Funktionale Regelverstöße und brauchbare Illegalität – Weswegen sich Regelabweichungen in Organisationen nicht vermeiden lassen

Im Allgemeinen werden Regelabweichungen und Gesetzesbrüche in Organisationen als Problem betrachtet. Sie werden als „Verfehlung“, „Fehlverhalten“ (Wardi und Weitz 2004), „antisoziales Verhalten“ (Giacalone und Greenberg 1997), als „Sittenverfall“ oder gar als „Verbrechen“ bezeichnet (Greve et al. 2010). Gesprochen wird von den „schmutzigen Geschäften“ von Unternehmen (Punch 1996), dem „falschen Handeln“ in Organisationen (Palmer 2012) oder den „dunklen Seiten“ von Organisationen (Vardi und Wiener 1996). Die Organisationen, in denen solche Regelabweichungen und Gesetzesbrüche exzessiv zu beobachten sind, werden als „unzivilisierte Organisation“ (Andersson und Pearson 1999) oder als „Schattenorganisationen“ (Allen und Pilnick 1973) bezeichnet.[1]

Die Formen der Regelabweichungen dieser so kritisierten Organisationen können sehr unterschiedlich sein. Sie können in der Manipulation der Finanzabschlüsse von Banken, im Schmieren von Auftraggebern in der Elektronikindustrie oder in Verstößen von Automobilkonzernen gegen Umweltschutzauflagen ausgemacht werden. Es kann um die alltäglichen Manipulationen in Universitäten gehen, mit denen die Leistungen der Studierenden in ein immer komplexer werdendes Regelwerk eingepasst werden, um die kleinen Tricksereien bei der EDV-gestützten Dokumentation von Pflegeleistungen in Altenheimen oder um die Kniffe, mit denen in Verwaltungen und Unternehmen Ausschreibungsrichtlinien umgangen werden. Es kann sich um sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Priester in der katholischen Kirche handeln, um die Manipulation von Patientendaten, um im eigenen Krankenhaus möglichst viele Spenderleber transplantieren zu können, um die gewalttätigen Initiationsrituale in Armeen oder um Bestechungsgelder für Sportler, damit diese Spiele absichtlich verlieren.

Glaubt man der Managementliteratur, liegen die Lösungen für Gesetzesverstöße und Regelabweichungen auf der der Hand. Führungskräfte sollten, so der Tenor der Managementliteratur, ihren Mitarbeitern „proaktiv klarmachen, dass illegales Verhalten niemals im Sinne der Organisation“ sein kann. Mitarbeiter müssten zu „Ungehorsam“ ermutigt werden, wenn Vorgesetzte von ihren Untergebenen Sachen verlangen, die nicht den organisationsinternen Regeln entsprechen (Brief et al. 2001, S. 491ff.). Im organisatorischen Alltag sollten bei Schwierigkeiten „Bedenken und Ängste der Mitarbeiter“ nach oben eskaliert werden, damit Mitarbeiter zur Erreichung von Zielen nicht auf Mittel zurückzugreifen müssen, die gegen die Regeln der Organisation verstoßen. Um Regelabweichungen zu vermeiden, müssten dann auch „Managemententscheidungen der oberen Ebene konstruktiv in Frage“ gestellt werden (Müthel 2017, S. 35). Es komme darauf an, eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeiter angehalten werden, sich auch in schwierigen Situationen regelkonform zu verhalten (Anand et al. S. 2005, 17ff.).

Welches Organisationsverständnis steckt hinter diesen vergleichsweise einfachen Lösungsvorschlägen und wie plausibel ist es?

1.    Die Personalisierung der Verantwortung

Wenn Abweichungen von Regeln öffentlich bekannt werden, ähneln sich die Reaktionen der betroffenen Organisationen erheblich. Die Organisationen versuchen zu zeigen, dass lediglich wenige Einzelpersonen für die Regelverstöße verantwortlich seien und diese ohne Kenntnisse des Restes der Organisation gehandelt hätten. Außerdem versuchen sie sich dabei selbst als Opfer darzustellen. Es wird ein Finanzvorstand ausgeguckt, der vermeintlich ohne Wissen anderer Vorstände sowie des Aufsichtsrats Buchhaltungstricks angewandt und damit letztlich die ganze Organisation in den Abgrund gerissen hat (siehe zu Enron McLean und Elkind 2004). Entwicklungsingenieure, die auf Anweisung von Vorgesetzten Umweltgesetzte gebrochen haben, bekommen nach ihrer Verurteilung durch ein Strafgericht auch noch die Kündigung durch den Arbeitgeber wegen Schädigung des Unternehmens (siehe zu VW Ewing 2017). Beim Bekanntwerden des Steuerskandals einer Bank wird so getan, als ob nur einzelne Börsenhändler die Finanzbehörden durch die mehrfache Erstattung der Kapitalertragssteuer betrogen hätten, die Bank selbst von dieser Praxis aber nichts gewusst habe und jetzt unter diesen Regelverstößen Einzelner leiden müsse (siehe zur Deutschen Bank Laabs 2018).

Personalistische Erklärungsmuster

Bei diesem Zugang werden die Gründe für Regelabweichungen in persönlichen Eigenheiten der Regelabweichler und Gesetzesbrecher gesucht (siehe dazu Vardi und Wiener 1996, S. 159). Die Rede ist von einem geringen moralischen Entwicklungsniveau krimineller Charaktere oder von einer soziopathischen Veranlagung toxisch wirkender Mitarbeiter.[2] Als Erklärung wird vorgebracht, dass sich diese Mitglieder aufgrund von Bindungsschwierigkeiten nur unzureichend mit der Organisation identifizieren können und deswegen deren formale Normen nicht als bindend erachten würden. Es wird behauptet, dass Organisationsmitglieder, die sich in schwierigen sozialen Situationen befinden, eher zur Regelabweichung neigen und deswegen rechtzeitig als Risikofaktor identifiziert werden müssten. Oder die Erklärung wird darin gesehen, dass die persönlichen Bedürfnisse der Regelabweichler nicht ausreichend von der Organisation befriedigt würden und sie deswegen zu illegalen Mitteln griffen.

Die Neigung zur Regelabweichung oder zum Gesetzesverstoß kann dabei mit beliebigen persönlichen Merkmalen korreliert werden. Es wird bei den Regelbrechern nach angeborenen oder erworbenen Charaktereigenschaften gesucht, die den Regelbruch erklären können (siehe Raine et al. 2012). So kann versucht werden, die Neigung zum Gesetzesbruch oder zum Regelbruch mit körperlichen Merkmalen oder mit dem Geschlecht zu korrelieren (siehe Soltes 2016 ). Etwaige Abweichungen werden dann mit krankhaftem Kontrollbedürfnis, ausgeprägtem Narzissmus oder geringer Frustrationstoleranz erklärt (siehe Croall 1991). Es wird auf den übermäßigen Individualismus amoralischer Egoisten hingewiesen, der ihre ausgeprägte Bereitschaft zur Regelabweichung erklärt (siehe Gormley 2001). Konstatiert wird eine hohe Impulsivität, starke Gier nach Anerkennung oder ein übertriebener Geltungsdrang, der die Regelabweichung erklären soll (siehe Alalehto 2003). Es kann festgestellt werden, dass emotional kalte Personen, die auf der Machiavelli-Skala besonders weit oben stehen, eher zu Regelabweichungen neigen als Personen, die keine Veranlagung zu Machtspielen haben (siehe z.B. Flynn et al. 1987; Hegarty und Sims 1979; Jones und Kavanagh 1996). Menschen mit geringem Selbstwertgefühl werden als eher anfällig für Regelverstöße und Gesetzesbrüche angesehen als Personen mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein (siehe z.B. Trevino 1986; Trevino und Youngblood 1990). Außerdem wird die Neigung zur Regelabweichung damit erklärt, dass die abweichenden Organisationsmitglieder nicht alle Phasen der Ausbildung eines moralischen Gewissens durchlaufen haben (siehe Arbeiten in Anschluss an Kohlberg 1969). Oder es wird darauf verwiesen, dass die Bereitschaft zur Regelabweichung mit einer schwachen Bindung der Person an die Gesellschaft zusammenhängt (siehe  Hirschi 1969). Letztlich werden zur Erklärung des verwerflichen Verhaltens der Regelbrecher in Organisationen die gleichen Ansätze herangezogen, mit denen auch die Regelbrüche von Straßenkriminellen erklärt werden (siehe dazu Hirschi und Gottfredson 1987; Gottfredson und Hirschi 1990; Fisse und Braithwaite 1993).[3]

Varianten dieser personalistischen Erklärung finden sich auch in den Ansätzen, die Regelabweichungen und Gesetzesverstöße als Ergebnis einer durch den Kapitalismus geprägten Gesellschaftsordnung begreifen. Man könnte vermuten, dass Kritiker einer kapitalistische Wirtschaftsordnung das „kriminogene“ Verhalten in Organisationen mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erklären würden (Punch 1996, S. 213).[4] Aber die Auseinandersetzung mit einer neoliberalen Wirtschaftsordnung verkommt häufig zu einer personalisierten Kritik, in dem Vorstandsvorsitzenden von Unternehmen, Manager im Finanz- und Bankensektor oder auch Studenten in Business Administration Masterstudiengängen eine besondere Neigung zur Regelabweichung unterstellt wird.[5]

Es gibt ganze Branchen, die mit ihren Lösungen an dieser Personalisierung von Verantwortung für Regelabweichungen ansetzen (siehe zur Ausbildung einer Compliance Industrie Laufer und Robertson 1997). Wirtschaftsprüfungsfirmen verfügen über eigene forensische Abteilungen, die bei Skandalen die Schuldigen ausfindig machen. Rechtsanwaltskanzleien bieten an, Beweise gegen verdächtige Mitarbeiter zu sammeln und ihre Entfernung aus der Organisation vorzubereiten. Beratungsfirmen offerieren psychologische Tests, mit denen präventiv Regelabweicher identifiziert werden können (für einen solchen Ansatz siehe beispielsweise Nerdinger 2008).

Letztlich steckt hinter diesen personalistischen Erklärungen die Metapher des einen vergammelten Apfels, der die ganze Stiege verdirbt. Andere würden beobachten, dass Einzelne mit ihren Regelabweichungen durchkommen und dieses Verhalten dann kopieren. So würde am Ende die ganze Organisation mit dieser Regelabweichung infiziert werden. Deswegen sei es zentral, dass ein vergammelter Apfel schnell identifiziert und entsorgt wird, bevor er die ganze Stiege unbrauchbar gemacht hat.[6]

Funktionen der Personalisierung

Solche Versuche der Personalisierung von Regelabweichungen und Gesetzesbrüchen sind aus der Perspektive der Organisation nachvollziehbar. Der Verweis auf einzelne Verantwortliche bietet für die Organisation die Möglichkeit, den Skandal einzugrenzen. Einzelne Organisationsmitglieder können öffentlich angeprangert werden, um damit die Distanzierung der Organisation von diesen Regelbrechern deutlich zu machen und für die Organisation Entlastung zu produzieren (siehe zu dieser Wirkung Pinto et al. 2008, S. 689).

Nützlich kann es ein, wenn man die Verantwortung auf lebende Organisationsmitglieder abwälzt, weil die öffentlich sichtbare Trennung von ihnen als Reinigungsakt inszeniert werden kann. Nach der Katharsis qua „Jammer und Schande“ kommt ganz nach den Regeln der Aristotelischen Dramenordnung als finaler Akt der Abschluss durch die Trennung von den „Schuldigen“ (Schütz et al. 2018, S. 164). Hilfreich kann es aber auch sein, wenn die Verantwortung für Regelabweichungen auf bereits verstorbene Organisationsmitglieder abgewälzt werden kann. Egal ob es um die Zahlung von Schmiergeldern zum Gewinnen der Ausschreibung einer Fußballweltmeisterschaft, um die Manipulation von Untersuchungsergebnissen zur Erreichung der Zulassung eines Medikamentes oder die Massentötung von Juden während des Holocaust geht – immer lässt sich beobachten, wie Verantwortung bereits Verstorbenen Personen angelastet wird, weil diese  –  aus nachvollziehbaren Gründen – weder strafrechtlich zu belangen sind, noch sich gegen die Vorwürfe wehren können.

Man darf die Funktion einer solchen Vorgehensweise für die Organisation nicht unterschätzen. Wir wissen aus der Organisationsforschung, dass es bis zu einem bestimmten Grad funktional ist, Misserfolge, Verfehlungen und Gesetzesbrüche Personen zuzurechnen. Eine bestimmte Person trägt die Verantwortung und entlastet damit die Organisation bei der häufig blockierenden Suche nach anderen Ursachen (Brunsson 1989, 202f.). Wie durch ein Brennglas konnte man diese Entlastungsfunktion der Personalisierung bei der Verdrängung des Holocaust nach dem Zweiten Weltkrieg beobachten. Durch die Erklärung der Massentötungen durch psychopathisch veranlagte, von Grund auf böse Mörder war es in Deutschland möglich, so weiterzuleben, als wenn nichts passiert wäre (siehe Waller 2002, S. 65; Berg 2003, S. 503; siehe grundlegend dazu Lübbe 1983).[7]

Diese Funktion erklärt, weswegen Manager, die Gesetze gebrochen, den Verstoß gegen Regeln geduldet oder grobe Fehler gemacht haben, mit hohen Abfindungen entlassen werden. Die Personalisierung von Verantwortung funktioniert dann besonders reibungslos, wenn sich die identifizierten Organisationsmitglieder nicht gegen die Zuweisung der Verantwortung wehren. Die Abfindung ist häufig eine mehr oder minder aufgezwungene Honorierung dafür, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ein Vergehen auf sich nimmt, das man auch ganz anders hätte zurechnen können (Kühl 2015, S. 95).

Aber durch Personalisierung verbaut sich die Organisation den Blick auf die ihn ihrer Struktur angelegten Gründe für Regelabweichungen (so schon Schrager und Short 1978, S. 407, siehe auch Besio 2013, S. 310). Durch die Personalisierung des Ereignisses wird eine schlüssig erscheinende Erklärung geliefert, die es der Organisation erspart, genauer nachzufragen, weswegen es zu den Regelabweichungen gekommen ist (Luhmann 1972, S. 56). Die Organisation kann sich so zwar schnell dem Problem entledigen, sie macht sich dadurch aber dümmer, weil sie nicht begreift, welche tiefergreifenden Prozesse zu den Regelabweichungen und Gesetzesbrüchen geführt haben.

2.    Gründe für Regelabweichungen

Entgegen dieser Personalisierung wird aus organisationswissenschaftlicher Perspektive eine grundlegend andere Erklärung für Regelabweichungen und Gesetzesverstöße vorgeschlagen. Schon Max Weber, einer der Urväter der Sozialwissenschaft, lieferte nicht nur eine prägnante Bestimmung von Bürokratien als an Zwecken ausgerichteten, nach Effizienzkriterien arbeitenden Maschinen, sondern auch eindrucksvolle Beschreibungen, wie die bürokratischen Prinzipien mit den persönlichen  Netzwerken in einer Organisation nicht nur in Konkurrenz geraten, sondern diese auch ergänzen können (vgl. Weber 1976, S. 551ff.). Auch Chester Barnard, einer der Begründer der modernen Organisationswissenschaft, hat nicht nur herausgearbeitet, wie die formale Ordnung in Organisationen funktioniert, sondern hat auch gezeigt, dass man sich nur dann in einer Organisation zurechtfindet, wenn man die „unsichtbare Steuerung“ erkennt und sich die „informellen Prozesse“ aneignet (vgl. Barnard 1938, S. 120). Niklas Luhmann, der wichtigste Vertreter der systemtheoretisch ausgerichteten Organisationswissenschaft, spitzt den Gedanken mit seinem Begriff der „brauchbaren Illegalität“ insoweit zu, als er betont, dass die für Organisationen funktionalen informalen Prozesse häufig nicht mit den formalen Erwartungen kompatibel sind und diesen in vielen Fällen sogar widersprechen (vgl. Luhmann 1964, S. 304ff.).[8]

Das Phänomen der für die Organisation funktionalen Regelabweichung wurde in der Literatur – teilweise mit sehr unterschiedlichen Akzentuierungen – immer wieder mit neuen Begriffen belegt. Es ist etwa die Rede von „positiver Devianz von Organisationsnormen“ (Spreitzer und Sonenshein 2003), „pro-organistionalem illegalem Verhalten (Müthel 2017, S. 31), „unethischem pro-organisationalem Verhalten“, (Umphress und Bingham 2011)  oder „illegalem unternehmerischem Verhalten“, dass Organisationsmitglieder zum Nutzen der Organisation an den Tag legen  (Baucus und Baucus 1997). Es wird von „prosozialen Regelbrüchen“ (Morrison 2006), „prinzipienbasiertem organisationalem Widerspruch“ (Graham 1986), „funktionalem Ungehorsam“ (Brief et al. 2001), „konstruktiver Devianz“ ( Galperin 2003; Warren 2003; Vadera et al. 2013), „organisationalem Fehlverhalten“, dass jedenfalls in einer Variante von Mitgliedern auch ausgeübt wird, um der Organisationen zu nutzen (Vardi und Wiener 1996) oder vom „notwendigen Bösen“, dass zum Nutzen der Organisation häufig auch bei Ignorierung der formalen Regeln verübt werden muss, gesprochen (Molinsky und Margolis 2005).[9]

Aber was ist der Grund dafür, dass Regelabweichungen in Organisationen anscheinend unumgänglich sind? Warum kommen Organisationen nicht allein mit regelkonformem Verhalten ihrer Mitglieder aus?

Widersprüchliche Anforderungen

Organisationen müssen sehr widersprüchlichen Anforderungen gerecht werden, die an sie herangetragen werden.[10] Schon eine oberflächliche Betrachtung zeigt, dass für Organisationen sehr unterschiedliche Umwelten relevant sind. Wichtig sind sicherlich die Besitzer der Organisation – egal ob dies Staaten, Kapitaleigner oder Vereinsgründer sind – mit ihren Ansprüchen an Effizienz, Effektivität und Innovativität. Zentral sind in den meisten Fällen auch die Leistungsempfänger – seien es nun Kunden, Klienten, Patienten, Studenten, Schüler oder Gefängnisinsassen – mit ihren Preis-, Qualitäts- und Belastungsansprüchen. Eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen auch die Mitglieder der Organisation selbst, denen an einer angemessenen Entlohnung, an sinnvollen Arbeitsinhalten und vernünftigen Arbeitsbedingungen gelegen ist. Und nicht zuletzt darf eine Organisation die Ansprüche aus dem politischen Umfeld – seien es nun Ansprüche an die Bezahlung von Steuern, die Schaffung von Arbeitsplätzen oder auch nur die Befolgung von Gesetzen – nicht vernachlässigen.[11]

Man kann bei ganz unterschiedlichen Organisationstypen beobachten, wie sie versuchen mit den an sie herangetragenen, widersprüchlichen Ansprüchen umzugehen. Öffentliche Verwaltungen müssen sich in ihren Entscheidungen an den herrschenden Rechtslagen orientieren, können aber die Vorstellung der jeweils dominierenden Parteien nicht ignorieren, müssen auch mit den Erwartungen von Interessensverbänden umgehen und dürfen – last, but not least – nicht die Belastungsgrenzen ihrer Angestellten ignorieren (Luhmann 1964, S. 306; siehe ausführlich Luhmann 1973). Vereine richten sich an hehren Zwecken aus – der Herstellung des Weltfriedens, die Durchsetzung der Geschlechtergleichheit oder der Erhaltung ethnischer Homogenität –, aber sie müssen sich gut überlegen, ob sie für die Durchsetzung dieser Zwecke Gesetze brechen wollen, müssen darauf achten, dass sie sich durch Spenden oder öffentliche Zuschüsse refinanzieren können, und dürfen nicht die manchmal eigenwilligen Motivationsstrukturen ihrer ehrenamtlich tätigen Mitglieder aus den Augen verlieren (Krause 2014, S. 39ff.; Horch 2018, S. 60ff.; siehe ausführlich auch Horch 1983). Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Aktionäre eine ansprechende Dividende bekommen, dass der Kunde sich nicht über den Tisch gezogen fühlt, die Mitarbeiter nicht revoltieren und Gesetze nicht allzu sehr gedehnt werden (Schreyögg 1998, S. 36; siehe ausführlich Schreyögg 1984).[12]

Grenzen der Optimierung

Sicherlich – bei nicht wenigen Managern herrscht die Vorstellung, dass sich das Problem widersprüchlicher Anforderungen durch das Setzen von Prioritäten in den Griff bekommen lässt. Unter dem Begriff des Shareholder Value wird die Idee propagiert, dass sich Unternehmen lediglich der Idee verpflichtet fühlen sollten, so viel Geld wie möglich für ihre Besitzer zu machen und sich dabei nicht von konkurrierenden Zielen wie beispielsweise sozialer Verantwortung ablenken lassen sollten (Friedman 1962, S. 9 und 133f.). Bei der Propagierung von Kunden – oder auch Klienten, Patienten, Studenten oder Schülern – als Königen wird die Ausrichtung auf die Abnehmer von Leistungen absolut gesetzt und anderen Bedürfnissen beispielsweise von Mitarbeitern oder staatlichen Regulierern übergeordnet. Unter dem Begriff der mitarbeiterzentrierten Organisation wird die Forderung vertreten, dass sich alle anderen Ansprüche zum Beispiel von Kunden oder auch Besitzern dem Wohlergehen der Mitglieder unterzuordnen haben. Außerdem ist die Forderung nach absoluter Gesetzeskonformität nichts anderes als der Versuch, ein Prinzip als oberste Maxime auszurufen (so jedenfalls in der Außendarstellung Pierer 2003, S. 18ff.). Letztlich wird dabei so getan, als wenn ein Ziel – die Ansprüche der Besitzer der Organisation, die Befriedigung von Kundenbedürfnissen, die Zufriedenheit der Mitarbeiter oder die Einhaltung von Regeln und Gesetzen – am wichtigsten ist und sich alle anderen Ziele diesem unterzuordnen haben (für eine solche Haltung, siehe z.B. Schneck 2000, S. 38).

Eine Organisation wäre jedoch naiv, wenn sie so tun würde, als gäbe es für sie nur ein relevantes Umweltsegment. Verwaltungen, die maschinenartig die für sie gültigen Verwaltungsrichtlinien abarbeiten und die Ansprüche von regierenden Parteien, zentralen Interessensorganisationen oder eigenen Mitarbeitern ignorieren würden, bekämen schnell Probleme. Ein Verein, der die Erreichung seiner Ziele über alles setzt, geriete in erhebliche Schwierigkeiten, weil Strafverfolgungsbehörden eine Haltung à la „der Zweck heiligt die Mittel“ nicht dulden können, weswegen Rekrutierungsprobleme entstehen, weil nicht alle Sympathisanten bereit sind, für eine „gute Sache“ ins Gefängnis zu gehen. Unternehmen würden schnell in Krisen geraten, wenn sie sich unter dem Slogan des Shareholder Values nur für die Interessen ihrer Kapitalgeber interessieren würden und andere Erwartungen aus der Umwelt zum Beispiel von ihren Kunden, ihren Arbeitnehmern oder staatlichen Gesetzgebern ignorieren würden (siehe dazu Fiss und Zajac 2004).

Einseitige Optimierungsstrategien führen schnell zu Anpassungsschwierigkeiten der Organisation, an der diese über kurz oder lang zugrunde gehen kann (Luhmann 1964, S. 305). So sind die Profitmargen im Drogenhandel, in der Prostitution oder der Abfallwirtschaft sicherlich hoch, aber eine auf diese Erkenntnis aufbauende einseitige Orientierung am Shareholder Value führt in den meisten Staaten zu erheblichen Problemen mit Strafverfolgungsbehörden und deswegen auch bei der Gewinnung neuer Mitglieder (siehe dazu die Essays in Heilbroner 1972). Eine Orientierung an Kunden, Klienten, Patienten, Studenten oder Schülern wird spätestens dann problematisch, wenn diese Leistungen einfordern, die nicht gesetzeskonform sind, die für die Leistungserbringung zuständigen Mitglieder überlasten oder die finanzielle Überlebensfähigkeit der Organisation in Frage stellen. Eine Zentrierung auf das Wohl der Organisationsmitglieder stößt spätestens dann auf Grenzen, wenn diese die hochgepriesene Mitarbeiterfokussierung als Aufforderung begreifen, die Bedürfnisse von Kunden oder Klienten, die Erwartungen der Besitzer der Organisation oder die Ansprüche des Staates nach gesetzeskonformem Verhalten zu ignorieren. Die einseitige Ausrichtung am Anspruch hoher politischer Legitimität in Form rigider Gesetzestreue, bereitwilliger Steuerzahlung oder der Übernahme sozialer Verantwortung stößt an Grenzen, wenn dies zu offensichtlich auf Kosten der Ansprüche der Besitzer der Organisation, der Kunden und Klienten oder der Mitglieder der Organisation geht (siehe dazu Box 1998, S. 35).

Es ist, so eine frühe systemtheoretische Einsicht (Becker und Luhmann 1963, S. 13), nicht möglich, ein Organisationsziel wie zum Beispiel Gesetzeskonformität „auf Kosten aller anderen maximal zu erfüllen, ohne den Fortbestand des Systems zu gefährden“.[13] „Gerade die lückenlose Konformität, gerade die bruchlose Konsequenz, gerade die perfekte Treue zu den eigenen Regeln“ gefährde die Organisation. „Eindeutigkeit heißt Einseitigkeit“ und deshalb ist aus systemtheoretischer Perspektive die Beschränkung auf das „eindeutig Richtige“ keine sinnvolle Strategie (so Kieserling 2015, S. 57)[14]

3.    Zwischen formalen Konsistenzerwartungen und widersprüchlichen Umweltanforderungen

Die klassische Organisationslehre hat für das Problem widersprüchlicher Anforderungen eine einfache Antwort parat: Die widersprüchlichen Anforderungen müssten in der Organisation so „geordnet“ werden, dass sich daraus eindeutige Kriterien für die Entscheidungsfindung ergeben. Die unterschiedlichen Ansprüche, so die Vorstellung, sollten optimal austariert und die Anforderungen dann in eine für die Mitglieder konsistente Formalstruktur gegossen werden. So könnten Entscheider – aufbauend auf einer klaren Präferenzordnung der Organisation – die Konsequenzen aus den verschiedenen Entscheidungsalternativen abwägen und schließlich die für die Organisation optimale Entscheidungen treffen (siehe die kompakte Zusammenfassung durch einen Vertreter der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie z.B. March 1991, S. 97; zur Analyse dieser Vorgehensweise als nur einer Strategie aus neoinstitutionalistischer Perspektive siehe Oliver 1991).

Anforderungen an die Konsistenz der Formalstruktur

Auf den ersten Blick ist diese Vorstellung gar nicht so unplausibel. Schließlich fällt die in Organigrammen, Prozesshandbüchern und Stellenbeschreibungen niedergelegte formale Struktur durch ein hohes Maß an Konsistenz auf. Die Kommunikations- und Entscheidungswege sind in der Regel so organisiert, dass Mitglieder genau wissen, wessen Anweisungen sie Folge zu leisten haben und welche sie ignorieren können. Die Programme sind so ausgerichtet, dass den Mitgliedern in den allermeisten Fällen klar ist, was ein regelgerechtes und was ein regelabweichendes Verhalten ist. Und auch die personale Zugehörigkeit zur Organisation ist in der Regel eindeutig geklärt, sodass es keine Unklarheit gibt, für wen die formalen Anforderungen gelten und für wen nicht.

Der Grund für diese Konsistenz in der Formalstruktur ist, dass Organisationen die Einhaltung ihrer formalen Regeln zur Mitgliedschaftsbedingung erklären und deshalb die Reichweite dieser Regeln klarstellen müssen. Nur wer wenigstens so tut, als ob er sich an die von der Organisation formulierten Regeln hält, kann Mitglied bleiben. Wer offen gegen diese Regeln rebelliert, muss gehen (Luhmann 1964, 63f.). Wer dies nicht glaubt, kann sich mit einem einfachen Krisenexperiment vergewissern. Man muss lediglich seiner Vorgesetzten deutlich zu verstehen geben, dass man nicht bereit ist, eine Anweisung zu befolgen. Die spürbare Anspannung aller Beteiligten ist ein deutliches Indiz dafür, dass eine solche Weigerung zu einer Krise führt – nicht weil die einzelne Anweisung so wichtig ist, sondern weil mit dieser Weigerung zur Befolgung einer Regel das Grundprinzip, auf dem Organisationen basieren, in Frage gestellt wird (siehe dazu auch Bosetzky 2019, S. 38).[15]

Die Bindung der Organisationsmitgliedschaft an die Einhaltung der formalen Regeln verlangt, dass diese ein hohes Maß an Konsistenz haben (siehe zu den Konsistenzanforderungen an Gesetze klassisch Fuller 1969, S. 39). Wenn Organisationen auf die Definition dieser formalen Mitgliedschaftsbedingungen verzichten oder diese Mitgliedschaftsbedingungen zu widersprüchlich sind, könnten die Mitglieder machen, was sie wollen. Sie könnten je nach Gutdünken der Anweisung ihrer Chefin folgen oder auch der einer anderen. Sie könnten je nach Geschmack der einen Regel folgen oder einer anderen, die ein entgegengesetztes Verhalten verlangt. Das zentrale Prinzip von Organisationen zur Herstellung konformen Verhaltens würde unterlaufen.

Jetzt ist es sicherlich nicht so, dass in jeder Organisation alle formalen Normen immer sauber aufeinander abgestimmt sind. Es kommt immer wieder zu Kollisionen dieser Normen. Die Vorschriften einer neu erworbenen Unternehmenseinheit weichen nicht selten erheblich von denen der Holding ab. Die detaillierten Vorgaben der Studienordnung einer Universität sind nicht immer präzise mit den schnell wechselnden Anforderungen der für die Akkreditierung zuständigen Agenturen abgestimmt. Aber in Organisationen ist ein unmittelbarer Druck zu spüren, solche widersprüchlichen formalen Erwartungen aufzulösen. Schließlich kann eine Chefin auf den Hinweis eines Mitarbeiters, dass für die konkrete Arbeitsaufgabe widersprüchliche formale Anweisungen vorliegen, nicht mit der Aussage reagieren, dass ihr das völlig egal sei.[16]

Die Tücke widersprüchlicher Erwartungen

Das Problem ist jedoch, dass diese auf Konsistenz getrimmte formale Struktur nur schwer auf die widersprüchlichen und wechselnden Anforderungen ausgerichtet werden kann, die die Umwelt an die Organisation heranträgt. Die formalen Strukturen können nicht das Verhalten für alle Fälle bestimmen, weil man gar nicht alle Eventualitäten im Voraus kennen kann und selbst wenn man sie kennen könnte, das Regelbuch dadurch so dick würde, dass keiner es mehr überblicken könnte. Selbst wenn man es versuchen würde – die Veränderung der formalen Struktur ist aufgrund der Abstimmung zwischen verschiedenen Ebenen und Bereichen so aufwendig, dass bei veränderten Umweltbedingungen Anpassungen häufig erst mit zeitlicher Verzögerung stattfinden.[17]

Allerdings könnten Organisationen es sich einfach machen und sich selbst suggerieren, dass sie es mit konstanten und berechenbaren Umweltbedingungen zu tun hätten, auf die man sich mit einer klar definierten Formalstruktur einstellen könnte. Aber das wäre ein zu simples Verständnis der eigenen Umwelt.[18] Alle Beschreibungen aus der Managementliteratur deuten darauf hin, dass die Zeiten, in denen sich Organisationen ihre Umweltbedingungen als gleichbleibend und kalkulierbar vorstellen, vorbei sind. Die Anforderungen an Organisationen würden, so die zurzeit dominierende Diagnose, zunehmend volatil werden. Unsicherheiten in Form von überraschenden, unvorhersagbaren und unbekannten Ereignissen nähmen zu. Aufgrund von fehlenden klaren Ursachen-Wirkungs-Ketten steige die Komplexität an und Organisationen würden zunehmend mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert.[19]

Dabei kann es sein, dass schon aus einem einzelnen Umweltsegment sehr widersprüchliche Anforderungen an die Organisation herangetragen werden. So gelten bei Truppenbesuchen von Politikern selbstverständlich die strikten Sicherheitsvorgaben für Übungen, gleichzeitig herrscht aber auch die implizite Vorgabe, bei deren Anwesenheit besonders „hübsche Bilder“ in Form von schnellen, interessanten und lauten Abfolgen von Übungselementen herzustellen. Dafür verzichtet der Sicherungsoffizier schon mal darauf, sicherzustellen, ob der Munitionsgurt eines Marders lehrgeschossen ist, es wird der Schutzmechanismus bei einer Haubitze außer Kraft gesetzt, um nicht immer auf die gleiche Stelle schießen zu müssen, oder der Schlüssel des Sicherungsoffiziers wird zur Freischaltung von Waffensystemen nachgemacht, um beim Anspringen des Sicherungssystemseine Übung möglichst schnell fortführen zu können. Die Ironie dabei ist, je prominenter die anwesenden Politiker, desto höher die Erwartungen, dass die formal vorgeschriebenen Sicherungsmechanismen für ein „tolles Schießen“ – verantwortungsvoll – umgangen werden.[20]

Wenn es stimmt, dass die Erwartungen an Organisationen volatiler, unsicherer, komplexer und ambiguer werden, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass formale Strukturen nicht geeignet sind, um auf diese Anforderungen zu reagieren. Organisationen geraten immer mehr in ein unauflösbares Spannungsfeld. Einerseits muss die Formalstruktur einer Organisation hohe Konsistenzanforderungen erfüllen, weil sich ansonsten das Verhalten der Mitglieder nicht ausrichten ließe. Andererseits lassen diese schnell wechselnden und widersprüchlichen Anforderungen es kaum noch zu, dass eine Organisation von einem klar definierten Zweck aus formal durchprogrammiert werden kann.

Organisationen lösen dieses Dilemma, indem den Mitarbeitern zwar ein formal konsistentes Regelwerk vorgeben wird, man gleichzeitig aber ein gewisses Maß an informalen Abweichungen duldet (siehe früh schon Sjoberg 1960, S. 201; Luhmann 1964, S. 304f.).[21] Es wird akzeptiert, dass sich kleine und große Schleichwege ausbilden, die im Widerspruch zu den offiziellen Dienstwegen stehen (siehe Friedberg 1993). Es wird geduldet, wenn Ziele, Verfahren und Richtlinien immer wieder umdefiniert, gedehnt und umgangen werden, sofern dadurch die Starre des formalen Regelwerks abgemildert werden kann (siehe Bosetzky 2019, S. 38). Es wird ertragen, wenn bei der Rekrutierung, Versetzung und Entlassung von Personal nicht immer alles nach den Regeln abläuft, weil sonst häufig nicht das geeignete Personal zur geeigneten Zeit zur Verfügung stände. Die Möglichkeit der Verletzung der formalen Ordnung ist geradezu Bedingung der Funktionsfähigkeit von Organisationen in einer widersprüchlichen Umwelt.[22]

Die Leichtigkeit der Organisation

Diese Duldung punktueller Regelabweichungen, könnte man als Schwäche von Organisationen betrachten, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Möglichkeiten zur punktuellen Abweichung vom formalen Regelwerk geben der Organisation eine gewisse „Leichtigkeit“ (Luhmann 1964, S. 246f.). Widersprüchliche Anforderungen an die Mitarbeiter müssen nicht sofort durch ein neues formales Regelwerk entschieden werden, sondern man duldet, dass Mitarbeiter in gut begründeten Fällen von den formalen Regeln abweichen. Gleichzeitig verhindert die Existenz der formalen Ordnung, dass sich eine Organisation „balkanisiert“ und alle tun, was sie wollen (Luhmann 1964, S. 247).

Sämtlichen Beteiligten ist bewusst, dass sie sich im Zweifelsfall auf die formalen Regelungen der Organisation berufen und so informale Regelabweichungen unterbinden können. Organisationsmitglieder tarieren deswegen sorgfältig aus, wie stark sie in gut begründeten Fällen von formalen Regeln abweichen. Dabei kann es sehr wohl vorkommen, dass sich im Alltag der Organisation mit guten Gründen Abweichungen vom formalen Regelwerk der Organisation eingeschlichen haben, jedoch kann der Verweis auf die formale Struktur im Konfliktfall trotzdem als Trumpfkarte ausgespielt werden.[23]

In der Praxis wird in Organisationen deswegen permanent zwischen einer Orientierung an den formalen Regeln und informalen Abweichungen hin- und hergewechselt. Man überlegt, ob man eine kritische Information wie formal gefordert „zu den Akten“ gibt oder erstmal entgegen der Vorschriften keine schriftlichen Spuren hinterlässt. Man lehnt die mündliche Anfrage einer anderen Abteilung ab und bittet um die Einhaltung des Dienstwegs, oder man gibt sich kollegial und beantwortet die Anfrage entgegen der offiziellen Geschäftsordnung informal. Man diskutiert einen Vorgang formal mit seinem Vorgesetzten und riskiert damit eine offizielle Ablehnung oder man hält den Charakter des Gesprächs eher informal, um das eigene Anliegen in einem günstigeren Moment noch einmal präsentieren zu können (Luhmann 1964, S. 117).[24]

Organisationale Klugheit liegt also weder in einem sklavischen Befolgen von außen vorgegebener oder von der Organisation selbst gesetzter Regeln, noch in deren prinzipieller Ignorierung, sondern in der Ermöglichung punktueller Abweichungen. Letztlich kann das Regelwerk einer Organisation nur durch die Duldung einer Vielzahl von Regelabweichungen aufrechterhalten werden (Luhmann 1983, S. 190).[25] Regeln müssen – jedenfalls von Zeit zu Zeit – verletzt werden, um dem Geist der Regeln gerecht zu werden (Dalton 1959, S. 219), und damit diese auch als Regeln weiterexistieren können (vgl. Friedberg 1993, S. 153). Statt „klinischer Sauberkeit“, so die Beobachtung von Fran Osrecki, ist es eher der „Schmutz der Systeme“, der die Immunität der Organisation stärkt (Osrecki 2014, S. 420).

Aber wie weit kann die situative Anpassung an geänderte Umweltbedingungen gehen?

4.    Grauzonen zwischen Regeleinhaltung und Regelverletzung

Es wäre falsch, so zu tun, als wäre immer allen klar, was erlaubt und was verboten ist. Sicherlich – man darf die Bemühungen von Organisationen und auch von Staaten nicht unterschätzen, eindeutige Regeln zu definieren. Nur wenn das Regelwerk von Organisationen präzise ausdefiniert ist, eignet es sich als formale Ordnung, an der sich die Mitglieder orientieren können und müssen. Nur wenn staatliche Gesetze ein Mindestmaß an Eindeutigkeit haben, eignen sie sich dazu, eine Klarheit darüber herzustellen, welche Verhaltensweisen erlaubt und welche verboten sind.

Es gibt deswegen in Organisationen Fälle, in denen allen Beteiligten klar ist, ob gegen eine Regel verstoßen wird oder nicht. Wenn eine Mitarbeiterin eins zu eins dem Prozesshandbuch folgt und sich in Zweifelsfällen das Vorgehen von ihren Vorgesetzten genehmigen lässt, kann sie mit ziemlich hoher Sicherheit davon ausgehen, dass sie mit den Regeln der Organisation konform handelt. Und wenn eine Mitarbeiterin auf die Nichtberücksichtigung bei einem hierarchischen Aufstieg dadurch reagiert, dass sie – wie in den USA nicht unüblich – mit einem Maschinengewehr ihre Kollegen niedermäht, weiß sie ziemlich sicher, dass sie nicht nur gegen eine Reihe formaler Regeln der Organisation, sondern aller Wahrscheinlichkeit auch gegen Gesetzes des Staates verstoßen hat.[26]

Aber man würde in ein formalistisches, quasi-juristisches Denken verfallen, wenn man davon ausginge, dass sich prinzipiell alle Entscheidungen in das Schemata „erlaubt“ oder „verboten“ einordnen ließen. Die alltägliche Realität in Organisationen ist, dass es häufig gar nicht so einfach ist, festzustellen, ob gegen eine Regel verstoßen wird oder nicht. Wo genau ist die Grenze zwischen der in der Managementliteratur unter dem Schlagwort der Cooptition gepriesenen intelligenten Kooperation mit Konkurrenten, gepaart mit einer gesetzeswidrigen Kartellbildung zwischen Konkurrenten zum Schaden von Zulieferern oder Kunden (siehe Benz und Seibel 1992)? Wo verlaufen die Grenzen zwischen einer illegalen Abschaltung von Abgassäuberungseinrichtungen bei Automobilen und legalen Abschaltmöglichen zum Schutz des Motors (siehe zu Unterschieden Jung und Sharon 2019)? Wo ist die Grenze zwischen einer gerade noch erlaubten „kreativen Buchführung“ und einer „kriminellen Manipulation“ der Bücher, um Aktienmärkten Erfolgsgeschichten zu bieten (siehe Graham et al. 2005)? Wo liegt die Differenz zwischen einer legalen Nutzung von Informationen über ein an der Börse gehandeltes Unternehmen und illegalem Insider Trading (siehe Solomon und Soltes 2015)? Wo ist die Grenze zwischen Steuerhinterziehung, die bei Entdeckung strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, und Steuervermeidung, mit der es multinationalen Unternehmen gelingt, trotz Milliardengewinnen faktisch keine Steuern zu bezahlen (siehe dazu McGee 1993)? Ist es legal, wenn ein privatwirtschaftlich organisierter Stromkonzern bei starker Nachfrage wegen realer oder vermeintlicher Wartungsnotwendigkeiten mehrere Kraftwerke abschaltet und so den Strompreis kurzfristig verdreifachen oder vervierfachen kann, oder ist das schon die illegale Ausnutzung einer Monopolposition (siehe zum Fall Enron Eichenwald 2005)?

Das Zwielicht beim Betrachten von Regelabweichung und Regelkonformität

Man kann von einem gewissen „Zwielicht“ sprechen, an das man sich gewöhnen muss, wenn man sich mit der Frage auseinandersetzt, ob eine Handlung regelkonform ist oder nicht (Luhmann 1964, S. 304). Man denke nur an das großzügige Auslegen, an das kreative Dehnen, geschickte Unterlaufen, dezente Ignorieren oder stillschweigende Übergehen von Regeln (Ortmann 2003, S. 33f.). Man denke ferner an das „Befolgen von Regeln auf Grund unerlaubter Motive oder zu unerlaubten Zwecken“, das „rechte Handeln zu unrechter Zeit“ oder die „Aufschiebung der Befolgung“ (vgl. Luhmann 1964, S. 304; Luhmann 1972, S. 275).[27] Bei allen Versuchen, Klarheit herzustellen – gesetzliche Normen sind keine klaren „Linien“, die man nicht überschreiten darf, sondern „Zonen“, in denen erst ausgehandelt wird, was geduldet wird und was nicht (Williams 1970, S. 413).[28]

In der Sachdimension ist ein Grund für Graubereiche, dass auch jede noch so gut gemachte formale Regel ausdeutbar ist. Formale Erwartungen können noch so sorgfältig formuliert werden, aber der wirkliche Sinn faktischer Erwartungen lässt sich nie genau in Worte bringen. So sehen die offiziellen Regelungen an Fachhochschulen und Universitäten vor, dass Gruppenarbeiten aus markierten, individuellen Beiträgen der Autoren zu bestehen haben und diese individuell zu benoten sind. Aber alle Regelungen haben es nicht geschafft zu verhindern, dass Lehrende diese Intention dadurch sabotieren, dass sie den Mitgliedern einer Gruppe zwar individuelle, aber identische Noten geben. Es gibt notgedrungen Aspekte, die durch eine organisationsinterne Regel sachlich nicht geklärt werden können. Formalisierte Erwartungen bezeichnen deswegen letztlich immer nur Tendenzerwartungen (Luhmann 1964, S. 311).

Ein weiterer Grund für die Ausbildung eines Zwielichtes zwischen Regelkonformität und Regelabweichung liegt in der Sozialdimension. Formalisierte Regeln werden von Personen je nach Position in einer Organisation sehr unterschiedlich interpretiert. So legen die für Regeleinhaltung zuständigen und häufig mit Juristen besetzten Abteilungen Regeln eher restriktiver aus, als die Abteilungen, die versuchen, trotz eines immer detaillierter werdenden Regelwerks die ihnen vorgegebenen Ziele zu erreichen. Das Hauptquartier einer global agierenden Organisation hat nicht selten für die Spezifik von Umwelt- oder Arbeitsschutzgesetzen in einem Land weniger Sensibilität, als die in diesem Land angesiedelten Abteilungen, die unmittelbar von straf- oder zivilrechtlichen Verstößen betroffen sind. Insofern ist es nicht überraschend, dass es bei allen Versuchen zur Klarheit heftige Auseinandersetzungen gibt, wie Regeln zu interpretieren sind.

Ferner kommt hinzu, dass sich Regeln und ihre Auslegung in der Zeitdimension permanent verändern. Dabei kann man an formale Änderungen von Regeln denken, die in der Organisation nur zeitverzögert nachvollzogen werden. So behielten viele Organisationen die lange Zeit nicht nur legale, sondern auch als Kosten absetzbare Bestechung ausländischer Politiker und Amtsinhaber bei, als diese Praxis bereits in vielen Ländern strafrechtlich verboten wurde, weil sie nicht davon ausgingen, dass die neue Rechtslage zeitnah durchgesetzt würde. Man kann aber auch an Veränderungen in der Interpretation von Regeln denken, die sich nicht selten über einen längeren Zeitraum vollziehen. Man denke nur an die Verwendung von Insider-Informationen, die lange Zeit als nicht nur legitime, sondern auch legale Bonuszahlung für Manager betrachtet wurden, die aufgrund einer veränderten Rechtsprechung von Gerichten zunehmend als Verstoß gegen Aktiengesetze gewertet wurden.[29] Die Auslegung von formalen Regeln befindet sich in einem Prozess permanenter Veränderung, der es nicht selten schwer macht, zu sagen, was regelkonform und was regelabweichend ist.

Zur Ausdehnung und Einengung von Graubereichen

Man könnte argumentieren, dass organisationale Regeln durch das Erlassen von formalen Vorschriften oder die Umsetzung eines Gesetzes in organisationale Programme geschaffen werden. Diese Auffassung hat ein hohes Maß an Plausibilität. Eine Umstellung im Organigramm führt dazu, dass Vorgesetze-Untergebenen-Verhältnisse neu geordnet werden. Veränderungen in den Prozessen oder Zielvorgaben haben zur Folge, dass neue Kriterien für richtiges oder falsches Verhalten dominieren. Die Einstellung oder Versetzung einer Person auf eine genau beschriebene Stelle legt fest, welche Arbeit diese zu erledigen hat. Aber all dies ist nur der Ausgangspunkt einer formalen Verregelung von Organisationen.

Die genauen Konturen von Regeln bilden sich in Organisationen erst durch ihre Auslegung in der Entscheidungspraxis aus. Bei der Verabschiedung eines neuen Organigramms muss sich erst langsam ausmendeln, wie die dadurch definierten Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisse genau definiert sind. Bei veränderten Prozessen oder Zielvorgaben entsteht erst schrittweise ein Verständnis dafür, was das genau für die alltägliche Praxis bedeutet. Und auch bei einer noch so genauen Stellenbeschreibung entwickelt sich erst mit der Zeit, wie diese durch eine neu eingestellte oder versetzte Person ausgefüllt wird. Regeln sind immer das Ergebnis der Praktiken, die sich auf der Basis der erlassenen Prinzipien ausbilden.

Das Schärfen von Regeln durch die Praxis der Regelauslegung bildet sich nicht nur bei formalen Regeln der Organisation, sondern auch bei staatlichen Gesetzen aus. Dabei können die sich in und zwischen Organisationen einspielenden Interpretationen und Auslegungen von Gesetzen und Verordnungen so dominant werden, dass sie die Entscheidungen von Gerichten prägen (siehe die aufschlussreiche Fallstudie über Antidiskriminierungsgesetze Edelman et al. 2011, S. 911ff.). Unklarheiten in den rechtlichen Formulierungen, Begrenzungen in der Reichweite von Maßnahmen und Schwierigkeiten in der Durchsetzung lassen Organisationen Gestaltungsmöglichkeiten, wie diese Vorgaben interpretiert werden und diese sich ausbildenden Interpretationen dienen als Basis für die Auslegung vor Gericht (siehe dazu Edelman 1992, S. 1567).[30]

Sicherlich – es gibt Unterschiede in der Verbindlichkeit von organisationsinternen Regeln und staatlichen Gesetzen. Es gibt Regelungen, die lediglich allgemein vorschreiben, wie in einer Organisation Maßnahmen gegen sexuelle Diskriminierung, zum Datenschutz oder zur Sicherstellung von Gesetzeseinhaltung zu ergreifen sind, der Organisation aber sehr viel Spielraum lassen, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden. Und es gibt Regelungen zum Beispiel bei Arbeitszeitbestimmungen, Umweltschutzrichtlinien oder Korruptionsverboten, die einen vergleichsweise hohen Grad an Verbindlichkeit haben (siehe dazu Edelman und Suchman 1997, S. 482ff.4). Aber auch im Fall vergleichsweise genauer Festlegungen von Regeln, bildet sich erst in der Praxis aus, wie diese eigentlich genau bestimmt werden.

Beim Erlassen von Regeln werden in Organisationen allgemein sichtbare Symbole gebildet, mit denen zum Ausdruck gebracht wird, dass die rechtlichen oder organisationalen Vorgaben ernst genommen werden. Es werden mit den Vorgaben übereinstimmende Programme ausdefiniert, man richtet Abteilungen ein, die die Beachtung der Vorgaben sicherstellen sollen und stellt Personal für deren Umsetzung ein. Aber was die erlassenen Regeln genau bedeuten, schleift sich erst im Laufe der Zeit ein.

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Wardi, Yoav; Weitz, Ely (2004): Misbehavior in Organizations. Theory, Research, and Management. Mahwah: Erlbaum.

Warren, Danielle E. (2003): Constructive and Destructive Deviance in Organizations. In: Academy of Management Review 28, S. 622–632.

Weber, Max (1976): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: J.C.B. Mohr.

Williams, Robin M. (1970): American Society: A Sociological Interpretation. 3. Aufl. New York: Knopf.

 

[1] Hier die von mir übersetzten englischen Orginalbegriffe: „misconduct“ und „misbehavior“ (Wardi und Weitz 2004), „antisocial behavior“ (Giacalone und Greenberg 1997), „moral decline“ und „crime“ (Greve et al. 2010),

„diry business“ (Punch 1996), „wrongdoing“ (Palmer 2012), „dark sides“ (Vardi und Wiener 1996), „uncivilized“  (Andersson und Pearson 1999) und „shadow organization“ (Allen und Pilnick 1973). Diese Skandalisierung von Regelabweichungen findet sich schon vergleichsweise früh. Siehe zum Beispiel für die Muckraker-Bewegung in den USA Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Filler 1975.

[2] Wie sich der Begriff „toxisch“ besonders seit der Jahrhundertwende in der Literatur über Regelabweichungen durchgesetzt hat, wäre eine eigene Untersuchung wert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Lied „Toxic“ von Britney Spears dabei eine Rolle gespielt hat.

[3] Für einen knappen Überblick der Devianztheorien siehe Goode 2007.

[4] Zur konkurrierenden Beschreibung, dass Organisationen generell „kriminogen“ sind, siehe Box 1998, S. 34. Siehe zur These von kriminogenen Märkten auch zum Beispiel Denzin 1977 über die Alkoholindustrie und Farberman 1975 über die Autohandelsbranche.

[5] Unterlegt werden solche Thesen durch mehr oder minder gut gemachte Untersuchungen, die zeigen, dass Studenten der Wirtschaftswissenschaften stärker als ihre Kommilitonen aus anderen Fächern zu korruptem Verhalten neigen oder dass das Studium an einer der führenden US-amerikanischen Business Schools allen Kursen über Organisationsethik zum Trotz eine Absenkung moralischen Verhaltens bewirkt Frank und Schulze 2000.

[6] Zur dieser besonders im englischsprachigen Raum geführten Kontroverse um den Einfluss von „Bad Appels“, „Rotten Barrels“ und neuerdings auch „Bad Cellars“, siehe zum Beispiel Palmer 2012, S. 7; Ashforth et al. 2008, S. 672–678 oder Muzio et al. 2016, S. 141ff. Mit „Bad Cellars“ wird dabei der Einfluss eines organisationsübergreifenden „professionellen Ökosystems“ zum Beispiel im Bereich des Accounting oder des Rechts auf das „Fehlverhalten“ in Organisationen bezeichnet.

[7] Der Umgang mit dem Nationalsozialismus zeigt, dass die Personalisierung nicht nur auf der Ebene einzelner Organisationen im Bereich der Politik, Wirtschaft, Recht, Religion oder Sport funktionierte, sondern auch auf der Ebene eines ganzen Staates. Wie prominent sich solche personalistischen Erklärungsmuster in der wissenschaftlichen Literatur gehalten haben, erkennt man zum Beispiel in der Analyse der Massenmorde an psychisch Kranken und geistig Behinderten bei Burleigh 2002, S. 150.

[8] Siehe fast zeitgleich auch im englischsprachigen Raum die Bestimmung von „organizational deviance“ durch Reiss 1966.

[9] Im Englischen lauten die Begriffe „positive deviance“ (Spreitzer und Sonenshein 2003), „unethical pro-organizational behavior“ (Umphress und Bingham 2011), „illegal corporate behavior“ (Baucus und Baucus 1997), „pro-social rule breaking“ (Morrison 2006), „functional disobedience“ (Brief et al. 2001), „organizational misbehavior“ (Vardi und Wiener 1996) und „necessary evil“ (Molinsky und Margolis 2005). Es wird in der Forschungsliteratur viel Aufwand betrieben, diese verschiedenen Begriffe voneinander abzugrenzen, allerdings ohne dass dies zu einer klaren Ordnung der Begrifflichkeiten geführt hätte (siehe nur Ilie 2012, S. 3ff.).

[10] Dies wird aus ganz unterschiedlichen organisationstheoretischen Perspektiven beschrieben; siehe nur beispielhaft Selznick 1949; Luhmann 1973; Pfeffer und Salancik 1978; Oliver 1991;  Friedland und Alford 1991; Kraatz und Block 2008; Thornton et al. 2012. Mit Begriffen wie „institutionellen Logiken“ oder „Multireferenzialität“ wird die Heterogenität, ja Widersprüchlichkeit von Umwelterwartungen in der Organisationsforschung immer wieder neu entdeckt (siehe Greenwood et al. 2011). Übersehen wird dabei aber häufig, dass diese Beschreibungen nicht nur für Organisationen, sondern auch für andere Systeme wie Familien, Protestbewegungen oder Kleingruppen gelten.

[11] Mit den Ansprüchen der „Besitzer“, der Mitglieder und der Nutznießer der Organisation sowie der Rahmensetzenden Politik konzentriere ich mich hier nur auf vier besonders relevante, in der Umwelt von Organisationen auffindbare (Teil-)Systeme. Verschärft wird dies noch dadurch, dass die Ansprüche aus diesen Systemen der Umwelt selbst wiederum sehr widersprüchlich sein können.

[12] Wie sich widersprüchliche Umweltanforderungen in Organisationen ausbilden, ist in einer Vielzahl von Studien für unterschiedliche Organisationstypen herausgearbeitet worden. Siehe nur die Studie von Scott 1982 über Gesundheitsorganisationen, von D’Aunno et al. 1991 über Drogenbehandlungszentren, von Marquis und Lounsbury 2007 über Vereinsbanken oder von Rottenburg 2009 über Entwicklungsbanken.

[13] Siehe für eine frühe Formulierung des Gedankens über White-Collar-Kriminalität Aubert 1952.

[14] Siehe Osrecki 2014, S. 409ff, der diesen Gedanken auch für Funktionssysteme entwickelt. Er verweist auf die systemtheoretische Beschreibung des politischen Systems, nach der es nicht nur einen offiziellen, sondern auch einen inoffiziellen Machtkreislauf gibt (siehe z.B. zum doppelten Machtkreislauf Luhmann 2010, S. 130ff.) und auf die systemtheoretische Analyse des Wissenschaftssystems, in dem Reputation nicht nur von wissenschaftlicher Brillanz, sondern auch von massenmedialer Präsenz, politischem Einfluss oder wirtschaftlichem Erfolg in Form eingeworbener Drittmittel abhängt (siehe zum Beispiel Luhmann 1992, S. 245).

[15] Durch diese Möglichkeit der Bestimmung formaler Erwartungen unterscheiden sich Organisationen grundlegend zum Beispiel von Protestbewegungen oder Kleinfamilien. Kinder wissen, dass es bei Nichtbefolgung der von den Eltern aufgestellten Regeln zwar Ärger geben kann, aber in der Regel nicht der Ausschluss aus der Familie wegen Nichtbefolgung der Mitgliedschaftsbedingungen droht. Man muss nur versuchen in einer besonders renitenten Phase eines Kindes mit dessen Abschiebung ins Waisenhaus zu drohen. Die Kinder würden diese Drohung nicht ernst nehmen, weil „Eltern sich so nicht verhalten“.

[16] Ein ähnliches Phänomen wird in der Rechtswissenschaft unter dem Stichwort des „Verbots der Justizverweigerung“ diskutiert. Ein Gericht kann streitende Personen nicht mit dem Verweis abspeisen, dass sich die widersprüchlichen Anforderungen der existierenden Gesetze nicht auflösen lassen und es deswegen den Konflikt nicht richterlich entscheiden könne.

[17] Zum Versuch durch permanente Anpassungen der Formalstruktur den sich schnell verändernden Umweltbedingungen gerecht zu werden, siehe Robertson 2015.

[18] Siehe als Beispiel für kontingenztheoretische Argumente über Regelabweichungen in Organisationen zum Beispiel Staw und Szwajkowski 1975.

[19] Weil Berater glauben, dass Manager Gedanken nur behalten und verstehen können, wenn diese in Form von Abkürzungen kommuniziert werden, werden die widersprüchlichen Anforderungen an Organisationen seit einigen Jahren unter der Kurzformel „VUKA“ – oder im Englischen „VUCA“ – zusammengefasst. Die Herausforderung bestände darin, dass Organisationen zunehmend mit „Volatilität“ („Volatility“), „Unsicherheit“ („Uncertainty“), „Komplexität“ („Complexity“) und „Ambiguität“ („Ambiguity“) umgehen müssen. Auffällig ist dabei, dass Unternehmen eine Kurzformel übernommen haben, die im US-amerikanischen Militär entwickelt worden ist, um die veränderte Lage nach dem Ende des kalten Krieges zu beschreiben. Dabei wird so getan, als hätte sich die vermeintliche politische Stabilität zwischen der Aufspaltung in die Lage der Nato und des Warschauer Paktes sich auch in einer Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Unternehmen widergespiegelt. Um zu sehen, wie sehr die Vorstellung von einer vorher existierenden, stabilen, sicheren, einfachen und eindeutigen Umwelt eine Fiktion ist, muss man sich nur beispielhaft die Anforderungen an Kolonialverwaltungen im späten 19. Jahrhundert, die ersten Automobilunternehmen Anfang des 20. Jahrhunderts oder politische Parteien nach Ende des Ersten oder Zweiten Weltkrieges ansehen. Die Ausrufung einer „VUCA-Welt“ hat vorrangig die Funktion, dass man unter Begriffen wie „Vision“, „Understanding“, „Clarity“ und „Agility“ auch gleich eine „VUCA-Lösung“ ausrufen kann.

[20] Auf der Hinterbühne wird dann von den Soldaten mokiert, dass der implizite Druck zur Abweichung von der Formalstruktur bei Manövern besonders groß ist, wenn die zuständige Ministerin anwesend ist, während diese gleichzeitig als Repräsentantin einer Null-Toleranz-Strategie in Bezug auf Verstöße gegen die Formalstruktur wahrgenommen wird.

[21] An diesem Punkt sind sich unterschiedliche, für die Organisationsforschung relevante Theorien wie die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie, die strategische Organisationsanalyse, die Strukturationstheorie, der Neoinstitutionalismus und die Systemtheorie einig. Siehe zu den Gründen für die notwendige Abweichung von Regeln Kühl 2018; siehe für einen guten Überblick zur Diskussion über Formalität und Informalität Tacke 2015; siehe für die klassische Fallstudien z.B. Selznick 1949; Gouldner 1954; Bensman und Gerver 1963.

[22] Bei der Duldung von Regelabweichungen handelt es sich um den Umgang mit widersprüchlichen Umweltanforderungen auf der informalen Seite der Organisation. Ein paralleler Prozess findet sich auf der Schauseite der Organisation. Widersprüchliche Umwelterwartungen bei gleichzeitigen Konsistenzanforderungen in der Formalstruktur werden hier dadurch gelöst, dass Organisationen versuchen, mit abstrakten Wertformulierungen die verschiedenen Umweltsegmente zu beruhigen; siehe zur Heuchelei als Reaktion auf widersprüchliche Umwelterwartungen Brunsson 1989.

[23] Man erkennt dieses Zusammenspiel zwischen Durchsetzung und Verletzung formaler Normen bei der Ausschreibung von Aufträgen in Organisationen. Durch Einkaufsabteilungen überwachte Ausschreibungen haben die Funktion, durch das Unterbinden von Gemauschel eine möglichst gute Leistung zu einem günstigen Preis einzukaufen. Gleichzeitig führt das Ausschreibungswesen zu einem hohen Maß an Inflexibilität, weil die Verfahren aufwendig und unberechenbar sind. Deswegen ist es eine bewährte Praxis, die Ausschreibungsverfahren zu unterlaufen, indem beispielsweise Ausschreibungen so formuliert werden, dass nur ein vorher identifizierter Auftragnehmer in Frage kommt, Aufträge in kleine Tranchen gestückelt werden, die nicht ausgeschrieben werden müssen, oder Aufträge informal direkt vergeben werden und überhöhte Konkurrenzangebote eingeholt werden, um die Auftragsvergabe formal zu rechtfertigen. Trotz dieser vielfachen Abweichungen macht es, so kann man argumentieren, Sinn, die formalen Ausschreibungsregeln beizubehalten, weil dies Willkür bei der Vergabe von Aufträgen verhindert.

[24] Diese Herangehensweise wird auch durch zweckrationale Ansätze der Organisationsforschung gestützt. Im Konzept der wissenschaftlichen Betriebsführung dominiert die Vorstellung, dass alle in einer Organisation ablaufenden Prozesse formalisiert werden müssen. In dieser Zelebration des Formalen waren Informalität oder gar Illegalität Pathologien, die auf ein Versagen des Managements hindeuteten (vgl. Taylor 1967; siehe auch  Fayol 1916).

[25] Hier liegt eine Parallele zur Gesetzgebung vor. Auch die durch Gesetzgebungstätigkeit produzierte, hohe Komplexität kann nur mit Hilfe der Akzeptanz von Abweichungen in den Griff bekommen werden.

[26] Siehe zu Amokläufen als etablierter, jedoch gesetzlich verbotener Form der Identitätsbehauptung an US-amerikanischen Universitäten Braun 2015. Für eine interessante dramaturgische Aufbereitung des Phänomens siehe Jacobs-Jenkins 2015.

[27] Bei Niklas Luhmann selbst werden diese interessanten Graubereiche leider nicht näher ausgeleuchtet. Ihn interessieren unter dem Stichwort brauchbarer Illegalität die adaptiven Strategien, mit „denen sich ein Organisationsmitglied helfen kann, wenn es Strecken problematischer Legalität durchwandern“ muss. Ob die brauchbare Illegalität „möglicherweise durch gute Juristen zu retten wäre“, ist für ihn an dieser Stelle uninteressant; siehe Luhmann 1964, S. 304. Dabei sind aus einer organisationswissenschaftlichen Perspektive gerade die Vorgehensweisen interessant, mit denen Handlungen im Graubereich entweder in Richtung Regelkonformität oder Regelbruch verschoben werden.

[28] Robin M. Williams 1970, S. 430 rekurriert mit Bezug auf Howard S. Beckers (1963) „Outsiders“ auf institutionalisierte Normen allgemein. Meines Erachtens gilt das Argument auch für formalisierte oder positivierte Normen.

[29] Siehe als Fallstudie über den Celler-Kefauver Act in den 1960er Jahren Palmer 2012, S. 247f.

[30] Die innovativen Arbeiten der Forscher um Lauren B. Edelman beschäftigen sich vorrangig mit der Frage, wie die Praxis von Organisationen die Rechtsauslegung zum Beispiel im Arbeits- und Umweltrecht beeinflusst. Siehe auch Edelman 1990; Edelman et al. 1991; Edelman und Stryker 2005; Edelman und Suchman 1999; Edelman und Talesh 2011. Sie lassen sich aber mit leichten Modifikationen auf die Ausbildung formaler Regeln der Organisation durch die Interpretation in der alltäglichen Praxis übertragen.

Veröffentlicht von Stefan Kühl

Hat vor zwanzig Jahren als Student die Systemtheorie in Bielefeld (kennen-)gelernt und unterrichtet dort jetzt Soziologie. Anspruch – die Erklärungskraft der Soziologie jenseits des wissenschaftlichen Elfenbeinturms deutlich zu machen. Webseite - Uni Bielefeld

1 Kommentar

  1. Anonymous sagt:

    Eigentlich bin ich kein Freund von Kommentaren, aber in diesem Fall folge ich mal meinem Impuls:-)
    Im Rahmen meiner Dissertation bin ich in den vergangenen (gefühlten unzähligen Monaten) über ebenso viele unzählige Schriften gestolpert und darf mit Sicherheit sagen, keine der Sichtungen hat meine Erfahrung in einer derartig eleganten, wissenschaftlich wertigen und dennoch teils witzig anmutenden Weise wiedergegeben, wie diese. Meiner Meinung nach ist diese Lektüre für jeden Wissenschaftler ein Muss, der sich fernab von ausgetretenen Pfaden, dem Erkenntnisgewinn verschreibt. Ich danke den Autoren für ihre Ausführungen und werde sie auf jeden fall in meiner Monographie aufnehmen!!! Herzliche Grüße Simone

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