Ich erzähle mal einen Witz: Treffen sich ein Politiker, ein Journalist, ein Berater und ein „Internetblog(g?)er“ und reden über Wikileaks. Sagt der Journalist: „Bei Wikileaks wird aber nicht ordentlich journalistisch gearbeitet, das ist ein ernstes Problem“. Sagt der Politiker: „Wikileaks ist aber nicht demokratisch legitimiert, das ist ein ernstes Problem“. Sagt der Berater: „Bei Wikileaks werden geheime, gestohlene Daten ohne Kontext herausgegeben, das ist ein ernstes Problem“. Sagt der „Internetblog(g?)er: „Wikileaks ist/zeigt einfach die Realität wie sie passiert, bevor der Jurist, der Journalist, der Berater, der Politiker auf diese Weltgestaltung Zugriff erhalten.
Dieser Witz (also die gestrige Anne Will Sendung) hat keine Pointe aber er zeigt doch auf, mit welchem unbemerkten Realitätsabstand die deutschen Meinungsmacher immer hilfloser einer Welt gegenüberstehen, die sie mehr und mehr ignoriert. Der Witz liegt gewissermaßen darin, dass diese Leute immer noch mit vollem Ernst in einer Art und Weise über Themen diskutieren, die genauso folgenreich von jedem Taxifahrer, Barkeeper und Studenten mit bloßen Lächeln kommentiert werden.
Das was Wikileaks die Tage veröffentlicht ist so harmlos, dass man eigentlich nur von einem Schuss-vor-den-Buck sprechen kann: Junge Leute, manche keine 25, arbeiten für ein fremdes Land in ihren Botschaften und schreiben ihre Beobachtungen auf: Was denken die Leute auf der Straße, was erzählen die Nachrichten, welche Themen gehen durch die Presse und eine Stufe brisanter: Was denken Parteitags-Delegierte über ihre Parteispitze, was erzählen Mitarbeiter über ihre Firmen, was sagen Parlamentsmitglieder über ihre Fraktions- und Ausschussarbeit… Das alles wird dann pointiert und gebündelt und – ganz automatisch – mit dem Namen des jeweiligen Botschafters gezeichnet und in einem politischen Kreis veröffentlicht.
Sascha Lobo hat gestern einige Möglichkeiten verpasst, ordentlich zuzulangen. Aber mit einer Beobachtung hat er doch Recht: Die Gesellschaft (insbesondere die oben genannten Professionen) muss sich auf den Medienwandel einstellen. Die klügste Beobachtung, was diesen Medienwandel genau ausmacht, habe ich von Leo Laporte gehört: Hundert Jahre lang, waren die Medien (er meint den technischen Begriff der Medien die zum einen konservieren und zum anderen Massenerreichbarkeit herstellen) nur so kompliziert oder reglementiert zu benutzen, dass es einfach war, die Medieninhalte zu manipulieren. Doch wenn jetzt pro Minute 35h Videozeug auf Youtube landet und über Wikileaks das Zeug einfach so in die Welt kommt und jeder den Unterschied zwischen einfach-so und journalistisch-verarbeitet erkennen kann, dann hat sich doch was verändert.
Wie auch immer, keiner weiß, was die Zukunft bringt und alles was hier oben steht, hat man auch schon tausendmal gelesen. Aber, diese gestrige Anne Will Sendung (die ich beispielsweise heute Morgen aus der Konserve konsumierte, nachdem ich meine Meinungsbildung über die Sendung eigentlich schon längst abgeschlossen hatte ;-), musste einmal kurz als besonders dämlich, besonders sinnlos und besonders am-Problem-vorbei markiert werden. Das einzige was dort gestern passierte, war, dass sie RTL-Punkt-12 die Stimmungsfilmchen geklaut haben, in denen sie Depeschen-Inhalte mit dramatischer Musik untermalten.
Wenn demnächst Akten zu Guantanamo, iranischer Atomsabotage oder der afghanischen Regierungsinstallation auf dem Tisch liegen, reden hoffentlich nicht ein Journalist, ein Berater und ein Politiker darüber, wer von den Dreien die Hoheit über die deutsche Weltmeinung vorgeben darf. Auf der anderen Seite: Vielleicht können die Wikileaks-Depeschen aufzeigen, dass auch in der Politik nur ganz normale Menschen arbeiten, die sich mögen oder nicht und untereinander klare Worte übereinander finden. Zumindest hat der Ex-US-Botschafter in der gestrigen Anne-Will-Runde schon sehr plausibel darauf hingewiesen, wie normal solche Depeschen sind und dass es kein Grund gibt sich aufzuregen.
…so, der Text endet jetzt hier einfach sinnlos, wie die Anne Will Sendung. Mit dem Unterschied, dass jetzt grad keine Anne Will 40.000 Euro verdient hat. Das (die ÖR-Gehaltslisten) könnte doch mal jemand bei Wikileaks veröffentlichen. Mal sehen, wen die Anne-Will-Redaktion dann einlädt.
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