwangsläufige Enttäuschen von Hoffnungen.
Dafür muss man sich vergegenwärtigen, worauf sich diese Hoffnungen beziehen: es ist die „andere“, wenn nicht sogar „bessere“ Zukunft, die man nach einer Wahl erwartet (!), wie Ihr ja ebenfalls hervorgehoben habt. Zentral für mein Argument ist die Befristung der Dauer, die Regierungen bleibt, um Erwartungen zu erfüllen. Sie können abgewählt werden, was nur möglich ist, wenn eine Opposition bereit steht, um die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Demokratie nach diesem Luhmann’schen Konzept sorgt gleichzeitig für die Einführung und Bearbeitung von Kontingenz und Zukunftsoffenheit. Auf der einen Seite sichert sie, dass in legitimer Weise kollektiv verbindlich entschieden werden kann (und dadurch Hoffnungen regelmäßig enttäuscht werden können). Auf der anderen Seite macht sie als Fehlentwicklungen betrachtete Entscheidungen „aushaltbar“, so lange es unterscheidbare Alternativen gibt, die sich in Form der Opposition zu bestehenden Regierung präsentieren und nach der nächsten Wahl eine Korrektur versprechen. Demokratie ist damit – wie der Historiker Barrington Moore bemerkt – die evolutionäre „Überwindung der Illusion der Unabwendbarkeit“ (Moore 1984, Ungerechtigkeit, Frankfurt am Main, S. 609). Sie „lebt“ von der Suggestion, kein Zustand wäre mehr unvermeidlich.
(b. und eng damit verbunden) „Demokratie“ basiert geradezu auf dem fortlaufenden Enttäuschen von Hoffnungen VON SEITEN DER REGIERUNG. Ich gebe zu, dass hier eine gehörige Portion Spekulation von mir mit am Werke ist. Aber man stelle sich einmal vor, alle Hoffnungen aller oder einer größeren Wählergruppe würden erfüllt. Wie könnte sich noch Kritik äußern, über die wiederum „eine andere Zukunft“ erhofft wird? Darüber hinaus denke man daran, wie Regierungen agieren würden, die ständig mitbedenken müssten, welche Hoffnungen sie gerade enttäuschen. Sie wären handlungsunfähig.
Stattdessen müssen sie sich indifferent gegenüber vielen Hoffnungen zeigen. Es ist somit paradox: in der Demokratie müssen fortlaufend Hoffnungen enttäuscht werden, damit sich die berechtigten Hoffnungen reproduzieren, nach der nächsten Wahl werde alles anders. Hier liegt ggf. derjenige Mechanismus, dass die „Demokratie unterdessen weiterfunktioniert“, wie Christian es treffend formuliert.
Problematisch wird es gleichwohl dann, wenn sowohl Regierung UND Opposition Hoffnungen enttäuschen, sich also auf keine (demokratische) Partei mehr Hoffnungen projizieren (wie ich in „Macht den Unterschied!“ schon einmal versucht habe, deutlich zu machen).
Ich sag mal: Wenn Erwartungen enttäuscht werden, es keine Gründe mehr für Zuversicht gibt, dann muss man seine Hoffnungen begraben. Oder: Wenn Erwartungen enttäuscht wurden und die Gründe für Zuversicht fehlen, bleibt nur noch Hoffnung.
Hoffnung kann man nicht enttäuschen. Sie ist eine ganzheitliche, emotionale Ausrichtung auf ein diffuses Ziel – aus dem sich Erwartungen und Zuversicht ableitet. Auffällig ist, das Hoffnung auch nur im Singular positiv bewertet wird. Im Plural wird sie negativ, im Sinne von: „Mach dir keine Hoffnungen mehr“ verwendet.
Man kann also, streng genommen, nicht auf etwas bestimmtes hoffen. Man kann nur Hoffnung haben.
Oder:
Hoffnung hat man, das es besser wird (Zeitdimension).
Erwartungen hat man in der Sach- und
Vertrauen in der Sozialdimension.
Ich glaube, obwohl es bei allen drei Begriffen um Arten von Erwartungen geht, dass liese sich sinnvoll so aufteilen.
Zu Christians letztem Satz: „Gut, dass es die Vergesslichkeit als egalisierenden Faktor gibt. Die Komplexität des politischen Systems wäre andernfalls nicht aufrecht zu erhalten.“
Da bremst sich Europa selbst aus, dadurch das es auf immergleiche Organisationen statt immer neue Personen setzt. Parteien müssen bei jeder Wahl eine riesigen historischen Rattenschwanz hinter sich herziehen. Vorwürfe gegen Rot/Grün sind so schnell bei der Hand, Vorfürfe gegen Bill Clinton sind dagegen nur abwegig.
Schon ab vom Thema, aber trotzdem: Allerdings gibt es in Europa historische Erfahrungen, dass es sich besser, weil weniger kriegerisch, leben (!) lässt, wenn man Organisationen errichtet, die sich auf Grund einer eigenen Geschichte nicht so leicht ändern lassen, wie es das immer wieder unhistorische, amerikanische Personen-Modell möglich macht.
Um wieder den Bogen zum Thema zu spannen, ließe sich fragen, inwiefern politische Organisationen auf die Bildung und/oder Enttäuschung von Hoffnung einwirken.
Die Dreiteilung finde ich sehr überzeugend (auch wenn sie sich vielleicht mit anderen Begriffen besetzen ließe): Denn die Zeitdimension der Hoffnung ist wohl die primäre Charakterisierung und die anderen beiden Paare sind sowieso schon geläufig. Wenn man dann noch einmal einen allgemeinen Erwartungsbegriff heranzieht und alle drei Dimensionen als Erwartungen beschreibt, die normativ und kognitiv (also enttäuschungsresistent und enttäuschungssensibel) ausgeprägt sein können, dann haben wir schon ein wunderbare sechs-Felder-Schema:
Zeitdimension: Hoffnung – kognitiv/normativ
Sachdimension: Erwartung – kognitiv/normativ
Sozialdimension: Vertrauen – kognitiv/normativ
Es spricht ja nichts dagegen, den abstrakten Erwartungen aller drei Dimensionen alltagsbekannte Begriffe gegenüber zu stellen und dabei muss dann natürlich davon ausgegangen werden, dass sie immer in den kognitiven und normativen Ausprägungen vorhanden sind. Alles andere wäre in meinen Augen unplausibel.
Ne, normative Hoffnung – wie soll das denn gehen? (Ich bleibe dabei, Hoffnung kann nicht enttäuscht werden – daher fällt das für mich völlig raus.)
Vertrauen kann ich mir auch nicht normativ vorstellen. Das man „immer wieder von neuen“ vertraut, ist ja dem Umstand geschuldet, dass man vertrauen muss, solange man keine funktionierende Glaskugel hat. Bei Systemvertrauen ist das vielleicht noch denkbar, für Personenvertrauen halte ich eine normative Auslegung für ausgeschloßen.
Wenn wir bei der Themtik an die Politik denken, würde ich sagen: Politisch verwertbares Vertrauen läßt sich nur durch Personen erzeugen. Bestes Beispiel ist die CSU, nachdem die Personen versagt haben war jedes Vertrauen dahin. Niemand vertraut einer organisierten Black Box.
Systemvertrauen lässt sich allerhöchstens noch für die Verwaltung auffinden. Aber Parteien sind meiner Meinung nach eher Vertrauensimmun, dafür aber Mißtrauensanfällig.
Die Struktur entlang der drei Sinndimensionen ist auch nicht unbedingt notwendig: Luhmann identifiziert auf Stefans Frage, warum Hoffnungen nicht enttäuscht werden können „Vergessen“ als zentralen Mechanismus im Umgang mit „Risiken des Hoffnungsverlustes“. Ich würde Christian in diesem Sinne folgen. Hoffnungen setzen aber eine unsichere Zukunft voraus. Was sollte sonst Anlass zum Hoffen geben? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt (wenn die „Sicherheit“ schon lange begraben wurde). Hoffen ist demnach eine Gedächtnisleistung, zwischen Vergessen und Erinnern zu unterscheiden und die Seite des Vergessens zu markieren. Dieser Mechanismus ist gerade für das politische System zentral, weil aufgrund der funktionalen Differenzierung nur unlösbare Probleme entschieden werden. Das Bearbeiten von unlösbaren Problemen ist funktional, weil sonst nichts zu entscheiden bzw. zu politisieren wäre (wie Thomas auch schon beschreiben hat). Hoffnung (in Stefans Singular und Plural) funktioniert dann wie Skripte zur Regulierung von Gedächtnisleistungen….“Erst Wertungen legen fest, in welcher Weise das Skript zu benutzen ist“ (Luhmann PdG 2002: 157). Wertungen implizieren dann bereits die Unterscheidung von normativ/kognitiv.
Auch Brunsson beschreibt „Keeping-hope“ als Mechanismus, um mit der „Irrationalität“ von Entscheidungen umzugehen, und um insbesondere gescheiterte Reformentscheidungen zu vergessen, festzuhalten bzw. diese in neuer Form zu begründen. Jede politische Wahl lässt sich als Personalreform beschreiben: „Ein Kopf muss rollen“ (in diesem Fall der Bushs), um die Enttäuschungen der vergangenen Legislaturperiode zu vergessen. Was sich dann als Hoffnung kommunikativ herauskristallisiert sind wiederum Skripte…
Ich würde erst einmal davon ausgehen, dass die von mir oben genannten Unterscheidungen zu den drei Dimensionen analytische Kategorien sind, die dazu dienen, empirische Phänomene in den Blick zu bekommen.
So gesehen, ist es nicht die Frage, ob es normative Hoffnungen „gibt“, sondern was sich aus dieser analytischen Unterscheidung für die empirische Beobachtung ergibt.
Wenn Hoffnungen sich auf die Zeitdimension beziehen, dann können sie nur unter der Bedingung enttäuscht werden, dass die Erwartung sich auf einen konkreten Zeitpunkt bezieht. Bis TagX wird meine Hoffnung eintreten, dass EreignisY den ZustandZ verändert hat. Sollte TagX diffus sein und nicht definierbar sein, können Hoffnungen nicht enttäuscht werden. Mit einem neuen Präsidenten werden bessere Zeiten kommen. Das ist so diffus, dass eine Enttäuschung kaum zu bestimmen ist. Das gerade ist ja das trügerische am „Hoffen auf bessere Zeiten“. Diese Selbstverdeckung bekommt man aber erst in den Blick, wenn man die Erwartung auf der Zeitdimension so in den Blick nimmt, dass sie auch enttäuscht werden kann. Dass die westliche Gesellschaft gut damit leben gelernt hat, Hoffnungen so diffus zu bauen, dass die Erwartung kaum enttäuscht werden kann, heißt nicht, dass es die analytische Unterscheidung nicht sinnvoll wäre. Ohne sie bekäme man die Eigentümlichkeit gar nicht in den Blick.
Auf die Sozialdimension des Vertrauens bezogen, lässt sich über die Möglichkeit der Enttäuschung von Erwartung und die daraus folgende Reaktion des Festhaltens oder Revidierens der Erwartung sagen, dass in unseren Kulturbreiten meist davon ausgegangen wird, dass Vertrauen enttäuschungssensibel ist. Wenn ich dich richtig verstanden habe, Stefan, dann folgerst du daraus, dass Vertrauen nicht enttäuschungsresistent ist und die analytische Unterscheidung unsinnig ist. Hier gilt jedoch das gleiche wie oben. Nur weil „man“ (!) davon ausgeht, dass enttäuschtes Vertrauen dazu führt, dass Vertrauen zerstört wird, heißt es nicht, dass der entgegengesetzte Fall möglich und vielleicht sogar üblich ist. Und das gilt nicht nur für Personen- sondern ganz sicher auch für Systemvertrauen. Erst die analytische Unterscheidung lässt den Beobachter in den Blick bekommen, wann und warum Vertrauen aufgegeben wird oder trotz Enttäuschung (mangels besserer Alternative, bspw.) aufrecht erhalten wird. Vertrauen ist dann keine Frage der Enttäuschung mehr, sondern vielmehr der möglichen Alternativen, die ein funktional-äquivalentes Vertrauensverhältnis bereitstellen können.
Bezogen auf die Sachdimension ist die Unterscheidung wohl etabliert und bedarf hier keiner zusätzlichen Begründung.