Was (Hochschul-)Ratgeber verschweigen

Die Nachfrage nach Ratgebern scheint mit Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität zu wachsen. Es gibt sie mittlerweile zu allen erdenklichen Themen. Und so gibt es auch diverse Ratgeber für den Hochschulbereich. Allerdings sind die Hinweise und Tipps – mit wenigen Ausnahmen – recht oberflächlich. Der Grund dafür ist einfach: Sie unterschlagen die für den organisationalen Alltag so wichtige informale Seite der Organisation. Und wird Informalität doch mal behandelt, fällt dies irritierend auf.

Auf viele Fragen auf die es im Organisationsalltag ankommt, geben Ratgeber nur einseitige Antworten. Bild: pixabay (geralt)

Der ausufernde Ratgebermarkt für den Bereich Hochschule zeigt an, wie komplex Studiengangssuche, Promotionsthemenwahl oder die Hochschulkarriere geworden sind. Je mehr Unsicherheit herrscht, desto mehr Rat wird gesucht. Auch das Angebot an Coachings und Beratung für (angehende) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutet in diese Richtung. Nicht selten sollen diese Angebote dabei helfen, die richtigen Hilfestellungen zu identifizieren. Mit dem Soziologen Manfred Prisching könnte man die gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen der Organisations- oder Wissensgesellschaft um die Ratgebergesellschaft ergänzen.

Mit zunehmender Komplexität der Prozesse an Hochschulen und vielfältigen, teils widersprüchlichen Erwartungen an Studierende sowie das akademische Personal, steigt offenbar der Bedarf an Orientierung. Für eine erfolgreiche Karriere an einer Hochschule reicht es nicht mehr aus, nur gut zu Lehren oder zu Forschen. Es braucht außerdem Verhandlungsgeschick und Managementskills. Die Ratgeberliteratur kann hier sicherlich Anregungen geben, wie Strategien überlegt, die Mitarbeitenden geführt werden oder Verhandlungen mit der Hochschulleitungen vorbereitet werden können.

Eines geben diese gut gemeinten Tipps allerdings selten: Hilfestellungen im organisatorischen Klein-Klein. Der Grund dafür ist einfach: Zu sehr orientieren sich die Ratgeber an der formalen Oberfläche von Hochschulen. Nur, der Alltag an Hochschulen ist überwiegend von zwischenmenschlichen Kontakten, Abkürzungen oder Kompromissen geprägt. Von einer Reihe an Zufällen und Gelegenheiten – Schicksal – ganz zu Schweigen, wie so manche mehr oder weniger erfolgreiche Karriere in die Professur beweist. Die formale Ordnung ist zwar im Hintergrund immer präsent, sich aber nur an sie zu halten, führt – wie man schnell merkt, wenn man es versucht – zu nichts.

Strategien im hochschulischen Guerillakrieg

Die Organisationsforschung zeigt seit Jahrzehnten, dass der Arbeitsalltag ohne informale Gestaltung, Taktiken, Tricks und Regelabweichungen, gar nicht zu bewältigen ist. Studierende entwickeln einen informalen Umgang mit Studienleistungen und Doppelbelegungen von Seminaren. Lehrende vermeiden attraktive Titel für ihrer Veranstaltungen, um nicht zu viele Studierende anzuziehen oder tauschen gute Bewertungen gegen den Verzicht auf langwierige Nachbesprechungen. Diese und weitere Praktiken sind es, die es ermöglichen, mit widersprüchlichen, wenn nicht paradox erscheinenden und miteinander konfligierenden Erwartungen umzugehen: Inspirierend Lehren, exzellent Forschen und engagiert Selbstverwalten geht meist nicht gleichzeitig.

In der Ratgeberliteratur aber sucht man nach diesen Praktiken der „brauchbaren Illegalität“ (Niklas Luhmann) eher vergeblich. Dabei sind sie doch entscheidend dafür, ob ein Studium erfolgreich gemeistert oder ein Buchprojekt fristgerecht abgeschlossen werden kann. Eine Ausnahme, die in ihrer Ehrlichkeit dann auch irritiert, ist das bereits vor einigen Jahren vom Bildungspsychologen Thomas Götz verfasste Büchlein „Professor für Anfänger“. Es erinnert streckenweise an eine Art Mao-Bibel für Neuberufene. Neben lebensweltlichen Tipps, etwa „Wie fahre ich richtig – das heißt ungestört – Zug?“ oder „Welcher Server ist der richtige für die Arbeitsgruppe?“ (S. 41f.), zeigt Götz, wie endlose Sitzungen und kollegiale Zankereien überstanden werden können.

Beispielsweise sei es vorteilhaft in Sitzungen „zermürbend repetitiv“ aufzutreten und einen möglichst hohen Redeanteil zu haben. Dabei soll darauf geachtet werden „möglichst immer dasselbe zu sagen“. Insbesondere bei späten Sitzungen würde diese Penetranz Wunder wirken, denn die Ermüdung anderen kann zum eigenen Vorteil genutzt werden. Sind die anderen Teilnehmenden erst einmal buchstäblich fertig, können die eigenen Interessen besser durchgesetzt werden. Ebenso hilfreich sei es, sich naiv zu stellen: So wird man schneller unterschätzt: „unterschätzt zu werden ist oft eine ausgezeichnete Position.“ (S. 30f.) Wenn keiner mit einem rechnet, kann man hervorschießen und die Sitzung in seinem Sinne wenden.

Es sind diese informalen und gar subversiven Praktiken, die einem zum gewünschten Ziel bringen können. Zumindest aber ist es erfolgversprechend sie bei Kolleginnen und Kollegen zu erkennen. Allerdings weiß Götz, dass seine Tipps Nebenwirkungen haben, wie jede andere informale Praxis auch. Etwa kann die Kollegialität schnell in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn man, wie geschildert, in Sitzungen auftritt. Nicht auszumalen ist außerdem, wenn alle Beteiligten einer Sitzung auf Zermürbung und Naivität setzen.

Üblicherweise werden informale Umgangsformen durch Sozialisation erlernt. Der Ratgebermarkt könnte sich allerdings ein neues Segment erschließen, wenn er sich dieser „dunklen“ Seite des organisatorischen Zusammenlebens widmen würde. Sowohl die formale wie auch die informale Seite zu berücksichtigen, würde wirklich hilfreiche Tipps für die Hilfesuchenden bieten, um in den tagtäglichen Kämpfen erfolgreich zu bestehen.

Der Beitrag erschien in einer gekürzten Fassung im ZEIT ChancenBrief (wissendrei)

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