FIFA – Die gescheiterte Legalisierung der Korruption

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Auch Experten der Sportbranche vergleichen die FIFA mit der Mafia. Die Rede ist von der „FIFA-Mafia“, die wie ein Krake die Geschäfte im internationalen Fußball beherrsche. Der langjährige Präsident der FIFA, Sepp Blatter, wird als „Don Blatterone“ bezeichnet, als Pate, der die Geldflüsse in der Organisation kontrolliert.[1] Sicherlich – Assoziationen mit der Mafia sind naheliegend, wenn gleich reihenweise FIFA-Funktionäre von der Polizei aus einem Zürcher Luxushotel abgeführt werden. Aber letztlich geht diese Beschreibung am Charakter der FIFA vorbei.

Denn die FIFA ist, anders als die Mafia, nicht per se eine kriminelle Organisation. Sie kann in der Regel ungestört ihre Versammlungen abhalten, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Polizei die Veranstaltung auflöst. Im Gegenteil: Sie kann sicher sein, dass die Schweizer Polizei ihre Veranstaltungen schützt, weil sie (noch) davon ausgeht, dass sich ihr Handeln im Rahmen der Gesetze bewegt. Aber wenn die FIFA mit der Metapher der Mafia unzureichend beschrieben ist – um was für eine Organisation handelt es sich denn dann bei der FIFA, und wie kann ihr Handeln erklärt werden? Und weitergehend – was können andere Organisationen aus der Geschichte der FIFA lernen?

Eine Metaorganisation mit besonderen Machtverhältnissen

In der Organisationsforschung werden Vereine wie die FIFA, aber auch die OECD, die International Air Transport Association, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag oder die International Federation of Eugenic Organizations als Metaorganisationen bezeichnet.[2] Die Besonderheit von Metaorganisationen ist, dass nicht Einzelpersonen, sondern andere Organisationen Mitglied sind. Sicherlich – auch im FIFA-Hauptquartier in Zürich arbeiten einige hundert Personen, die ein regelmäßiges und angeblich nicht allzu schlechtes Einkommen von der FIFA beziehen. Aber für die formalen Entscheidungsprozesse der FIFA sind nicht diese Mitarbeiter relevant, sondern die 209 nationalen Fußballverbände, die als Mitglieder der FIFA den Kurs dieser Organisation bestimmen.

Die Organisationsforscher Göran Ahrne und Nils Brunsson haben herausgearbeitet, dass die meisten Metaorganisationen im Vergleich zu ihren Mitgliedsorganisationen schwach sind.[3] Man muss sich nur so unterschiedliche Metaorganisationen wie die Vereinten Nationen, die NATO oder den Deutschen Industrie- und Handelskammertag ansehen, um zu erkennen, wie wenig Einfluss sie verglichen mit ihren Mitgliedsorganisationen haben. Die vergleichsweise schwache Zentrale der Metaorganisation ist in den meisten Fällen kaum in der Lage, Veränderungen in ihren Mitgliedsorganisationen zu initiieren. Meistens besteht der Kurs einer Metaorganisation aus einem mehr oder minder fragilen Kompromiss, den ihre starken Mitgliedsorganisationen ausgehandelt haben. Anders sieht es aus, wenn es einer Metaorganisation gelingt, eigene Einnahmen zu generieren und sich so von ihren Mitgliedsorganisationen zu emanzipieren. Das ist im Feld von Metaorganisationen eher die Ausnahme. Aber der FIFA ist genau dies gelungen.

Die FIFA verfügt mit der Fußball-Weltmeisterschaft über ein natürliches Monopol, weil sich für das Handelsgut „Weltmeisterschaft“ keine Konkurrenzanbieter etablieren können. Sicherlich ‒ im Prinzip könnten sich in allen Ländern Fußballvereine zusammentun, Mannschaften benennen und die Austragung einer gemeinsamen Weltmeisterschaft verkünden. Das wäre aber wohl ähnlich erfolglos wie der Versuch eines Wasserversorgungsunternehmens, das in ein neues Rohrleitungsnetz investiert, um den Stadtwerken von Hamburg, Wien über Zürich Konkurrenz zu machen. Bevor sich die Investitionen auszahlen, wäre die Unternehmung wegen der hohen Einstiegshürden schon pleite. Die Monopolstellung der FIFA ermöglicht es ihr, bei Fußballweltmeisterschaften die Gebühren für die Übertragungsrechte, die Sponsorengelder, die Ticketpreise und die Gebühren für die Merchandisingprodukte fast beliebig zu erhöhen, weil es keine Konkurrenz gibt.

Wegen dieser auf einer Monopolstellung basierenden Einnahmemöglichkeiten unterscheidet sich die FIFA von anderen Metaorganisationen. Die FIFA muss nicht Geld von ihren Mitgliedsverbänden einnehmen, um zu existieren, sondern kann vielmehr Geld an ihre Mitgliedsorganisationen verteilen. Die UNESCO, die OECD oder die NATO müssen bei ihren Mitgliedsstaaten betteln gehen, wenn sie ihr Budget erhöhen wollen, die FIFA ist darauf nicht angewiesen, im Gegenteil, sie kann sich als Geldverteilungsmaschine für ihre Mitgliedsorganisationen profilieren.

Die besonderen Mehrheitsverhältnisse in der FIFA

Dies erklärt, warum die Fußballverbände von Kleinststaaten eine Mitgliedschaft in der FIFA anstreben, schließlich ermöglicht dies Zugang zu dem Geldsegen, den die FIFA jährlich ihren Mitgliedern zukommen lässt. Eine jährliche Ausschüttung von einer Million Franken mag für einen Verband wie den Deutschen Fußballbund oder die Real Federación Española de Fútbol zweitrangig sein, sie stellt jedoch für Fußballverbände von Kleinststaaten wie die St. Kitts and Nevis Football Association, die Vanuatu Football Federation oder die Football Federation of Belize die zentrale Einnahmequelle dar.

Die Kleinverbände haben erheblichen Einfluss auf die Entscheidung der FIFA gewonnen, weil anders als beispielsweise bei der Weltbank oder beim Internationalen Währungsfonds jeder Mitgliedsverband die gleichen Stimmrechte hat. Das Prinzip „One Man, One Vote“ – oder besser „One State, One Vote“ lag den Statuten der „Féderation Internationale de Football Association“ zugrunde, zu der sich 1904 vergleichsweise gleich große nationale Fußballverbände zusammenschlossen, und wurde mit Verweis auf demokratische Grundsätze bis heute beibehalten. Bei der Wahl des FIFA-Präsidenten zählt die Stimme des Deutschen Fußballverbandes also genauso viel wie die Stimme des Fußballverbandes der Zentralafrikanischen Republik oder von Kirgisistan.

Faktisch hat dies dazu geführt, dass die europäischen Fußballverbände Einfluss verloren und die afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Verbände Einfluss gewonnen haben. Während 1915 die europäischen Verbände noch 83% der Stimmen auf den FIFA-Kongressen hatten, verfügen sie heute nur noch über 25%.[4] Und weil die meisten Staatsneugründungen in Afrika, Ozeanien und Asien stattfinden, wird sich das Stimmenverhältnis zukünftig wohl noch weiter zuungunsten der europäischen Verbände verschieben.

Eine Stärkung des Einflusses der großen Fußballverbände, die vorrangig in Europa und Lateinamerika angesiedelt sind, ist unwahrscheinlich, weil dafür ja ein Mehrheitsentscheid aller Fußballverbände, auch derjenigen aus Afrika, aus dem Nahen Osten, aus Asien und aus Süd- und Mittelamerika nötig wäre, für die es aus nachvollziehbaren Gründen nicht einsichtig ist, warum sie freiwillig ihren Einfluss auf die FIFA reduzierten sollten. Und die großen nationalen Fußballverbände haben keine Möglichkeit, ihren Einfluss zu erhöhen, weil die FIFA ja anders als die meisten anderen Metaorganisationen nicht auf ihre Mitgliedsbeiträge gar nicht angewiesen ist.

Die FIFA beginnt in Afrika, Asien und in der Karibik

Dieser starke Einfluss der Fußballverbände aus Afrika, aus dem Nahen Osten, aus Asien und aus Süd- und Mittelamerika ist ein zentraler Mosaikstein, um die FIFA zu begreifen. Die Fußball-Verbände in den Entwicklungsländern funktionieren nämlich nicht eins zu eins wie Kopien ihrer westlichen Dachorganisation. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern kommt es eben nicht zu einer Ablösung von Verwandtschaftsnetzwerken oder Clan-Beziehungen, wenn man Mitglied einer Metaorganisation wird, sondern die Verbandstätigkeiten verflechten sich mit den existierenden Verwandtschaftsnetzwerken und Clan-Beziehungen. Im Nahen und Mittleren Osten wird diese Verflechtung als „Wasta“ bezeichnet, in Mittel- und Südamerika als „Confianza“, in Rußland als „Blat“ und in China als „Guanxi-Prinzip“.

Die Abläufe innerhalb der nationalen Fußballverbände werden durch eher klassische Patronage-Beziehungen überformt. In einer Reihe von afrikanischen, amerikanischen und asiatischen, aber auch in einigen europäischen Staaten diente die Unterstützung einer bestimmten Person bei Wahlen dazu, einen Patron auf einen politischen Posten zu hieven, um von ihm dann später Hilfestellung bei Behördenangelegenheiten, bei der Beantragung von Mitteln oder bei der Jobsuche verlangen zu können.[5] Und der Vorsitz in einem der nationalen Sportverbände ist wegen des Zugangs zu Geldern internationaler Organisationen einer der Hauptpreise in diesen Patronage-System.

Sicherlich – Korruption lässt sich sowohl in Entwicklungsländern als auch in Industrieländern beobachten. Als „Erfinder der modernen Sportkorruption“ gelten nicht die inzwischen angeklagten früheren FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner aus Trinidad und Tobago, Jeffrey Webb von den Cayman Islands oder Eugenio Figueredo aus Uruguay, sondern Horst Dassler aus Deutschland, der Sohn des Adidas-Gründers Adolf Dassler.[6] Dassler war nicht nur der Entdecker und Lehrmeister von Sepp Blatter, sondern auch der Gründer der Firma „International Sport and Leisure“. Offizieller Zweck von ISL war der Handel mit TV-Rechten, inoffiziell flossen aber nach Feststellung durch Schweizer Gerichte insgesamt 138 Millionen Franken Schmiergelder an Funktionäre der FIFA, des Internationalen Olympischen Komitees und anderer internationaler Sportverbände.

Aber bei aller Bedeutung der aus Industriestaaten stammenden sogenannten „Dassleristen“ wie den IOC-Präsidenten José Samaranch oder Thomas Bach darf jedoch ein Unterschied bei der Korruption in Industrie- und Entwicklungsländern nicht unterschätzt werden: Die Reaktion auf das Bekanntwerden der Korruption. In westlichen Organisationen muss der von der Regel Abweichende den Fehler eingestehen und Besserung geloben.[7] In Entwicklungsländern wird diese Notwendigkeit häufig nicht gesehen. Auch im Konfliktfall fühlen sich Mitarbeiter im Recht, wenn sie sich auf eingespielte, aber nicht offiziell abgesegnete Trampelpfade berufen.

Je stärker eine Metaorganisation durch Verbände aus Entwicklungsländern geprägt ist, desto stärker dominieren die länderspezifischen Strukturprinzipien auch diese Verbände. In der französischen Entwicklungshilfe gibt es den Spruch, dass Afrika in der Rue Roland-Barthes in Paris beginnt, weil die dort ansässige französische Entwicklungshilfeorganisation gezwungen ist, sich letztlich den Strukturen ihrer Partner-Organisationen in Entwicklungsländern anzupassen, um erfolgreich mit ihnen zusammenarbeiten zu können. Und in einem ähnlichen Sinne kann man sagen, dass die zentralen Entscheidungsprozesse der FIFA stark durch die Funktionsweise der Verbände aus Costa Rica, Afrika, Asien und Amerika bestimmt werden, weil die FIFA aufgrund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse nun mal nicht wie eine Vorzeigeorganisation von Transparency International funktionieren kann.

Die Gründe für die Toleranz gegenüber Korruption

Auffällig ist jedoch, wie lange Korruption, Bestechung und Unterschlagung im System der FIFA von Sponsoren geduldet, teilweise sogar unterstützt wurden. FIFA-Sponsoren wie Coca-Cola, McDonalds, Budweiser, Gazprom, Hyundai und Visa haben offensichtlich keinen Imageschaden durch die lange Zeit in immer kürzeren Abständen bekannt werdenden Korruptionsfälle erlitten. Selbst im aktuellen Korruptionsfall lässt das Sportunternehmen Adidas, das seit Jahrzehnten eng mit der FIFA verbunden ist, erkennen, dass es in auch diesen schwierigen Zeiten an seinem Sponsoring-Partner festzuhalten gedenkt, und auch einer der weiteren Hauptsponsoren, das Kreditunternehmen Visa, zeigt sich lediglich besorgt über die aktuellen Probleme der FIFA. Wie lässt sich diese Zurückhaltung von Unternehmen mit Hauptsitzen in Europa und Nordamerika erklären?

Die Soziologin Barbara Kuchler hat herausgearbeitet, dass der Widerstand gegen Korruption dort schwächer ist, wo es nicht um die Kernfunktion eines gesellschaftlichen Bereichs wie Medizin, Bildung oder Sport geht.[8] So ist es unwahrscheinlich, dass sich Ärzte für korrupte Praktiken einspannen lassen, wenn ernst zu nehmende Auswirkungen auf die Gesundheit des Patienten zu befürchten wären, sind aber in vielen Fällen geneigt, auf die sie umschmeichelnden Pharmakonzerne zu hören und das Medikament eines bestimmten Herstellers zu verschreiben, wenn es mehrere wirkgleiche Medikamente gibt und es medizinisch relativ egal ist, welches davon eingesetzt wird.

Ebenso ist im Sport die Korruptionsdichte größer, wenn es um die Bestimmung des Austragungsortes für Wettkämpfe geht, als wenn es darum geht, wer Weltmeister wird. Einem nationalen Fußball-Kaiser, der nach seiner aktiven Karriere sein Glück in einer Karriere als Sportfunktionär sucht, wird es weitgehend gleichgültig sein, ob die Austragung der Fußballweltmeisterschaft an Südafrika, Brasilien, Russland oder Katar vergeben wird, und wird dementsprechend empfänglich für kleinere oder größere Zuwendungen sein. Aber der Fußball-Kaiser würde vermutlich sensibel reagieren, wenn Südafrika, Brasilien, Russland oder Katar versuchen würden, sich auch gleich noch den Weltmeistertitel zu kaufen.

Sicherlich – auch bei der Kernfunktion des Sports gibt es Korruption. Bei der WM 1978 in Argentinien musste die Mannschaft des Gastgebers das Spiel gegen Peru mit mindestens vier Toren Unterschied gewinnen, um statt des Gruppenrivalen Brasilien in die Endrunde einzuziehen. Argentinien gewann 6:0 gegen eine Mannschaft, die vorher gegen Schottland und den Iran souverän gewonnen hatte und Holland ein Unentschieden abgetrotzt hatte, und vieles spricht – jedenfalls nach den Recherchen von David Yallop – dafür, dass das Spiel durch die Argentinier gekauft wurde.[9] Aber dabei hat es sich um eine Ausnahme gehandelt, die nur durch die direkte Intervention des argentinischen Diktators Jorge Rafael Videla bei seinem peruanischen Amtskollegen zustandekommen konnte. Weil das Interesse an – und damit auch die Einnahmemöglichkeiten bei – Fußballspielen massiv abnehmen würde, wenn die Ergebnisse vorrangig von der Professionalität bei der Bestechung von Gegenspielern oder Schiedsrichtern und nicht von der Beherrschung des Balls abhängen würden, sorgen die Sponsoren dafür, dass sich Korruption auf die Randbereiche des Fußballs beschränkt.

Legalisierte Korruption

Je mehr die FIFA zum Symbol für weltweite Korruption geworden ist, desto stärker entwickelte sich jedoch der Druck auf die Organisation. Das Hauptproblem der FIFA ist nicht, dass permanent gegen die formalen Erwartungen der eigenen Organisation verstoßen wird. Die geduldeten kleinen und großen Abweichungen von offiziellen Zielvorgaben der Organisation, die Missachtung der vorgegebenen internen Regelwerke oder das Überspringen von Vorgesetzten, um eine Sache schnell auf den Weg zu bringen, gehören in der FIFA – wie in jeder anderen Organisationen auch ‒ zum Alltag. Viel problematischer sind für die FIFA die Regelabweichungen geworden, die nicht nur gegen die eigenen formalen Bedingungen verstießen, sondern auch staatliche Gesetze brachen. Diese Fälle von Regelverletzungen sind prekär, wenn sie von Mitgliedern der eigenen Organisation offengelegt werden. Wird die Strafverfolgungsbehörde aufgrund der Äußerungen eines Mitarbeiters – eines sogenannten „Whistleblower“ – eingeschaltet, gibt es kaum noch Möglichkeiten, die dann einsetzende strafrechtliche Prüfung zu unterbinden.[10] Viele westliche Unternehmen mussten die schmerzhafte Erfahrung machen, dass das systematische Schmieren von Auftraggebern, das große Elektronikkonzerne praktizieren, um Aufträge für den Bau von Kraftwerken, U-Bahnen oder Flughäfen zu erhalten, mit dem Risiko einhergeht, dass eine Aufdeckung dieser Regelverletzung keine interne, sondern eine öffentliche Strafverfolgung in Gang setzt.

Sepp Blatter war in seiner Amtszeit daher darauf bedacht, die Korruption wenigstens im Kern der FIFA zu legalisieren. Eine Hauptaufgabe der über Jahre für einen zweistelligen Millionenbetrag engagierten Beratungsfirma McKinsey bestand darin, die Finanzflüsse der FIFA so zu reorganisieren, dass sie für Klagen von außen nicht mehr so anfällig war. Der hauptamtliche FIFA-Präsident kann jährlich über mehrere Millionen Schweizer Franken verfügen. Wie viel er davon als Gehalt und Boni kassiert und wie viel er davon nutzt, um sich Mitglieder der „FIFA-Familie“ gefügig zu machen, weiß auch innerhalb der FIFA kaum jemand – eine Informationspolitik, die für eine Metaorganisation ungewöhnlich ist, aber keinen Straftatbestand darstellt. Den ehrenamtlichen Mitgliedern des Exekutiv-Komitees zahlt die FIFA 100.000 Dollar Aufwandsentschädigung pro Jahr, und jedes Mitglied verfügt wie der Präsident über einen eigenen Etat, über den die Ausgaben laufen.[11]

Blatter hat – anders als sein Amtsvorgänger, João Havelange, – begriffen, dass legale Formen der Korruption Vorteile gegenüber den illegalen Formen der Korruption haben.[12] Bewerber für die Austragung einer Weltmeisterschaft mögen nationalen Fußballverbänden Gelder für Entwicklungshilfeprojekte, die Unterstützung für größere Infrastrukturvorhaben oder eine engere Kooperation bei Veranstaltungen in Aussicht stellen, sie lassen sich immer als eine Unterstützungsmaßnahme darstellen, die man den ärmeren Sportpartnern sowieso in Aussicht gestellt hätte. Wenn die britische Nationalmannschaft in Umfeld einer Bewerbung für die Weltmeisterschaft den nationalen Verbänden von Fußballzwergen Länderspiele in Aussicht stellt, mag dies anrüchig sein, Korruption in einem strafrechtlichen Sinne ist es nicht.

Die FIFA ist als Organisation deswegen so interessant, weil sie Raum gibt für genau diese Legalisierung von Korruption bei Geldflüssen zwischen Organisationen der westlichen und südlichen und östlichen Länder. Der UEFA-Präsident Michel Platini, der sich lange Zeit als Steigbügelhalter für Sepp Blatter betätigt hat und erst vor Kurzem von Blatter abgerückt ist, unterstützte die erfolgreiche WM-Bewerbung Katars, achtete aber darauf, dass es keine direkte Kausalverbindung zum Einstieg seines Sohns in die staatliche Qatar Sport Investments gab. Auch Franz Beckenbauers Unterstützung für die russische WM-Bewerbung steht zwar zeitlich im engen Zusammenhang mit seinem lukrativen Werbevertrag mit dem russischen Gazprom-Konzern, aber auch hier ließ sich keine direkte Absprache nachweisen.

Mit den Maßnahmen zur Legalisierung der Korruption schien die FIFA auf einem guten Weg, weil sie strafrechtliche Verfehlungen eine Zeit lang erfolgreich personalisieren konnte. Die Zahlungen der FIFA flossen auf einem rechtlich nicht anfechtbaren Weg an die Mitgliedsverbände, und dort konnten sich dann die Funktionäre an den Mitteln persönlich bereichern, ohne in ihren Heimatländern strafrechtliche Verfolgung oder massenmediale Skandalisierung besonders fürchten müssen. Die direkten Schmiergeldzahlungen, mit denen beispielsweise das Feld für eine WM-Bewerbung bereitet werden sollte, flossen – ohne offizielle Einschaltung der FIFA – direkt an die Mitglieder im Executive Committee.

Wenn einem Mitglied des Executive Committee, wie im Fall von Reynald Temarii oder Amos Adamu geschehen, doch einmal durch die Massenmedien Bestechlichkeit nachgewiesen werden konnte, dann konnte die FIFA dies als persönlichen Verstoß dieser Fußballfunktionäre brandmarken. Es wurden sodann andere Funktionäre in das Executive Committee berufen, die an die Futtertröge der FIFA gelassen wurden, mit der Erwartung, dass sie sich nicht so dämlich erwischen lassen würden.

Gründe für die fehlende Reformierbarkeit

Metaorganisationen sind in der Regel nur sehr begrenzt veränderungsfähig, weil sich ihre Mitgliedsorganisationen nur selten auf grundlegende Reformen einigen können. Man muss sich nur anschauen, welche Schwierigkeiten etwa die UNESCO, der ADAC oder der DGB haben, auch nur kleine Reformen gegen die Interessen ihre Mitgliedsorganisationen durchzusetzen. Die FIFA hätte hier ganz andere Möglichkeiten, weil sie mithilfe von Geldzahlungen an kleine Mitgliedsverbände auch ernsthafte Veränderungen durchsetzen könnte.

Aber genau an dieser Stelle blockierte das „System Blatter“ grundlegende Veränderungen, weil im Falle plötzlicher Veränderungen das Kartenhaus aus gegenseitigen Gefälligkeiten in sich zusammengefallen wäre. Eine Veränderung der Führungsspitze war lange Zeit ausgeschlossen, weil Blatters Unterstützungsnetzwerk aus den Präsidenten kleinerer afrikanischer, asiatischer und amerikanischer Fußballverbände offensichtlich stabil war. Veränderungen von Statuten wie beispielsweise Amtszeitbegrenzungen à la „Wenn jemand zweimal als Delegierter am FIFA-Kongress teilgenommen hat, darf er nicht noch einmal teilnehmen“ waren bis zum Rücktritt Blatters faktisch ausgeschlossen, weil sie zu stark in die existierenden Netzwerke eingegriffen hätten. Übrig blieb zur Reparatur der Schauseite der FIFA letztlich nur eine Veränderung der Kommunikationswege – nämlich die Einrichtung eines Independent Governance Committee, das Reformvorschläge erarbeitete, die jedenfalls in den bereinigten Varianten die zentralen Strukturmerkmale nicht infrage stellen durften.

Blatter ist letztlich daran gescheitert, dass er das Konzept der legalisierten Korruption nicht konsequent genug umgesetzt hat. Die Strafverfolgung von Mitgliedern nationaler Fußballverbände brachte immer deutlicher an den Tag, dass ein Teil der Schmiergeldzahlungen zum Beispiel bei der Vergabe der Weltmeisterschaft an Südafrika direkt über die FIFA geflossen ist und dass anhand von Unterschriften nachweisbar ist, dass die FIFA-Führung über diese Geldflüsse informiert war. Wäre Blatter nicht derselbe Fehler passiert wie seinem Vorgänger João Havelange, nämlich dass illegale Geldzahlungen in nachvollziehbarer Weise über ein FIFA-Konto geleitet wurden, hätte das System der legalisierten Korruption der FFIA noch für lange Jahre stabil sein können.


[1] Siehe nur beispielhaft Jennings, Andrew (2006): FOUL! The Secret World of FIFA: Bribes, Vote-Rigging and Ticket Scandals. London: HarperSport oder Kistner, Thomas (2012): Fifa-Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. München: Droemer.

[2] Ahrne, Göran; Brunsson, Nils (2008): Meta Organizations. Cheltenham, Northampton: Edward Elgar Publishing.

[3] Ahrne, Göran; Brunsson, Nils (2005): Organizations and Meta-organizations. In: Scandinavian Journal of Management 21, S. 429–449, hier S. 443.

[4] Kaufmann, Sylvie (2015): Scandale de la FIFA, un psychodrame géopolitique. In: Le Monde, 05.06.2015. Siehe dazu auch ausführlich Darby, Paul (2002): Afrika, Football and FIFA. Politics, Colonialism and Resistance. London, Portland: Frank Cass, S. 43ff.

[5] Lemarchand, René (1988): The State, the Parallel Economy, and the Changing Structure of Patronage Systems. In: Donald Rothchild und Naomi Chazan (Hg.): The Precarious Balance. State and Society in Afrika. Boulder: Westview Press, S. 149–170. Wie stark dieses Modell in den USA verbreitet war (und ist), zeigt auf einem Mikrolevel die von William F. Whyte (1943) beschriebene „Street Corner Society“ Bostons. Siehe Whyte, William Foote (1943): The Street Corner Society. Chicago: University of Chicago Press.

[6] Fritsch, Oliver (2014): Der Erfinder der modernen Sportkorruption. Adidas ist Teil deutscher Fußballkultur und eine Macht im Sport. Doch die Methoden des Ausrüsters sind seit Jahrzehnten fragwürdig. In: Die Zeit, 21.05.2014.

[7] Luhmann, Niklas (2000): Organisation und Entscheidung. Opladen: WDV, S. 258.

[8] Kuchler, Barbara (2014): Korruption und funktionale Differenzierung. Bielefeld: Unveröff. Ms.

[9] Yallop, David A. (2011): How They Stole the Game. London: Constable.

[10] Fred, Alford C. (2001): Whistleblowers. Broken Lives and Organizational Power. Ithaca: Cornell University Press.

[11] Kistner, Thomas (2012): Fifa-Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. München: Droemer, S. 28.

[12] Zur FIFA während der Präsidentschaft von Havelange siehe besonders Sugden, John; Tomlinson, Alan (1998): FIFA and the Contest for World Football. Who Rules the People’s Game? Cambridge, UK, Malden, MA: Polity Press; Blackwell Publishers und Yallop, David A. (1998): Wie das Spiel verlorenging. Die korrupten Geschäfte zwischen FIFA und Medien. München: Econ.

(Bild: Pan Photo)

Veröffentlicht von Stefan Kühl

Hat vor zwanzig Jahren als Student die Systemtheorie in Bielefeld (kennen-)gelernt und unterrichtet dort jetzt Soziologie. Anspruch – die Erklärungskraft der Soziologie jenseits des wissenschaftlichen Elfenbeinturms deutlich zu machen. Webseite - Uni Bielefeld

1 Kommentar

  1. Merkur836 sagt:

    Derzeit Hinweis auf die Meta-Organisationen war für mich im Bezug auf die Akteursstrukturen der EU sehr erhellend: hiermit kann also auch der Wandel von einer starken zu einer schwachen Meta-Organisation mit nun starken Einzelmitgliedern nachvollziehbar werden.

    So kann vielleicht auch erklärt werden wie Griechenland so viel Aufmerksamkeit zugeteilt bekommt, denn sie haben den Wandel der Meta-Organisation begriffen, den die anderen Mitglieder noch zu verbergen versuchen.

    Etwas OT, aber vielen Dank!

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