Das Türaufhalten — Mapping a Day-to-Day ‚Incident‘

Das Türaufhalten — Mapping a Day-to-Day Phenomenon

»A young woman and a young man, total strangers to each other, ­simultaneously­ reach the closed classroom door. She steps slightly aside, stops, and waits. He positions himself, twists the handle, pulls open the door and holds it while she enters. Once she is safely across the threshold, he enters behind her.« (Walum 1974: 506).

Frau|Mann, alt|jung, höher-|niederstehende oder stigmatisierte|nicht-stigmatisierte Personen und eine räumliche Grenze, die Tür, die die Frage nach der ­privilegierten­ Seite jener alltäglichen Differenzen aufwirft. Das Türaufhalten als soziale Form  markiert sich als höfliches Verhalten und vermittelt ­infolgedessen. Es kann daher in ein formales Schema der Höflichkeit eingeordnet werden (I), das auf einem Kraftaufwand beruht, der es als höfliches Verhalten ­erscheinen lässt (II). Als soziale Form ist das Türaufhalten auch als ­komplexitätsabsorbierende Interaktionssequenz analysierbar (III,V), die nicht ­zuletzt einer historischen Bedeutungsveränderung unterliegt, die sich ­insbesondere anhand der Geschlechterdifferenz aufzeigen lässt (IV).[1]

I

Das Türaufhalten ist eine Höflichkeits-form, da es die Beziehung zwischen Frau oder Mann, alt oder jung, höher- oder niederstehenden und mehr oder weniger stigmatisierten Personen im Moment des Ein- und Austritts eines Gebäudes strukturiert. Es ist eine orts- beziehungsweise situationsgebundene Geste des Vortritts, die auf zu beachtende Vorrechte verweist (vgl. Machwirth 1970: 205ff.), deren Anspruch sich aus eben diesen Asymmetrien mehr oder weniger eindeutig und ‚intersubjektiv‘ geteilt ergibt. Im Gegensatz zu verbalen Höflichkeitsformen, wie etwa die Begrüßung, ist das Türaufhalten eine non-verbale Höflichkeitsform, die oftmals durch Sprache, den darauf folgenden »Dank« oder die Aufforderung »Bitte, nach Ihnen« begleitet wird.[2]

Anhand des Institutionalisierungs- und Sanktionsgrades einer Höflichkeitsform können drei abstrakte Formen unterschieden werden (Haferland, Paul 1996: 26ff.): Elementare Höflichkeitsformen basieren auf implizitem Wissen, es handelt sich um habitualisierte oder routinierte und direkt sanktionierte Verhaltensweisen, während kodifizierte Höflichkeitsformen als ­explizit ­sozialisierte, durch die Zugehörigkeit zu einer Bezugsgruppe und daher durch Ausschlussandrohungen stabilisierte Verhaltensweisen bezeichnet werden ­können. Reflektierte Höflichkeitsformen zeichnen sich ­hingegen­ durch einen ­bewussten Umgang mit den Formen der elementaren und kodifizierten Höflichkeit und daher durch eine interpretative Wissensform aus. Sie gehen über das zu Erwartende hinaus und erscheinen deshalb als freiwillig und initiativ, ­während ihr Ausbleiben nicht als Mangel erfahren und deswegen meist nicht sanktioniert wird.[3] Das Türaufhalten kann als ein ­konventionalisiertes und ­ritualisiertes Verhalten und somit primär als ­kodifizierte­ Höflichkeit bezeichnet werden, das jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, auf ­reflexives Wissen zugreift (IV). Gegen ein Erwartungshandeln und somit für die vorliegende Argumentation spricht etwa auch, dass das Türaufhalten im Alltag nicht erwartet wird; es fällt als unhöfliches Verhalten nur in äußerst scharfen Fällen auf, nämlich dann, wenn die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Das Nicht-Aufhalten wird weniger über ­internalisierte Schuldzusammenhänge sanktioniert, als vielmehr von ‚außen‘, etwa durch eine aufgeregte (aber leise) Bemerkung desjenigen, dem die Tür nicht ­aufgehalten wurde oder durch den Austausch von Blicken mit Dritten, beides Formen, die die Ordnung im Angesicht der Enttäuschung ­stabilisieren (vgl. Interis 2011: 430).

II

Die formale Einordnung der Geste des Türaufhaltens als Höflichkeitsform ­beantwortet nicht die Frage, was genau das Höfliche an jener Geste ist. Ego hält Alter die Tür auf, Ego bedankt sich, bevor oder während er die Tür passiert. Möglicherweise muss Ego kurz warten, während Alter sich auf die Tür zubewegt. In beiden Fällen liegt ein Kraft- und Zeitaufwand vor, der asymmetriesiert und in dessen Folge sich Alter möglicherweise dazu hingerissen erlebt »Danke« zu sagen oder Ego ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken: »Oh, wie nett von Dir!«. Dem folgend handelt es sich beim Türaufhalten nicht primär um eine Geste des Respekts, sondern um eine Energie- und Arbeitsaufwandsminderung, so die Psychologen Santamaria und Rosenbaum (2011), die nicht zuletzt auf der ­frewilligen Initiative beruht. Diese Aufwandsminderung ließe sich ­sodann als ­soziale Kooperation interpretieren, eine Interpretation, die es nahe legt, das Türaufhalten als altruistisches Verhalten zu bezeichnen (etwa Jensen, Vaish, Schmidt 2014).[4]

Dieser Argumentation folgend kann auch die Frage behandelt werden, wann Türen aufgehalten werden; immer dann, wenn der Gesamtaufwand aller Beteiligten durch eine einzelne Anstrengung vermindert werden kann. Notwendige Bedingungen dessen ist eine geteilte Wahrnehmung und der geteilte Glauben, dass die physikalische Anstrengung für die Anwesenden kleiner ist, wenn Ego die Tür aufhält, als wenn Ego und Alter sie aufhalten müssten (shared-effort-model). Daher ist auch der Abstand zwischen den Personen entscheidend (critical-distance-model): Ego wird jenem ‚Gesetz‘ des Türaufhaltens dann folgen, wenn Alter in einer bestimmten Entfernung zu Ego ist, da Alter schneller laufen, während Ego die Tür länger aufhalten müsste; beides würde den physikalischen Aufwand erhöhen (Santamaria, Rosenbaum 2011).

III

Die Ursache des Türaufhaltens, der Kraftaufwand und dessen Minderung wird ­sodann zu einer Erklärung dafür, was das Höfliche am Türaufhalten ist, eben der nicht zu erwartende Aufwand für Alter, den Ego mit jener Geste darstellt. Das Türaufhalten wird aber auch dann zu einer sozialen Tatsache (Durkheim), wenn es nicht durch eine Ursachenfeststellung, sondern als Muster und somit als ­emergente­ Verpflichtung beobachtet wird (vgl. auch Haferland, Paul 1996). Grundlegend handelt es sich bei der Geste des Türaufhaltens, wie oben bereits ­erwähnt wurde, um eine raumzeitlich situierte Koordination von Körperbewegungen und eine Sequenz kommunikativen Handelns. Diese Ordnung reibt sich an dem Problem der Gleichzeitigkeit und Unbestimmtheit der Erwartungen: Der physische Widerstand der Tür und des Gebäudes regen zum Zögern an — wer geht zuerst durch die Tür, wer hält wem die Tür auf? Was ­passiert, wie es weitergehen wird, ist zu Beginn der Sequenz unbestimmt. Ausgangspunkt des Zögerns und Zauderns ist Kontingenz, Unsicherheit, die ­blockieren kann — niemand geht durch die Tür, jeder lässt dem anderen den Vortritt oder aber es kommt zu jenem gleichzeitigen Betreten und demnach zu der als unannehmlich erlebbaren Situation mit einem Fremden ­zusammenzustoßen.­[5]

­

Folgt man dieser Argumentation, kann das Türaufhalten als Teil eines Interaktionsrituals beschrieben werden, in dessen Folge die weiteren Interaktionssschritte präformiert und die prekäre Situation, jene Unsicherheit, in Form einer erwartbaren Reziprozität absorbiert wird (Goffman 1982).[6] Grundlegend gilt für verschiedene Höflichkeitsformen, wie etwa den Gruß und das Kompliment: »Nur im Unglücksfall ist Höflichkeit ein einsames Verhalten« (Haferland, Paul 1996: 41), da auf höfliches Verhalten weitere Kommunikationen folgen; auf das Kompliment folgt ein Gegenkompliment, auf den Gruß ein ­erwiderter Gruß oder ein Dank und daraufhin möglicherweise ein Gespräch (Fox, Araujo, Metke, Shafer, Damasio 2015). Die erwartbare Reziprozität, aufeinander abgestimmte und sequentialisierte Verhaltensformen erscheinen als Absorption situativer Kontingenz, da sie spezifische Verhaltensweisen in Aussicht stellen. In diesem Sinne folgt das Türaufhalten nicht zuletzt dem Prinzip eines sozialen Tausches (Blau 1964): Der Dank Alters stellt dabei die Symmetrie wieder her, die aufgrund von Kraft- und Zeitaufwand für Ego entstanden ist.

Voraussetzungen dessen sind Markierungen, spezifische sequentielle Klammerungen (vgl. Sacks 1992: 521 — 532; Goffman 1976, 1977), die ­signalisieren, dass es sich nun um eine solche Sequenz, um eben höfliches Verhalten handelt.[7] Und genau daran zeigt sich, wie anspruchsvoll und prekär das Phänomen des Türaufhaltens als höfliche Geste ist, denn die Klammerungen müssen diverse notwendige Bedingungen erfüllen: Einerseits kann das Verhalten des Türaufhaltens nur dann als höflich erscheinen, wenn der Eindruck vermieden wird, dass damit Ziele verbunden sind und/oder dass es auf jene reziproken Verpflichtungen, etwa den Dank, aus ist. Erscheint das Türaufhalten etwa als Offerte, als Take-Off-Phase einer Intimbeziehung, verliert es die Latenz und damit mehr oder weniger einen Teil seiner Höflichkeit, da es nun nicht mehr ohne Motiv ausgeführt wird, sondern gerade auf eine Asymmetrie aus ist, die ausgeglichen werden will, etwa mit der Telefonnummer oder der Zusage zu einem Date. In ­diesem Sinne muss auch der obige Kraft- und Zeitaufwand latent gehalten werden, während er unweigerlich dargestellt wird, denn die Darstellung, das Aufhalten der Tür sei besonders anstrengend kann wohl kaum als zuvorkommende Geste ­wahrgenommen werden (konträr dazu Fox, Araujo, Methke, Shafer, Damasio 2015).

Andererseits darf die Schließung der Klammerung, der Dank, nicht als reine Normbefolgung der Art: »Bedanke dich, wenn ein Anderer deinetwegen einen Handlungsaufwand erlebt« erscheinen. Eine solche Verpflichtung taucht erst dann auf, wenn Alter Ego unterstellen kann, dass der Aufwand des Türaufhaltens freiwillig und intendiert, jedoch nicht strategisch erfolgt.[8] Nur dann kann der Dank Alters als emergente Verpflichtung verstanden werden, ansonsten folgt er nur einer Erwartung von Ego und verliert damit erneut seine Latenz (vgl. Haferland, Paul 1996: 49). Sollte der Dank als rituelles Replik, das die Interaktion verklammert, ausbleiben, kann es zudem zu einem Affront, zu einer rituellen Ungleichheit kommen, die störend empfunden werden kann (vgl. Blau 1964: 91ff.).

IV

Die bisherige Beschreibung des Türaufhaltens als Höflichkeitsform sollte darauf aufmerksam gemacht haben, dass es sich um eine anspruchsvolle soziale Verhaltensform handelt, die an verschiedenen Stellen anfällig dafür ist, in ihr Gegensteil umzuschlagen (früh schon De Valcourt 1865: 401, Huang, Terzopoulos 2018): In Bezug auf stigmatisierte Personen etwa stellt sich gegebenenfalls die Frage, ob einem Rollstuhlfahrer die Tür aufgehalten werden soll oder ob er gerade dadurch auf das Behindertsein reduziert wird. Egal, wie man sich entscheidet, ­beides kann als höflich beziehungsweise unhöflich beobachtet werden. Dies ist ein zentraler Problembezug aller Höflichkeitsformen und genau deshalb wurde oben nicht von ‚Reduktion‘, sondern von Absorption von Unsicherheit gesprochen, führt das Türaufhalten doch selbst wieder Unsicherheiten ein. In diesem Sinne handelt es sich, der formalen Einordnung von Höflichkeitsformen folgend, auch um eine reflexive Höflichkeitsform, da die Aktivierung und das Wissen um Asymmetrie und Aufwand sowie das Wissen darum, wann, wie und wem ­gegenüber die Tür aufgehalten werden ’sollte‘ einem sozialen Feingefühl ­unterliegt.

Dieses Feingefühl verweist auf einen kulturellen und historischen Wandel der Geste schlechthin, abgesehen davon, dass es in manchen Gesellschaften als höflich gilt, die Tür aufzuhalten und in anderen nicht oder dass jenes Verhalten ­ironischen Anmerkungen ausgesetzt ist. Jenes Feingefühl ist eng an normative Erwartungen gekoppelt, insbesondere an solche, die das Selbstbild und die Rollen der Beteiligten betreffen. Mit Veränderungen dieser werden auch die Höflichkeitsrituale neu verhandelt (Goffman 1956).[9] Deutlich wird dies ­insbesondere an der Konstellation Mann|Frau: Das Aufhalten der Tür kann als ­bevorzugte Behandlung auf Grundlage physischer Merkmale wie ’stark‘ und ’schwach‘ interpretiert werden, in denen sich veraltete Geschlechterrollen ­widerspiegeln (vgl. Renne und Allen 1976, Yoder et al. 2002, McCarty und Kelly 2013).[10] Diese Asymmetrie ist heute weniger Teil der Selbstdarstellung und Rollenerwartungen, nach denen die Geste ausgehandelt wird — Frauen halten auch Männern die Tür auf und beide müssen reflektieren, ob sie es für das andere, für ihr eigenes und ein drittes Geschlecht tun.[11] Auch hierbei tauchen der Motivverdacht und der Affront als Interpretationsmöglichkeiten auf.

V

Die Beschreibung des Türaufhaltens als höfliches Verhalten zeigt, dass der Alltag durchzogen ist von hochkomplexen und ambiguen Formen wechselseitiger Beobachtungen. Die Höflichkeitsforschung als Teil der Soziologie des Alltags (Davis 1971, Hammerich, Klein 1978, Adler, Adler, Fontana 1987, Soeffner 1988, DeQueiroz 1989, Maffesoli 1989, Highmore 2002, Moebius, Quadflieg 2006, Sztompka 2008, Krämer 2012, Schröer, Kreher, Poferl 2012, Bellebaum, Hettlage 2014, Ghisleni 2017) macht insbesondere darauf aufmerksam, dass höfliches Verhalten häufig in Situationen sozialer Dissonanz auftaucht, wofür es, in einer beziehungsgestaltenden Form als Wiedergutmachung jener Kollisionen erscheint (vgl. Fidancheva 2013: 19). Die zentrale Leistung von Höflichkeit ist somit die Schaffung eines Kontextes, der offensichtlich  Handlungsmöglichkeiten ­einschränkt und somit in der Umwandlung »der (inhaltlichen) Inkommensurablität des Eigenen und des Anderen in ein (formales) soziales Miteinander […]« (Rang, Süßmann 2009: 164) liegt. Die Möglichkeiten, sich ­innerhalb dieses Kontextes als zum Anderen hingewendet darzustellen, Handlungsmöglichkeiten trotz der Verklammerung einzuräumen, erscheint als höflich. Dies gründet der Argumentation folgend nicht auf einer Norm, sondern auf einer entstehenden Asymmetrie, die genutzt werden kann, um über Anerkennung Gemeinschaft herzustellen. Das Rituelle ist sodann Zeichen von Abwesenheit von Ungleichheit, auf dessen Bühne die Differenzen ­inszenierungswürdig werden.

Stellt sich nur noch die Frage, was im Falle von Drehtüren ­zu tun ist.

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[1] Siehe zu der Frage, wie das Türaufhalten soziokulturell entstanden sein könnte Bathon (2019): Es kann etwa vermutet werden, dass die Entstehung der Geste als höfliche Geste gerade nicht in einer sozialen Differenz zu finden ist, sondern in einem spezifischen Verhältnis von Sozialität und Materialität, von Mode, dem Reifrock und sozialen Konfigurationen, aus denen heraus sich das Türaufhalten als Höflichkeitsform entwickelt hat. Auf Basis eines kontingenzkausalen und prozessualen Verständnisses soziologischen Erklärens wird dort argumentiert, dass Reifröcke im 18. Jahrhundert derart groß wurden und derart verbreitet waren, dass es schlicht notwendig wurde, Frauen die Tür aufzuhalten und dass die Geste im Zuge des aufsteigenden Bürgertums von eben diesem als höfliche Geste kodiert wurde, um sich vom Adel als auch den Bauern abzugrenzen. Für einen einzigartigen Einblick in das Leben und Erleben von Portiers Bearman (2005).

[2] Die Unterscheidung folgt der Unterscheidung zwischen einem soziolinguistischen  (etwa Watts 2003, Lüger 2001) und einem pragmatischen Ansatz der Erforschung sozialer Phänomene und insbesondere solcher der Höflichkeit (etwa Erving Goffman 1967). Beide Forschungsgebiete beziehen sich auf mikrosoziologische Konzepte.

[3] Die drei Formen lassen sich möglicherweise an eine Sozialgeschichte anschließen: Nach Linke (1996) ist die elementare Höflichkeit sodann primär als Verhaltensform der Stammesgesellschaft zu verstehen. Die höfische Höflichkeit könnte als kodifizierte Höflichkeit der stratifizierten Gesellschaft zugeschrieben werden, da Verhaltensregeln in Bezug auf bestimmte Situationen und Personen und demnach an einem variierenden Status orientiert sind.

[4] Santamaria und Rosenbaum beobachteten einen Eingangsbereich des Studentenzentrums der Penn State University und zeichneten 148 Personen beim Eintreten auf. Untersucht wurde, wie viele Personen die Tür aufhielten und wie weit deren Entfernung voneinander waren. Personelle Merkmale wie Alter und Geschlecht wurden nicht erfasst. Nicht bestätigt wurde der Zusammenhang zwischen der Wahrscheinlichkeit des Türaufhaltens und der Anzahl der folgenden Personen, obwohl auch hier der Gesamtaufwand vermindert werden würde.

[5] Zudem ist vorstellbar, dass sich Ego auf das Alter und Alter auf das Geschlecht beruft und beide den Vortritt beanspruchen. Benimmbücher sind bereits auf solche Schwierigkeiten aufmerksam geworden. Sie schlagen vor, dass man spätestens beim zweiten Mal das angebotene Vorrecht annehmen sollte (vgl.Von Kamptz-Borken 1951: 38).

[6] Höflichkeit kann Bestandteil von einem oder selbst Interaktionsritual sein. Höflichkeitsformen sind immer rituell, aber Interaktionsrituale müssen nicht höflich sein.

[7] Höflichkeit erscheint daher auch als Code. Sie überflutet den Interaktionspartner mit Anreizen, die als Aufforderungen dazu zu verstehen sind, sequentielle Klammern zu schließen (vgl. Haferland, Paul 1996: 41). Diesen kodierten Überwältigungsstrategien stehen Distanzierungsstrategien gegenüber.

[8] Eine Höflichkeitsform, wie das Türaufhalten wird sodann als höflich kodiert, wenn sie tendenziell jedem Partner gegenüber ausgeführt werden kann. Natürlich kann es paradoxe Effekte haben, wenn der (statushöhere) Chef dem (statusniederen) Angestellten die Tür aufhält und ihn vorgehen lässt. Aber Höflichkeit besteht generell nur unter dem Moment der Gleichheit von Personen, da erst diese Gleichheit die Initiative als bedingungslos und freiwillig erscheinen lässt  (vgl. auch Haferland, Paul 1996: 32).

[9] Höflichkeit erscheint unter diesen Vorzeichen als bestätigender und korrektiver Austausch, als Stütze der Selbstbilder der beteiligten Personen und ist eine Technik  des Managements von Selbstdarstellungen (Goffman 1956). Goffman nennt das Türaufhalten daher auch die »Nach-Ihnen-Alfonse-Technik« (Goffman 1976), die in einer Herabsetzung der eigenen und einer rituellen Überhöhen der anderen Person besteht (Ehrerbietung), um durch andere, etwa Fremde, Selbstbestätigung zu erfahren.

[10] Die Skepsis gegenüber dem Türaufhaltens wird auch dadurch verständlich, dass die Geste als Aufforderung verstanden werden kann und sodann Weisungsbefugnisse anzeigt: Der, der Weisungen geben kann, steht höher als der, der sie befolgt (vgl. Machwirth 1970: 206). Walum (1974: 506) nennt das Türaufhalten nicht zuletzt eine Geste der Mittelklasse und Mills (2003: 206) eine der »white, middle-class men to white, middle-class women«.

[11] Auch in Bezug auf die Konstellation Alt|Jung kann nach Machwirth (1970: 207) eine Bedeutungsveränderung festgestellt werden: »Während die moderneren Benimmbücher als Grund dafür [für das Türaufhalten, F.B.] Rücksicht vor dem Alter und Schutze des Alters angeben, lag dem in früheren Zeiten der Gedanke der Achtung und Ehrfurcht vor der erworbenen Weisheit und Würde zugrunde.«

Veröffentlicht von Felix M. Bathon

Felix M. Bathon studierte Soziologie, Politik und Wirtschaft im Bachelor am Bodensee und Soziologie im Master in Bielefeld mit dem Schwerpunkt soziologische Theorie und Organisationssoziologie. Derzeit promoviert er zur Kleingruppensoziologie.

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