Politik: Placebo oder Homöopathie?

Es ist die Unterstellung im Raum, dass das Politiksystem, das „seine“ Probleme selbst schafft indem es sich als Adressat und Lösungsbringer zur Verfügung stellt, diese Probleme gar nicht löst, sondern einfach nur bestimmte „Behandlungsmethoden“ (semantische Ökonomisierung) gewissermaßen darstellt, die dem Patienten, also allen wohlfahrtsstaatlich gesinnten Bürgern, wie beim Verabreichen von Placebomedikamenten einredet, dass (und manchmal wie) sie wirken.

Placebo bedeutet, dass die „systemische Veränderung“ des Patienten, substantiell von ihm selbst ausgeht und nur der Auslöser quasi extern zu verorten ist. Nun hat es aber einen Unterschied, ob man, um auf die Gesellschaft als „Placebo-Patienten“ zu sprechen zu kommen, Geld verspricht oder tatsächlich zahlt.

Die Ankündigung kann mobilisierend wirken, sobald beim Patienten jedoch Kosten entstehen, ist eine substantielle Untermauerung der Ankündung notwendig um einen folgenreichen Effekt zu entfachen. Die Gesellschaft und ihre Teilsysteme lassen sich zwar manchmal durch kluge und passende Semantik überlisten, sie verfügen jedoch nicht (in allen Belangen) über eine eigene Hormonproduktion, die gewissermaßen nur einer Anregung von außen bedarf um selbstorganisiert tätig zu werden.

Sehr oft muss Geld fließen. Und so sorgsam die Politiker auch mit ihren Karrierevorstellungen im politischen Tagesgeschäft umgehen, die politisch regulierten Steuer- und Investitionsgeldströme (und weiteres), sind Fakt.

Politik kann in ihrer gesellschaftlichen Umwelt nicht operieren. Soweit die Theorie. Praktisch gibt es jedoch einen Unterschied ob man damit Irritieren, Regulieren, Kontrollieren und Steuern meint. Politiker können nur über den Informationsaspekt der Kommunikation Referenz zur gesell. Umwelt herstellen. Das Nicht-Operieren meint daher nur, dass der Mitteilungsaspekt zwingend Selbstreferenz bedeutet.

Die Frage ist jedoch, spielt der Mitteilungsaspekt eine Rolle? Muss sich der private Investor von der Abgeltungssteuer politisch angesprochen fühlen, damit sie faktische Wirkung hat oder reicht es, zu beschreiben, dass er ebenfalls, ohne das der Mitteilungsaspekt eine Rolle spielt, von einer Information seiner Umwelt irritiert wird. Wenn es diese faktische Wirkung im Handeln und Erleben des Investors gibt, haben wir es mit einer Regulierung durch Politik zu tun, die das Maß von Placebo weit überschreitet.

Daher die generelle Frage: Sind strukturelle Kopplungen eigentlich immer Kommunikation? Die richtige Antwort ist natürlich: Ja. Es gibt aber viele Beispiele, in denen die Rolle der Mitteilung sehr unwichtig „erscheint“. Beispielsweise (um vom Beispiel der Geldzahlung wegzukommen) bremst man auf der Autobahn gleichermaßen, egal ob (politisch reguliert) ein Schild aufgestellt wurde oder die Natur einen Baum halb auf die Fahrbahn geworfen hat. Wichtig ist hier doch nur die Information „Achtung, langsam fahren“. Und erst wenn ein Erzeugnis einer (politisch regulierten) strukturellen Kopplung als „sinnlos“ erscheint, regt man sich über „die da oben“ auf, die dieses und jenes veranlasst (eben mitgeteilt) haben.

Man käme so weg vom Erklärungsmodell des Placebos hin zur Homöopathie, einer Behandlungsmethode die substantiell wirkt, obwohl die eigentliche Substanz in den Hintergrund getreten ist, notfalls aber in ihrer Dosis erhöht werden kann.

5 Kommentare

  1. Henrik Dosdall sagt:

    Um nur einige wenige Punkte aufzugreifen:

    1) Wenn auf der Autobahn „130“ auf einem rosa Pappschild mit Teddybären stände, würde ich davon ausgehen, dass niemand langsamer fährt. Soll heissen: Die Mitteilung spielt sehr wohl eine Rolle. Wobei dies auch eher ein Fall des Machtmediums ist, eben weil man weiss, dass negative Sanktionen drohen können, falls man die Kommunikation (eben Information und Mitteilung) langsamer zu fahren ignoriert. Die Information (Fremdreferenz) muss also immer rückverweisen auf die Poilitk (in diesem Fall), also auf die Selbstreferenz der Politik (Möglichkeit der Durchsetzung negativer Sanktionen). Beim Baum sieht es sicherlich anders aus, da gebe ich dir vollkommen recht. Die Frage ist nur, ob ein abgestürzte Baum eine Kommunikation ist…

    2) Sind „Steuern, regulieren, kontrollieren, irritieren“ nicht alles relativ äquivalente Verben für ein und dem selben Sachverhalt, nämlich, dass man Wirkungen als von „außen“ bewirkt versteht? Wenn dem so ist, bleibt es im Verständis des Systems es „Steuern“ oder „Irritieren“ zu nennen. Die Politk würde in diesem Falle sicherlich eher auf „Steuern“ abstellen, um die eigene Selbstbeschreibung nicht zu gefährden.

    3) Information kann deshalb nicht in der Umwelt vorkommen, weil jede Information der „Re- Interpretation“ eines Systems bedarf. Diese Re- Interpretation mag generalisiert sein über Kommunikationsmedien, aber sie muss stattfinden. Ansonsten fällt man auf ein ontologisches Weltbild zurück. Es gibt keine Information, die für alle dasselbe ist. Sonst gäbe es ja keine Verstöße gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen.

    4) Ich würde dir zustimmen, dass die FORM der strukturellen Kopplung immer Kommunikation sein muss (ob Werbung, Verfassung, oder Themen in der öffentlichen Meinung). Aber das Medium ist NICHT schon Kommunikation, sondern eben die MÖGLICHKEIT, Komunikationen, im Fall der öffentlichen Meinung, zu Themen zu verdichten.

  2. Stefan Schulz sagt:

    zu 1) Kommunikation bedingt sich nicht selbst, sondern entsteht erst durch die Unterstellung einer Mitteilung. Wenn man die Systemreferenz mitdenkt, kann der Unterschied zwischen einem Verkehrsschild und einem umgestürtzten Baum sehr gering sein. Man kann das Verkehrsschild als Hinweis betrachten. Es verweist es aus dem Auge des Betrachters jedoch nicht zwangsläufig auf „Achtung, bei Missachtung Gewalt“ sondern: „Achtung, Selbstgefährdung bei schneller Fahrweise“. Das gleiche beim Baum, man kann ihm/ durch ihn Kommunikationsunterstellung kreieren: „Müssen die uns immer zeigen, das wir normalen Autofahrer ihnen nichts Wert sind, lassen die den jetzt extra liegen, damit die Leute hier nicht so rasen?“ Die Frage ist, wie sehr machen sich die Autofahrer über die Mitteilungsabsicht gedanken – verarbeiten sie manchmal nicht einfach nur die Information?

    zu 2) Irritieren meint, das Folgen nicht abgeschätzt werden können. Steuern dagegen meint, dass ein Kausalzugriff auf das nicht-eigene System möglich ist. Diese Formen sind sich nicht äquivalent. Auch nicht auf der Semantikseite der Selbstbeschreibungen. Irritation meint den gesellschaftlichen Normalfall, Steuern beschreibt Utopie. Ich wählte in diesem Reigen den Mittelweg der Regulierung, die für mich über bloße Irritation hinausgeht, auch wenn Nebenfolgen erstmal nicht beachtet werden.

    zu 3) Die Umwelt ist natürlich voller Informationen! Nur nehmen wir sie eben willkürlich war, ohne dass uns durch Mitteilungen besondere Information besonders ans Herz gelegt werden. Das ist ja eben der Punkt: Operativ Geschlossen meint, das man mit der Umwelt nicht Kommunizieren kann – die Informationen lassen sich dennoch wahrnehmen und gegebenenfalls mit einem Mitteilungsaspekt verbinden, wodurch die Information der Umwelt Thema im eigenen System wird. Ohne Wahrnehmung der Informationen der Umwelt ließe sich doch auch nicht zwischen Selbst- und Fremdreferenz unterscheiden.

    Kann man nicht streng genommen sagen, dass es Information nur in der Umwelt geben kann? (Für Interaktion trifft das denke ich zu.)

    (Ich gehe nicht so weit, das ich ein Ontologisches Weltbild unterstelle – jedoch gibt es meiner Ansicht nach noch einen Unterschied zwischen ontologischen Fakten und nicht-kontextualisierten Fakten. Die Kommunikation schafft eine eigene Ebene von Realität, diese schwebt jedoch nicht einfach im Raum, sondern ist trotz aller Uminterpretation und Kontextualisierung im Sinne der unterschiedlichen Systeme nicht wegzudenken. Ansonsten käme man ja auch nicht auf Begriffe wie „Systemreferenz“ – Man verweist damit ja quasi auf „Etwas“, das nur „Anders“ rezipiert wird.)

    zu 4) Die Verbindung von „strukturelle Kopplung“ und dem Medium der öffentlichen Meinung versteh ich nicht ganz. Ich stimme dir aber zu, das es Kommunikation nur als Form geben kann und das Medium lediglich andere Formen parat hällt.

  3. Henrik Dosdall sagt:

    Irgendwie scheint sich die Auflistungs“taktik“ zu bewähren, deswegen behalte ich sie bei:

    zu1) Der umgestürzte Baum hat für mich keinerlei Systemreferenz. Was jetzt aber nicht ausschließen soll, dass der Baum wahrgenommen und vllt sogar so interpretiert wird, wie du es vorschlägst. Aber der umgekippte Baum selber ist noch keine Kommunikation. Er kann Inhalt einer werden- vollkommen klar. Aber nur wenn der Betrachter ihn mit einer Referenz ausstattet, also den umgekippten Baum bspw. auf die kommunale Politk zurechnet. Bei Verkehrsschildern ist das anders. Die Mitteilung besteht in der standartisierten Form der Verkehrsschilder, die dann auf die Politik verweist. Worauf ich hinauswill: Hier lassen sich Information und Mitteilung unterscheiden. Und die Mitteilung verweist klar auf die Politik und die Möglichkeit negativer Sanktionen. Was Einzelne dabei denken, würde ich sagen, ist vollkommen uninteressant. Eben weil solche Sachverhalte über Generalisierungen und Standartisierungen laufen. Wie etwas dann in einer bestimmten Situation wahrgenommen wird, ist vollkommen egal. Wichtig ist die Zuordbarkeit und die ist immer vorhanden bei „offiziellen“ Schildern.

    PS1) Was meinst du mit der Unterstellung einer Mitteilung? Das mag sicherlich auch vorkommen, also die Unterstellung, ansonsten ist Kommunikation aber doch eher selbstbedingend? Oder was meinst du genau?

    2) Ich würde hier ganz orthodox argumentieren, dass Systeme nur aus sich selber heraus Kausalitäten erzeugen können. Deswegen sehe ich das mit dem Regulieren etwas problematischer…

    3) Operative Geschlossenheit ist sogar die Bedingung dafür, dass man die Umwelt wahrnehmen kann. Allerdings gibt es trotzdem keine Informationen in der Umwelt. Zwar ist der Informationsaspekt im Kommunikationsbegriff derjenige, der auf Fremdreferenzen verweist. Hier steht aber, wie auch sonst, eher die Selektion (warum diese Information und nicht jene) im Vordergrund. Was Information ist und was nicht, legt das System fest! Jede Information ist somit zwangsläfug an ein System gekettet. Was wäre denn für die Umwelt eine Information? Also wie soll man sich das vorstellen, wenn die Umwelt kein System ist, sondern eben Umwelt. Also wenn man an dieser Stelle darauf zurückfällt zu sagen, dass es in der Umwelt von Systemen Informationen gibt, so ist man beim klassisch ontologischen Weltbild. Luhmann geht sogar soweit, dass er davon ausgeht, dass Kommunikation genau DESWEGEN (eben weil es kein Umweltkorrelat gibt), zwangsläufig ausdifferenzierend wirkt. Also das Systeme sich dadurch ausdifferenzieren, dass sie gewzungen sind, Kommunikation auf Kommunikationen anzuwenden, die für niemanden dieselben Informationen enthalten…

    4) Was ich meinte war folgendes: Öffentliche Meinung verstanden als strukturelle Kopplung zwischen Politik und den Massenmedien. Das Medium ist dabei KEINE Kommunikation, die Form hingegen schon. Allerdings führt das Medium immer die Form mit und die Form immer das Medium mit. Oder wie Japp vergangenen Monat sagte: Bei der Form gibt es den Re-entry der Unterscheidung auf Seiten des Mediums und beim Medium auf Seite der Form…

  4. Stefan Schulz sagt:

    Jo, is schon spät, daher will ich die Aufmerksamkeit nur nochmal auf einen Punkt legen: Die Erkenntnis, dass der umgefallene Baum auf der Straße per se keine Systemreferenz mit sich führe kann man ja nur haben, wenn man den Konstruktivismus sehr radikal auslegt. Deine Ausführungen zur Information legen das ja auch nahe, dass man für Information eben (selbstreferenzielle) Systemreferenz braucht.
    Diese radikal konstruktivistische Perspektive erlaubt dann jedoch keinen Erkenntniszugang mehr darüber, mit welcher (fremdreferenziellen) Systemreferenz die soziologisch beobachteten, fremdbeschriebenen in ihrere Beobachtung interpretieren. Das ist doch eigentlich Paradox, da man nicht wissen kann, ob die Autofahrer nun denken „Gott TAT das mit dem Baum“ oder „Die lassen den Baum hier absichtlich liegen, die Säcke“ bzw. „Das Schild haben sie nur vergessen wegzuräumen“ oder „Son Schlingel aus dem Dorf hat hier das Schild aufgestellt, witzig“.

    Entscheidend (für mich) ist ja, was Beobachter der operativ wirksamen Welt ihrer Umwelt unterstellen und nicht, welche Funktionalismen möglich und beschreibbar sind. Ich glaube hier stellt sich der Konstruktivismus selbst ein Bein, in dem er ein glasklares Beobachtungsinstrument liefert, dass jedoch auch glasklar erklärt, das man über nicht-eigene Systemreferenzen nur Mutmasen kann. Die Beobachter erster Ebene müssen mutmaßen und die Soziologen müssen dann über die Mutmaßungen mutmaßen.

    Bzw. schafft es der Konstruktivismus sehr gut, strukturelle Beziehungen (passendes Wort fällt mir grad nicht ein) aus Beobachtungen abzuleiten, jedoch kann er nichts über die Inhalte sagen. Ich glaube interdisziplinär könnte man aus dem Konstruktivismus noch mehr rausholen.

  5. Henrik Dosdall sagt:

    Da würde ich dir in allen Punkten Recht geben. Der Konstruktivismus ist echt mal nen sehr problematisches Programm…

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