Die Weltgeschichte könnte mal wieder kaum spannender sein. Wir erfahren was ein Spitzenbanker macht, wenn er sich treiben lässt, und erleben ein Gerangel um die Besetzung eines Spitzenamtes, über dessen tatsächliche Spitzenmäßigkeit sich kaum etwas in Erfahrung bringen lässt. Es bietet sich an, vor der Wer-Frage die Weshalb-Frage zu stellen, wenn es darum geht, jemanden auf den Chefsessel des IWF zu setzen.
Der gesamte IWF ist eine merkwürdige Organisation. Zum einen ist es eine Bank. Angegliedert ist sie bei den Vereinten Nationen. Und wenn es um Entscheidungen geht, agiert sie weniger als Organisation, denn als intergouvernementale Institution, die sich streng nach ihren Abstimmungsmodi richtet, in dem die Mitgliedsstaaten entsprechend ihrer Zahlungsbeteiligung Stimmengewicht erhalten.
Wie wichtig kann es sein, dort „Managing Director“ zu sein? Der Amtsbezeichnung und dem Besetzungsverfahren nach sehr wichtig. Die informale Regelung, dass der Herr im Haus aus Europa kommt, weil von dort das meiste Geld stammt, wird zunehmend angezweifelt. Das jetzige Personenfindungsverfahren zeigt dies deutlich.
Für die alte Vereinbarung zwischen Amerika und Europa sprechen aber wohl nicht nur historische Gründe. Rechnerisch zahlt Europa am meisten, verfügt also auch über die größte, gemeinsame Stimmenmacht, sofern man sich innereuropäisch einig ist. Die USA hat allerdings ihr übliches Vetorecht, dessen letzter Rückhalt im US-Senat, also jenseits des IWF, liegt.
Es handelt sich um eine globale, politische Organisation, die in erster Linie selbstständig arbeitet. Sobald jedoch nationale Interessen betroffen werden, greifen die Staaten über ihr entsendetes Personal und das Stimmrecht ins Geschehen ein. Wenn es also interessant wird, ist der IWF-Chef außen vor. (Man kennt dies von der EU und ihren Spitzenposten.)
Es gibt aber noch weitere Argumente, die die Wirkmächtigkeit des IWF-Chefs in Bezug zum Glanz des Amtes relativiert. Wie in jeder Organisation mit gewisser Größe entkoppeln sich Alltagsentscheidungen und Strategieplanungen. Arbeitsgruppen und Managmenteinheiten gewinnen Selbstständigkeit, wenn die Organisation zu groß wird, um jedes Problem als Thema in die Spitze einbringen zu können. Entscheidungen müssen da entschieden werden, wo sie entstehen, zur Entlastung der anderen Bereiche, die ihre eigenen Probleme zu bewältigen haben. Nur noch große Probleme schaffen es bis in die Spitze und viele von denen auch nur, nachdem sie auf unteren Ebenen durchdiskutiert und auf wenige Entscheidungsalternativen zusammengestampft wurden.
Auch nicht uninteressant ist der Umstand, dass sich die IWF-Mitarbeiter aus allen Mitgliedsstaaten rekrutieren. Es handelt sich um eine internationale und interkulturelle Organisation, die zu einem nicht unbedeutenden Anteil nicht einmal selbst über seine Mitglieder entscheiden kann, sondern damit umzugehen hat, dass Mitarbeiter aus den Ländern entsandt werden.
Es ist beinah ausgeschlossen, dass sich der IWF in einer hinreichenden Art und Weise managen lässt und dass das Lehrbuchmanagement von der Spitze her funktioniert. Es ist somit kein großes Wunder, dass der IWF durch die denkbar einfachste Programmlogik auffällt. Länder, die ihre Kredit- und Währungsschwierigkeiten mithilfe des IWF regeln, bekommen die Auflage sich der Isomorphie der Weltgesellschaft aktiv zu unterwerfen. Diese „Benchmarking“-Idee ist immer auf gleiche Weise unpassend aber akzeptabel. Der IWF muss sich auf diese Weise nicht mit der Welt beschäftigen, sondern kann bei seinen Referenzvorstellungen bleiben, die sich immer gut diskutieren und präsentieren lassen. Wie sich die hilfsbedürftigen Staaten dann zu den Anforderungen verhalten, ist das Problem entsandter IWF-Delegationen.
Die Attraktivität des IWF-Chefpostens kann also kaum in der Aussicht bestehen, zu den politischen Global Players zu gehören. Den letzten beiden Betroffenen kann man jedenfalls unterstellen, dass sie, bevor sie den Posten antraten, im nationalen Politikgeschehen in Spitzenämtern gescheitert waren. Der Spanier Rodrigo Rato hat als Vizepräsiden mit Aznar 2004 die Wahlen verloren und war bereits in seiner Amtszeit in politisch-private Konflikte verstrickt und DSK hatte eigentlich vor französischer Präsident zu werden. Horst Köhler hat den Posten geräumt, nachdem er als Bundespräsident feststand. Soweit man das heute sagen kann, war dies eine biografisch merkwürdige Entscheidung für einen so leidenschaftlichen Banker.
Man kann nun nicht so weit gehen, den IWF-Chefsessel als Versorgungsposten darzustellen. Aber in gewissem auch historischem Sinne handelt es sich doch um ein Ehrenamt. Diejenigen, die dieses Amt bekleiden, sind bereits verdiente, erfahrene und bewährte Politiker, die viel mehr persönlichen Einfluss mit in das Amt bringen, als sie durch es Macht erhalten. Die zuerst verbreitete Tragödie nach dem Fall von DSK war die Feststellung, dass er nun nicht mehr französischer Präsident werden könne. Dass der IWF nur als Sprungbrett diente, war so allgemeingültig, dass gleich Verschwörungstheorien auf dieser impliziten Prämisse aufbauten.
Zurück zum Phänomen des aktuellen Besetzungsgerangels. Sofern die obige Analyse stimmt, der IWF also eher von seiner organisationalen Eigenlogik und der Stimmrechtsverteilung der politischen Weltgesellschaft kontrolliert wird und der Chefposten eher Aufmerksamkeit und Reputation als politische Macht und Initiativmöglichkeiten verspricht, wieso sollte man den Posten dann nicht den aufstrebenden Entwicklungsländern überlassen? Die politische Community ist bereits so sehr von Amerikanern, Franzosen und Deutschen bestimmt, da ließe sich ein chinesischer, indischer oder brasilianischer Mitspieler gut aushalten. Bzw. brächte er, wenn auch strukturell relativ folgenlos, einen dieser bedeutenden Teile der Welt auf persönlicher Ebene mit ins globale Politikgeschehen.
Dies würde zum einen die aktuell realen Verhältnisse in der Welt besser abbilden und hätte zum anderen die eventuelle Folge, dass der IWF sein größtes Ziel weiter umsetzen könnte: die strukturelle Niveauangleichung der Welt. Wenn man es jetzt zulässt, dass ein Chinese IWF-Chef wird, kann man noch garantieren, dass China im Rahmen der derzeit geltenden Regeln mitspielt. In 20 Jahren wird die Aussicht auf Bekleidung des IWF-Chefpostens für China oder Indien und vielleicht sogar Brasilien vermutlich weit weniger interessant sein, weil diese Länder bis dahin ihre eigenen Institutionen geschaffen haben und auf die Ämtervergabe nach westlichen Prinzipien nicht mehr angewiesen sind, um globale Interessenpolitik zu machen. Ein globales Rotationsprinzip bietet sich an.
(Bild: Thomas Hawk)