Offene Briefe – wohin & womit?

In der Wulff-Angelegenheit Briefe zu schreiben zahlt sich aus. Noch immer ist der, wenn auch nicht handgeschriebene, aber doch auf Papier gedruckte und frankierte, Brief das Medium, das die öffentliche Meinung am zielsichersten ins Paul-Löbe-Haus bugsiert. Der Brief an den (eigenen) Abgeordneten ist die eine Lösung, der direkt adressierte offene Brief die andere.

Doch sollte man vorm Schreiben kurz nachdenken, an wen er explizit gerichtet ist und was er enthalten soll. Im Fall Wulff hat sich herausgestellt, dass auch ein parlamentarischer Geschäftsführer der größeren Partei einer Regierungskoalition den „Christian“ nicht zu einer vernünftigen Haltung motivieren kann:

Man muss also die Taktik ändern. Christian Wulff ist nicht mehr zu erreichen. Man sollte über Bande gehen. Alle Wege führen über die Kanzlerin! Offene Briefe sind an sie zu richten. Inhaltlich sollte man nicht zu sehr auf die Emo-Schiene abdriften. Alle Argumente gegen Wulff stimmen. Doch es hilft wenig, sie ständig wieder zu wiederholen. Schon macht sich die privatmeinungs-mediale Erlahmung breit.

In einem offenen Brief an die Kanzlerin sollte darauf hingewiesen werden, wie eng Christian Wulff über Amt und Person mit der gegenwärtigen Schwarz/Gelben-Koalition verbunden ist. Alle Glaubwürdigkeitsverluste und alle Lügenunterstellungen vererben sich auf die Politik allgemein, auf Schwarz/Gelb im Besonderen. Wulff zu wählen war damals für viele ein zu großer Fehler, der der Koalition angelastet wird. Wulff jetzt zu halten, oder gar aktiv zu unterstützen ist der nächste, noch größere.

Zu 2/3 sollte ein offener Brief an die Kanzlerin den kommenden Bundestagswahlkampf vorwegnehmen. Schwarz/Gelb wird keine Versprechen machen können, wird keine Kümmerer in die Lande schicken können und wird auch nicht in der Lage sein, die so typischen Ein-Wort-Kampagnen führen zu können. Die SPD, die wohl am ehesten Peer Steinbrück ins Rennen schickt, wird nicht nur einen besseren Kanzler vorschlagen, sondern auch eine gehörige Portion „besserer Präsident“. Die Stelle, die Wulff derzeit ausfüllt, ist jetzt schon vakant – irgendwer wird diese Lücke füllen. Dass ein Wahlkampf ansteht, passt der SPD wohl sehr gut.

Man sollte sich nicht weiter wundern, dass die Kritik an Wulff aus der CDU-Hinterbank derzeit größer ist als die der SPD-Spitze.

(Bild: aroid)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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