Zu den Klagen der Wirtschaft gehört verlässlich jene über Mangel an Innovation. Nur mangelt es nirgends an guten Ideen. Wohl aber an Bereitschaft, mit dem Unberechenbaren zu rechnen.
Lehrstunde im innovationspolitischen Oberseminar: Auf der Konferenz „digitising europe“ deutet Angela Merkel die Zeichen der Zeit. Foto: Vodafone Institut.
Immer dann, wenn es um die Zukunftsfragen der Wirtschaft geht, ist das Lieblingsthema von Spitzenpolitikern und Konzernchefs die Innovation. Das gilt speziell in Wahlkampfzeiten. Ob von links, rechts oder mittig – wer staatstragend über die Ordnung der Wirtschaft spricht, erwähnt gern das magisch anmutende Signalwort Innovation und alle sich anbietenden Anschlusskompositionen: Man wünscht also „Innovationsfähigkeit“ und „innovationsförderliche“ Weichenstellungen, fordert „Innovationsstrategien“. Man beschwört den „Innovationsstandort“ Deutschland und hofft auf ein besseres „Innovationsklima“. Es fehle an einer Startup-Kultur, heißt es vor allem von Liberalen und Ultradigitalen; kurz: an einer vitalen Gründerszene auch außerhalb der Ballungszentren.
Übers Innovieren in der Wirtschaft politmedial zu philosophieren ist das eine. Wirksame Konsequenzen herbeizuführen etwas anderes. Es ist bekannt, dass Innovationen weit abseits rhetorischen Theaters ihren Anfang nehmen. Ganz früh – und noch ohne imposant gestylte, für Legitimationszwecke nachkonstruierte Businesspläne – herrscht das Chaos. Von der Idee zum Produkt ist es mithin ein langer Weg. Zwar werden inzwischen Förderprogramme der öffentlichen Hand bereitgestellt, gleichwohl bestehen verschiedene Zugangshürden. Manches Vorhaben wird schon wieder beerdigt, bevor es produktiv in Gang kommen kann.
Bezahlt wird aus der Portokasse
Öffentliche Anschubhilfen sind bei der viel gerühmten Förderung der Gründerkultur sicherlich ein brauchbares Instrument. Allerdings sind die Mittel sehr begrenzt und können überdies nicht zugleich mit dem nötigen Know-how bereitgestellt werden. Überhaupt ist allen voran die Wirtschaft am Zug, geht es doch um ihre ureigensten Interessen. Allerdings kann der Verdacht aufkommen, dass gar nicht selten der Steuerzahler mit ersten Geldflüssen dort einspringt, wo die Wirtschaft eigene Mittel bisher nicht in genügendem Umfang aufbringen möchte. Deswegen könnten kapitale Konzerne beispielhaft eine weitaus aktivere Rolle spielen. Warum stimmt man in ihnen bereitwillig das Klagelied vom „Innovationsstau“ an, anstatt mit eigenen Förderprogrammen tätig zu werden?
Im angelsächsischen Raum sind diese Starthilfen als sogenannte „Inkubatoren“ weit verbreitet. Studierende und Absolventen unterschiedlicher Disziplinen entwickeln in solchen betrieblichen Brutkästen ihre Ideen auf Probe. Denn es wäre ein Irrtum zu glauben, allein der durchschnittliche BWL-Student sei naturgemäß bereits der geborene Gründer. In der bestens geschützten Komfortzone einer konservativen Aktiengesellschaft deutschen Stils bieten sich schier unzählige Optionen und Mittel fürs Experimentieren. Und wenn es schief läuft? Kein Drama, auch dann könnten Unternehmenstanker ja nur profitieren – von jenen Gründern, die möglicherweise sogar mehr Entbehrungen in Kauf genommen und Fleißarbeit aufgebracht haben als ein Großteil des Hauspersonals während seiner gesamten Betriebszugehörigkeit. Außerdem hätten die Geförderten als quasi Halb-Außenstehende derweil das Unternehmen von innen kennengelernt und könnten sich im Haus an anderer Stelle als nützlich erweisen.1 Ist so viel Pragmatismus der finanzstarken Gesellschaften mit ihren hervorragenden Ausstattungen an Ressourcen zu viel verlangt? Die Frage ist rhetorisch. Innovationsprojekte bezahlen die großen Player beinahe aus der Portokasse.
Es gibt jedoch ein ganz anderes Problem. Zur Machbarkeitsfantasie in der Politik wie in der Wirtschaft gehört die verbreitete Vorstellung von der konsequent geplanten, systematisch „erzeugten“ und durchgehend controllten Innovation. Mit der Wirklichkeit des Innovationsgeschäfts haben solche Roadmap-Ideale freilich wenig gemein. Man mag sich Neuerungen der Organisation „als lineare Prozesse vorstellen, die von der Planung und Entscheidung bis zur Durchführung verlaufen. Die Wirklichkeit sieht anders aus“. Wird die Neuerung erstmals publik, „wird die Situation unübersichtlich“2. Innovationen sind in erster Linie Ereignisse des wilden Austestens, Verwerfens und Umplanens. Es liegt nicht fern, von regelmäßig regelschwachen „Innovationsspielen“3 zu sprechen. Zündende Einfälle entstehen in den kleinen Momenten des großen Zufalls. So kommt es häufig vor, dass Ideen sich im Laufe ihrer Entwicklung hinsichtlich der Zwecksetzung in beträchtlichem Maße verändern. Aus der initialen Idee entsteht eine etwas oder gar völlig andere. Und erst nachträglich wird daraus das wohlgeformte Entscheidungsgewebe gestrickt, das bei Investoren die Hände zur Geldbörse wandern lässt.
Schnipsel und Schichten
Schon vor Jahrzehnten fand eine Studiengruppe um die US-Managementforscher Michael Cohen, James March und Herbert Simon bei ihrer Untersuchung von Arbeitsabläufen heraus, dass in Veränderungs- bzw. Entscheidungsprozessen nicht einfach Lösungen für Probleme entwickelt, sondern identifizierte Probleme bereits bestehenden Lösungen zugeordnet werden können.4 Zielsetzungen und Problemstellungen ergeben sich im Diskurs der tüftelnden Akteure, die eigene Präferenzen einbringen, wodurch sich verschiedene Ansichten addieren. Wie in einem Papierkorb, so die Forschergruppe, vermengen sich unterschiedliche Schnipsel und Schichten miteinander. Es entstand das sogenannte „Mülleimer-Modell“. Lösungen, die sich Probleme suchen – eine zeitlos faszinierende Beobachtung, die gängigen, auf Stringenz bedachten Entwicklungsmodellen, höchst zuwiderläuft.
Für Innovationstätigkeit sieht es nicht anders aus. Ohnehin prägt sie das Spannungsfeld von Formalstruktur und Strukturabweichung5; mit unterschiedlichen Verteilungsverhältnissen, die die Innovatoren zunächst als beherrschbar erleben mögen, sich jedoch alsbald planlos in ihnen wiederfinden müssen, um final festzustellen, diesen geradezu ausgesetzt zu sein. Wenngleich kein nach Verwertungsabsichten veranstaltetes Innovationsgeschehen ohne Errichtung einer Formalstruktur überhaupt organisierbar wird, so gilt doch, dass sich aller Fortschritt immer auch außerhalb einschlägiger Planungspraktiken vollzieht. Das Geänderte bleibt konstant riskant, gerade weil nicht primär die Motive der Manager, sondern die Märkte folgenreich über dessen Zukunft entscheiden.
Und die Dinge liegen noch weniger günstig. Innovation, ob nun in Produkten, Prozessen oder Entscheidungsstrukturen verwirklicht, lässt schon in den engen Grenzen eines Organisationssystems nur begrenzte Erfolgserwartungen zu. Während des gesamten Änderungsprozesses bleiben – empirisch bewertet – einzuführende Neuerungen vulnerabel, das heißt Gefährdungen ihres Erfolgs sind prinzipiell inhärent. Und dies gilt ausgerechnet akut für die nicht-inkrementelle Form der Neuerung; ergo formal entschiedene organisatorische Änderung.6 Genau diese Variante entgegen aller Enttäuschungsevidenz als sonderlich erfolgsträchtig zu behaupten – man denke nur an Beratungsprojekte im Top-Down-Stil – erscheint durchaus erklärungsbedürftig.
Innovieren heißt kopieren
Um überhaupt nachvollziehen zu können, was unter Innovationen gewöhnlich verstanden, oder eher nicht und eben darum missverstanden wird, lohnt es, sich auf ein wenig soziologische Abkühlung einzulassen. Innovationen sind in den seltensten Fällen jenes scheinbar revolutionär Neuartige, als das man sie gemeinhin bzw. alltagssprachlich zu deklarieren sucht. Wer innoviert, unternimmt – und häufig müsste man präziser sagen: übernimmt – in aller Regel kreative Rekombinationen oder Modifikationen bestehender Produkte oder Leistungen. Erstaunlicherweise beschäftigt man sich mit diesem Umstand in den Wirtschaftswissenschaften erst seit einigen Jahren. „Die meisten Gründer imitieren fremde Ideen. Selbst die am stärksten wachsenden und erfolgreichsten Startups adaptieren oder kopieren Geschäftsideen“, erklärt der Organisationswissenschaftler Alexander Nicolai von der Universität Oldenburg, der zur internationalen Verbreitung von Geschäftsmodellen forscht.7
Wird dieser Befund anerkannt (und für anderes fehlen die Daten), dann lässt er womöglich Beobachtungsschwächen in der gängigen Innovationsförderung erahnen. Immerhin ignoriert sie weitgehend die vorherrschende Adaptionslogik. Und das, obwohl „First Mover“, also die tatsächlichen Erstentwickler von Ideen, regelmäßig erfolgreichen Kopiergründungen zum Opfer fallen und vom Markt verdrängt werden. Paradoxerweise sind somit auffallend originäre (und vielleicht originelle) Gründer zugleich jene, deren Unternehmen nennenswerte Sterblichkeitsraten aufweisen. Erstaunlich ist das nicht. Die semioriginellen Folgegründer lernen schnell aus den Fehlern oder eher den Sehschwierigkeiten der Erstgründer bzw. beobachten diese gründlicher, spielen auf Zeit und adaptieren effektiv, wie eine Studie der Universität St. Gallen aufschlussreich bestätigt: Mehr als 90 Prozent der weltweit bekannten Geschäftsmodellinnovationen lassen sich als Wiederverwertungen auf 55 Muster von Geschäftsmodellen zurückverfolgen.8
Aufregende Ideen machen noch keine erfolgreichen Geschäftsleute. Im Zweifelsfall wird findiges Abkupfern am Markt mit guten Aussichten auf höhere Marge belohnt. Das mag ungerecht und unverdient erscheinen, aber wohin führte es, wenn man das trickreiche Geschäft mit den Neuigkeiten nach Maximen der Wissenschaft beurteilen wollte? Ein auf Kopie bezogener und damit semantisch reduzierter Innovationsbegriff ist gleichermaßen praktisch wie empirisch haltbar. Umso erstaunlicher ist es, wie viel Kontroverse im Raum steht, nähert man sich dem Phänomen der Innovation aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven. Betriebswirte und Ingenieure geraten immer noch leicht darüber in Disput, inwieweit eine Lösung tatsächlich die Kriterien des Neuen zu erfüllen vermag. Man wird sich nicht immer allzu schnell einig darüber, in welchen Lagen die Kunst vornehmlich darin besteht, eine suggestive Verkaufsargumentation anzubauen, die eine übersichtliche technische Neuerung kompensieren soll. Technologen neigen zu besonderer Urteilsstrenge und weigern sich beharrlich, Marketing- und Vertriebsstrategien als gegenüber ihrem Produkt selbstständige und gleichwertige Innovationsaktivitäten anzuerkennen. Hingegen positionieren Ökonomen ihre Monita dahingehend, dass über Innovationen einzig nach dem bemessbaren Vermarktungspotenzial zu entscheiden sei, weil die wenigsten Produkte oder Leistungen aus sich heraus ein Geschäftsmodell begründen könnten. Der Technologe weiß um interne Funktionalitäten seiner Idee. Der Ökonom muss dafür nicht nur Absatzwege ermitteln und Rechnungen bezahlen, sondern allererst den konsumpsychologischen Überbau organisieren.
Die sich in derartige Verunsicherungen einhakenden soziologischen Beobachter können gerade daran analytisch Gefallen finden, labile Grenzziehungen zwischen dem Noch-nicht-Innovativen und dem Jetzt-Schon-Innovativen auszumachen. Und dabei können sie beobachten, wie ökonomische und technologische Beobachter des Innovativen selbst nicht genau wissen, wie gewiss sie hinsichtlich ihrer Basisannahmen vom Neu-Wertigen denn wirklich sein können. Die ganze Gründerszene lebt vom Abgucken und Einkopieren, kein innovativ hervortretender Marktführer, kein erfolgreiches Geschäftsmodell ist auf eigene Rechnung geworden, was es heute repräsentiert.
Innere Auslagerung
Geniale Eigenentdeckungen bleiben also (weitgehend) Romantik und sie sind vielleicht eben darum in den Niederungen der auf ein gerüttelt Maß an Beharrung bedachten deutschen („Land“-)Wirtschaft so beliebt. Der redliche Innovator nach mittelständischem Ideal hat in etwa die wirtschaftliche Disposition einer schwäbischen Hausfrau gepaart mit einem Erfindergeist, wie man ihn bei einem ostwestfälischen Entwickler von Agrarmaschinen vermuten darf. Ein solches Bild wirkt angemessen harmonisch. So harmonisch, dass es von den erfolgsträchtigen, da hoch skalierbaren Trivialitäten des Kopierens und Verkaufens unzählig produzierter Massenware ablenkt. Ein mit dem Gütesiegel der „Bodenständigkeit“ etikettiertes Erfindertum ereignet sich kognitiv ziemlich weit weg von den neuesten Einfällen der Samwer-Brüder; und noch weiter weg von jener gefürchtet-verehrten Draufgängermentaliät, wie man sie in den Hau-raus-Startups (no risk, no fun) der kalifornischen Wüste antreffen kann.9
Dass in Vorstandsetagen heimliche Sehnsucht nach dieser wilden Welt anzutreffen ist, hängt erwartbar auch damit zusammen, dass Konzerne einigermaßen mit dem Innovieren fremdeln, weil es sie mehr an die geistigen Turbulenzen und vor allem den Mangel an Loyalität in der Wissenschaft erinnert, als an ihr scheinbar berechenbares Business. Wer Theorien entwickelt und Forschung treibt, so ein bekanntes Bonmot von Niklas Luhmann, hat nicht länger sicheres, sondern mehr und mehr unsicheres Terrain unter den Füßen.10 Allzu anders kann es mit dem Innovieren nicht sein. Und deswegen bilden alle größeren Player quasi innere Auslagerungen der Innovationsarbeit derart, dass sie angesiedelt nahe der Leitungsspitze Organisationseinheiten mit Denominationen wie „Stab für Sonderaufgaben“ oder „Innovationslabor“ ins Leben rufen.
Dem Innen- und Außeneindruck nach widmet man sich in solchen Zellen ganz besonders der konzentrierten Arbeit an der Innovation. Mindestens ein ausgeprägter Nebeneffekt ist aber die unvermeidbare Abpufferung, wenn nicht gar Abkapselung von der Restorganisation, vom Alltagsbetrieb, damit ja nicht zu viel von dieser Mentalität auf alle anderen durchschlagen möge. Ausgewogener betrachtet sollen wohl die Innovatoren vom Regelbetrieb nicht ermüdet, hingegen die Regelbetriebler von den Innovatoren nicht zu sehr aufgeweckt werden. Die noch deutlichere Variante dieser Distanznähe bilden die größer werdenden Technologieparks, wie sie zunehmend und nicht ohne Grund direkt in Hochschulumgebungen anzutreffen sind.
Was sich schlussendlich als Innovation durchsetzen mag, hängt allein von Konsumenten ab, die von Angeboten des Marktes als Innovationen (kaufmotivierend) Notiz nehmen – oder eben nicht. Und im ungünstigsten Fall hängt es weit vorher an Prüfern und Investoren des Innovativen, die man kurioserweise zur Urteilsbildung über das Unbekannte gerade dann heranzieht, wenn sie selbst davon wenig, indes über Altbekanntes viel wissen. Letztlich entscheiden nicht exklusiv Ingenieure, Manager und Produktentwickler, was Innovation ist. Es geht allein darum, ob relevante Beobachter in der Gesellschaft das neuerdings Behauptete tatsächlich „als neuartig wahrnehmen und als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden erleben“11, wie der Berliner Techniksoziologe Holger Braun-Thürmann feststellt. Wahrnehmung und Erlebnishaftigkeit sind die alles entscheidenden Entscheidungspunkte innovativen Er- bzw. Anerkennens.
Nicht noch mehr Papier
Möglicherweise fehlen deshalb nirgends die ach so wohlklingenden Super-Innovationsminister; ferner fehlen nicht noch mehr Papierberge bestehend aus allzu phrasenhaft geschriebenen Strategiekonzepten und Denkschriften, die hochglanzgedruckt auf Innovationskongressen mit Macherpathos präsentiert werden.12 Niemand müsste auf eine „Digitale Agenda“ hoffen, wäre man im wirtschaftlich erfolgreichsten Land des Kontinents nur ansatzweise handwerklich begabt, zum Beispiel intaktes Internet allerorts verfügbar zu machen. Viel praktischer als alles megainnovative Managementgeklingel sind simple, ernsthaft einladende Förderstrukturen mit niedrigen Hürden und mehr Raum für jene vielzitierte „schöpferische Zerstörung“, die der Ökononom Joseph Schumpeter beschrieb.
Es wäre also nicht übertrieben, wollte man einen Bedarf an Innovation der Innovationsförderung selbst behaupten. In der Organisationsforschung ist die Bedeutung des „Slacks“ seit langem bekannt. Wo Innovationen gedeihen sollen, darf man nicht allzu knapp kalkulieren. Bereitwillig gewährte Überschüsse sollen die Innovatoren nicht zum Ausruhen verleiten, sondern erkenntnisreiche, manchmal vielleicht erfolgskritische Umwege und Exkurse beim Entwickeln der Ideen erlauben.13 Das Problem nicht weniger Unternehmen ist allerdings, dass sie womöglich aufgehört haben oder schlicht nicht beginnen, (noch) mit Unberechenbarem zu rechnen.
Für rege Beschäftigung mit Planungsillusionen sorgt einstweilen die viel gefragte Innovationsberatung, die gerade darauf abzielt, mit Steuerung gegen den Zufall zu arbeiten, anstatt vielmehr dessen Gunst zu entdecken. Man spricht in Innovationsprojekten von den „Lessons learned“, aber in der Innenstruktur des Projekts geht es weniger um die Erkenntnisse des Scheiterns, als darum, Irritationen von vornherein nicht nur zu meiden, sondern planmäßig zu verhüten.14 Marc Torka (Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, Berlin) verweist in seiner Studie über die Projektförmigkeit der Forschung auf ein DFG-Merkblatt zur Durchführung von Forschungsprojekten. Das Beispiel veranschaulicht die dezente Maßgabe der Irritationsvermeidung und bietet sich an zur Übertragung auf diverse Organisationszusammenhänge: „Dort wird man aufgefordert „’Überraschungen’ im Projektverlauf und bei den Ergebnissen“ zu nennen. Indem Überraschungen aber in Anführungszeichen gesetzt werden, wird aber auf eine vom üblichen Gebrauch abweichende oder diesen spezifizierende Verwendungsweise aufmerksam gemacht: Bei guter Planung dürften keine allzu großen Überraschungen auftreten!“15.
Je professionalisierter und detailregulierter Innovationsprozesse – mit Assessment Centern, Bootcamps und Review Boards – hergerichtet sind, desto absehbarer wird es, dass sie ihrer eigenen Logik zum Opfer fallen. Ausgerechnet die hoch selektive Innovationsförderung für wenige Erkorene und Solche, über deren zu erwartendes Tun in der Zukunft man schon heute alles zu wissen glaubt (das implizite Credo: keine Experimente), ist bestens dazu angetan alles Mögliche zu sein, eines jedoch nicht: förderlich für Innovation.
Der Beitrag basiert auf einem Forschung-Praxis-Austausch im Rahmen eines Gastaufenthalts an der Wirtschaftsuniversität Wien. Eine kürzere Fassung ist zuerst im „Freitag“ erschienen. In Vorbereitung befindet sich ein Forschungsprojekt in (sehr jungen) Startups.
Anmerkungen
1 Siehe dazu mit einer umsetzungsbewussten Perspektive: Thönnessen, Felix (2016): In Deutschland wird es kein zweites Silicon Valley geben. In: XING (Klartext), 04.07.2016.
2 Luhmann, Niklas (2011): Organisation und Entscheidung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 333.
3 Hanft, Anke (2011): Innovationskompetenz und Innovationsspiele. In: Barthel, Erich/Hanft, Anke/Hasebrook, Joachim (Hrsg.): Integriertes Kompetenzmanagement. Ein Arbeitsbericht. Münster, New York, München: Waxmann, S. 75-79. Siehe jüngst erschienen zum Einfluss von Macht auf Näheverhältnisse in Innovationsprojekten multinationaler Unternehmen: Hansen, Teis/Mattes, Jannika (2017): Proximity and Power in Collaborative Innovation Projects. In: Regional Studies. DOI 10.1080/00343404.2016.1263387 (online first).
4 Cohen Michael D./March, James G./Olsen, Johan P. (1972): A Garbage Can Model of Organizational Choice. In: Administrative Science Quarterly 17 (1), S. 1-25. In einer Weiterentwicklung des Modells: Kingdon, John W. (1984): Agendas, Alternatives, and Public Policies. Boston, MA: Little Brown.
5 Zur Ausprägung von (In-)formalität in Projekten mit umfangreicher Empirie über intraorganisationale Innovationsprojekte: Mattes, Jannika (2014): Formalisation and Fexibilisation in Organisations. Dynamic and Selective Approaches in Corporate Innovation Processes. In: European Management Journal 32 (3), S. 475-486.
6 So mit einem besonderen Fokus auf politische Felder bzw. Dimensionen in Reform- bzw. Erneuerungsprozessen: Aberbach, Joel D./Christensen, Tom (2014): Why Reforms So Often Disappoint. In: American Review of Public Administration 44 (1), S. 3-16.
7 Nicolai, Alexander T./Halberstadt, Jantje (2008): Die internationale Diffusion von Geschäftsideen. Eine Forschungsagenda. In: Kraus, Sascha/Gundolf, Katherine (Hrsg.): Stand und Perspektiven der deutschsprachigen Entrepreneurship- und KMU-Forschung (Schriftenreihe des Instituts für Managementforschung Köln e.V., Bd. 2). Stuttgart: ibidem-Verlag.
8 Gassmann, Oliver/Frankenberger, Karolin/Csik, Michaela (2013): Geschäftsmodelle entwickeln. 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator. München: Hanser Verlag. Für einen illustrativen Zugang gibt es ein Video auf Youtube (Zugriff: 28.05.2017).
9 Zur Kritik eines begrenzt beliebten aber lukrativen Geschäftsmodells siehe unterhaltsam z. B. eine Dokumentation der Sendereihe Frontal 21 mit dem Titel „Die große Samwer-Show“, die zeigen will, „wie Oliver Samwer und seine Brüder rasant und aggressiv die Internet-Welt erobern“. In: ZDF, 26.08.2014 (Zugriff: 28.05.2017).
10 So aus einem Vortrag Luhmanns zur Frage „Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?“ (Südwestfunk 1993, Zugriff: 28.05.2017). Schriftliche Fassung: Luhmann, Niklas (1994): Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? (Heidelberger Universitätsreden). Heidelberg: C. F. Müller.
11 Braun-Thürmann, Holger (2005): Innovation. Bielefeld: transcript Verlag, S. 6.
12 Eine verwandte Diskussion wird gegenwärtig bezüglich der Frage strategischer Ausrichtung und Innovation der Hochschullehre geführt: Kühl, Stefan/Langemeyer, Ines/Reinmann, Gabi/Schütz, Marcel (2017): Jenseits eines Potpourris von Plattitüden. Zur Forderung des Wissenschaftsrates nach „Lehrverfassungen“ an den Hochschulen. In: Sozialtheoristen, 18.05.2017.
13 Kühl, Stefan (2004): Innovationen durch Fettpolster. In. RATIO 10 (1), S. 12-13. Zu Innovation und Legitimation: Ders. (2016): Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur. 2., aktualisierte Auflage. Frankfurt/M., New York: Campus Verlag, S. 208-215.
14 Dazu findet sich in der Reformanalyse Luhmanns der Hinweis, dass man zu Enttäuschungen über missratene Neuerungen eigentlich nur dann gelangen kann, wenn man ihnen mit großen Erwartungen gegenübertritt und dabei wenig bereit ist, Interesse am Lernen aus fehlgeschlagenen Veränderungen aufzubringen. Die Neuerung ist fragil, aber der Drang danach, sie stabil zu wünschen ist es (und schon naht die Enttäuschung) auch. Luhmann (2011) a.a.O., S. 332 ff.; ähnlich generell zu Projekten mit Empfehlung einer organisatorischen „Erzählkultur“ (S. 273).
15 Torka, Marc (2006): Die Projektförmigkeit der Forschung. In: Die Hochschule. Journal für Wissenschaft und Bildung 14 (1), S. 74, Fn. 4.