Das Internet ist nun doch nur ein Auto

Man lernt viel, wenn man im Internet ständig liest, was Leute denken. Aber ebenso oft wird man auch verwirrt. Seit Jahren reden die Berater, Businessmänner und Besserwisser davon, dass das Internet alles verändert, dass es die Grenzen von Raum und Zeit nicht nur überbrückt, sondern nie kannte. Das Internet ist so toll, es kann auf Papier, Vertriebswege und Verlage verzichten. Wer Internet hat, braucht keinen Lektor, keinen Verkäufer, keine Geduld mehr. Schreiben, Publizieren, fertig. Hurra.

Und dann kommt Stefan Niggemeier und vergleicht das Internet mit einem Auto (bitte lesen, ich lasse den Kontext hier weg):

Das ist etwa, als müssten die Gelben Seiten den Unternehmen dafür zahlen, dass sie ihre Informationen aufnehmen dürfen. Als müsste der Busfahrer dem Kirmesbetreiber Geld dafür geben, dass er die Kunden zu ihm bringt. Dem Vorhaben fehlt jede innere Logik.

Das Auto also, diese radikalste Form von Limitierung und Materialität. Autos verbrauchen beim Fahren Benzin, sie brauchen fürs Herumstehen Platz. Städte bestehen aus Häusern und Straßen. Autos belasten die Umwelt. Sie fahren nicht mit Lichtgeschwindigkeit. Sie brauchen Personal, das sie steuert. Autos kann man nicht einfach ausschalten, man muss sie aufwendig entsorgen. Sie lassen sich nicht auf Knopfdruck updaten, sie müssen zurückgerufen werden. Autos sind Grundelement der bösen Ölindustrie, der größten Macht der Menschheit.

Soll der Vergleich Busfahren / Rivvalesen tragfähiges Argument einer wichtigen Diskussion sein? Bevor man über das „Leistungsschutzrecht“ spricht, muss man anscheinend noch einmal alle Prämissen einzeln aufwerfen, weil wirklich jeder seine eigene Idee vom Internet hat. Stefan Niggemeiers Argument ist kurz, aber man kann es zehnfach zerlegen, umdrehen, neu kombinieren und ständig wieder kritisieren:

1. Es ist nicht unüblich, dass das Anfahren attraktiver Ziele für den Betreiber des Fahrservices Geld kostet. Will man zu den Niagarafällen, einem Fussballweltmeiterschaftsspiel, zum Flughafenterminal, in den Freizeitpark fahren, hat man es mit einem Transportunternehmer zu tun, der natürlich dafür an den Betreiber der beliebten Destination Lizenzgebühren zahlt, um die Fahrten durchzuführen. (Dass das Zauberwort der Exklusivität hier eine Rolle spielt, krümmt das Argument nicht im Ansatz in dem Maß, wie der generelle Vergleich von Rivva.de und Autos.)

2. Seiten wie Perlentaucher, Rivva oder Google News sind keine Vermittler, die bloß Weg zum Ziel sind. Diese Seiten sind selbst das Ziel der Leser, denen häufig die Überschrift oder ein Teaser reicht. Die Analogie von Niggemeier kann man auch so ausgestalten: Man stelle sich vor, in Frankfurt gäbe es einen Fahrdienst, der die Menschen vom Bahnhof nonstop zur Schirn in die Munch-Ausstellung fährt. Aber auf der Fahrt gäbe es schon die zehn eindrucksvollsten Munch-Bilder in einer Hochglanzbroschüre zu sehen. Wie vielen Menschen würde das Durchblättern dieser auf gleiche Größe getrimmten, bequem im Sitzen konsumierbaren (Ab)Bilder reichen und doch lieber den Tag am Main verbringen?

3. Die Gelben Seiten die Niggemeier nennt, sind ein Telefonbuch. Wer ein Telefonbuch konsultiert, weiß genau, was er sucht: eine sehr spezifische – und nur diese – Information. Das Telefonbuch darf auf keinen Fall überraschen, weil sich etwas nicht findet oder etwas zweideutig darin aufgeführt ist. Ja, heute lesen viele so ihre Zeitung: Sie scannen kurz im Internet die Überschriften, erfahren, dass nichts Wichtiges passiert ist, ergänzen die Überschrifteninhalte mit naheliegenden Assoziationen und belassen es dabei.

4. Was ist „innere Logik“?

5. Kann man sich ein Bild von etwas machen, in dem man es mit dem absurdesten Vergleich konturiert? Wären Atomkraftwerke dann nicht sehr tolle Errungenschaften im Vergleich zur Tragik der einen Milliarde Menschen, die in Afrika Fahrradturbinen treten müssten, damit wir hier in Europa Strom haben?

6. Ist Busfahren eigentlich kostenlos, nur weil der Betreiber der Endhaltestelle nicht dafür zahlt?

… ich habe keine Lust den Text weiterzuschreiben. Ich habe mich immer gefragt, wie sich Stefan Niggemeier fühlte, wenn er mit Tausenden Worten über die Abzocke von 9Live und Ähnliches geschrieben hat. Das Offensichtliche noch einmal zitierfähig aufschreiben und Lebenshilfe für diejenigen bieten, die von selbst keine zwei Gedanken in eine Reihe bekommen. Jetzt habe ich zumindest eine Ahnung wie es sich anfühlt.

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

3 Kommentare

  1. […] gewährleisten soll. Stefan Schulz hat auf die Kritik von Stefan Niggemeier reagiert und kritisiert seinerseits die Reaktionen auf das Leistungsschutzrecht. Ich antworte mal auf seine Kritik und […]

  2. kusanowsky sagt:

    Alle Produktion ist soziale Produktion. Ein Betriebswirtschaft, egal von wem betrieben oder was produziert wird, entsteht durch eine, nur durch sie selbst erreichbare Differenz von input (Lieferant) und output (Kunde), aber weder input noch der ouput kann von einer Betriebswirtschaft sicher gestellt werden, weil jede Betriebswirtschaft von einer anderen abhängig ist, für die das selbe gilt: niemand kann einen Eimer Wasser umtreten, es sei denn, man hat einen Eimer und man hat Wasser. Eine Betriebswirtschaft ist dan möglich, wenn sie einen Eimer Wasser umtreten kann. Aber die Sicherstellung der höchst voraussetzungsvollen Ermöglichung kann von niemandem, auch nicht vom Staat, auch nicht von der FDP geliefert werden.
    Eine Betriebswirtschafslehre – und alle sich daran knüpfenden Verwicklungen, die auf der Basis dieser Lehre entstehen und durch sie weiter ausdifferenziert werden – würde ich eine Vermeidungsstruktur nennen. Die Struktur vermeidet die Einsicht darin, dass alle Produktion sozial determiniert ist und nur als soziale Anlieferung von Erfolgschancen eine Betriebswirtschaft möglich macht. Eine Betriebswirtschaftslehre will aber das Gegenteil glaubhaft machen und scheitert beständig an der zunehmenden Beobachtbarkeit der Steigerung des Voraussetzungsreichtums, der durch sie selbst geleugnet wird. Keiner kann etwas für Geld verkaufen, wenn nicht viele tausend andere Mithelfer an diesem Produktionsprozess beteiligt wären. Das gilt auch für den Erfolg von Google, der nicht möglich gewesen wäre, wären nicht weltweit Millionen von Produktionshelfern involviert. Nur haben diese Millionen keine Chance, ein Leistungsschutzrecht durchsetzen. Das liegt daran, dass Kommunkation kein Geschäftsmodell ist.
    http://differentia.wordpress.com/2011/07/19/kommunikation-ist-kein-geschaftsmodell-leistungsschutzrecht/

  3. Stefan Schulz sagt:

    Ich stimme dir in allem zu, ausser in einer Facette der Problemstellung. Das Geschäftsmodell von Google ist Kommunikation, das gute Produkt ist Orientierung und Ordnung. Das Geschäftsmodell einer Zeitung ist aber nicht Kommunikation, sondern Information. Es stimmt, denke ich, auch, dass Google die Aufgabe der Verlage übernimmt. Aber, der Kern des Problems ist nicht das Überleben der Verlage als Organisation, sondern die Absicherung der individuellen Arbeitszeit derjenigen, die Information ‚erzeugen‘. Das kostet viel Zeit und unterscheidet sich sehr von der Fortführung der Redundanz, die viele Akteure im Internet häufig mit Meinungsfreiheit gleichsetzen.

    Ich formuliere das von meiner Seite nochmal aus. Demnächst.

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