Politische Reden müssen nicht gelingen, um zu überzeugen. Gerade im situativen Scheitern kann das Potential liegen, eine besondere Verbindung zwischen Redner und Publikum herzustellen. Ein Publikum, das eine Rede taktvoll mitfühlt, ist zu anderen Sympathien in der Lage, als eines, das mit druckreifen Appellen beladen wird, seien sie auch noch so zustimmungsfähig. Viele Politiker wissen es: Ein Publikum will gebraucht und bedient werden.
Auf der Bühne stehen die Stars der neuen islamkritischen, rechtspopulistischen Szene, die mit ihrem Publikum verschmelzen wollen. Es ist nicht das Charisma, welches eine ehrfürchtige Distanz zwischen Publikum und Redner herstellen würde, das wirkt – sondern das genaue Gegenteil. Bewunderung erfährt der, der für die Hilflosigkeit des Publikums, die auch die seine ist, Worte findet. Auf der Bühne verbinden sich in loser Folge Reizworte, die der Anlass, aber nicht der Grund ständigen Szenenapplauses sind. Es ist das Publikum, das sich verstanden fühlen will. Der Redner fungiert als Ventil für gemeinsam Erlebtes und gemeinsam Geteiltes. Er ist kein Anführer, sondern ein Anhänger seiner Anhänger. Es ist das Publikum, das bekommt, was es verlangt. Es wird weder überrascht, noch überfordert. Dass dies so ist, lässt sich in der Pathologie zeigen. Der Applaus für Geert Wilders am vergangenen Samstag in Berlin war nie größer als in dem Moment, in dem er die unverständlichen Worte eines Störers mit einem beliebigen Halbsatz kommentierte und die für wenige Sekunden verloren gegangene Hoheit über den Saal zurückeroberte. Es war aber nicht seine Hoheit, sondern die des Publikums. Einmal konnte es an diesem Tag seine Geschlossenheit zeigen und erleben, was es im öffentlichen Raum vermisst. Es schien fast so, als wären viele nur für diesen Moment, in dem man den Störer kollektiv des Saales verwies, gekommen. Das Sicherheitspersonal hätte seine Stellvertreterfunktion kaum beherzter erfüllen können. Es war eine Demonstration von Handlungsfähigkeit, wie sie als politischer Appell den ganzen Tag im Raum stand.
Der Veranstalter Renè Stadtkewitz, der in Berlin mit neuer Partei Politik machen möchte, wird mit seiner Veranstaltung zufrieden gewesen sein. Das Kalkül ging auf. Er schlug seinem Publikum vor, der Führer einer Opposition zu sein, die sich aus ihm und dem Publikum gegen die Politik der Alternativ- und Ziellosigkeit richtet. Es war der Problembezug der Veranstaltung: Von unten fühlt man sich durch Islamisierung bedroht und von oben durch die Politik im Stich gelassen. Als das Publikum den Saal verließ und nur Journalisten blieben, wurde der inhaltliche Charakter der Gesinnung geprüft. Ein Journalist stellte an Marc Doll, Bundesvorstand der Partei „Die Freiheit“, die Frage, warum sich seine Partei nicht mit den anderen rechten Parteien Berlins zusammenschlösse, um die Aussicht auf Wahlerfolge zu verbessern. Man wolle nicht verwechselt werden mit antisemitischen Rechten, man sei keine Neonazi-Partei, man versuche, auf demokratischem Wege Islamkritik zu betreiben. Es gäbe zwar Überschneidungen zu anderen rechten Parteien, aber es gibt nun einmal „Islamkritik und“ – sein Satz bleibt unvollendet. Das journalistische Publikum hat ihn jedoch verstanden und murmelnd ergänzt: „wahre Islamkritik“. Dies lag nach drei Reden auf der Hand, Doll hätte es direkt selbst so sagen können.
Freiheit und Wahrheit, darauf einigt man sich, ohne sich festzulegen. Die Freiheit steht im Namen der Partei und die Wahrheit im Programm. Schon im ersten Punkt des Wahlprogramms wird die unmittelbare Demokratie gefordert. Als ob sich eine mehrheitliche und einheitliche Stimmung auf der Straße einsammeln ließe, wenn man es nur zuließe. Schon in den Reden spiegelt sich dieser zentrale Wunsch nach mehr Demokratie aber nicht mehr wieder. Demokratie setzt Volk voraus, und Volk Menschen. Mit so viel Substanziellem beschäftigt man sich jedoch nicht. Es geht nicht um Muslime, kritisiert wird der Islam. Und zwar nicht als Religion, sondern als System. Diese Entkopplung von Kultur und Natur scheint so attraktiv, dass sie auf vielen Ebenen wiederholt wird. Es sind nicht die Nationalstaaten, die das Unheil im 20. Jahrhundert verursachten, sondern die Ideologien, mit denen sie in der historischen Aufarbeitung verwechselt werden. Diese Logik prägte alle Reden des Tages, in der Pressekonferenz stößt sie an ihre Grenzen. Anders Breivik, der Massenmörder von Oslo, soll nämlich ebenso elegant gespalten werden. Man teile seine Ziele, aber niemals seine Mittel. Man selbst sei Demokrat. Man tritt für bestimmte Werte ein und kämpft nicht gegen Wirklichkeit. Breivik habe das eben nicht verstanden. Dass auch Breivik keine Muslime, sondern eine Idee bekämpfte, dass er die Jugendlichen auf Utoya als Repräsentanten dieser Idee stellvertretend tötete, dass wolle man lieber selber nicht verstehen.
Der neue, islamkritische Rechtspopulismus hat keinen spontan-aggresiven Charakter wie die Neonazi-Szene. Er ist trotzdem gefährlich, weil er sich um die gesellschaftlichen Effekte seiner Argumente und Thesen nicht kümmert. Stattdessen richten sich seine Protagonisten in einer Behauptung der eigenen Substanzlosigkeit ein und reagieren auf kritische Nachfrage stets gleich: So sei es ja nicht gemeint und so wollte man auch nicht verstanden werden. Es ist ein Versuch von Politik, der in seiner Einfachheit seine Kritiker unterfordert, seinem Publikum aber auch nicht mehr als ein paar Stunden in Gemeinschaft einbringt. Man sollte ihn nicht ignorieren, kann ihn aber abhaken.
(Bild: Jeffrey Rowland)