Über eine rein analytische Disziplin
Könnte es sein, dass sich unter Soziologen und Soziologinnen eine besonders hohe Zahl von Menschen befindet, die mit einer sehr geringen Sozialkompetenz ausgestattet sind, sprich häufig asozial auftreten?
Man kennt die unbestätigte These, dass besonders viele geistig, emotional oder psychisch versehrte Menschen dazu neigen ein Psychologiestudium zu beginnen. Quasi als Selbsttherapie. In der Hoffnung, dass sich durch das Studium ihre Probleme lösen, die sie sich vor sich selbst oder einem Therapeuten nicht eingestehen wollen, lernen sie andere Leute zu therapieren. Eine gewagte Aufgabe. Vielleicht ist das noch nicht einmal eine These, sondern einfach nur ein Klischee. Mag sein.
Mir geht es aber erst einmal darum, diesen Gedanken (so unhaltbar er vielleicht für Psychologen sein mag) auf die Disziplin der Soziologie zu übertragen. Und da kenne ich mich auf Grund eigener Erfahrung deutlich besser aus. Daher stelle ich die These auf, dass überdurchschnittlich viele Soziologen mit einer geradezu erbärmlichen Sozialkompetenz ausgestattet sind, die sie dadurch auszugleichen suchen, dass sie sich in Interaktionsanalysen vertiefen, Organisationszusammenhänge aufdecken und Weltgesellschaftsphantasien ausspinnen. Dabei versuchen sie auffallend oft – und zwar nicht nur gegenüber Menschen aus der eigenen Disziplin – ihre eigenen Mängel im gesellschaftlichen Umgang durch eine vermeintliche Fachsprache zu übertünchen. Einige Beispiele:
Interaktionsinkompetenz
Das entspannte, ungezwungene Gespräch ist dem Soziologen ein Graus. Nach einigen Bieren sieht das vielleicht anders aus, aber bis dahin ist er entweder scheu oder skurril. Kritik in der Interaktion gibt es überhaupt nicht. Denn auf der einen Seite traut der Soziologe sich nicht Kritik offen und direkt zu formulieren, auf der anderen Seite wird Kritik als Majestätsbeleidigung empfunden. Das Thema der Kritik wird damit zum Tabu. Geht es um Inhalte, wird es dem Theoretiker schnell zu banal. Er schaltet ab oder reißt das Gespräch durch langatmige Monologe an sich (in der Regel analysiert er dabei die aktuelle oder auffallend ähnliche Interaktionssituationen). Den Sozialforschern unter den Soziologen sind Gespräche schon deshalb nicht mehr möglich, weil sie sich permanent „im Feld“ befinden. Die Reflexionsschleife wird zum Dauerballast. Smalltalk gibt es sowieso nicht. Oder hat jemand schon einmal mit einem Soziologen über das Wetter geredet?
Organisationsversagen
Soziologen können Organisationen analysieren. Aber Soziologen können Organisationen nicht organisieren. Da scheitert es schon daran, dass der Kollege seinem Kollegen nicht sagen kann, was Sache ist, weil es ja der Kollege ist, den es zu respektieren gilt. Und hat er mal eine andere Meinung erkennen lassen oder auch nur vielleicht den Anschein erweckt, dass er eine andere Meinung vertreten könnte, wenn es denn mal zu einer Situation käme… Jedenfalls hält man lieber hinter dem Berg mit dem, was es zu organisieren gibt. Soziologen malen sich vielmehr die Situation aus, wie sie sein könnte, für den Fall, dass dieses oder jenes passieren würde. In der Welt des Konjunktiv lässt es sich in der Organisation auch recht wohnlich einrichten. Zumindest für Soziologen.
Diese passiven Konjunktiv-Soziologen in Organisationen sind aber noch ganz gut zu ertragen. Denn sie zeigen sich nicht. Es gibt da aber auch noch die Macher unter den Soziologen, die ihrem Selbstbild den Part des Organisationstalents hinzugefügt haben und das soziologisch natürlich fundiert haben. Problematisch wird dieses Organisationstalent aber dadurch, dass es sich vielmehr um aktive Organisationsinkompetenz handelt. Denn alte Konzepte in neue Worte zu fassen und als eigenes Werk auszugeben ist erstens nicht originell und zweitens nicht sonderlich hilfreich. Hat sich der Organisationsmacher-Soziologe aber erst einmal positioniert, gibt es kein zurück mehr. Da er aber nicht organisieren kann, und auch in der Interaktion kein Meister ist (s.o.), wählt er die Option der Intrige. Hinter den Rücken vermeintlicher Gegner werden Absprachen getroffen, Koalitionen geschmiedet und Reformpakete verabschiedet. Hinterher will es niemand gewesen sein. Aber dann können die Organisationssoziologen ja auf die Evolution eines Systems verweisen und wieder von vorne beginnen.
Gesellschaftskritik
Es ist herrlich, wie gut Soziologen darin sind, die Welt zu demaskieren. Es ist immer wieder beeindruckend, wie Soziologen es schaffen zu zeigen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen. Sie zeigen auf, wo es hakt in der Gesellschaft, wo die Missstände zu lokalisieren sind und wo die gewichtigen Probleme liegen, die es zu lösen gilt.
Leider sind Soziologen Zyniker und decken zwar die sozialen Tatbestände auf, entziehen sich aber der Verantwortung. Sie ermöglichen zwar Kritik, arbeiten aber nicht an Vorschlägen für Lösungen. Vielmehr zieht sich der Soziologe mit hochgezogenem Mundwinkel und einem Spruch aus der Affäre: „Hab ich es euch nicht gesagt?!“ Das war es dann aber auch. Aufräumen dürfen andere. Und da diejenigen, die sich um Lösungen bemühen ja nichts von der Materie verstehen, kann der Soziologe über ihre erbärmlichen Versuche nur schmunzeln. Aber es gibt ihm wenigstens die Möglichkeit für einen weiteren zynischen Auftritt: „Hab ich es euch denn nicht schon einmal gesagt?!“
Soziale Soziologen?
Nur um einem Missverständnis vorzubeugen, muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass die Soziologie eine Lehre des Zusammenlebens der Menschen ist und dabei lediglich analytische Ansprüche hegt. Insofern kann man nicht erwarten, dass Soziologen besonders soziale Menschen sein sollten. Das nicht. Aber es ist doch schon erstaunlich, dass Soziologen erstens in der Interaktion durch Inkompetenz glänzen und dies dann mit ihrer Goffman-Leküre rechtfertigen und darauf verweisen, dass das Interaktionsgeschäft doch so tückisch sei. Es verwundert ebenso, dass sie ihr Organisationsversagen mit den Erkenntnissen der Organisationssoziologie begründen, da man ja wissen könne, dass Organisationen nicht zu steuern sind. Und man kann erstaunt sein, wenn Soziologen ihren Zynismus dadurch rechtfertigen, dass man doch sehen könne, dass trotz Soziologie die Welt immer noch eine schlechte sei. Warum also etwas ändern wollen? Es ist einfach auffällig, dass besonders viele sozial-inkompetente Menschen dazu neigen, ein Soziologiestudium aufzunehmen. Sie schaffen es dann nämlich ihre eigene Inkompetenz mit soziologischen Analysen zu übertünchen. Dass die Soziologie dabei nicht sonderlich hilfreich ist, die Schwächen ihrer Schüler zu beheben, bestätigt nur, dass Soziologie lediglich analytische Ansprüche an sich selber stellt. Leider, meine ich.
Ich hab bisher immer die These im Kopf gehabt, dass Soziologen diejenigen sind, die Probleme haben, sich in der Gesellschaft zurecht zu finden und sich deplatziert, orientierungslos fühlen. In der Soziologie suchen und finden sie – wohl eher unbewusst! – die Lösung für das Problem. Indem sie zwar – als distanzierter Beobachter – weiter deplatziert bleiben, dies aber mit einem kräftigen Schluck Legitimation genießen können. Denn nur als ein solcher Beobachter aus dem Krähennest kann man ja angeblich erkennen, woran die Gesellschaft krankt.
Aber ich weis nicht, ob das mit sozialer Inkompetenz gleichzusetzen ist, da wäre ich sehr vorsichtig. Meine Erfahrung deckt es jedenfalls nicht. Ich glaube, die Art, sich mit seinem Umfeld professionell auseinanderzusetzen und privat darin zu leben ist – zumindest für die, die diese Rollen trennen können – ein großer Unterschied.
Besonders im Vergleich zu anderen Studiengängen (wie sieht es denn bei den Naturwissenschaftlern, Mathematikern, den Rechtswissenschaftlern, den anderen Geisteswissenschaften aus?) würde ich zudem sagen, dass die Soziologie noch relativ gut mit sozial verträglichen Menschen ausgestattet ist. Das Problem der sozialen Inkompetenz würde ich eher als ein häufiges Phänomen von wissenschaftlich (nicht soziologisch) interessierten Menschen sehen.
Um aber nocheinmal auf den Hauptpunkt einzugehen: ich glaube nicht, dass man es ohne weiteres auf die Eigenschaften und „mentalen Dispositionen“ der Soziologen zurechnen kann, dass die Soziologie rein analytisch arbeitet. Also einen Bezug zwischen der Inkompetenz von Soziologen und der Inkompetenz der Disziplin herzustellen.
Ich denke das Hauptproblem liegt in dem soziologischen Selbstverständnis, in dem die angehenden Soziologen heranwachsen. Sozialisiert man die selben Personen in einem anderen Kontext – Beispiel 68er – reden sie nicht über die Probleme der Gesellschaft und sagen dieser: „Ich hab es euch ja gesagt“, sondern ziehen mit Parolen auf die Straße.
Da stimme ich Alexander zu. Die Distanz zum Gegenstand ist theoretisch begründet und keine persönliche Einstellung derjenigen die Soziologie studieren. Allzu oft erlebt man nämlich den Fall, dass die Soziologen, die keine Ahnung vom ihrem Fach haben, sich einzumischen versuchen und sinnlose Erklärungen an Land ziehen, die sie dann mit der Hab-ich-doch-gleich-gesagt Floskel abschliessen.
Zweitens, da stimme ich Alex nochmal zu ;-) Dass Soziologiestudenten aus Gründen sozialer Inkompetenz Soziologie und nichts anderes studieren konnte ich auch noch nicht feststellen. Viel häufiger sind es verzweifelte Menschen wie ich, die eine schlechte Welt mit Unheil, Egosimus und Neid beobachten – Organisationen die nicht zu zähmen sind und Behörden, die einfach keine Ahnung von dem haben was sie tun. Wenn man dann Soziologie studiert beruhigt das einfach – man kann sich dann erklären, warum und weshalb die Welt ist wie sie ist.
Wer Fehler in seinem Kopf feststellt studiert Psychologie oder Pädagogik und das was man in deren Seminaren erleben kann ist so unfassbar, das man beruhigt einsehen kann: wir Soziologen leiden unter diesem Phänomen nicht.
@Alex:
Den kausalen Zusammenhang habe ich so nicht aufgestellt. Die Soziologie ist eine analystische Disziplin, aber sicherlich nicht, wegen der mentalen Disposition der Soziologen. Das wäre kaum haltbar. Trotzdem begünstigt die rein analytische Disziplin die soziale Inkompetenz der Soziologen und diese wiederum den rein analytischen Charakter der Disziplin. Einseitige Kausalitäten lassen sich hier aber nicht unterstellen.
@Stefan:
Sicher kommen die sozial-inkompetenten Studienanwärter auch woanders unter, ebenso wie die psychisch versehrten nicht nur in der Psychologie landen. Interessant erscheint mir aber erstens die Häufung und zweitens die wechselseitige Begünstigung von persönlicher und wissenschaftlicher Struktur. Ich habe mich für diese Begünstigung von einiger Zeit sensibilisiert und konnte einige interessante Beobachtungen machen. Als Beobachtungsperspektive erscheint mir das daher lohnenswert. Denn wer Fehler im Umgang mit seiner Umwelt feststellt, studiert wahrscheinlich Soziologie.
Ich denke, dass die Soziologie sich von der Geisteswissenschaft entfernt hat und , insbesondere duch den Bachelorstudiengang , sich zu stark auf die quantitative Forschung fokussiert. Durch das einseitige Statistikmachen und die verkürzte Studienzeit ist es dem Studenten kaum mögich genügen Sozialkompetenz auzubauen. Dies ist natürlich notwendig um anschließend vernünftig forschen zu können. Ich muss die Interessen der Bürger und Kulturen verstehen und zum teil auch miterlebt haben, um zu wissen, wie ich die Statistik anzuwenden habe und Diese nicht verfälsche. Aber dieses Problem hat durch Bolognia ja alle Geisteswissenschaften. Auch die VWL er . Sie maximieren und minimieren nurnoch die Berträge und haben sich zum größten teil der Marktgläubigkeit unterworfen. Ich persönlich studiere Soziologie&PLW und bin zusätzlich noch in NGO`s und in der IG Metall tätig und kann zudem sehr gut mit Menschen umgehen.
„Leider sind Soziologen Zyniker und decken zwar die sozialen Tatbestände auf, entziehen sich aber der Verantwortung. Sie ermöglichen zwar Kritik, arbeiten aber nicht an Vorschlägen für Lösungen.“
Also deine These kommt ja einem Zynismus par excellance gleich! Und sich als Systemdenker zu publizieren, jedoch Wissenschafts- und Politiksystem in ihrer Sinn-Repräsentation, ihrer Codierung zu vermischen, erscheint mir auf den ersten Blick, verzeih die Konfrontation, gar unprofessionell.