Ein Jahresende wird ja immer sehr rituell begangen. Anfang Dezember läuten die Medien mit Jahresrückblicken die Zeit der Besinnung ein, und wenn dann der Blick auf das Selbst und das was man so getan hat geweitet ist, stellt man fest, eigentlich geht’s einem ganz gut aber vielen anderen Menschen auf der Welt nicht. Und so folgt dann zum tatsächlichen Jahresende die Charitywelle, die von der Vorweihnachtszeit bis zur Brot-statt-Böller-Aktion reicht. Sobald das neue Jahr dann angefangen hat, ist damit und somit dann auch mit dem alten Jahr Schluss.
Warum ausgerechnet das Jahresende so dermaßen mit dem ‚Guten Zweck‘ überfrachtet wird, ist mir ein Rätsel. Vielleicht hat es mit Weihnachten und der Rückbesinnung auf christliche Werte zu tun, vielleicht liegt es an den das Jahr über vernachlässigten Guten Vorsätzen, die einem Sylvester nahend wieder bewusst werden. Vielleicht liegt es an der Langeweile, wenn Geschenke gekauft, vielleicht schon wieder ausgepackt sind und die ganzen Feiertage sinnvoll gefüllt werden müssen. Vielleicht ist es auch einfach Tradition, im Dezember Jose‘ Carreras zu gucken und beim Anblick von Schnee an die Frierenden zu denken.
Ganz egal woran es liegt, der ‚Gute Wille‘ und viel Geld ist da. Stellt sich jedoch die Frage, was bringt es und funktioniert es so, wies gemacht wird am besten?
Charityaktionen funktionieren an sich wie unsere Gesellschaft im kleinen Maßstab. Viele geben ein kleines bisschen, damit letztlich ein Ergebnis herauskommt, dass die meisten befürworten aber keiner alleine hätte leisten können. So werden Autobahnen gebaut, volksberuhigende Polizisten ausgerüstet und Versicherungen organisiert. Der Unterschied des Aufgezählten zu Charity ist allerdings, dass ich zur Vergesellschaftung verpflichtet bin, ich mir meine Charityaktivitäten aber je nach meiner Befindlichkeit aussuchen kann.
Wenn die Gesellschaft nach Befindlichkeiten strukturiert wäre, gäbe es in meinem Deutschland nur 6 Autobahnen, keinen Käse, Nahverkehrs-ICEs, keine Einkaufsstraßen, keine Telefone sondern nur E-Mail und IM-Terminals usw. Es hätte mit unserer aktuellen Welt kaum noch was zu tun und es gäbe nur einen Nutznießer – mich. Da das ziemlich hinderlich für alle anderen wäre, ist die Gesellschaft eben nicht nach meiner und auch nach keiner anderen einzelnen Befindlichkeit strukturiert, sondern ergibt sich auf andere Weise. Für Deutschland und viele umliegende Länder klappt das soweit eigentlich ganz gut.
In vielen Regionen der Welt klappt es mit dem „Gesellschaftsvertrag“ jedoch nicht ganz so gut. Menschen hungern, sterben durch Gewalt und leiden hilf- und hoffnungslos.
Was also tun wenn die Politik versagt, nach entsprechendem Menschenrechtsmaßstab ausreichend kollektiv bindend zu entscheiden? Auf Befindlichkeit setzen und hoffen, dass einige einsehen, Geld abzugeben, damit es anderen besser geht? Da noch nie so viele Menschen gehungert haben wie heute, ist kaum erkennbar, welchen helfenden Unterschied Charity in der Welt macht. Also, Charity für gescheitert erklären und abschaffen? Ich denke Charity spielt oftmals sowieso keine entscheidende Rolle. Im Vergleich zu politischen Geldtöpfen fällt eine Charity-Geldsammelaktion nicht ins Gewicht. Dadurch, dass sich nicht alle beteiligen und die die sich beteiligen mehrheitlich unterhalb ihrer persönlichen-Verzichtsgrenze bleiben wenn sie spenden, kommt nichts bei rum was einen Unterschied machen würde.
Viel „schlimmer“ scheint da nur der Fall, wenn Charity-Geldsammelaktionen doch einen Unterschied machen. Denn dann beruhen schnell Notwendigkeiten auf Befindlichkeiten. Das sieht man immer häufiger in Amerika. Notwendige medizinische Versorgung, Hungerbewältigung oder Obdachlosigkeitsbekämpfung kann in vielen Regionen des Landes nur noch durch Charitygeld geleistet werden. Der Staat hat sich aus diesen Bereichen so weit zurückgezogen, dass man kaum noch eine Definition findet, um „Staat“ zu beschreiben.
Und das eigentliche Charityproblem ist, je mehr Menschen Spenden, desto größer wird die Kluft zwischen politischer und persönlicher Problemlösung, umso mehr zieht sich die Politik zurück. Politiker, die kein Geld für Betreuung und Ernährung armer Kinder ausgeben müssen, weil diese Aufgabe bereits von privater, ehrenamtlicher Hand übernommen wird, sehen auch keinen Anlass, in die Bezahlung wieder einzusteigen.
Alle Spendengelder, die der konkreten Leidensabhilfe zukommen, zeigen an, das dieses konkrete Problem nicht politisch sondern persönlich gelöst wird. So kommt natürlich Geld zusammen, aber anstatt, dass ehrenamtliche Helfer Zeit investieren sich politisch zu engagieren, um Unterstützung zu bekommen, investieren sie Zeit in das Einsammeln von Geldern. Lieber den Spatz auf der Hand.
Neben executive Coaching fällt mir kein soziales Phänomen ein, dass in seinem Sinne ähnlich kontraproduktiv ist, wie das Charity-Fundraising. Dabei will ich es mal belassen. Dass diese Charity-Events, wenn man sie mal im Einzelnen auflöst, das reinste Kuriositätenkabinett sind – geschenkt.
Aber: Das soll nicht heißen, dass Geldspenden und -sammeln für den ‚Guten Zweck‘ eine kontraproduktive Sache ist, und die Menschen die das tun (Fundraising-Charityladies mal ausgenommen) schlechte Menschen sind. Das ist ganz und gar nicht so, jedoch sollte man scharf unterscheiden, ob es beim konkreten ‚Guten Zweck‘ um Menschenwürde und pures Überleben geht oder ob es sich um gesell. Bedürfnisse handelt, die etwas weiter oben auf der zu kreierenden Bedürfnispyramide angesiedelt sind.
Zur Weltverbesserung möchte ich vorschlagen, die Bilder und Filme, die zum Spenden anregen sollen, direkt an den Bundestag weiter zu leiten. Da bestünde zumindest die Möglichkeit, auch über pures Geld hinaus, zu helfen. Ob es was bringt, weiß man nicht. Somit hätte man aber den Notruf bestmöglich abgesetzt.
Irgendwie steckt die Welt ja in der Zwickmühle. Unstrittig ist auf jeden Fall, dass es Leid gibt, bei uns im eigenen Land ebenso wie rund um den Globus. Dennoch darf (und muss?) auch angemerkt werden, dass Geld oder Güter die Lage nicht unbedingt verbessern, sondern in vielen Fällen auch verschlimmern.
Kleidersammlungen tragen dazu bei, dass in einigen (vielen) Regionen Afrikas der Beruf der Näherin und deren Vorlieferanten so gut wie ausgestorben ist, da kostenlose Kleidung eben kostenlos ist. Lebensmittelspenden (Oder Resteverwertung von ungewünschten Fleischteilen) führen oft dazu, dass Bauern Ihre Produkte nicht mehr anbauen oder überhaupt am Markt verkaufen können. Kostenlose Hünchenflügel sind auch hier günstiger als preiswerte Hühner.
Natürlich ist Charity ein durchaus wichtiger Prozess, was aber fehlt ist eine Dachorganisation die endlich einmal prüft welche Hilfe eigentlich wichtig ist und welche Hilfe ganze Berufsgruppen ausradiert oder Wirtschaftskreisläufe zusammenbrechen lässt.
Wie sagt man so schön : Nicht alles was gut gemeint ist, ist auch gut.
Dies lässt sich wohl nirgendwo besser sehen, als bei den Jahrzehnten eher nutzloser Hilfe für die dritte Welt, die heute vielleicht sogar schlechter darsteht als vor 20 Jahren (im Vergleich zum allgemeinen Wachstum gesehen).