Wichtiger Text. Es gehört zur Dramatik historischer Entwicklungen, dass man sie nur rückwärts beobachten kann. Beim Blick nach vorn muss man sich entscheiden, für Hoffnung oder Befürchtung (oder man macht, wie Frank Rieger, beides – kommt immer ein bisschen auf die Kapazität an, die man fürs Denken hat (und damit meine ich für diesen Fall die Fläche an Zeitungspapier. ;)
Es gibt eine interessante Studie aus Heidelberg (ich beschreibe sie genauer an einem kommenden Mittwoch in der F.A.Z.), in der Forscher eine sehr aktuelle Frage beantworten, die sich vor ein paar Jahren noch unmöglich beantworten ließ: Lässt sich ausrechnen, wer auf der Welt wen kennt (und nicht kennt)? Die Forscher hantieren mit dem Facebook-Datenschatz, sie nutzen, weil sie Informatiker sind, Code als Mittel und Methode und sie kommen zu einem recht beeindruckenden Ergebnis: Ja, man kann heute ausrechnen, ob sich zwei Menschen kennen, unabhängig davon, ob sie selbst bei Facebook registriert sind. Aber die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Ergebnisses lässt sich nicht über einen Wert von ca. 85 Prozent hieven.
Man darf es nicht so einfach verallgemeinern, aber man darf vermuten, dass diese 15 Prozent Inkongruenz zwischen Maschinen und Menschen etwas bedeuten. Automatisierung, Digitalisierung, Beschleunigung, Verknüpfung – es gibt offenbar eine natürliche, unüberschreitbare Grenze. So lange Maschinen an Nullen und Einsen (also an die Limitierungen von Syntax) gebunden sind, können sie nur an Geschwindigkeit aber nicht an Qualität zulegen. Beschleunigte Algorithmen werden sich auf neue Arten kombinieren lassen, sie werden neue komplizierte, vielleicht sogar komplexe Aufgaben übernehmen können. Aber sie werden, wenn es demnächst so weit ist, nur Dissertationen schreiben, denen der Forschungsbeitrag fehlt: 90 Prozent Redundanz, dass schaffen sie; 10 Prozent Innovation, dass können sie nicht. Sie können selegieren und regulieren aber nicht variieren und generieren. (Und wer anderes behauptet, verwendet höchstwahrscheinlich die Begriffe falsch. Das kennt man dann schon von der „intelligenten Maschine“)
Vor zehn Jahren sind die Maschinen in der Börse eingezogen und seitdem handeln sie Milliarden in Millisekunden. Und noch immer hört man im ARD-Börsenreport, dass heute wieder ganz viel Psychologie im Spiel war. So falsch wird die Gegenwartserzählung demnächst auch in einem anderen Feld laufen. Bei Canon bauen sich nun komplizierte technologische Apparate selbst. Das bedeutet: Hier gilt überhaupt gar kein Gesetz der Ökonomie mehr. Die Sozialwissenschaften haben ausgedient, wenn Menschen keine Rolle mehr spielen. Was passiert, muss nicht erforscht werden, man kann es im Handbuch nachlesen oder man fragt den, der es zu schreiben versäumt hat. Die Script- und Handbuchschreiber, das sind die 15 Prozent, um die es geht. So gilt es für Organisationen.
Und die Gesellschaft? Die Professionssoziologen unterscheiden seit Jahrzehnten Berufe und Professionen und die Unterscheidung verläuft entlang einer eindeutigen Linie: Die einen haben ein Technologiedefizit, die anderen nicht. Die einen lassen sich von Automaten verdrängen, die anderen helfen. Menschen, die mit Menschen arbeiten (Lehrer, Anwälte, Ärzte, Künstler, …), lassen sich nicht durch Maschinen ersetzen. Auch das sind 15 Prozent. Anwälte werden die Kontrollaufgaben verlieren, aber nicht die Mediation oder das Verhandeln; nur Lehrer können die Fragen von Kindern beantworten, weil sie ihrerseits zurückfragen können; nur Ärzte können mit Patienten wirklich sprechen; …
Wie dem auch sei: Frank Rieger hat es hoffnungsvoll beschrieben: In der Automatisierung der Gesellschaft liegt die Chance, den Berufen, auf die es ankommt, die Professionen sind, endlich den Stellenwert zuzuweisen, die sie schon immer ohne die entsprechende Anerkennung hatten. Die Gesellschaft würde zu einem plastischen Kunstwerk, Politik würde endlich Sinn haben; und der, der in Frankfurt eine Börsenmaschine bedient, bedient sie eben und fährt abends in der U-Bahn nachhause.
(Bleibt aber eine Frage: Wann kommt die Partei, die es auch so sieht und beschließt, die Maschinen aus der Politik zu verbannen? ;)
(Bild: Synthesizers)
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