Von der Lektüre von Managementliteratur kann man Hochschulleitungen nur abraten – zu groß sind die sprachlichen Zumutungen, die man beim Lesen ertragen muss, zu simpel ist in der Regel das zugrunde liegende Organisationsverständnis, zu grundlegend sind die Unterschiede von Hochschulen zu Unternehmen, für die die meisten Rezepte erarbeitet wurden. Angesichts der aktuellen Diskussion über die leistungsorientierte Mittelvergabe in der Wissenschaft könnte man jedoch dazu tendieren, Hochschulleitungen ein Managementbuch zu empfehlen.
Vor über zwanzig Jahren publizierte Reinhard Sprenger das Buch „Mythos Motivation“, das sich gegen die klassische Vorstellung zur Motivierung von Mitarbeitern richtete. Es war eine Fundamentalkritik gegen das in Unternehmen gepflegte Bild von Mitarbeitern als „tendenzielle Leistungsverweigerer“, die nur von Führungskräften mit allerlei Tricks motiviert werden müssten. Das Buch richtete sich gegen das lange Zeit in Unternehmen grassierende „Incentive-Fieber“ – die Vorstellung, dass sich Mitarbeiter dadurch zu Leistungen bewegen lassen, dass man ihnen eine Reise mit Heidi Klum, eine teure Armbanduhr oder eine Geldprämie am Ende des Jahres in Aussicht stellt. Führung – so der Tenor des Buches – bestehe nicht in der Motivierung der Mitarbeiter, sondern darin, eine Demotivation der Mitarbeiter durch Einschnitte in deren Freiheiten zu vermeiden.
Das Buch des Managementberaters hatte in der Wirtschaft einen überraschenden Einfluss auf die Art und Weise, wie über Motivation gedacht und geredet wird. Auch wenn viele Unternehmen im Vertrieb nicht auf den Einsatz von Incentives verzichten wollen, so betonen doch überraschend viele Unternehmensführer in ihren Sonntagsreden, dass man Mitarbeiter nicht über Leistungsanreize motivieren könne. In Kontrast zu dieser inzwischen dominierenden Denkweise in der Wirtschaft setzt sich interessanterweise in der Wissenschaft mit der Einführung der leistungsorientierten Mittelvergabe ein Verständnis durch, das die an den Hochschulen und Forschungsinstituten tätigen Menschen letztlich als vergleichsweise einfach gestrickte „Reiz-Reaktions-Maschinen“ begreift.
Das Kaskadenmodell der Leistungsanreize
Die Ursache für die immer populärer werdende Vorstellung, dass Wissenschaftler über kleinere oder größere Prämien motiviert werden müssen, liegt in der Umstellung der Mittelzuweisungen der Ministerien an die Hochschulen. Ein Effekt des in der öffentlichen Verwaltung so populären New Public Management ist, dass die Wissenschaftsministerien der meisten Bundesländer den Hochschulen nicht mehr pauschal Mittel zuweisen, sondern einen Teil der Mittelzuweisungen davon abhängig machen, wie erfolgreich die jeweilige Hochschule bei den Absolventenquoten, bei der Anzahl von Doktoranden, bei den eingeworbenen Drittmitteln oder der Berufung von Frauen auf Professuren ist.
Die Hochschulleitungen wiederum nutzen ihre Abhängigkeit von der leistungsorientierten Mittelvergabe durch die Ministerien, um Eingriffe in ihre Fachbereiche zu rechtfertigen: Neben einer reduzierten jährlichen Grundfinanzierung tritt an einer Reihe von Hochschulen jetzt noch die Vergabe von leistungsorientierten Mitteln. Zu diesen Mittel haben die Einheiten der Hochschule Zugang, wenn sie vorher definierte Leistungskriterien wie zum Beispiel bei der Anzahl der Studienanfänger, bei Absolventenzahlen oder Drittmitteln erreichen oder wenn sie mit überzeugenden Anträgen bei der Hochschulleitung erfolgreich Mittel für strategische Neuausrichtungen einwerben. Das Wort „Drittmittel“ erhält hier deswegen eine ganz neue Bedeutung, weil Hochschulleitungen diese Gelder nicht mehr direkt an die operativen Bereiche weitergeben, sondern ihre Fachbereiche in einen hochschulinternen Wettbewerb um einen Teil dieser Gelder eintreten lassen.
Auf der Ebene von Fachbereichen wird das Mittelverteilungsmodell weiter betrieben. Die einzelnen Professoren bekommen nicht mehr die Mittel, die sie für die Aufrechterhaltung ihres Forschungs- und Lehrbetriebs brauchen, sondern die Mittelzuweisungen hängen davon ab, wie viele Publikationen sie nachweisen können, wie viele Doktoranden sie betreuen und wie viele Drittmittel sie eingeworben haben. Die Professoren treten also faktisch in einen Wettbewerb um die Gelder ein, die den Fachberiechen jedes Jahr zur Verfügung stehen.
Der Drang zur Quantifizierung
Die Crux ist, dass eine leistungsorientierte Mittelverteilung nur dann funktioniert, wenn sie wenigstens den Anschein von Objektivität erfüllt. Nach der Ideologie des New Public Management eignen sich Kriterien nur dann für eine leistungsorientierte Mittelzuweisung, wenn sie „smart“ formuliert werden. „Smart“ steht dafür, dass Ziele spezifisch , messbar, ausführbar, realistisch und terminierbar formuliert werden sollten.
Das Problem ist jedoch, dass es in der Wissenschaft kaum Ziele gibt, die solchen Ansprüchen an Messbarkeit und Terminierbarkeit genügen. Zwar gibt es in den einzelnen Disziplinen sehr genaue Sensorien dafür, welche Wissenschaftler über ein hohes Maß an Reputation verfügen, aber diese Reputation lässt sich‒- allen Versuchen zur Vermessung der Wissenschaft zum Trotz – nicht in quantifizierbare Kriterien übersetzen. Genauso herrschen in den einzelnen Disziplinen genaue Vorstellungen darüber, an welchen Instituten ihr Fach besonders gut studiert werden kann, aber auch dies lässt sich nicht so quantitativ operationalisieren, dass es sich als Kriterium für Mittelzuteilungen eignet.
Die Wissenschaftsministerien greifen deswegen in ihrem Bestreben, die Hochschulen zu steuern, fast verzweifelt nach allen Kriterien, die sich irgendwie einigermaßen in Zahlen darstellen lassen. Messbar erscheinen die Anzahl der eingeschriebenen Studierenden, die Zahl der erfolgreich ihr Studium abschließenden Bachelor- und Masterstudierenden, die abgelegten Promotionen und eben die eingeworbenen Drittmittel. Einige für Forschung und Lehre relevante Kriterien werden so faktisch zu einem Fetisch erhoben, weil sie sich besser als andere Kriterien messen lassen.
Die Phantasie bei der Anpassung an die Prämiensysteme
Diese leistungsorientierte Mittelvergabe hat zur Folge, dass viel Phantasie dafür mobilisiert wird, die gesetzten Leistungskriterien mit möglichst geringem Energieaufwand zu erfüllen. Schon bei den Leistungsanreizen in Unternehmen konnte man beobachten, wie Mitarbeiter vielfältige Tricks im Umgang mit den quantifizierten Zielvorgaben entwickelten. Wer nur einmal einen Tag mit einer „leistungsanreizmotivierten“ Vertriebsmitarbeiterin aus der Pharmabranche unterwegs war, konnte beobachten, wie viel Energie diese Berufsgruppe darauf verwendet, sich ohne zusätzlichen Energieaufwand an die gerade aktuellen Prämiensysteme anzupassen. Es regiert ein „Etiketten-, Statistik-, Schnellschuss-Schwindel aller Art“, ein Aktionismus, der letztlich nur dazu dient, den vorgegebenen „Zahlen“ zu genügen.
Ähnliche Anpassungsprozesse kann man jetzt auch bei Hochschulmitarbeitern beobachten. An den Hochschulen spricht sich inzwischen herum, dass man seine leistungsmittelrelevante Absolventenquote aufwandsneutral verdoppeln kann, wenn man jedem Studenten einem zweiten Masterabschluss in einem benachbarten Fach dazuschenkt – eine Strategie, die sich durch die Vervielfältigung von Mikro-Mastern mit der Anrechnung von Modulen für verschiedene Studiengänge ergeben hat. Einige Fakultäten betreiben wahre „Titel-Mühlen“, in denen Praktiker ohne großen Aufwand die für ihren Statusaufbau benötigte Promotion bekommen können, weil die Anzahl der Promotionen als Leistungskriterium angesehen wird. Einige Universitäten mutieren inzwischen zu Projektträgern, die für das Forschungs- oder Wirtschaftsministerium Cluster-Vorhaben mit Dutzenden von Universitäten administrieren, weil das ihre eigene Drittmittelquote ohne eigenen Forschungsaufwand massiv erhöht. Und angesichts der starken Fokussierung der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin auf die Gleichstellung von Frauen und Männern wird an einigen Hochschulen im Land scherzhaft diskutiert, ob man männlichen Professoren nicht finanzielle Anreize für eine Geschlechtsumwandlung anbieten sollte, um die niedrige Frauenquote in den Griff zu bekommen. In Spanien sagt man dazu – „Pensar la ley, pensar la trampa“ – „Das Gesetz erfassen heißt, seine Lücken zu entdecken“.
In der Regel bleiben diese dezentralen Strategien zur Steigerung der Leistungskennziffern unbeobachtet. Die Hochschulforschung arbeitet fast ausschließlich mit statistischen Befragungsmethoden, die phantasievolle Anpassungen an die Leistungskriterien nicht erfassen können, und die Hochschulleitungen haben allem Wachstum der Stabsstellen zum Trotz nicht ausreichend Ressourcen, um die Qualität der gelieferten Daten im Detail zu überprüfen. Wenn dann doch einmal ein Trick einer dezentralen Einheit bekannt wird, steuert die Zentrale mit Spezifikationen nach, was aber wiederum nur neue Phantasien zum Frisieren der Kennzahlen mobilisiert.
Die paradoxen Effekte von Leistungsanreizen
Die leistungsorientierte Mittelvergabe hat eine hohe symbolische Bedeutung, weil Unterschiede in der Verteilung von Mitteln intensiv beobachtet werden. Man darf – jedenfalls in den bisherigen Ausprägungen – deren finanzielle Relevanz für die Hochschule nicht überschätzen. Genauso wenig wie es sich die Wissenschaftsministerien leisten können, existierende Hochschulen finanziell auszutrocknen, genauso wenig können Hochschulleitungen riskieren, dass die Fachbereiche, die bei der leistungsorientierten Mittelvergabe schlecht abschneiden, irgendwann einmal nicht mehr in der Lage sind, ihr Stammpersonal zu finanzieren. Genauso wie sich in der Wirtschaft ein System von „Garantieboni“,„“Fixboni“ oder „Mindestboni“ ausgebildet hatte, um die Spitzen leistungsorientierter Mittelvergabe auszugleichen, genau so sucht man in der Wissenschaft jetzt unter dem Schlagwort „Kappungsgrenzen“ nach Wegen, um eine negative Wirkung der leistungsorientierten Mittelvergabe zu verhindern.
Das Problem ist nun aber, dass sich die Funktion der Leistungsanreize auf ihrem Weg von den Ministerien über die Hochschulen zu deren Fachbereichen und dann zu den einzelnen Wissenschaftlern schleichend verändert. Bei der leistungsorientierten Mittelvergabe der Ministerien an die Hochschulen geht es noch vorrangig darum, die Aufmerksamkeit in den unterstellten Hochschulen auf bestimmte Kriterien in Forschung und Lehre zu lenken. Je mehr die leistungsorientierte Mittelvergabe an den Hochschulen jedoch auf die einzelnen Wissenschaftler heruntergebrochen wird, desto stärker nimmt sie den Charakter eines Motivationsmittels an– mit den damit einhergehenden paradoxen Demotivierungseffekten.
Für Anhänger von Anreiztheorien sind Wissenschaftler zunächst einmal ein Rätsel. Sitzen sie erst einmal auf einer Professur, gibt es eigentlich keinen Grund mehr, sich anzustrengen – jedenfalls dann, wenn sie nicht mehr auf eine andere Professur berufen werden können. Sie sind faktisch unkündbar, und ihr Gehalt wird gezahlt unabhängig davon, wie stark sie sich in Lehre und Forschung engagieren. Jetzt gibt es sicherlich Professoren, die auf ihrer ersten Stelle in eine „Postberufungsstarre“ verfallen und keinen wissenschaftlichen Text mehr publiziert bekommen. Aber bei fast allen Professoren fällt auf, dass sie pro Woche mindestens fünfzig oder sechzig Stunden arbeiten. Die einfachste Erklärung, die die Anreiztheorie für dieses auf den ersten Blick irrationale Verhalten liefert, ist intrinsische Motivation. Einfach ausgedrückt: Als Tätigkeiten haben Lehre und Forschung einen hohen Befriedigungsfaktor.
Leistungsanreize in der Wissenschaft ‒ das ist zunächst einmal reine Verschwendung von Ressourcen, weil ja etwas belohnt wird, was Personen aus eigenem Antrieb sowieso tun würden. Schlimmer ist jedoch, dass leistungsorientierte Mittelverteilungssysteme perverse Effekte produzieren, weil sie genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie intendieren. „Alles Motivieren ist Demotivieren“ ist die Kurzformel, die Reinhard Sprenger dafür verwendet. Es ist inzwischen in einer Vielzahl von sozialpsychologischen Studien unter anderem für die Wirtschaft, Wissenschaft, Medizin und Erziehung nachgewiesen worden, dass die Motivation für eine an sich attraktive Tätigkeit abnimmt, wenn sie zusätzlich monetär entlohnt wird. In der Sozialpsychologie wird dieser Effekt „Motivationsverdrängung“ genannt.
Man kann diesen Effekt ganz einfach testen. Man nehme sich sein eigenes oder – falls nicht verfügbar – ein beliebiges anderes Kind und identifiziere, womit es sich am liebsten beschäftigt. Es ist egal, ob es sich um das Lesen von Büchern, das Zeichnen von Bildern, das Werfen von Bällen, das Spielen von Video Games oder das Verprügeln von Nachbarkindern handelt. Dann zahlt man diesem Kind jedes Mal, wenn es seine Lieblingstätigkeit ausführt, eine Geldprämie. Man wird feststellen, dass die Lieblingstätigkeit sehr bald keine Lieblingstätigkeit mehr ist, sondern nur noch ausgeübt wird, wenn sie entsprechend belohnt wird.
Wissenschaftler funktionieren hier im Prinzip nicht anders als Kinder. Man nehme in diesem Falle Forschung oder Lehre, also die Tätigkeit, weswegen jemand in die Wissenschaft gegangen ist, und bezahle die Wissenschaftler nicht mehr nur pauschal, sondern belohne jede kleine Bemühung extra. Sehr schnell wird deutlich, wie die Eigenmotivation an diesen Tätigkeiten abnimmt. Man übt sie nicht mehr aus, weil es dem eigenen Interesse entspricht, sondern weil man dafür mit Geldprämien, Sonderurlauben oder – besonders paradox – durch Lehrdeputatsreduzierungen belohnt wird. Und wenn diese kleinteiligen Belohnungen irgendwann einmal ausbleiben, dann gehen viele Wissenschaftler in den „innerbetrieblichen Vorruhestand“, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen.
Das hat letztlich eine Minderung der Qualität zur Folge. Die Qualität der von einem Kind gemalten Bilder nimmt genauso ab wie die Qualität von Lehre und Forschung, wenn diese Tätigkeit nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur wegen der Bezahlung ausgeübt wird. Es entwickelt sich eine „Abschöpfungs-Mentalität“, indem man versucht, die Prämien mit möglichst geringem Aufwand einzusammeln. Die für die Organisation von Excellence Clustern, Sonderforschungsbereichen oder Forschergruppen in Aussicht gestellten Belohnungen in Form von Geldprämien, Strategie-Etats oder Lehrfreistellungen produzieren also bestenfalls „Strohfeuer-Motivation“. Man kann dies an der Qualität der Anträge für Drittmittelprojekte beobachten, die vorrangig deswegen geschrieben wurden, weil dafür Prämien der Hochschulleitung in Aussicht gestellt wurden.
Druckmittel, nicht Leistungsanreiz
Nach gut zehn Jahren Erfahrung mit quantifizierten Leistungsanreizen in der Wissenschaft haben sich die perversen Effekte dieses Systems in einigen Wissenschafts- und Bildungsministerien herumgesprochen. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern hat nach einer Evaluation ihres Anreizsystems als eine der Ersten die leistungsabhängige Mittelvergabe an die Hochschulen wieder eingestellt. Interessanterweise hat dies aber nicht dazu geführt, dass auch die Hochschulleitungen darauf verzichtet haben, die leistungsorientierte Mittelvergabe an Fachbereiche einzustellen. Woher kommt dieses überraschende Festhalten der Hochschulleitungen an den Leistungsanreizsystemen, obwohl sie selbst darüber nicht mehr gesteuert werden?
Der Hintergrund ist, dass es bei der leistungsorientierten Mittelvergabe nicht primär um eine neuartige Verteilung von Mitteln, sondern um eine neuartige Verteilung von Macht an Hochschulen geht. Die Kontrolle der Mittelflüsse ist ein zentrales Instrument, mit denen sich Hochschulleitungen ihre Fachbereiche gefügig machen können. Durch die faktische Abschaffung der Selbstverwaltungsrechte auf der Ebene der Fachbereiche haben die Hochschulleitungen bereits erheblich an Einfluss gewonnen, ihre Durchgriffsmöglichkeiten blieben jedoch begrenzt, wenn die Fachbereiche über eine gesicherte Grundfinanzierung verfügten.
Genau diese Grundfinanzierung wird durch die neuen Mittelverteilungssysteme jetzt infrage gestellt. Die Prämien für die Erreichung von Leistungskriterien werden ja nicht über zusätzliche Mittel generiert, sondern die jährliche Grundfinanzierung aller Fachbereiche wird erst einmal pauschal reduziert, und dann wird den Fachbereichen in Aussicht gestellt, über Leistungsprämien und Anträge an einen Strategieetat dieses Geld wieder zurückbekommen zu können. Fachbereiche haben gar keine andere Möglichkeit, als diesen zeitintensiven Wettbewerb um hochschulinterne Drittmittel mitzumachen, weil sie im Extremfall über ihre jährliche Grundfinanzierung teilweise gar nicht mehr ihr im Stellenplan vorgesehenes Stammpersonal bezahlen können.
Der Politikwissenschaftler Michael Greven hat weitsichtig schon vor zwanzig Jahren diagnostiziert, dass die Einrichtung von durch die Hochschulleitungen kontrollierten Globalhaushalten zu einer „Entsolidarisierung“ in und unter den Fachbereichen führt. Es werde so – die Prognose Grevens – an den Hochschulen zu einem Kampf aller gegen alle kommen. Es werde keine „Moral“ mehr geben, die „winning coalitions“ an den Hochschulen daran hindern würde, auf Kosten anderer zu expandieren. Diese durch die leistungsorientierte Mittelvergabe ermöglichte Strategie des „Teilen und Herrschen“ stärke die Hochschulleitungen gegenüber ihren Fachbereichen entscheidend.
Jetzt gibt es sicherlich gute Gründe, sich für eine Stärkung der Hochschulleitung gegenüber den Fachbereichen auszusprechen. Die Fachbereiche blockieren sich häufig durch unauflösbare Interessenkonflikte und sind aus sich selbst heraus nur begrenzt veränderungsfähig. Hier können Hochschulleitungen für die Fachbereiche eine wichtige Funktion haben, weil sie sie in eine produktive Unruhe versetzen können. Aber es gibt andere und bessere Wege zur Stärkung der Hochschulleitung als die als Motivation über Prämien gedachten Mittelverteilungssysteme, die letztlich die in der Wissenschaft vorhandene intrinsische Motivation zerstören.
Zynische Reaktionen der Mitarbeiter
Als sich vor einigen Jahrzehnten die Instrumente der leistungsorientierten Mittelvergabe in Unternehmen durchzusetzen begannen, kursierte unter Mitarbeitern der Witz zweier fiktiver Mineralölfirmen „Super“ und „Hyper“, die nach dem Vorbild der Universitäten in Oxford und Cambridge einen Ruderwettkampf im Achter veranstalteten. Weil in den letzten Jahren das „Super“-Boot immer verlor, beschloss die Geschäftsleitung von Super, die Videoaufzeichnung der letzten Rennen zu analysieren. Im „Hyper-Boot“ erkannte man acht Ruderer und einen Steuermann, im „Super-Boot“ acht Steuermänner und nur einen Ruderer. Auf die Frage, was man machen könnte, antwortete der Personalleiter von „Super“ ganz im Sinne der leistungsorientierten Mittelvergabe: „Motivieren! Den Mann besser motivieren!“.
In der Wirtschaft hat dieser Witz, der die üblichen Ressentiments der dezentralen Einheiten gegenüber der Zentrale bedient, inzwischen einen langen Bart. Aber wenn man sich ansieht, wie stark an den Hochschulen die Einführung einer leistungsorientierten Mittelvergabe mit der überraschenden Zunahme von den Präsidien und Rektoraten unterstellten Stabsstellen korreliert, kann man sich vorstellen, dass dieser Witz trotz seiner Simplizität unter dem akademischen Personal der Hochschulen eine Renaissance erleben wird.
Zum Thema ist von Stefan Kühl vor kurzem die aktualisierte Neuauflage seines Buches „Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur“ (Campus 2015) erschienen.
(Bild: Katey)