„Weil wir sie nicht mögen, nennen wir sie »Experten«…“

Man hört und sieht sie täglich in Funk und Fernsehen. Ihre Kommentare und Analysen schmücken die Hochglanzbroschüren in den Presseshops und Bahnhofskiosken. Und dennoch: Wer von ihnen, obwohl er so dargestellt wird, tatsächlich auch einer ist – das bleibt dem Laien verborgen.

Von Experten und EXPERTEN

Genauso wie bei »Künstlern«, »Könnern« und »Kollegen«, haben wir es bei der Bezeichnung des »Experten« mit einem äußerst ambivalenten Sprachgebrauch zu tun. Ernsthaftigkeit und Ironie liegen meist dicht beisammen. Da fällt es oft schwer, einen klaren Kopf zu wahren. Weil es ohne »Experten« aber gerade in der Politik „nicht geht“, wollen wir uns im Folgenden vergewissern, wer wer ist.

Experten versuchen, die Indeterminiertheit möglicher Entscheidungen aufzuheben. Dazu mobilisieren sie Berechnungen und Kausalattributionen, argumentieren wissenschaftlich – meist in einer Sprache, die einem Normalbürger wie mir fachmännisch erscheint und es im Idealfall auch ist. In Bezug auf politische Entscheidungen werden dadurch Erwartungen gebildet, die sich in das triviale Schema von Ursache-Wirkung einordnen lassen. Das ist auch „gut“ so, denn sonst verstünde bald niemand mehr, wozu irgendetwas so entschieden wird, wie es entschieden wird. Bei dieser Vorgehensweise werden die (zahlreichen!) unbekannten Faktoren der Zukunft in die Diskussion gebracht und es ist schlechterdings nicht mehr möglich, „leichtfertig“ Entscheidungen zu treffen, ohne die zukünftige Wirkung der Entscheidung selbst zu berücksichtigen (vgl. Luhmann 2002, S. 160). Es geht hierbei nicht um die Zukunft als solche, sondern um die Zukunft der Entscheidung.

Über Expertenwissen wird Komplexitätsreduktion und Komplexitätssteigerung zugleich in die Vorüberlegungen einer Entscheidung eingebaut. In Anlehnung an Überlegungen von Stefan Jung (2008, S. 13) ließe sich sagen: Wenn über bestimmte Entscheidungen disponiert werden soll, bedeutet dies zunächst die Öffnung eines „Kontingenzfensters“. (1) Die Erweiterung des Möglichkeitshorizonts – es könnte so, aber auch anders entschieden werden – führt zur Komplexitätssteigerung. (2) Die Entscheidung selbst impliziert jedoch im Folgeschritt eine Selbstfestlegung auf eben jene getroffene Entscheidung und schränkt dadurch mögliche Anschlussentscheidungen stark ein (Komplexitätsreduktion).

Für die Politik heißt das, dass Entscheiden schwieriger, nicht einfacher wird. Sie muss unter Umständen gemessen am vorhandenen Expertenwissen vorteilswidrig in Bezug auf ihre Macht entscheiden. Durch die Form unpopulärer Entscheidung läuft sie Gefahr, an Macht zu verlieren. Die Unsicherheiten in Bezug auf die Zukunft (der Entscheidung) werden dadurch aber nicht eingeschränkt, sondern was den Aspekt des eigenen Fortbestehens anbelangt geradezu gesteigert. Durch externe Kritik und die damit einhergehenden Konflikte kann es zu einer Überforderung der Politik kommen – mutmaßlich immer dann, wenn die Kritik den Gegenstand der Entscheidung absorbiert (vgl. Luhmann 1984, S. 529ff.). So notwendig unpopuläre Entscheidungen auch sein können, so sehr laufen sie Gefahr, von der Kritik zermahlen zu werden.

Natürlich ist es nicht „die Politik“ die entscheidet, sondern vielmehr sind es ihre Funktionsträger, die sich selbstverständlich namentlichen benennen und anreden lassen. Meistens „entscheiden“ diejenigen unter ihnen, die durch die Verfahren ihrer Parteiorganisationen zu EXPERTEN bestimmter Politikbereiche auserkoren wurden. Zum EXPERTEN wird man in der Regel ernannt. Dieser Mechanismus der Zuschreibung mutet im „Zeitalter der funktionalen Differenzierung“ ziemlich vormodern an. Ihm muss der Fairness halber attestiert werden, dass aus EXPERTEN mithin tatsächlich Experten werden, die aber spätestens dann darunter zu leiden beginnen, wenn ihnen die Gunst der eigenen Parteien – und somit der EXPERTEN-Status – wieder entzogen werden.

Expertenwissen in der Politik

Über Expertenwissen („Herrschaftswissen“) wird die Diskrepanz zwischen dem Wissen der Gegenwart (resultierend aus Erfahrungen) und dem Nicht-Wissen über die Zukunft (es lässt sich nicht mit Sicherheit von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen) zugespitzt. Durch das Einbringen zusätzlicher Wissensbestände in politische Entscheidungsprozesse wird das Nicht-Wissen vermehrt und das politische Entscheiden zusätzlich belastet. Je detaillierter und tief greifender beispielsweise eine Reform als Resultat einer Entscheidung umgesetzt werden soll, desto unwahrscheinlicher ist ihre Implementierung (vgl. Jung 2008). Es kommt zu einem hohen Maß an Selektivität in der Kommunikation politischer Entscheidungen: Was nicht „en vogue“ ist, wird nicht (öffentlich) kommuniziert und bleibt somit politisch irrelevant. Was hingegen opportun ist, wird von EXPERTEN als bereits angenommene Erkenntnis verkauft. Jedenfalls treten merkwürdigerweise die Experten in den Debatten in den Hintergrund.

Die Rede von »Experten« scheint ein zweischneidiges Schwert zu sein. Welcher der »Experten« sein Wissen in politische Entscheidungen einbringen kann und wer nicht, entzieht sich der Wahl derer, für die entschieden wird. Während Experten allzu oft kein Gehör finden, wird unter dem Einfluss der EXPERTEN entschieden. Und dann passiert es: Wenn unliebsame Wahrheiten durch Experten kommuniziert werden, die nicht mit den (oft utopischen) Wünschen der Öffentlichkeit korrelieren und dadurch potentiellen Machtverlust bedeuten – dann denken sie sich: „Weil WIR sie nicht mögen, nennen wir sie »Experten«…“

Literatur
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.
Luhmann, Niklas (2002): Die Politik der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.
Jung, Stefan (2008): Verändern, um zu bewahren. Wie Verwaltungen durch Reformroutinen ihre Leistungsfähigkeit erhalten. Unveröffentlichtes Manuskript.

1 Kommentar

  1. Stefan Schulz sagt:

    Ja, der Experte kann als Bote der schlechten Nachricht die Politiker von dieser Aufgabe inkl. Nachwirkungen entlasten. Allerdings gelingt das immer weniger gut. Zumindest habe ich nur noch Schäuble im Ohr, der auf Experten verweist um mitteilen zu können, das wir demnächst alle sterben. ;-)

    Allerdings, dieses Expertenproblem, einige nennen es Paradox, dass sie durch ihr unheimliches Wissen so viele Alternativen produzieren, dass man eine Entscheidung auch gleich ins Blaue hinein treffen kann, wird in der Praxis oft wirksam begegent indem die Expertenmeinung und die Expertenmeinungsfindung einfach geheim gehalten wird. (Oder man legt ein 800 Seiten Gutachten vor, das letzlich alle erschlägt aber nicht gelesen wird.)

    Da kann die Politik noch viel von der Wirtschaft lernen. Dort kommt der Experte einfach, guckt sich um, sagt nichts, verschwindet, kommt wieder und verkündet hochtrapend das einzig wahre Urteil. (Das natürlich vorher schon feststand, aber ohne gemeinsam-erlebte-Sensation keine gemeinsam-gehandelte-Reaktion).

    Das das Zuschreiben des Expertenstatuses Vormodernität bedeutet, würde ich im übrigen nicht sagen. Eher ist das ‚Leistungsprinzip‘ die größte Lüge der modernen Semantik. Funktional liese sich das Leistungsprinzip vielleicht nach Kurt von Hammerstein auflösen -> Es gibt (von den dummen abgesehen) kluge und fleissige und kluge und faule Menschen. Die ersteren sind die die gerne Schaffen und Kreieren, die zweiteren sind die die gerne Geniesen und Delegieren. Und so ergibt sich, einmal in hohen Führungspositionen angekommen, das die zappeligen weil fleißigen & klugen von den ruhigen faulen & klugen zum Arbeiten und Kreiren ‚eingeteilt‘ werden, während die geruhsamen, weil faulen & klugen, einfach beim Chef im Büro bleiben um mit ihm den Fröhlichkeiten des Nichtstun nachzugehen.
    Die Leistungsstarken kommen also höchstens auf die zweite Stufe, da sie die erste Stufe viel zu verrückt „machen“ würden. ;-) Experten sind solche fleissigen und klugen Wissenschaftler, die sich im Labor die Füsse in den Bauch stehen und Publizieren bis der Arzt kommt, während Politiker lieber rumsitzen und reden (manchmal auch zuhören) also quasi nichts tun, dann aber entscheiden dürfen.

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