Zuletzt verfielen einige Journalisten in Meditation und dachten über sich und ihre berufliche Tätigkeit nach. In Leipzig hat die Privatschule einen Kongress veranstaltet und in Erfurt fand eine Diskussion statt. Von diesen Veranstaltungen wird an verschiedenen Stellen berichtet.
Zur Veranstaltung in Erfurt gibt es Anmerkungen von Peter Althaus, der zwar nicht vor Ort war aber als Interessierter Appell-Gedanken dazu formuliert. Sie lauten grob zusammengefasst: Der Journalist muss den Leser „abholen“, wo er ist, im Online Social Network. Nicht das Medium ist die Marke, sondern der Journalist selbst. Journalisten sollten sich um Nähe zum Leser bemühen. Und, die derzeit problematische Finanzierung guter journalistischer Arbeit könnte eventuell über Stiftungen gelingen. Man kann seine Gedanken, wenn man übernatürlich gute Augen hat, in 1400 Worten Weiß auf Schwarz in Schriftgröße 10, hier nachlesen.
Bis auf den letzten Gedanken zur Finanzierung kann ich meine Meinung zu seiner Meinung wie folgt zusammenfassen: So zu denken ist praktisch aber falsch. (Ich habe mit Absicht eine vorsichtige Formulierung gewählt, um nicht wieder als arroganter Soziologe zu gelten.)
Daran schließt die in Thesen formulierte Nachbetrachtung des Leipziger Kongresses von Tim Kosmetschke an: Neun Überlegungen zur mutigen und leidenschaftlichen journalistischen Weltchaosbewältigung; zum lebenslang lernenden Markenjournalisten, der kein Idiot ist und nicht überflüssig wird. Ich würde seinen Thesen hauptsächlich widersprechen, am liebsten einzeln und inhaltlich, doch das wäre nicht sehr zielführend. Es bietet sich wieder einmal an, Prämissen auszutauschen.
Denn auch wenn Journalisten gerne über sich, ihr Verhalten und ihre Ambitionen reden, die Internetwelt fasziniert beobachten und von drängenden Finanzierungsfragen gequält werden, ist es doch auch wichtig darüber zu sprechen, wie die Zukunft des Journalismus als Institution in der Gesellschaft aussieht. Dass er von Personen betrieben und konsumiert wird, ist nur ein kleiner Aspekt der dann zu behandelnden Probleme. Man sollte, denke ich, mehr über den Journalismus der Gesellschaft nachdenken und die professionellen Privattugenden des einzelnen Journalisten kurz ausblenden (bzw. sie als Organisationsprobleme markieren). Die Problemstellungen der aktuellen Journalismuspraxis sind eher struktureller als individueller Natur. Dazu ein anschauliches Video. Es ist 2:30 Minuten lang und man sollte es sich einmal komplett ansehen. Es zeigt Ed Miliband, den Chef der britischen Labour-Party in einem aktuellen BBC-Interview (das Bild im Video hängt ein wenig, der Ton ist aber in Ordnung):
Was passiert denn da in England? (Muss man sich ja derzeit eh schon fragen.) Ein Parteichef produziert unabhängig aller Fragen Soundbits für die Abendnachrichten. Er ignoriert alle Aspekte der Interview-Interaktion und sagt, was später zusammengeschnitten in den Nachrichten kommen soll. Das hat Methode, in einem weiteren Video antwortet George Osborne viermal (!) hintereinander mit gleichem Wortlaut (!) auf unterschiedliche Fragen.
Man könnte nun Folgendes sagen: Online Social Networks sind der Tod des Journalismus. Etwa, weil sie die Zeitungen und TV-Programme zerpflücken und einzelne Texte aus dem Kontext ihrer Debatte zerren. Oder, weil sie nur noch Raum für Headlines und Teaser lassen und sich niemand mehr für weiterführenden Inhalt interessiert. Vielleicht könnte man auch sagen, dass die Online Social Networks die kostbare Rezipientenzeit klaut, weil jeder lieber Familieninfos statt Weltnachrichten konsumiert. Dies alles wären Erklärungen dafür, weshalb Politiker nur noch genau diese Headlines und Teaser produzieren und den Journalismus / den Journalisten als (eigentlich nicht mehr benötigtes) Mittel zu ihrem Publikum nutzen. Diese Unterstellungen markieren einen interessanten Strukturwandel unserer Zeit, bedeuten aber mitnichten einen Paradigmenwechsel, wie er immer wieder vermutet wird. Denn schon 1972 sahen Politikerinterviews mit Bundeskanzlerbeteiligung so aus:
Friedrich Nowottny hatte Willy Brandt um kurze, abendnachrichtentaugliche Antworten gebeten. Und so hat er sie dann auch bekommen. Immer schon also schlägt sich der Journalismus mit Fragen herum, die das Pendel der eigenen Tätigkeit zwischen Praktikabilität und Anspruch baumeln lässt. Es ist das Strukturmerkmal der Moderne, der Realität eine Welt aus Wille und Vorstellungen gegenüberzustellen und genau diese Lücke zu schließen: und sie durch Lösungsversuche immer wieder neu zu öffnen. Es ist überall dasselbe: Wir wollen klügere Kinder, mehr Verkäufe, gesundere Patienten, höhere Gewinne und bessere Nachrichten/Zeitungen. Also nutzen/erfinden wir Technologie, die uns praktikabel erscheint unserem Anspruch zu begegnen und schon entstehen die neuen Ansprüche.
Wenn man den nachvollziehbaren Strängen der oben verlinkten Diskussionen folgt, sieht man, dass sich der Journalismus gerade wieder in der Technologieentdeckungsphase befindet. Das Internet mit seinen tollen Möglichkeiten, die Privatmeinungen provozieren, speichern und zirkulieren lassen, gilt es für die journalistische Praxis auszubeuten. Plötzlich haben Journalisten, als Privatpersonen, Weblogs und Twitteraccounts. Und plötzlich steigen die Ansprüche, man fühlt sich irgendwie getrieben … Aber von was oder von wem eigentlich?
Was ich bei den ganzen New-Journalism-Selbstfindungsübungen vermisse, ist ein Vortrag oder eine Rede, in der jemand vom Fach mal betont, dass Technologieentdeckungsphasen nicht nur die Zeit für Experimente, sondern auch die Zeit für Besinnung ist – und dass es keinen Grund gibt, sich jetzt über die Maßen mit seinem Publikum zu befassen, nur weil es geht. Nur Journalisten können über Journalismus urteilen. Das lesende/sehende Publikum kann nur sagen, ob es mit der Zeitung/Sendung zufrieden war. Rezipientenzufriedenheit ist aber für praktizierende Journalisten ein kaum auswertbares Merkmal. Zumindest kann man aus mehreren Gründen mit seinem Medienangebot zufrieden sein. Etwa, weil man gut informiert, leicht überfordert, angenehm überrascht, usw. wurde. Das Publikum zeichnet sich auch 2011 durch Unberechenbarkeit aus. Es gilt weiterhin nur eins, für Journalisten und ihr Publikum: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Außer wenn es in Berlin gewittert. Das berichten nicht die Massenmedien, sondern alle Erlebnistwitterer vor Ort.)
Man sollte journalistische Kongresse nicht damit vergeuden, sich über sein Publikum Gedanken zu machen (Erfurt) und über die eigenen Tugenden zu reden (Leipzig). Es sei denn, man hat das Gefühl, der eigenen Redaktion mangelt es an Kompetenz, Intelligenz oder Engagement. Dann bietet es sich an, gemäß einer Selbsthilfegruppe, gemeinsam darüber zu reden, wie man einem solchen Umstand begegnet. Vielleicht mit Statistik gestützter Anbiederung, vielleicht mit Technologie gestützter Drängelei. Ein massenmediales Angebot, dem jegliches Potenzial für Überraschung abhandengekommen ist, weil es nur noch liefert, was erwartet wird, selegiert sich über kurz oder lang selbst aus dem Geschehen. (Zu diesem Gedanken hätte ich eine persönliche Beschwerde ans Internet: Vor ein paar Tagen hat Frank Schirrmacher eine Vorlesung in Tübingen gehalten, die von der dortigen Fakultät für Medien (o.ä.) groß angekündigt wurde. Doch ausser einem Zitat, das hier passt, „Es entsteht allmählich eine Welt, in der nur noch vorkommt, was interessiert.“ wurde kaum etwas ins Internet getragen. Soviel zum Problem meiner Filtersouveränität… (oder habe ich tatsächlich was übersehen?))
Statt über die eigenen Tugenden und das Publikum könnte man darüber reden, ob es diese latente Idee des organisationslosen, tugendhaften Journalisten tatsächlich als Praxisfall geben kann. Im Internet wird diese Idee propagiert, etwa, wenn Herr Gutjahr auf eigene Faust nach Ägypten reist, um vom Tahrir-Platz zu berichten. Aber auch solche Aktionen sind doch in erheblichem Maße auf (journalistische) Organisation angewiesen. Und sie sind wohl kaum Alltagspraktikabel. Und unumstritten erst recht nicht. Unbeantwortet bleiben bislang die Fragen über die journalistischen Institutionen der Zukunft. Wie schreibt man einen Unternehmensteil, wenn sich die Zeitung nur noch fragmentarisch verkauft? Wie publiziert man zukünftig Texte, die pro Stück eine Woche Arbeit benötigen, aber täglich verkauft werden müssen? (Das ist übrigens auch ein Henne/Ei-Phänomen. Denn ein Ei benötigt 4 Tage, um zu werden, aber es gibt jeden Tag ein neues pro Henne.) All diese Fragen sind auf der grundlegenden Ebene viel zu banal, um hier weiter aufgelistet zu werden. Denn es gilt die Antwort, die für alles gilt: Ohne Organisation wird (fast*) nichts gehen. Alle drängenden Fragen haben damit zu tun, nicht als Problem, sondern als Prämisse.
All die Kongressthemen, die oben verlinkt auftauchen, sind im Grunde Fragen, die jede journalistische Organisation mit sich klären muss (Anforderungen an die eigenen Mitarbeiter, Anspruch des eigenen Hauses). Auf der gesellschaftlichen Ebene, die ein Kongress darstellt, handelt es sich allenfalls um Moralisierungen, Beschwichtigungen, Anbiederungen und Rechtfertigungen. Die eigentlichen gesellschaftlichen Fragen werden dadurch verdeckt. (Ich bemerke, ich formuliere das alles wieder etwas Vorlaut. Ich sage mal, ich habe nur laut gedacht. So wie ein Kongress eben auch laut denken lässt.)
* Falls die Show jemand kennt und für bescheuert hält, sei ihm gesagt: Es geht hier nur um das soziale Phänomen.
(Bild: James Yu)
Ich habe Deinen Text zweimal lesen müssen, um im Nachhinein zu verstehen – den Text und warum ich mir die Mühe machte, mehrmals hinzuschauen. Es ist der Zwiespalt zwischen Bejahung des Tenors und ein paar Zweifeln: Das strukturelle Problem des Journalismus kommt in der Blogosphäre tatsächlich kaum vor; in der digitalen Öffentlichkeit sind Institutionen generell krass unterbewertet, finde ich sogar. Ob Du einen realistischen Blick auf die Alltagswirklichkeit journalistischen Broterwerbs hast, wage ich aber zu bezweifeln, unter anderem weil Du ein sehr spezielles Beispiel bringst: den Journalismus der nationalen Hochpolitik.
Der hat von den wirtschaftlichen Zwängen in den vergangenen Jahren nicht sooo viel zu spüren bekommen; für den Rest gilt: Die Technologieentdeckungsphase ist vor allem wirtschaftlichen Zwängen geschuldet. Deshalb reiten gerade so viele auf Selbstoptimierungsstrategien rum.
Und was die Suche nach Geschäftsmodellen angeht: Die Idee, Stiftungen ins Leben zu rufen, ist weder neu noch wird das auch nur ansatzweise langen. Das ist wirklich eine beunruhigende Leerstelle.
Ich sehe es nicht nur für die nationale Hochpolitik so. Wenn man sich die nationalen Tageszeitungen ansieht, ist darin kaum ein Teil, der durch journalistische Einzelkämpfer zu leisten ist. (Eine Ein-Mann-Medienproduktion zum Thema iPhone kann da noch so feierlich vorgetragen werden…)
… Ich bekomme seit ein paar Wochen die hiesige Regionalzeitung täglich geschenkt und ich muss sagen, geschenkt ist noch zu teuer. Ich kann verstehen, dass man darin die ersten vier Weltnachtichtenseiten mit Agenturmeldungen bestückt – doch der Regionalteil spottet jeder Beschreibung. Da werden Vereinspressemitteilungen abgedruckt und es gibt pro Tag überhaupt nur 2 selbstständig recherchierte, ausformulierte Texte zu Stadt und Stadtteil. Meine Forderung als Leser ist da ganz einfach: Das muss man einfach besser machen! Und wie es besser geht muss innerhalb der Redaktion geklärt werden und nicht auf großen Konferenzen.
… Ich kann meine Aussage oben auch auf einen Nenner bringen: Journalisten sollten das Problem der Resonanz von Organisation und Gesellschaft nicht der Wissenschaft überlassen, nur weil auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, welche praktischen Fragen in dieser Schnittstelle liegen. (Was das betrifft hab ich aber wirklich wenig Einblick, man sieht ja nur, was einige veranstalten – und darauf beziehe ich mich auch nur.)
Lieber Herr Schulz,
zunächst danke für die Anregungen dieses Textes. Am Design meiner Seite besteht Handlungsbedarf und ich werde dies auch bei Gelegenheit ändern, um die Blogtexte besser lesbar zu machen.
Was meinen Text betrifft, so muss ich Ihnen ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen. Meine etwas plakativen Formulierungen sind, und da sind sie den Ihren ähnlich, gedacht die Leute zum diskutieren zu bewegen.
Entweder verstehe ich ihren Text stellenweise falsch oder Sie den meinen. Ich habe zu keiner Zeit behauptet, dass Medien ihrer Verpflichtung, die unter anderem aus Art. 5 GG erwachsen nicht mehr nachkommen und dem Volk nur noch nach dem Maul reden sollen. Es geht vielmehr darum die Möglichkeiten des Internets im Sinne einer Interaktion zu nutzen. Durch soziale Netzwerke kann Recherche stattfinden und gleichzeitig kommen interessante Anregungen, um bestimmte Texte weiter zu drehen. Es geht nicht darum, auf Zwang nur noch Themen zu beackern, welche das Publikum gerne liest oder gewohnt ist zu lesen. Weniger war der Inhalt das Thema, als vielmehr die Form. Um Massenmedien zu bleiben, muss man schließlich auch Massen erreichen. Und wenn Sie die Qualität ihrer Zeitung so kritisieren, dann bestätigt das nur den Handlungsbedarf den man dort gesehen hat. Ich bin auch nicht der Veranstalter des Kongress, habe aber einige interessante Anregungen mitgenommen und wollte das mit dem Debattenbeitrag zur Diskussion lokalisieren. Für die von Ihnen angesprochene Qualität in Recherche und Inhalt der Medien gibt es andere Kongresse, wie die Jahrestagung des Netzwerk Recherche.
Ich fand es schlichtweg schade, dass anscheinend so banal darüber diskutiert wurde. Es gibt viel zu kritisieren in der Thüringer Medienlandschaft. Das bezieht sich nicht nur auf die von Ihnen unterstützen Aussagen zur Stiftungsfinanzierung. Die Anregung, welche ich für mich aus ihrem Text entnehme ist die, dass ich sicher auch die Qualität der Themen hätte ansprechen sollen. Das ist, wie ich finde auch mit der Themenfindung nur teilweise besprochen. Ich habe es aber mit dem Verweis auf einzigartigen Inhalt nicht ganz entfallen lassen. Insofern ist das wohl eine Anregung für den nächsten Post.
Mit besten Grüßen aus Weimar
Peter Althaus
Lieber Herr Althaus, vielen Dank für ihre Anmerkungen. Ich habe tatsächlich etwas schief diskutiert, und kann ihre inhaltichen Anmerkungen gut nachvollziehen. Ich habe eben nochmal einen anschließenden Text geschrieben, der mein ursprüngliches Problem nocheinmal herausstellt. Ich hoffe, es bleibt dennoch für praktizierende Journalisten interessant. (Da ich mich jetzt schon zur Zunft zähle, obwohl mein Einstieg in die journalistische Praxis noch ein wenig dauert, wäre mir ein bisschen daran gelegen.)