Systeme lassen sich gerne von systemtheoretischen Soziologen über ihre Umwelt informieren, nehmen aber eher widerwillig soziologische Beschreibungen ihrer eigenen Systeme zur Kenntnis. Religiöse Organisationen lassen sich bereitwillig von der Soziologie über die Folgen einer neuen Familiengesetzgebung aufklären, empfinden die soziologische These, Religion sei „Opium fürs Volk“ jedoch nicht als informative Fremdbeschreibung, sondern als unverschämte Provokation. Organisationen, die sich dem Konzept des New Work verschreiben, lassen sich derweil gerne von Soziologen über veränderte Wertvorstellungen junger Erwachsener und deren Auswirkungen auf die Berufswahl informieren, hören sich aber nur widerwillig soziologische Beschreibungen über die klassischen Strukturprobleme enthierarchisierter und entformalisierter Organisationen an.
Es gibt keinen Grund dafür, dass sich dieser Mechanismus nicht auch in der Beziehung der systemtheoretischen Soziologie zu verschiedenen Formaten von Beratung wiederfinden ließe. Im Feld der systemischen Beratung kann man feststellen, dass es deutlich leichter fällt, sich durch die Systemtheorie für die Entwicklung von Handwerkszeug zur Arbeit an Organisationen inspirieren zu lassen, als systemtheoretische Beschreibungen der eigenen Arbeit zu ertragen (siehe zur Differenz von soziologischer Systemtheorie und systemischer Beratung Groth 1999 oder Scherf 2002). Man kann beobachten, dass Coaches sehr gut damit arbeiten können, wenn ihnen soziologische Systemtheoretiker darstellen, wie in Organisationen verschiedene Strukturtypen wie Kommunikationswege, Programme und Personal zusammenwirken, soziologische Fremdbeschreibungen ihrer Funktionen in Organisationen aber nur schwer erdulden (siehe die Debatte um die Thesen in Kühl 2006).
Im Angesicht von soziologischen Fremdbeschreibungen setzen in den beschriebenen Systemen fast zwangsläufig Immunisierungstendenzen ein (Luhmann 1989, S. 219). Egal ob Soziologinnen und Soziologen postbürokratische Organisationsformen, Missbrauch in der Kirche, Vernichtungslager in der NS-Zeit oder Beraterszenen beschreiben, in der Regel folgen Ignorierungs- oder Abstoßreaktionen. Meistens äußern Organisationen zu Beginn soziologischer Forschungen noch Interesse an den Ergebnissen, können die angefertigten Fremdbeschreibungen dann aber kaum verwerten, weil diese von den Selbstbeschreibungen der Systeme viel zu weit entfernt sind. Sie werden in den meisten Fällen schlichtweg ignoriert. Wenn die soziologischen Beschreibungen – aus welchen Gründen auch immer – nicht überhört werden können, schützt sich das System mit klassischen Immunisierungsformeln wie „Sie haben das selbst ja noch nicht am eigenen Leib erlebt“, „Sie sind ja damals nicht dabei gewesen“ oder „das verstehen Sie erst, wenn Gott einmal direkt zu Ihnen gesprochen hat“.
Systemtheoretiker wären die letzten, die für diese Immunisierungstendenzen von Systemen kein Verständnis hätten (Luhmann 1989, S. 219).[1] Wenn man die Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Disziplin der Soziologie im Umgang mit soziologischen Fremdbeschreibungen betrachtet und sich die teilweise heftigen Immunisierungstendenzen gegen diese Fremdbeschreibungen anschaut, sieht man, dass die Soziologie selbst bei diesen Schwierigkeiten im Umgang mit Fremdbeschreibungen keine Ausnahme ist. Soziologische Beschreibungen müssen wegen der Distanz zum beschriebenen Gegenstand fast zwangsläufig als Provokation empfunden werden. Derartige Fremdbeschreibungen weichen so stark von den Selbstbeschreibungen der Systeme ab, dass diese – wenn sie denn vom System zur Kenntnis genommen werden müssen – fast zwangsläufig als Fehldarstellungen oder Fehlwahrnehmungen interpretiert werden. Diese Immunisierungen sind aus soziologischer Perspektive mehr als nachvollziehbar, dienen Soziologen aber wiederum als Information über das beschriebene System.
Ausgangspunkt dieses Artikels über die grundlegenden Unterschiede von Gruppen und Organisationen ist eine solche typische Immunisierungsreaktion. Zum Hintergrund: Wir führen an der Universität Bielefeld seit einigen Jahren soziologische Studien zur Funktionsweise von Gruppen durch. Diese Forschungen behandeln nicht nur offensichtlich autonome Gruppen wie Wohngemeinschaften, Musikgruppen oder Hooligans, sondern beispielsweise auch Gruppenbildungsprozesse in Organisationen oder Protestbewegungen.[2] Unsere gruppensoziologischen Forschungen stoßen auch bei Praktikern auf Interesse, weil im Rahmen der Diskussion über neue Organisationsformen auch diskutiert wird, ob sich durch Prozesse der Enthierarchisierung oder Entformalisierung die Bedeutung von Gruppenbildungsprozessen in Organisationen verändert.
Zur Schärfung ihres Selbstverständnisses lud mich der Vorstand einer Fachgesellschaft von Gruppendynamikern ein, in einem Workshop die systemtheoretische Perspektive auf Themen wie Selbstorganisation, Steuerung, Führung und Entscheidungsfindung in Gruppen und Organisationen zu diskutieren. Nachdem die Veranstaltung beworben wurde und auf großes Interesse gestoßen war, lud mich der Vorstand mit einer empörten Mail wieder aus. Ich hätte mich, so die Begründung des Vorstandes, über Gruppendynamiken in einer Art und Weise geäußert, die mit ihrem „Verständnis von gruppendynamischem Lernen wenig zu tun hat“ und ein hohes Maß an Ignoranz gegenüber ihrer Arbeit gezeigt. Was war Skandalöses passiert, dass sich einzelne Mitglieder im Verband nicht mehr in der Lage sahen, mit mir zu diskutieren?
Ich hatte in einem Heft von Brandeins – einer in Deutschland nicht ganz unwichtigen Wirtschaftszeitschrift – ein Interview über Emotionen in Organisationen gegeben und dabei auch eine kurze systemtheoretische Einordnung gruppendynamischer Trainings vorgestellt.[3] Gruppendynamische oder gruppentherapeutische Settings hätten, so mein Argument, in der Ausbildung von Beratern, Pädagogen oder Therapeuten eine wichtige Funktion, weil sie den Gruppenmitgliedern ermöglichen, sich in einem aus sich selbst heraus entstandenem oder von außen vorgegebenem Gruppensetting als Personen mit all ihren Rollenbezügen zu erkennen zu geben.[4] Aber – und das war der Aufreger – ich hatte auch darauf hingewiesen, dass es wegen unterschiedlicher Systemlogiken von Gruppen und Organisationen problematisch ist, wenn gruppendynamische Trainings mit Mitgliedern einer einzigen Organisation durchgeführt werden, weil das Verhalten der Personen in diesen gruppendynamischen Trainings fast zwangsläufig Folgen für deren Wahrnehmung in der Organisation hat.
Hintergrund dieser Aussage war eine Praxis, die man in den 1970er und teilweise noch in den 1980er und 1990er Jahren beobachten konnte. Gruppendynamische Trainings wurden nicht nur mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Organisationen durchgeführt, sondern in Trainings wurden ebenso ausschließlich Mitglieder einer einzigen Organisation zusammengezogen. Bei gruppendynamischen Trainings werde, so mein Argument, eine Erwartungshaltung aufgebaut, sich rückhaltlos emotional zu öffnen. Ein implizites, manchmal auch explizites Erfolgskriterium solcher Trainings sei die persönliche Öffnung der Teilnehmer. Dass kann bis zum Zusammenbruch, dem Kollaps des „Schutzpanzers“ gehen, der die Entdeckung bisher verdeckter Aspekte der eigenen Person ermöglicht.[5] Dies könne in vielen therapeutischen Situationen notwendig und hilfreich sein, schließlich liegt der beachtliche Erfolg gruppentherapeutischer Settings darin, dass eine Dynamik entsteht, in der es zu weitgehenden Öffnungen von Personen kommt. Aber im Kontext der eigenen Organisation stelle eine solche, durch gruppendynamische Trainings bewirkte weitgehende persönliche Öffnung, eine Grenzverletzung dar. Wenn Großunternehmen ihre Mitarbeiter einem solchen gruppendynamischen Training aussetzen, sei das eine Vermischung beruflicher und privater Ebenen, die aus einer soziologischen Perspektive als illegitim empfundene Verletzung der Systemgrenze zwischen Gruppe und Organisation bezeichnet werden könne.
Der Grund für die Verbreitung gruppendynamischer Settings über Gruppen mit Personen aus unterschiedlichen Organisationen hinaus sei, so meine Einschätzung, dass sich gruppendynamische Programme in Unternehmen verselbstständigt haben, weil Personaler in ihrer eigenen Ausbildung diese Trainings als so bereichernd empfunden haben, dass sie den Rest der Organisation damit beglücken wollen. Hintergrund dieser Diagnose war eine spätestens seit den 1970er Jahren empirisch gut nachgewiesene Sogwirkung, die von gruppendynamischen Trainings ausgeht. Durch gruppendynamische Trainings könnten, so die schon damals als provokant empfundene Beschreibung von Morris B. Parloff (1973, S. 238), „Gruppensüchtige“ produziert werden, die von „Gruppe zu Gruppe“ ziehen, um die einmal erlebte „Spitzenerfahrung“ und den „bedeutungsvollen Austausch“ mit anderen wiederzugewinnen. Aus der häufig in gruppendynamischen Trainings zu beobachtenden „Gruppeneuphorie“ sei, so meine Diagnose, dann eine Ausweitung der gruppendynamischen Settings in Organisationen hinein entstanden, in der die Differenz der Systemtypen Gruppe und Organisationen nicht mehr systematisch reflektiert wird (eine ähnliche Kritik findet sich bei Simon 2013b, S. 72).
Sicherlich, so mein Zugeständnis im Interview, man könne argumentieren, dass niemand in einer Organisation gezwungen wird, an solchen gruppendynamischen Trainings mit den eigenen Kolleginnen und Kollegen teilzunehmen. Aber diese Suggestion von Freiwilligkeit sei, so meine Einschränkung, nur sehr begrenzt gültig, weil solche Trainings in nicht wenigen Organisationen bei der Auswahl neuer Führungskräfte eingesetzt werden, und man sich der Teilnahme schlecht entziehen könne, wenn man Karriere machen wolle. Weitergehend könne der Druck der Absolvierung eines gruppendynamischen Trainings in Organisationen so stark aufgebaut werden, dass die Teilnahme zu einer impliziten Mitgliedschaftsbedingung zu werden droht.
Das war – in aller Kürze – die von mir vertretene Position, die bei den Vorstandsmitgliedern so „heftige Reaktionen“ und so „starkes Kopfschütteln“ auslöste, das sie sich nicht mehr in der Lage sahen, mit mir in einem Workshop das Verhältnis von Gruppe und Organisation zu klären, ohne in eine für sie „unproduktive Verteidigungshaltung“ zu geraten.[6] Selbstverständlich könnte man diese körperlichen Reaktionen zum Anlass nehmen, eine Debatte aus Rücksicht auf die „getriggerten“ Kolleginnen und Kollegen auszusetzen, und sich der in der Beraterszene verbreiteten Norm unterwerfen, inhaltliche Kontroversen nicht öffentlich auszutragen.[7] Aber damit würde man die Chance für einer notwendigen Klärung des professionellen Selbstverständnisses verstreichen lassen.
Eine unproduktive Form der Auseinandersetzung bestände dabei darin, die inhaltliche Kontroverse zu personalisieren. Man könnte sich einer Debatte schnell entledigen, indem man sich nicht mit den unterschiedlichen Positionen auseinandersetzt, sondern über persönliche Motive anderer spekuliert. Stichwort – „mangelndes professionelles Selbstbewusstsein“ auf der einen Seite versus „verletzte Eitelkeit eines Ausgeladenen“ auf der anderen Seite. Psychologisch mögen solche Interpretationen stimmen oder auch nicht. Wer kann schon in den Kopf von anderen oder gar in seinen eigenen schauen?[8] Aber mit einer solchen küchenpsychologischen Engführung würde man die Chancen für eine inhaltliche Kontroverse verschenken. Wenn man Personalisierungen vermeidet, bietet eine solche Kontroverse erhebliche Chancen, das Verhältnis von Systemtheorie und Gruppendynamik, von Organisation und Gruppe und weitergehend von Rolle und Person zu klären.
In diesem Artikel bearbeite ich nacheinander folgende Fragen, die klären können, weswegen eine Verständigung zwischen systemtheoretischen Soziologen und praktisch arbeitenden Gruppendynamikern so anspruchsvoll ist. Im ersten Abschnitt diskutiere ich, wie Systemtheoretiker – wenn sie denn Gruppen als eigenständigen Systemtypus begreifen – den Unterschied zwischen Gruppe und Organisation konzipieren. Im zweiten Abschnitt zeige ich, welche Bedeutung die Unterscheidung von Person und Rolle einerseits in Organisationen und andererseits in Gruppen spielt. In Abschnitt drei folgt eine Analyse, weswegen es systemtheoretisch Sinn macht, Teams analytisch als Teil der formalen Struktur der Organisation konsequent von Gruppen als (bestenfalls) Teil der informalen Struktur zu unterscheiden. Im vierten, abschließenden Abschnitt wird dargestellt, wie sich vor dem Hintergrund dieser systemtheoretischen Einschätzung die Immunreaktionen von (zumindest einigen) Gruppendynamikern verstehen lassen und was man daraus für das Verhältnis der soziologischen Systemtheorie zur ihr beschriebenen Beraterpraxis lernen kann.[9]
1. Zum Unterschied von Gruppe und Organisation
Systeme – beziehungsweise diejenigen, die sich für diese zuständig erklären – tendieren dazu, ihre Bedeutung zu überschätzen. Die Politikwissenschaft begreift in letzter Konsequenz die ganze Gesellschaft als eine Kombination mikro- und makropolitischer Auseinandersetzungen (siehe dazu Kieserling 2003). In den Wirtschaftswissenschaften gibt es die Tendenz, das Verhalten von Menschen in allen Situationen – vom Einkauf im Supermarkt über die Gabe von Trinkgeld bis hin zur Partnerwahl – als Ergebnis nutzenoptimierender Überlegungen zu verstehen (siehe dazu Becker 1973). Organisationsberater – und leider auch so manche Organisationswissenschaftler – tendieren dazu, die Gesellschaft als Organisationsgesellschaft zu verstehen (siehe dazu Kühl 2015a). Und auch im Bereich der Gruppendynamik herrscht die Hoffnung, dass „die Gruppe“ die „etablierten Autoritäten“ in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht und Medizin die Macht entreißen und durch eine „gerechtere, legitimere Form der Machtausübung“ ersetzen könne (siehe dazu Edding 2005, S. 5). Und selbst manche Soziologen sind von dieser Tendenz nicht frei, wenn sie fest davon überzeugt sind, dass die Soziologie als „Königswissenschaft“ zu einer Verbesserung der Gesellschaft beitragen könne.[10]
Derartige Welterklärungs- oder gar Weltbeglückungsformeln von Systemen sind nachvollziehbar, weil Systeme – beziehungsweise deren „Sprecher“ – prinzipiell dazu tendieren, sowohl ihren Einfluss als auch ihre Reichweite größer einzuschätzen, als Beobachter dieser Systeme. Zu dieser Überschätzung von Einfluss und Reichweite gehört, dass man mit sehr weiten Definitionen des „eigenen“ Systems arbeitet. Diese weiten Definitionen verbauen für Soziologen aber letztlich die Möglichkeit, das Verhältnis zwischen verschiedenen Systemen sauber zu bestimmen.
Organisationen – die Konditionierung von Mitgliedschaft
Das Wort „Organisation“ führt man schnell im Munde. Alltagssprachlich verwenden wir die Worte „organisieren“ oder „Organisation“ dabei häufig, um eine auf einen Zweck ausgerichtete, planmäßige Regelung von Vorgängen zu beschreiben (vgl. Mayntz 1963, S. 147). Von „organisieren“ oder „Organisation“ wird gesprochen, wenn verschiedene, erst einmal voneinander unabhängige Handlungen in eine sinnvolle Abfolge gebracht werden und so „vernünftige Ergebnisse“ erzielt werden (vgl. Weick 1985, S. 11). In diesem breiten Verständnis von Organisation wird fast immer und überall organisiert: Gesellschaften organisieren ihr Zusammenleben, Familien ihr Zusammenleben, Gruppen ihre Skatabende. Unternehmen organisieren ihre Profite und Protestbewegungen ihre Demonstrationen.
Aber mit diesem weiten Begriff von „organisieren“ und „Organisation“ werden häufig nur Phänomene erfasst, die auch mit anderen Begriffen wie „Struktur“, „Regelhaftigkeit“ oder „Ordnung“ eingefangen werden können. Wenn Systemtheoretiker über Organisationen reden, dann denken sie jedoch an einen sehr spezifischen Typus von sozialem Gebilde. Es sind Systeme, die die Mitgliedschaft an die Befolgung von der Organisation formulierter Erwartungen knüpft und dadurch ein hohes Maß an konformem Verhalten erzeugen.
Die Organisation kann – anders als zum Beispiel Familien oder Protestbewegungen – darüber entscheiden, wer dazugehören soll und wer nicht. Und folgenreicher – sie kann darüber bestimmen, wer ihr nicht mehr angehören soll, weil er oder sie den Regeln der Organisation nicht mehr folgt. Die Organisation schafft Grenzen, in denen sich die Mitglieder (und eben nur diese) den Regeln der Organisation zu unterwerfen haben und es besteht stets die Möglichkeit, dass Mitglieder die Organisation zu verlassen haben, wenn sie die Regeln nicht befolgen (vgl. Luhmann 1964, 44f.).
Gruppen – Gefühl von Zugehörigkeit, diffuses Rollenverständnis und Ausbildung von Normen durch alltägliches Handeln
Ähnlich wie das Wort Organisation wird auch das Wort Gruppe alltagssprachlich sehr umfassend verwendet. Mal werden dabei Gruppen als Synonym für jede Form von sozialem System verstanden, in dem Menschen „verknotet“ sind, mal als Kategorie, um eine Menge von Personen mit ähnlichen Merkmalen zu bezeichnen (z. B. die Gruppe der Chinesen in den USA oder die Gruppe der Zigarettenraucher). Mal wird Gruppe nur im Sinne von Kleingruppe verstanden, meint also Personen, die in einem regelmäßigen, direkten, personenbezogenen Kontakt zueinander stehen, manchmal wird der Begriff für jede Face-to-Face-Interaktion verwendet, in denen Menschen „miteinander in gegenseitigen Beziehungen stehen“ (Fichter 1968, S. 69). Auch werden komplette Organisationen unter dem Begriff der Gruppe gefasst und an anderer Stelle nur Abteilungen oder Cliquen innerhalb von Organisationen (immer noch der beste Überblick und die beste Kritik dieses Begriffswirrwarrs findet sich bei König 1983).
Wenn Soziologen von Gruppen reden, sind damit Kleingruppen gemeint, in deren Kommunikation eine personale Orientierung zwischen den Mitgliedern herrscht (vgl. Luhmann 2008b, Zettel 21/3d27fc).[11] In modernen Gesellschaften existieren eine Vielzahl unterschiedlicher gruppenartiger Zusammenschlüsse in Form von beispielsweise Freundschaftskreisen, Cliquen pubertierender Jugendlicher, Straßengangs in Vororten, „autonomen“ linken politischen Gruppen mit sehr weitgehenden Ansprüchen an ihre Mitglieder, kleinen terroristischen Zusammenschlüssen wie der „Baader-Meinhof-Truppe“ oder religiösen Gruppierungen, die sich jenseits der Initiative von Kirchenorganen entwickelt haben.[12] Das gemeinsame Merkmal all dieser Gruppen ist, dass sie zwar auf Zwecke ausgerichtet sein können, sich aber auch weitgehende Zugriffe auf die Personen der Gruppenmitglieder ausgebildet haben. Man kann – anders als in Organisationen – „persönliche Themen“ nicht zurückweisen.
Wegen der personalen Orientierung in der Kommunikation von Gruppen können diese ein starkes Gefühl von Zusammengehörigkeit entwickeln. Die Gruppe beobachtet sich selbst unter dem Gesichtspunkt der Ansprechbarkeit persönlicher Themen. Neuzugänge werden unter dem Aspekt beobachtet, dass durch ihre Aufnahme die Zusammengehörigkeit, also die persönliche Bezugnahme der Gruppenmitglieder, nicht gestört wird. Die persönliche Orientierung setzt voraus, dass Gruppen – anders als beispielsweise Organisationen – aus einem bestimmten, unverwechselbaren Kreis von Personen bestehen. Zwar zerfällt eine Gruppe nicht automatisch, wenn einzelne Personen aus der Gruppe ausscheiden oder neue Personen zu dieser Gruppe hinzustoßen. Aber sowohl die Kompensationsfähigkeit von Personenverlusten als auch die Aufnahmefähigkeit von neuen Personen sind in Gruppen begrenzt.
Ebenso wie in Familien, Protestbewegungen oder Organisationen bilden sich auch in Gruppen Normen für „richtiges Verhalten“ aus. Das Besondere dieser Normenbildung ist jedoch gerade im Vergleich zu Organisationen, dass sie nur in Ausnahmefällen explizit erfolgt. In Gruppen stehen in der Regel keine systematischen Verfahren zur Verfügung, um Normen zu ändern oder zu erweitern. Ihre Veränderungen finden deswegen eher unauffällig statt und sind manchmal Resultate gruppendynamischer Zufälle (vgl. Tyrell 1983, S. 80). Sollten sich in einer Gruppe jedoch explizite Normen ausbilden, an die die Mitgliedschaft gebunden wird, dann transformiert sich diese langsam in eine Organisation.
2. Zum Unterschied von Rolle und Person
Erst durch die Ausbildung von Erwartungen wird es möglich, sich angesichts der Komplexität der Umwelt überhaupt einigermaßen sicher zu orientieren. Erst Erwartungen ermöglichen, zu wissen, welches Verhalten dem Gegenüber angebracht ist und welche Handlungen von einem selbst erwartet werden können. Neben Werten wie Frieden, Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit, die einer eher abstrakten Erwartungsbildung dienen, und Programmen, die personenunabhängig Kriterien für richtiges oder falsches Verhalten ausbilden, stellen Rollen und Personen zentrale Formen bei der Sicherung von Erwartungen dar (die beste Darstellung ist immer noch Luhmann 1972, S. 84ff.; siehe aber auch Luhmann 1984, S. 429ff.). Weil Rollen und Personen als Formen der Erwartungsbildung eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben, lohnt es sich diese etwas genauer anzusehen.
Die unmittelbar einleuchtende Form, über die Verhaltenserwartungen stabilisiert werden, ist die der Person. Wir wissen intuitiv, dass das, was wir mit einer Person erlebt haben, sich nicht ohne weiteres auf Erfahrungen mit anderen Personen übertragen lässt. Um Erwartungssicherheit in Bezug auf Personen entwickeln zu können, müssen wir sie in einer Reihe von Situationen erlebt haben, in der sie sich mit ihren Besonderheiten darstellen konnten. Die Erwartungsstabilisierung über Personenkenntnis spielt natürlich besonders bei Liebespaaren, Familien und Gruppen eine wichtige Rolle (vgl. Nedelmann 1983, S. 174ff.), aber sie wirkt auch bei Organisationen. Man erkennt schnell, dass sich Personen in gleicher Position ganz unterschiedlich verhalten, und die Kenntnis dieser Personen ermöglicht, genauer zu wissen, was man von ihnen erwarten kann (vgl. Luhmann 1972, S. 85).
Die zweite Form der Stabilisierung von Verhaltenserwartungen ist die Rolle. Unter einer Rolle versteht man ein „Bündel von Erwartungen“, die sich an das „Verhalten der Träger von Positionen knüpfen“ (Dahrendorf 1965, S. 26). Es geht also um Erwartungen, die „ein Mensch ausführen kann“, die „aber nicht auf bestimmte Menschen festgelegt sind“, sondern durch „verschiedene, möglicherweise wechselnde Rollenträger“ wahrgenommen werden (Luhmann 1972, S. 86f.). Hier wird von Erwartungen gegenüber Einzelpersonen abstrahiert. Man erwartet von einem Polizisten, dass er – jedenfalls in einer Demokratie – zur Hilfe eilt, wenn man von einem Kriminellen bedroht wird. Welcher Polizist das ist, ist für die Erwartungsbildung irrelevant. Erwartungen sind in diesem Fall nicht an idiosynkratische Personen, sondern an generalisierte Rollen geknüpft, die aus einem stets gleichbleibenden Bündel von Erwartungen bestehen.
Welche unterschiedlichen Rollen und Personen als zentrale Formen der Erwartungsstabilisierung finden sich nun in Organisationen respektive Gruppen?
Rollen und Personen als Erwartungszusammenhänge in Organisationen
In der Organisationsforschung wurden Verwaltungen, Unternehmen, Krankenhäuser und Universitäten lange Zeit als weitgehend entpersonalisierte Systeme wahrgenommen. Diese in verschiedenen theoretischen Strängen der Organisationsforschung vertretene Auffassung geht auf Max Weber zurück, der in seinem Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ behauptet, dass „sachliche Unpersönlichkeit“ das Gebaren von Organisationen kennzeichne (Weber 1976, S. 578). Diese Ausrichtung auf Unpersönlichkeit mache es möglich, dass sich ein Unternehmen, eine Verwaltung, ein Krankenhaus oder eine Universität wie eine „Maschine“ verhalte, die durch „Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen sowie sachlichen und persönlichen Kosten“ gekennzeichnet sei (Weber 1976, S. 561f.).
Dieses hier in aller Kürze präsentierte Verständnis von Organisationen ist (nur) auf den ersten Blick berechtigt. Ein zentrales Merkmal von Organisationen ist – und hier trifft das Weberianische Organisationsverständnis einen wichtigen Punkt –, dass diese nicht die komplette Person inkludieren, sondern lediglich einen Teil ihres Leistungsrepertoires abfragen. Damit unterscheiden sich Organisationen in der modernen Gesellschaft in einem zentralen Punkt von ansonsten auffällig ähnlichen Gebilden wie Gilden oder Klöstern. In diesen Gebilden, die in der Schichtungsgesellschaft dominierten, hatte und hat man es mit einer sehr weitgehenden, wenn nicht sogar vollständigen Inklusion der Leistungsträger als Personen zu tun, nahmen diese doch für sich in Anspruch, Lebensgemeinschaften zu sein und dementsprechend auch sämtliche Rollen ihrer Mitglieder zu bestimmen.
Organisationen sind im Gegensatz zu ihren im Mittelalter und teilweise noch in der frühen Neuzeit dominierenden Vorläufern durch eine doppelte Ignoranz gekennzeichnet. Auf der einen Seite kann eine Organisation außerorganisatorische Anforderungen ihrer Mitglieder zurückweisen. Die Frage nach einer Gehaltserhöhung, weil man ein neues Haus gebaut hat, erscheint genauso illegitim wie die Bitte, doch nicht entlassen zu werden, weil man eine Großfamilie zu versorgen hat. Das Innehaben eines Amtes in einer Organisation kann nicht mehr wie im Mittelalter als „Besitz einer gegen Erfüllung bestimmter Leistungen ausbeutbaren Renten- oder Sportelquelle“ verstanden werden. Heute gilt in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern oder Universitäten bei der Übernahme eines Amtes (neudeutsch würde man „Job“ sagen) eine „spezifische Amtstreuepflicht gegen Gewährung einer gesicherten Existenz“ (Weber 1976, S. 553).
Auf der anderen Seite kann aber auch das Organisationsmitglied erwarten, dass seine anderen Rollen die Organisation nur insofern interessieren, als sie Auswirkungen auf die Organisationsmitgliedschaft haben. Der Mitarbeiter eines Unternehmens oder eines Krankenhauses kann erwarten, dass die Mitgliedschaft in der FPÖ, die Vorliebe für Urlaub auf Ibiza, die Herkunft aus einem alten Adelsgeschlecht oder (bzw. und) die Leidenschaft für SM-Sex von der Organisation ignoriert wird. Diese Entwicklung ist auch für Organisationen funktional, weil sie sich bei der Auswahl von Mitgliedern auf selbst definierte, „relevante Kriterien“ beschränken können. Bei der Auswahl von Mitgliedern stehen anders als in stratifizierten Gesellschaften universelle, an Leistung orientierte, also nicht qua Geburt zugeschriebene, Kriterien im Mittelpunkt.
Die Konzentration auf die Organisationsrolle führt letztlich, so die überspitzte Formulierung, zu einer „Entpsychiatrisierung“ der Organisation. Die Ehestreitigkeiten eines Mitarbeiters, die Schwierigkeiten eines türkischstämmigen Managers, die Erwartungen seiner Familie mit denen der Organisation zu vereinbaren, oder die privaten Vorlieben eines Auszubildenden für die Gothic-Szene müssen von der Organisation nicht als Problem begriffen werden. Es müssen für derartige Vorlieben oder Probleme keine Stellen in der Organisation vorgehalten werden, die sich damit auseinandersetzen.
Rollen und Personen als Erwartungszusammenhänge in Gruppen
Im Gegensatz zu Organisationen kann man sich in Gruppen als Person nicht hinter eine Rolle zurückziehen. Ein Gruppenmitglied kann die Anfrage nach einer neuen Liebesbeziehung nicht einfach mit der Aussage „Das geht euch gar nichts an“ abweisen. Es hat auch für seine beruflichen Entscheidungen eine Auskunftspflicht, selbst wenn diese nicht unmittelbar für das Gruppengeschehen relevant sind. Während in Organisationen derjenige begründungspflichtig ist, der Auskünfte über das Verhalten, über andere Rollen als die Organisationsrolle hinaus haben will, ist bei Gruppen derjenige begründungspflichtig, der keine Auskunft über andere Rollen als die in der Gruppe eingenommene geben will. Das hat zur Konsequenz, dass die Darstellung von Gefühlen in Gruppen häufig verlangt und erwartet wird, während diese in Organisationen sorgsam gemanagt werden muss (Bathon 2017).
Die Gruppe scheint neben Zweier-Beziehungen, Familien und Freundschaften der Bereich zu sein, in dem Persönliches zur Sprache gebracht wird und weitergehend zur Sprache gebracht werden muss. In Organisationen muss man sich entsprechend seiner Mitgliedschaftsrolle verhalten. Beim Einkaufen im Supermarkt muss man sich an die Rolle des Käufers halten, beim Arztbesuch an die des Patienten. Durch die Zunahme von immer mehr sozialen Beziehungen, in denen die Person nur in Hinblick auf eine bestimmte Rolle interessiert, gewinnen Beziehungen, in denen die Person „als Person“ mit all ihren Rollenbezügen interessiert, an Bedeutung.
Gruppen, die sich zum Coaching, zur Supervision oder zum gruppendynamischen Training treffen, unterscheiden sich offensichtlich von Freundschaftskreisen, Schulhofcliquen pubertierender Jugendlicher oder Straßengangs. Coaches, Supervisoren und Gruppendynamiker kommen aufgrund eines allen Teilnehmern ersichtlichen Zieles zusammen. Es gibt keine Notwendigkeit, dass sich Teilnehmer dieser Gruppen jenseits dieses Zieles treffen und wenn das Ziel erreicht ist, muss man neue Motive generieren, um weiterhin zusammenzukommen. Aber in Gruppencoachings, Gruppensupervisionen und besonders auch in gruppendynamischen Trainings finden sich – und deswegen ist der Anschluss an die Soziologie der Gruppe relevant – viele der Elemente wieder, die man auch aus Freundschaftskreisen, Schulhofcliquen oder Straßengangs kennt: Entstehung von Zusammengehörigkeit, Bemerken des Fehlens von Gruppenmitgliedern, Ausbildung eigener Gruppennormen oder Schwierigkeiten der Gruppenmitglieder, auch Fragen nach sehr persönlichen Themen abzuweisen.
Soziologisch ist besonders der Zwang interessant, mit dem Mitglieder dazu gebracht werden, sich Gruppennormen zu unterwerfen. Dabei sind die Zwänge der Gruppe nicht als Gegensatz zur Freiwilligkeit der Teilnahme an der Gruppe zu verstehen, sondern die Zwänge der Gruppe bilden sich erst auf der Basis dieser Freiwilligkeit heraus. Das Besondere der Beratung in Gruppen ist, dass die Person durch eigene Entscheidung teilnimmt. Aber genau diese eigene Entscheidung erschwert es einer Person, die an einer Beratung in der Gruppe teilnimmt, sich zu entziehen. Weil die Teilnahme an der Sitzung nicht erzwungen wurde, sondern freiwillig erfolgt ist, binden sich die Mitglieder an eigene Entscheidungen. Sie „verlieren ihr Gesicht“, wenn sie kurz nach der Erklärung zur Bereitschaft, an einer Gruppensitzung teilzunehmen, aufgrund der „Zwänge der Gruppe“ wieder aussteigen.[13]
Inwiefern kann diese enge Bestimmung von Gruppen und Organisationen nutzen, um die Bedeutung von Gruppen in Organisationen zu erfassen?
3. Wider der Verwechslung von Team und Clique
In Organisationen existiert eine Vielzahl von Gebilden, die auf den ersten Blick mit Gruppen verwechselt werden können. Es gibt Workshops, in denen im kleinen Kreis die Ausrichtung der Organisation diskutiert wird, Abteilungen mit einer übersichtlichen Anzahl von Mitarbeitern, Projektteams zur Lösung von spezifischen Aufgaben oder regelmäßige Treffen einer Handvoll Mitarbeiter in der Kantine. Die Möglichkeit, dass in diesen Kreisen zehn bis zwanzig Personen zusammenkommen, verleitet dazu, hier Gruppen zu vermuten, obwohl diese Zusammenkünfte gar nicht dazu in der Lage sind, die für Gruppen spezifische personenorientierte Kommunikation zu mobilisieren.
Für eine soziologische Analyse ist es relevant, sehr genau zu unterscheiden, was für ein (Sub-)System sich bildet. Handelt es sich um eine wiederholte Face-to-Face-Interaktion mit einem ähnlichen Personenkreis? Handelt es sich um ein durch die Formalstruktur vorgegebenes Subsystem? Handelt es sich um ein informales Subsystem, das sich im Schatten der Formalstruktur ausgebildet hat? Keines dieser (Sub-)Systeme stellt zwangsläufig eine Gruppe im oben dargestellten soziologischen Sinne dar. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aus diesen Subsystemen heraus Gruppen bilden.
Zur Unterscheidung von Teams und Cliquen
Wenn man das allgegenwärtige Phänomen von Face-to-Face-Interaktionen in Organisationen außer Acht lässt, müssen in Organisationen zwei unterschiedliche Formen von Subsystembildung unterschieden werden. Bei der ersten Form handelt es sich um Subsysteme, die durch formale Entscheidungen in der Organisation entstehen und eher zufällig eine ähnliche Größe wie Kleingruppen haben. Bei der zweiten Form handelt es sich um Subsysteme, die eher im Schatten der formalen Struktur der Organisation entstehen und Systemlogiken ausbilden, die nicht unbedingt mit den Systemlogiken der Organisation übereinstimmen.[14]
Die erste Form, die in Anlehnung an den üblichen Sprachgebrauch als Team bezeichnet werden kann, ist ein Teil der formalen Struktur der Organisation. Es handelt sich um kleine Abteilungen, Service-Teams, Steuerungskreise in Unternehmen, Züge in Panzer-Kompanien, teilautonome Fertigungs- oder Montagegruppen oder auch Vorstände, die sich auf die Formalstruktur der Organisation berufen können und in ihrer weiteren Existenz auch von formalen Entscheidungen der Organisation abhängen. Sie sind in den Organigrammen der Organisation vermerkt, sie finden sich in den Akten wieder und man kann in den Protokollen der Organisation auf sie Bezug nehmen.
Die Eingebundenheit dieser Teams in die Organisation hat schwerwiegende Folgen. Teams in Organisationen können über ihre Mitgliedschaft nicht selbst verfügen. Eine kleine Arbeitsgruppe hat nur geringe formale Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, wenn ihr eine neue Mitarbeiterin zugewiesen wird. Ein über längere Zeit eingerichtetes Projektteam kann nicht autonom darüber entscheiden, welche Personen Mitglied dieses Teams sein sollen und welche nicht. Dadurch sind sie nicht in der Lage, eigene formale(!) Normen zu entwickeln und durchzusetzen. Eine teilautonome Montagegruppe in der Automobilindustrie kann keine Regeln aufstellen, die beispielsweise dem Regelwerk der Gesamtorganisation widersprechen, und ihre Teammitglieder dann mit Verweis auf die riskante Mitgliedschaft im Team auf diese Regeln einschwören.[15]
Dieser Umstand führt dazu, dass Teammitglieder in Organisationen immer nur in ihrer Rolle als Organisationsmitglied auftreten müssen. Man kann über Jahre Kollegen in einer Abteilung haben, von denen man nicht weiß, ob sie Affären haben, ob ihre Eltern noch leben oder welchen Basketballverein sie in ihrer Freizeit unterstützen. Darüber hinaus können diese Kollegen mögliche Anfragen ihrer Teammitglieder bezüglich dieser Themen jederzeit zurückweisen und sich dabei im Recht fühlen. Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass sich in Teams auch persönliche Beziehungen ausbilden können (und nur ganz selten persönliche Beziehungen aller Mitglieder eines Teams zueinander). Aber die Organisation ist – wie es teilweise im Ansatz der Human Relations suggeriert wird – auf diese persönlichen Beziehungen nicht angewiesen, damit Mitglieder ihre Leistungen erbringen. Straffe Leitung, hohe Entlohnung und symbolische Abstrafung einzelner Mitglieder können ähnliche Effekte erzielen (vgl. Luhmann 1964, S. 107).
Mit Cliquen existiert in Organisationen eine zweite Form der Gruppierung, die sich allerdings jenseits der Formalstruktur einer Organisation herausbildet. Cliquen entstehen in „natürlicher Fortsetzung und Verdichtung kollegialer Beziehungen“, und zwar immer dort, wo das Verhältnis zur formalen Organisation besonders distanziert und problematisch ist. Bei Cliquen handelt es sich also kurz gesagt um Zusammenschlüsse von Mitarbeitern, die jenseits ihrer formalen Aufhängung in der Organisation zusammenwirken (vgl. Luhmann 1964, S. 324).
Systemtheoretisch lassen sich verschiedene Ausrichtungen von Cliquen unterscheiden, die teilweise in Kombination auftreten. Die Ausrichtung, die zur „Erhaltung der Selbstachtung“ dient und in Reinform bei der Clique der Unzufriedenen zu finden ist, findet sich besonders in Situationen, die von ihren Mitgliedern als bedrohlich empfunden werden. Wenn Organisationsmitglieder jedoch den Eindruck haben, dem Druck innerhalb einer Organisation nicht mehr gewachsen zu sein, dann reicht der „kollegiale Halt“ häufig nicht mehr aus und es bilden sich Gruppierungen von missmutigen oder resignierenden Mitgliedern. Bei einer weiteren, dritten Ausrichtung geht es den Cliquenmitgliedern vorrangig darum, sich in ihren persönlichen Karriereinteressen wechselseitig zu unterstützen. Es handelt sich in der Reinform um Seilschaften wie dem Andenpakt von CDU-Politikern, die dazu dienen, jenseits der formalen Strukturen das Fortkommen der Cliquenmitglieder zu fördern. Bei der weiteren Ausrichtung geht es darum, jenseits der formalen Struktur der Organisation Ziele durchzusetzen, die durch die Organisation noch nicht positiv sanktioniert werden. „Strategischen Cliquen“ geht es dabei vorrangig nicht um die individuelle Karriere ihrer Mitglieder, sondern um das Erreichen von Zielen, die offiziell noch nicht auf der Agenda der Organisation vertreten sind (vgl. ausführlich Luhmann 1964, S. 325).
Cliquen unterscheiden sich von Teams dadurch, dass sie keine genau definierten Grenzen der Mitgliedschaft haben. Es ist häufig gar nicht klar, wer zu einer Clique dazugehört und wer nicht, denn die Übergänge zu ganz normalen kollegialen Beziehungen sind fließend. Die Existenz von Cliquen in Organisationen ist immer prekär. Sie sind anfällig gegen den Wechsel von Personen und zerfallen häufig, wenn auch nur eine oder zwei Personen die Organisation verlassen. Da es – anders als bei Teams – keine durch die Organisation abgesicherte Zuweisung von Personen zu Cliquen gibt, ist die Identität der Clique für die Cliquenmitglieder und erst recht für Außenstehende häufig nur schwer zu fassen (zu all diesen Punkten ausführlich Luhmann 1964, S. 331f. und Luhmann 1965, S. 175f.).
In Cliquen kommt es zwar nicht zwangsläufig dazu, dass ihre Mitglieder sich als Personen mit sehr unterschiedlichen Rollenbezügen einbringen, die Wahrscheinlichkeit dazu ist allerdings nicht gering. Wenn man sich im Widerstand gegen die Organisation befindet, versucht, sich gegenseitig in der Karriere voranzubringen, oder Ziele jenseits der offiziellen Agenda der Organisation durchsetzen will, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Organisationsmitglieder nicht nur in ihren Organisationsrollen begegnen, sondern sich auch über andere Rollen austauschen.
Zu den seltenen Fällen der Gruppenbildung in Organisationen
Die Ausbildung von Gruppen im soziologischen Sinne innerhalb von Organisationen ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht besonders wahrscheinlich. Während es eher unwahrscheinlich ist, dass in Arbeitsorganisationen kapitalistischer Wirtschaftsordnungen die Personen einer Abteilung auch gleichzeitig eine Gruppe darstellen, so gibt es eine gewisse Plausibilität dafür, dass wegen der geringen Personalfluktuation der Arbeiterkollektive staatssozialistischer Organisationen in formal gebildeten Einheiten zu Kleingruppen mit verdichteten Personenbezügen zusammenwachsen (siehe dazu Berliner 1952). Es ist empirisch nicht ausgeschlossen, dass eine durch Entscheidungen der Schulleitung formal gebildete Schulklasse personal identisch ist mit einer Freundesgruppe, viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich innerhalb einer Schulklasse verschiedene Freundesgruppen ausbilden, die sich gerade durch die Abgrenzung voneinander und natürlich von den Lehrern stabilisieren (siehe dazu König 2019).
In Cliquen die sich angelagert an Organisationen in Form von Widerstandsbünden, Karrierenetzwerken oder strategischen Zusammenschlüssen bilden, muss es nicht zwangsläufig zur Ausbildung personenbezogener Kommunikation kommen, aber die Interessenslagen, die quer zu denen der Organisation liegen, können ein persönliches Kennenlernen ermutigen und zur Ausbildung von an persönlicher Kommunikation orientierten Gruppen führen. Auch können aus Gruppen heraus Organisationen entstehen. Man denke an eine Freundesclique, die sich im Rahmen einer Beraterausbildung gebildet hat und sich nach der Ausbildung dazu entschließt, ein gemeinsames Beratungsunternehmen zu gründen, oder an eine Clique von Fußball-Hooligans, die sich ursprünglich regelmäßig zu einer ehrlichen Schlägerei – „Fünfzehn gegen Fünfzehn“ – mit gegnerischen Fans verabredete, sich dann aber zunehmend zu einer Organisation mit Mitgliedsausweisen und monatlichen Beiträgen entwickelte.
Für die wissenschaftliche Analyse dieser Fälle braucht man nicht nur organisations-, sondern auch gruppensoziologische Kenntnisse. Wenn man sich in der Forschung lediglich auf organisationswissenschaftliche Erkenntnisse verlassen würde, bestünde die Gefahr, die personenbezogenen Kommunikationen vorschnell als Pathologie abzutun, ohne die parallel zur Organisation stattfindenden Gruppenbildungsprozesse in den Blick zu bekommen. Genauso wäre es aber ein Fehler, solche Gruppen allein mit gruppensoziologischen Erkenntnissen zu analysieren, weil dadurch der organisatorische Kontext aus dem Blickfeld geriete. In diesem Zusammenhang kann man bei wissenschaftlichen Studien die Stärke der soziologischen Systemtheorie nutzen, verschiedene Systeme in ihrer Unterschiedlichkeit zu begreifen und deren Zusammenwirken zu verstehen (in dem Sinne auch Simon 2013a).
Für die Praxis bedeutet das, dass für Mitglieder, Führungskräfte und Berater Kenntnisse über Gruppen hilfreich sein können, um diese seltenen, aber vorkommenden Gruppenkonstellationen innerhalb von Organisationen zu analysieren. Wenn in Teams die personen- die rollenbezogene Kommunikation überlagert, braucht man Wissen über Gruppen, um mit dieser Konstellation arbeiten zu können. Wenn Beratungsfirmen sich entscheiden nicht mehr nur einzelne mehrtägige Seminare, sondern ganze Ausbildungszyklen mit einem stabilen Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern anzubieten, dann werden die Ausbilder mit typischen Gruppenprozessen umzugehen haben.
Gruppendynamische Trainings sind eine Möglichkeit, sich dieses Wissen über Gruppen anzueignen. Aber gerade wegen der Differenz von Organisation und Gruppe spricht – so viel systemtheoretische Praxisempfehlung sei erlaubt – viel dafür, diese gruppendynamischen Schulungen nicht mit den Teilnehmern einer existierenden Gruppe durchzuführen, sondern gruppendynamische Trainings in Gruppen durchzuführen, die sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Organisationen zusammensetzen.
Wie kommt es jetzt, dass eine solche systemtheoretische Fremdbeschreibung für Praktiker so schwer zu ertragen ist?
4. Zu Möglichkeiten und Grenzen einer systemtheoretischen Perspektive
Im Kontakt an der Systemtheorie interessierter Praktiker mit systemtheoretischen Soziologen gibt es – so jedenfalls meine Beobachtung – eine Sehnsucht zur Herstellung einer gemeinsamen Sichtweise. Es wird nicht nur betont, dass die eigene Praxis durch die soziologische Systemtheorie inspiriert ist, sondern man selbst auch an Universitäten und Fachhochschulen deren Wirkung selbst erforsche. Vor dem Hintergrund dieser Nähe zur Wissenschaft, so die Annahme, müssen doch diese anwendungsnahen Selbstbeschreibungen zu ähnlichen, wenn nicht sogar gleichen Erkenntnissen kommen, wie die soziologischen Fremdbeschreibungen.[16]
Diese Hoffnung auf eine systemtheoretische Adelung eines Praxisansatzes ist verständlich, aber sie ignoriert den grundlegenden Unterschied zwischen wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Praxis. Wissenschaftliche Forschung richtet sich – jedenfalls wenn sie gut gemacht ist – einzig an dem Kriterium der Wahrheit aus und ignoriert Aspekte der politischen Akzeptanz, massenmedialen Anschlussfähigkeit und wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Außerwissenschaftliche Praxis orientiert sich am Kriterium der Nützlichkeit und kann dabei die Frage der Akzeptanz dieser Vorgehensweise in der Wissenschaft souverän ignorieren. Man kann – so die systemtheoretische Grundauffassung – nicht gleichzeitig Standards wissenschaftlicher Rigorosität genügen und praktisch relevant sein (Kieser und Leiner 2009). Wenn man diese grundsätzlich unterschiedlichen Logiken ignoriere, dann könne man das, so die Feststellung von James March und Robert Sutton (1997, S. 703), nur durch ein hohes Maß an Heuchelei erreichen.
Dieser Unterschied wissenschaftlicher Logik und außerwissenschaftlicher Praxis schließt aber nicht aus, dass Praxisfelder Reflexionstheorien ausbilden, die Elemente aus der Wissenschaft aufgreifen und sich auch als Disziplinen an Fachhochschulen und Universitäten verankern. Diese Reflexionstheorien fertigen jedoch anders als wissenschaftliche Disziplinen weitgehend loyale Beschreibungen von Praxisfeldern an. Man denke nur an prominente Reflexionstheorien wie die Rechtswissenschaft, die Betriebswirtschaftslehre, die Theologie, die Politikwissenschaft oder die Kommunikationswissenschaft, die in ihren Untersuchungen fast immer eine positive Bezugnahme auf ihre Gegenstände zeigen.[17] Reflexionstheorien können auf die Frage nach dem Sinn eines Systems nicht einfache eine negative Antwort oder gar keine geben, sondern müssen sich positiv auf das System beziehen. Erfolgreiche Reflexionstheorien machen sich im Großen und Ganzen positive Selbsteinschätzungen des Systems „in semantisch elaborierter Form“ nochmals zu eigenen, wenn sie sich je nach Fokus beispielsweise der Funktionsweise von Rechtsverfahren, Unternehmensstrategien, religiösen Praktiken, Wählerverhalten oder Entwicklungen am Zeitungsmarkt widmen (Kieserling 2000, S. 50f.). Reflexionstheorien sind nach Luhmann (2008a, S. 76) in ihrer Selbstbestimmung auf „Reklamebegriffe“ angewiesen, mit „denen sie sich selbst empfehlen und anderen Zustimmung zumuten“.
Sicherlich, Reflexionstheorien unterscheiden sich in ihren elementaren Operationen von denen der Praxis. Erkenntnisse der Theologie werden nicht „erbetet“, Renommee in der Betriebswirtschaftslehre wird (in der Regel) nicht erkauft und wissenschaftliche Erkenntnisse von Gruppendynamikern nicht in gruppendynamischen Sitzungen hergestellt. Aber Reflexionstheorien müssen in ihren Abstraktionen an das anschließen, was im System gefragt ist und nicht so sehr, was etwa in den Wissenschaften als relevant betrachtet wird. Reflexionstheorien sind – und das ist positiv gemeint – „affirmative Disziplinen“ (Weltz 1997, S. 42). Juristen mögen über die richtige Auslegung (oder auch Abfassung) eines Gesetzes streiten, man ist aber prinzipiell einem positiven Bezug auf das Rechtssystem verpflichtet. Politikwissenschaftler können zwar Sympathien für die eine oder andere Partei oder die eine oder andere Regierungsform zeigen, eine kritische Metaperspektive auf das politische System verschließt sich ihnen in der Regel jedoch. Forschende Gruppendynamiker können zwar problemlos unterschiedliche gruppendynamische Formate vergleichen, allerdings können sie die Bedeutung von Gruppendynamiken für die Gesellschaft nur schwer in Frage stellen. Weil die von Reflexionstheorien angefertigten Selbstbeschreibungen Rücksicht auf das System nehmen müssen, sind „radikale Entfremdungen“ zwischen der „Beschreibung und dem Beschriebenen“ ausgeschlossen (Kieserling 2000, S. 39f.).
Die Besonderheit der Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin im Vergleich zu den Reflexionstheorien ist, dass sie Fremdbeschreibungen über diese Funktionssysteme anfertigt. Die Bezeichnungen der Soziologie als einer „Wissenschaft des zweiten Blicks“, einer „Partei der Aufklärung“ oder als „alternative Lesart von sozialen Prozessen“ sind letztlich Formeln, mit denen die Fremdbeschreibung der Soziologie positiv markiert wird. Das erklärt, weswegen die soziologische Systemtheorie so schwer an die Praxis anschlussfähig ist. Die Einheit von Thema und Adressat schafft immer dann Probleme, wenn es eine distanzierte Beschreibungsformel gibt. Ein System hat zu sich selbst nicht die gleiche Distanz wie zu anderen Funktionssystemen. Es steht eine Fremdbeschreibung gegen eine Selbstbeschreibung und damit eine „mehr oder minder respektlose Sicht gegen eine mehr oder minder systemloyale“ (Kieserling 2000, S. 79ff.).
Wenn ein System sich mit soziologischen Fremdbeschreibungen auseinandersetzt, führt dies das System fast zwangsläufig an die Grenzen des für es Erträglichen. Man kann soziologische Analysen sicherlich mit Selbstreferenzschleifen, Re-entry-Variationen und Formenkalkülen so weit in die Abstraktion treiben, dass die grundlegende Differenz zwischen Fremdbeschreibungen der Soziologie und Selbstbeschreibungen des Feldes kaschiert werden. Praktiker würden hingegen ihre auf Irritation begründeten Lernmöglichkeiten einschränken, wenn sie von soziologischen Systemtheoretikern nur lernen würden, ihre Praxis theoretisch verkompliziert zu beschreiben.
Wenn systemtheoretische Soziologen in die Praxis hineinwirken wollen, dann müssen sie Praktikern interessante Kontrast- und Irritationserfahrungen ermöglichen. Es macht keinen Sinn, wenn die Soziologie die gerade populäre holokratische Organisationsform mit einem Verweis auf das soziologische Rollenkonzept theoretisch adeln würde, sondern es kommt eher darauf an, zu zeigen, welche informalen Ausweichbewegungen sich in diesen hyperformalisierten Organisationen ausbilden. Es macht ebenso wenig Sinn, das gerade gefeierte Konzept der sinnstiftenden „purpose driven organization“ mit dem Konzept der Entscheidungsprämissen systemtheoretisch aufzumöbeln, sondern es ist interessanter die organisationssoziologisch gut gesicherten Einsichten über auf zweckidentifizierte Mitgliedschaft basierenden Organisationen mit all ihren Möglichkeiten – geringere Gehaltszahlung an die Mitglieder – und Grenzen – geringe Wandlungsfähigkeit des Systems – in die Diskussion einzuspielen (siehe dazu Kühl 2015). Und genauso macht es keinen Sinn, wenn Soziologen Gruppendynamiker theoretisch elaboriert darin bestärken, wie wichtig ihre Fähigkeiten für Organisationen sind, sondern es ist produktiver, sie darauf hinzuweisen, wie ungewöhnlich es ist, wenn die durch die Organisation formal eingerichteten Teams sich zu Gruppen entwickeln, die auf intensiver personenbezogener Kommunikation basieren.
Je nach Arbeitskontext können die Impulse in die Praxis unterschiedlich dosiert werden. Wenn an wissenschaftlichen Ansprüchen orientierte Soziologen als an praktischen Erwartungen von Kunden zu orientierende Organisationsberater arbeiten, muss zwangsläufig ein Interrollenkonflikt entstehen, der sich am besten durch eine strikte Trennung lösen lässt. Der Kunde weiß idealerweise nichts über die wissenschaftlichen Interessen des Beraters, wissenschaftliche Assoziationen sowie Titel werden möglichst verborgen und die soziologischen Fremdbeschreibungen nur in homöopathischen Dosen eingespielt. Bei Kurzeinsätzen auf klassischen Berater- und Managerkonferenzen kann es hilfreich sein, den systemtheoretischen Hofnarr zu geben, der mit stark kontrastierenden Analysen zu den sonst eher affirmativen Beschreibungen von Praktikern provoziert, während bei länger andauernden Interaktionssettings in kleinerem Rahmen die Chance besteht, dass eine soziologische Fremdbeschreibung eher schrittweise entwickelt werden kann. Bei Publikationen, die sich an Praktiker richten, gibt es keine Gründe selbige vor Fremdbeschreibungen zu schonen. Es mag möglich sein, über die Erfindung und Propagierung eines Managementkonzeptes soziologische Überlegungen mit einem „trojanischen Pferd“ in die Praxis einzuschmuggeln, aber in der Regel macht es Sinn, als Systemtheoretiker oder Systemtheoretikerin in aller Deutlichkeit zu schreiben, was soziologisch „Sache ist“.
Bei allen Versuchen die systemtheoretische Soziologie in die Praxis wirken zu lassen ist gerade Systemtheoretikern klar, dass Systeme nicht nur hervorragend ohne soziologische Irritation existieren können, sondern auch durch die soziologische Erkenntnis häufig nur unnötig destabilisiert werden. So kann es Liebesbeziehungen erheblich stören, wenn sie mit der soziologischen Einsicht konfrontiert werden, dass das Gefühl des Verliebtseins ein Phänomen der modernen Gesellschaft ist, das sich vermutlich am ehesten mit dem Gefühl des Verrücktseins vergleichen lässt (Luhmann 1982). Organisationen bekommen ihr Schauseitenmanagement besser hin, wenn sie sich nicht durch die soziologische Einsicht irritieren lassen, dass ihr Erfolg nicht nur von der Leistungserbringung, sondern auch von geschickter Heuchelei abhängt (Brunsson 1989). Und last, but not least fällt es Beratungsansätzen deutlich einfacher, die Systemtheorie dafür zu nutzen, ihre eigene Beratungsansätze zumindest in der Darstellung wissenschaftlich aufzumotzen, als sich übermäßig durch systemtheoretische Fremdbeschreibungen des eigenen Systems irritieren zu lassen.
Stefan Kühl ist Soziologieprofessor an der Universität Bielefeld und Senior Consultant der Organisationsberatungsfirma Metaplan in Quickborn bei Hamburg. Er hat in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren an einer Reihe gruppendynamischer Trainings teilgenommen und über sechs Jahre in Selbsterfahrungsgruppen mit verschiedenen Formaten der Gruppendynamik experimentiert.
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[1] Niklas Luhmann schont in seinen Überlegungen zu „Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung“ das Klientel, das ihn für diesen Vortrag bezahlt hat. Er behandelt lediglich die Frage, wie Unternehmensberater sehen können, was ihre Klienten nicht sehen können (Luhmann 1989, S. 216). Die Frage, was Soziologen bei der Beobachtung von Unternehmensberatern sehen können und Selbige nicht erkennen, hat er aus verständlichen Gründen nicht mit diesen diskutiert. Schließlich sollte er zu „Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung“ und nicht zu „Kommunikationssperren mit Unternehmensberatungen“ sprechen.
[2] Bei diesem Vorhaben stehen wir noch am Anfang. Die empirischen Studien erscheinen erst langsam. Wer sich für theoretische Grundlagen interessiert, sei auf meinen Artikel über die Differenz von Gruppen, Organisationen, Bewegungen und Familien verwiesen (Kühl 2015b). Ein grundlegender theoretischer Artikel zur Soziologie der Gruppe von Felix Bathon und mir ist in Vorbereitung.
[3] Das Interview ist im Netz nachlesbar unter: www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2019/gefuehle/warum-sachlich-wenn-es-auch-persoenlich-geht. In Antizipation einer Debatte hatten wir das Interview auch auf https://sozialtheoristen.de/2019/03/29/weshalb-sachlich-wenn-es-auch-persoenlich-geht/, veröffentlicht, wo der Artikel nach wie vor öffentlich kommentiert werden kann. Für die deutschen Gruppendynamiker war der Schock über die Thesen vermutlich nicht ganz so groß, weil ich die im Interview vertretene Position bereits auf der Jubiläumsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik vorgestellt und weiterentwickelt habe.
[4] Über die Schwierigkeiten der Gruppentherapie immer noch lesenswert Moser 1984, S. 101ff.
[5] Diese Aussage basiert zugegebenermaßen auf Anschauungsempirie aus gruppendynamischen Trainings und Aussagen von gruppendynamischen Trainern und Trainerinnen. Es müsste empirisch noch überprüft werden, in dem die Aufzeichnung abendlicher internen Auswertungsrunden unter den Trainern näher analysiert werden und explizite und implizite Erfolgskriterien herausgearbeitet werden. Hier existiert jedenfalls in der englisch- und deutschsprachigen Literatur eine Forschungslücke. Siehe zu dieser Problematik früh schon das lange Zeit als Standardwerk geltende Buch von Hofstätter 1971, besonders S. 105ff.
[6] Immerhin wurde uns von den Gruppendynamikern der Zugang zur Empirie in Aussicht gestellt. Hier zeichnet sich eine erfreuliche Entwicklung ab, weil wir seit über drei Jahren enorme Schwierigkeiten haben, die für qualitativ solide Forschung dringend nötigen Videoaufzeichnungen von gruppendynamischen Trainings zu bekommen oder gar welche selbst machen zu dürfen. Wir mussten bisher für unsere soziologischen Analysen gruppendynamischer Trainings auf ein altes Video über das Training von Anne-Marie und Reinhard Tausch aus den 1970er Jahren zurückgreifen. Aber auch hier ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Praxis deutlich. Während Praktiker von kollaborativer Forschung mit der Wissenschaft träumen, gehört es zu den wissenschaftlichen Standards, sich nicht zu sehr auf Praxisperspektiven einzulassen. Am besten wird diese Differenz in einer Handlungsempfehlung von Alfred Kieser und Lars Leiner (2012) zusammengefasst: „Collaborate with practioners; but beware of collaborative research“.
[7] Existiert eine solche Norm? Die Testfrage ist, an welche Kontroverse unter Beratern oder Change Managern in einer Fachzeitschrift man sich überhaupt erinnert. Die letzte, die ich in Erinnerung habe, war die Debatte über Komplementärberatung vor über einem Jahrzehnt (siehe dazu Königswieser et al. 2009). Die Funktion des Verzichts auf solche öffentlichen Kontroversen für die Beraterszene und die ungewollten Nebenfolgen dieser Zurückhaltung wären eine eigene Studie wert.
[8] Spätestens seit C. Wright Mills (1940) Überlegungen zu Motivvokabularien wissen wir, dass wir als Soziologen über „wirkliche Motive“ von Personen nichts sagen können, sondern es die spezifischen sozialen Situationen sind, die die Darstellung von bestimmten Motiven nahelegen oder entmutigen.
[9] Ich verzichte darauf im Folgenden, die gruppendynamische Literatur im Einzelnen auszuwerten. Für einen schnellen Einstieg sei beispielsweise auf die Bücher von Luft 1974; König und Schattenhofer 2006; Forsyth 2010 verwiesen. Für einen umfassenden Überblick Cartwright und Zander 1968 oder König 2001; Grundlegend siehe Lewin 1968. Einen lesenswerten Überblick über den gesellschaftlichen Kontext, in dem die Gruppendynamik entstanden ist, findet sich bei Tändler 2016.
[10] Siehe für eine solche soziologisch fast schon naive Haltung zum Beispiel den Gründungsaufruf einer neuen Akademie für Soziologie (2017).
[11] Ich vertrete damit vermutlich eine Minderheitenposition gegenüber dem Mainstream der Systemtheoretiker, der angelehnt an eine kleine Bemerkung Luhmanns (2000, S. 24) davon ausgeht, dass es „Gruppen“ als Systemtypus nicht gibt. Ich vertrete hingegen die Position, dass es Sinn macht, Gruppen in Abgrenzung zu Familien, Organisationen und Bewegungen als eigenen Systemtypus zu verstehen (in dem Sinne aber auch Wimmer 2007 und Wimmer 2013). Diese Bestimmung beinhaltet jedoch, dass – anders als in der frühen Gruppensoziologie noch gedacht – Gruppen als ein auf personenbezogene Kommunikation basierender Systemtypus in der modernen Gesellschaft konzipiert werden und daraus folgt, dass Gruppen im Vergleich zu Organisationen oder Familien ein eher randständiges Phänomen sind.
[12] Wie sehr diese systemtheoretische Bestimmung die Bedeutung von Gruppen in der modernen Gesellschaft relativiert, wird im Kontrast zur Marsmetapher im klassischen Sammelband über Gruppendynamik von Dorwin Cartwright und Alvin Zander (1953) deutlich. Wenn Marsmenschen einen Blick auf die Erde werfen würden, so Cartwright und Zander (1953, S. 3), wären diese beeindruckt, wie viel Zeit Menschen in Gruppen verbringen.
[13] Siehe zu den Zwängen in Gruppen interessant König 2000.
[14] An dieser Stelle entwickle ich eine Unterscheidung weiter, die ich in meinen Studien zu Coaching und Supervision (Kühl 2006, 65ff.) erstmals ausführlich dargestellt habe. Anders als in der Darstellung dort differenziere ich inzwischen systematischer nicht nur zwischen Teams und Gruppe, sondern auch zwischen Clique und Gruppe.
[15] Siehe zu den Effekten in der Teamentwicklung Eidenschink 2014.
[16] Siehe zur Ausklammerung dieser Differenz bei den Versuchen einer Bestimmung systemischer Gruppendynamik; Carmann und Schober 1999; Königswieser et al. 2013.
[17] Dass innerhalb der prominenten Reflexionstheorien heftige Debatten über das Verhältnis von wissenschaftlicher Rigorosität und praktischer Relevanz geführt werden, stellt die Analyse nicht in Frage, sondern bestätigt sie. Siehe nur beispielhaft für die Debatten in der Betriebswirtschaftslehre Kieser und Nicolai (2005), Kieser et al. (2015), Fincham und Clark (2009) sowie Hodgkinson und Rousseau (2009).
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