Melanie Mühl setzt sich im Feuilleton der FAZ mit einem Buch Michèle Rotens („Wie Frau sein. Protokoll einer Verwirrung“) auseinander. An dieser Stelle soll der Versuch einer positiven (Re-)Interpretation der Problemstellung unternommen werden, indem gefragt wird, was unter Freiheit heute eigentlich noch zu verstehen ist.
Artikel und Buch beschäftigen sich mit einer neuen Generation junger Frauen, die sich vom Feminismus verabschiedet habe. „Vergnügt genießt sie die Illusion, sie hätte alle ihre Lebensumstände frei gewählt.“ Frauen dieser Generation blieben zu Hause, ‚verschönerten‘ ihre Körper, nähmen den Namen des Ehemannes an und besorgten die Hausarbeit. Damit reproduzieren sie genau die Geschlechterrollen, die sie für überholt halten – diesmal allerdings ganz ‚freiwillig‘ und mit offenbar zumindest subjektiv überzeugenden Argumenten.
Melanie Mühl stößt damit auf ein Problem der modernen Gesellschaft: Wie kann heute noch erkannt werden, ob jemand frei handelt, wenn nicht daran, dass er oder sie nicht gezwungen wird (vgl. Luhmann 1995:14)? Für die Autorin gehört die Überzeugung, absolute Wahlfreiheit zu genießen, „zum Selbstbild der modernen Frau wie ihr Schuh-Tick.“ Von der Organisationssoziologie lässt sich lernen, dass Freiwilligkeit ein wesentlich stärkerer Motivator sein kann als etwa Geld und dass Menschen bereit sind Dinge zu tun, vor denen sie unter allen anderen Umständen zurückgeschreckt wären – weil sie es freiwillig tun (Kühl 2005:98ff.).
Die Frage ist, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Einerseits, und so sieht es die Autorin, ist zu befürchten, dass die aktuelle Generation junger Frauen leichtfertig Errungenschaften riskiert, für die „sie nicht einmal kämpfen mussten und [deren] Vorzüge für sie wie ein Geschenk vom Himmel fielen.“ Andererseits steckt in dieser Position auch eine gehörige Portion Paternalismus (leider – positiverweise? – scheint eine weibliche Form dieses Wortes nicht zu existieren): Mit welchem Recht wirft Frau Mühl eigentlich anderen Frauen vor, „lieber zum Brazilian-Waxing als zum Wählen“ zu gehen? Ist ein auf politisches Engagement oder berufliche Selbstverwirklichung zielender Lebensentwurf denn objektiv ‚besser‘, als der einer mehr auf Äußerlichkeiten bedachten Frau, die ihren ganzen Ehrgeiz darauf richtet, einen solventen Ehepartner zu finden?
Als Mann ist es ‚gefährlich‘ solche Fragen zu stellen, zumindest in dem Sinne, dass man(n) sich allzu leicht dem Vorwurf aussetzt, den Status Quo, also die eigenen Vorteile aus dem gegebenen Geschlechterverhältnis, erhalten zu wollen. Die ‚Gefahr‘ besteht allerdings (anders als die Kritiker einer angeblich übermächtigen ‚Political Correctness‘ glauben mögen) in erster Linie darin, einen Angriffspunkt für Polemik zu bieten, die dann alle anderen Argumente zu überlagern droht. Dieses Risiko lässt sich eingehen, spricht heute doch alles dafür, jungen Menschen von einem solchen Lebensziel abzuraten – zumal mit Blick auf aktuelle Scheidungsraten und die Vergänglichkeit aller Schönheit – aber letztlich bleibt es doch jeder und jedem selbst überlassen, welchen Lebensweg sie oder er einschlägt. (Fast könnte es als ermutigendes Zeichen aufgefasst werden, dass es heute eben nicht mehr nur ‚Trophy-Wives‘, sondern auch erste ‚Trophy-Husbands‘ gibt, wäre nicht fragwürdig, ob gerade diese männlichen Verhaltensmuster reproduziert werden sollten.)
Nicht zu bestreiten dürfte aber auch sein, dass mit der Konzentration auf die neusten Moden in Sachen Körperbehaarung andere Probleme in den Hintergrund treten. So lässt sich durchaus vermuten, dass ein angenehmeres Leben führt, wer sich nicht täglich mit den neusten Katastrophenmeldungen aus Berlin, Brüssel oder New York belastet (ganz zu schweigen von den wirklichen Tragödien, die sich tagtäglich außerhalb der westlichen Welt ereignen). Als politischer und normativ denkender Mensch mag man den Mangel an Engagement bedauern, aber wer mag sich anmaßen, den Weg anderer zu ihrem individuellen Glück zu beurteilen?
Die Perfidie der Freiwilligkeit scheint nun darauf zu beruhen, dass junge Frauen heute Geschlechtergerechtigkeit für verwirklicht halten und alte Rollenmuster reproduzieren – freiwillig. Sie würden damit Geschlechterrollen reanimieren, die früher zwangsweise durchgesetzt wurden. Aber weist diese Beobachtung nicht im Grunde darauf hin, dass heute kein entsprechender Zwang mehr besteht? Dass die wirklichen Ungerechtigkeiten kaum noch anzutreffen sind?
„Freiheit ist ein soziales Konstrukt, und Wissen ist die Form, in der Beschränkungen eingeführt werden, um Entscheidungen zu ermöglichen.“ (Luhmann 1995:16) Um eine Wahl (eine Entscheidung) zu treffen, bedarf es demnach des Wissens um Alternativen; so weit so trivial. Aber könnte diese Einsicht nicht dazu dienen, die Problemstellung zu reformulieren? „[F]ormulierte Normen provozieren geradezu die Freiheit, gegen die Norm zu verstoßen.“ (ebd.) Ließe sich also sagen, dass heute weniger Normen formuliert sind und entsprechend die Freiheit schwindet, gegen sie zu verstoßen? Dass das Wissen um früher bestehende Normen ‚verloren‘ geht (wer würde es vermissen?) und entsprechend das Wissen um die Alternativen zur heutigen Situation? Und wäre das nicht positiv zu werten?
Mühls Satz, „Frauen können studieren, […] die Scheidung einreichen und eine Frau heiraten“, ist mit einem Ausrufezeichen zu beenden! Das soll keineswegs bedeuten, dass heute alles gut wäre, oder dass der Kampf für Gleichberechtigung beendet werden könnte: Fraglos existieren noch genug Normen und Missstände, gegen die sich zu argumentieren lohnt. Anzuerkennen ist aber auch, wie unwahrscheinlich diese Entwicklung vor 50 Jahren gewirkt haben mag (man denke nur an die Serie ‚Mad Men‘). Zudem wird auf diese noch bestehenden Probleme sehr wohl aufmerksam gemacht: Es werden Bücher darüber geschrieben und selbst in (wohl immer noch) eher konservativ zu nennenden Zeitungen wie der FAZ, können Redakteurinnen (sic!) an prominenter Stelle darüber sinnieren.
Statt sich also für ‚die Jugend von heute‘ zu bedauern und zu beklagen, dass über die Frauenquote noch diskutiert werden muss, lässt sich die Problemstellung positiv betrachten: Wenn Bücher darüber geschrieben werden, dass die neue Generation mit Feminismus wenig am Hut habe, lässt sich das auch so interpretieren, dass (neue) Normen formuliert wurden, gegen die jetzt wiederum verstoßen werden kann. Über das Erreichte kann man sich freuen, daraus Kraft ziehen, gute Argumente (etwa für die Quote) zu formulieren und aushalten, dass es Menschen gibt, die sich dafür nicht (mehr) interessieren (müssen).
PS: Auffällig in dieser Hinsicht auch die Vehemenz, mit der sich über junge Frauen lustig gemacht wird, die alte Rollenmuster noch meinen verteidigen zu müssen.
PPS: Das diesen Post verzierende Symbolbild diente eigentlich der Illustration des in der Print-FAZ nebenstehenden Artikels über einen alternden ‚Partykönig‘, ist aber durchaus in doppelter Hinsicht sinnig.
Literatur:
Luhmann, Niklas (1995): Kausalität im Süden, in: Soziale Systeme 1.1, 7-28.
Kühl, Stefan (2005): Ganz normale Organisationen – Organisationsoziologische Interpretationen simulierter Brutalitäten, in: Zeitschrift für Soziologie 34.2, 90-111.
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