
Mein soziologisches Selbstgespräch über journalistische Selbstgespräche hat, immerhin, zu zwei explizierten Kommentierungen geführt. Beide verweisen, neben inhaltlichen Anmerkungen, auf Verständnisschwierigkeiten. Daher gehe ich dem Problem noch einmal nach. Mit folgender Frage/Antwort-Problemstellung: Was haben Enquetekommissionen, Führungskräfte-Coachings und manche Journalisten-Konferenz (und weitere auffindbare Einrichtungen) gemeinsam? Sie stellen institutionalisierte Exile dar und versuchen Probleme von Organisationen außerhalb von Organisationen zu lösen. Aus bestimmten soziologischen Perspektiven sind solche Lösungen wie folgt zu beschreiben: praktisch aber falsch.
Die genannten Empiriefälle teilen sich zwei Strukturmerkmale: Sie (1) übernehmen Organisationszwecke, bilden aber eine (2) eigene Struktur aus, die nicht mehr ein Teil oder Ausschnitt der Organisation ist. Sie sind als Exileinrichtungen mit einem Anfangsdatum und einer Zielsetzung ausgestattet und werden, was die weiteren Aspekte betrifft, sich selbst überlassen. Und auf gleiche Weise teilen sie sich ein gleiches Problem. Die Ergebnisse, die dann tatsächlich erzielt werden, lassen sich nur schwer, wenn überhaupt, in die ursprüngliche Organisationsstruktur (re)integrieren.
Es ist üblich, Probleme in großen Unternehmen zu personalisieren um auf diese Weise einzelne Mitglieder („Führungskräfte“) als Ansatz für Problemlösungen zu markieren. Der Vorteil liegt auf der Hand. So lassen sich Probleme in der Organisation thematisieren, ohne dass der Druck, auch eine Lösung zu präsentieren, die Organisationsstruktur in Mitleidenschaft zieht. Es wird ein Organisationsmitglied auserkoren, dieses Problem zu lösen. Der Auftrag wird formuliert und ein Coaching gestartet. Das Organisationsproblem (=Entscheidungsproblem) ist auf diese Weise isoliert und exiliert. Die Organisation widmet sich weiter ihrem Alltag. Auf Nachfrage wird auf das Coaching verwiesen. Und falls die Nachfragen drängender werden, hilft man sich mit dem Verweis auf die Vertraulichkeit des Coachings. Falls die Nachfragen noch drängender werden, bezahlt man dem Coach noch mehr Geld, um das Engagement der Organisation zu untermauern. Dass ein personenzentriertes Coaching nur Zugriff auf individuelle Erwartungen und Fertigkeiten hat, ist für die Praktikabilität dieser Lösungsstrategie beinah unerheblich. (Testfrage: Wozu Führungskräftecoachings, und kein coachbegleitetes ‚Training on the Job‘ auch für Chefs?)
Ähnlich ist der Fall bei parlamentarischen Enquetekommissionen. Auch hier geht es darum, ein Organisationsproblem auszulagern, um den parlamentarischen Alltag zu entlasten. Enquetekommissionen bilden im 1:1-Verhältnis das Parlament in Miniatur ab und werden um die gleiche Anzahl Sachverständiger erweitert. Auch sie bilden ein Exil. Sie werden mit der parlamentarischen Zielsetzung (Beschlussvorlage) ausgestattet und darüber hinaus sich selbst überlassen. Das Parlament kommt auf diese Weise seinem Sachauftrag nach. Es kann bei sachlichen Nachfragen auf die Kommission verweisen und mögliches Scheitern ihr zurechnen. Dass ein Miniparlament mit externem Sachverstand nicht die Probleme des großen Parlamentes lösen kann, liegt eigentlich auf der Hand. (Testfrage: Wozu Enquetkommissionen, wenn es doch ordentliche Ausschussarbeit gibt?)
Journalisten-Konferenzen, wie sie zuletzt hier Thema waren, funktionieren ähnlich. Die von mir aufgegriffenen Veranstaltungen fokussierten sich auf Probleme, die Organisationen eigentlich nur selbst lösen können. Wie geht man mit dem Leser und seinen Interessen um? Inwieweit stützt man die journalistische Arbeit auf neue Medientechnologie? Braucht man Star-Akteure oder soll das gemeinsame Produkt vermarktet werden? Über diese Fragen kann man überall reden, doch (und das ist die, hier nun wiederholte, Privatmeinung aus meinem Text), wenn man sie auf einer Journalismus-Konferenz thematisiert, verschwendet man kostbare Zeit. Denn es lassen sich nur Eindrücke gewinnen, gegenseitig Meinung austauschen, usw. – den einzelnen Organisationen, aus denen die Teilnehmer entstammen, hilft das fast nichts. Ein gemeinsamer Kneipenbesuch, ein strukturierter schriftlicher Erfahrungsaustausch wäre, was die Sache betrifft, ebenso ergiebig.
Weiter mit meiner Meinung: Man könnte solche Konferenzen aber für „überorganisatorische“, gesellschaftliche Probleme nutzen, wenn man den Themenfokus von Journalist/Redaktion auf die Schnittstelle journalistische Organisation/Gesellschaft verschiebt. Probleme wären ja genügend da, wie man an den Sorgen der Druckereibelegschaften, Finanzierungslücken, der Lokaljournalismusqualität, der „Einzelkämpferidee“ usw. sieht.
Auf Soziologen hört in unserer Gesellschaft ja niemand (mehr). Warum auch, es widerspräche unserer Natur. Nur den Künstlern (und Albert Einstein) ist erlaubt zu sagen, wie dumm die Menschheit (nicht der einzelne Mensch) ist. Dabei wären aus ein paar soziologischen Überlegungen praktische Überlegungen abzuleiten, die weiterhelfen würden.
(Der letzte Absatz ist übrigens keine Beschwerde, sondern eine Anmerkung. Soziologen leiden, so meine Erfahrung, am wenigsten unter dem Weltzustand, auch wenn sie ihn andauernd (auch kritisch) thematisieren.)
(Bild: Walt Jabsco)
Schreibe einen Kommentar