(Anmk. des Autors: Wer den Text strukturlos findet, kann das Argument im letzten Absatz als Essenz lesen.)
Bei Telepolis titelte man kürzlich „Sinkt mit steigendem IQ der religiöse Glaube?“ (Ich verlinke nicht, da ich den Inhalt des Textes gar nicht kenne, da es nur um den Titel gehen soll.)
Diese Überschrift birgt ein wenig Brisanz in sich, da sie suggeriert, was wir eh vermuten. Dass nämlich ein religiöser Glaube (womöglich noch praktiziert) umso wichtiger für die Menschen ist, die sich ansonsten an wenig Intellekt für alternative Erklärungen halten können. Mit der Folge des Mechanismuses, dass sie den Mangel an eigenem Wissen ausgleichen, in dem sie umso mehr anderen glauben. Das Religion heute, besonders für Atheisten, nur noch als Ursache allen Übels in der Welt statt findet, liegt auf der Hand. (Davon gehe ich zumindest aus, da ich diesen Glauben von mir selbst kenne.)
Dieser Kurzschluss soll hier kurz durchdacht werden.
Den Begriff des religiösen Glaubens zu entfalten ist sehr schwer, da er zu grundsätzlich ist. Glauben (an sich) kann man viel z.B., dass Deutschland Europameister wird – ein religiöser Glaube koppelt diese Zuversicht (nach Karl Kardinal Lehmann als „begründete Hoffnung“) vom Einzelfall ab und ordnet nicht nur einzelne Dinge, wie z.B. die EM, sondern die ganze Welt. Plötzlich bekommt alles (das große und das kleine) einen Sinn. Die Hoffnung wird begründet, obwohl niemand in die Zukunft sehen kann. Religiöser Glaube ist so besehen ein ordnungsstiftendes Prinzip, das so grundlegend ist, dass bisher keine Gesellschaftsform ohne es ausgekommen ist.
Schon hier kann man sehen, dass religiöser Glaube nicht unbedingt eine individuelle Kopfsache sein muss, sondern dass sie gesellschaftlich bedingt ist. Genauer sieht man das, wenn man Ursachen und Wirkungen einmal trennt. Da das im großen Ganzen der Welt nicht möglich ist, versuchen wir das am Thema der Fussballeuropameisterschaft.
Es gibt Handelnde, die Fußballspieler, und uns Erlebende, die Zuschauer. Und die offene Frage ist, wie sehr die Handelnden durch ihr Spiel unser erlebendes Handeln, das Jubeln/Trauern bestimmen. Natürlich außerordentlich, nur Tore können Torjubel auslösen, nur ein Rückstand + Abpfiff stellt klar, das verloren wurde. Auf dieser Ebene gibt es keine Diskussion.
Diese Verbindung zwischen Tor und Torjubel lässt sich nun, was ihre Inhalte betrifft, auf zwei Arten testen.
1. Man nimmt zur Kenntnis, dass sich die Fußballregeln und das Fußballspiel zwischen der WM 1998 in Frankreich und der WM 2006 in Deutschland nicht geändert haben, der Torjubel aber sehr. Man freut sich anders, wenn man in Berlin auf der Fanmeile anstelle bei Onkel im Garten sitzt, während die Tore fallen. Und das es die Fanmeile gibt, hat mit dem Tor das geschossen wird an sich kaum etwas zu tun.
2. Man könnte das Spiel ändern, etwa durch die Golden-Goal-Regel, die den Torjubel eines Tores in der Verlängerung und den Siegesjubel zusammenlegen – und sich fragen, ob diese Veränderung des Spiels, den Torjubel verändert hat. Und dann stellt man fest, dass das nicht der Fall ist (bzw. war).
Die Verbindung von Ursache und Wirkung ist beim Fußballthema also nachvollziehbar nicht so stark wie man denkt. Die Ausgestaltung eines Torjubels hängt von vielen Faktoren ab, nicht jedoch vom Tor selbst, das als bloßer Auslöser fungiert.
Und genau so ist es auch mit der Religion. Die in der Welt beobachteten Folgen des religiösen Glaubens, kann man nicht auf den selbigen zurückführen. Erst recht ist es schwierig, die Folgen des religiösen Glaubens, auf die Inhalte der Religion zurückzuführen. Es sind aber die Inhalte der Religion, die den Zweck der Hoffnungsbegründung erfüllen.
Um das mal an der populären Trennung von religiösen Terroristen und gewöhnlichen Kriminellen klar zu machen: Der Kriminelle ist ein Egoist, der die Gesetze (den Gesellschaftsvertrag so zu sagen) ignoriert um an seinen Vorteil zu kommen. Der religiöse Terrorist hingegen ist ein Altruist, der die Gesetze zu Gunsten Seinesgleichen verändern möchte. Selbst wenn sein eigener Vorteil dadurch unerreichbar ist (von den oft genannten Jungfrauen, an denen sich die islamistischen Terroristen orientieren sollen mal abgesehen).
(Fragen sie sich jetzt was der letzte Absatz sollte?) Religion kommt bei diesem Thema nämlich nur ins Spiel, um einen kleinen, gemeinsamen Nenner zu finden auf dem sich handeln lässt – mit IQ des Einzelnen hat das nichts zu tun. Wie solle man bei Achmadinetschad zwischen instrumentellem und aufrichtigem Handeln unterscheiden – und müsste man bei der Unterstellung von instrumentellem Handeln nicht umso höheren IQ unterstellen?
Und selbst wenn man beim Kopf, als der Instanz für religiösen Glauben bleibt: Letztlich geht es um die Frage, wie man sich die chaotische Welt in der man lebt so zurecht denkt, dass man in und mit ihr klar kommt. Die einen erkennen dann andauernd religiöse Fundamentalisten, schicksalergebene Großmütter oder verblendete Geistliche – die anderen durchschauen es und postulieren eine „allzumenschliche Teleologie“ (Georg Simmel) – und die kann sich letztlich auch anders niederschlagen. Lässt sich doch erkennen, dass gerade die, die religiösen Glaube als Irrglaube beschreiben, sich gerade dadurch von diesen Gläubigen distanzieren in dem sie sich bilden und so früh wie möglich mit einer aktiven Karriereplanung beginnen.
Und das ist der Punkt. Es handelt sich hier um funktionale Äquivalente. Die einen ordnen sich die Welt durch gemeinsamen, religiösen Glauben, die anderen mit hochindividueller Lebensplanung. Und beide begründen so ihre Hoffnung, das die Welt schon was für sie bereithalten wird. Aber ob die einen nun einen höheren IQ haben oder nicht ist egal, weil auch ein hoher IQ beim Orakeln nicht hilft.
Nun Stefan, DAS ist wohl eben leider weder DER Punkt noch irgendeiner überhaupt.
Da er so höchstens 4 % der lebenden Menschen (in den beiden genannten Varianten zusammen gezählt) betrifft und der große „Rest“ der Menschen nicht so tickt, wie hier als scwarz-weiß-Bild aus dem Beginn der Fotografie geschildert, sondern so wie die gesamte Natur: in FARBE, und das nicht nur in 2, nicht nur in 256 und auch nicht nur in 2 Mio sondern in vielen vielen Millionen Farben, es ist davon auszugehen, daß jeder einzelne geringste Bruchteile (und nicht mehr) von deinen beiden Varianten untergemixt enthält ohne daß diese so noch erkennbar sind.
Wieso können eigentlich junge lebensfröhliche Menschen, besonders wenn es um (meist andere) Menschen und um theoretische Aussagen geht, häufig nur schwarz-weiß abstrahieren, obwohl sie selber nur gieren nach den vielen Farben des Lebens?
Keine „ordentlichen“ Lehrmeister erlebt, solche die im Saft stehen und wissen, was Leben „in Farbe“ ist?
Diese Überlegungen hier sind jedenfalls nicht nur farblos, nicht nur saft- und kraftlos, sie gehören so auch in keine soziale Theorie (oder Praxis) hinein – heraus schon, und DAS ist DER wirkliche Punkt: Es gibt nicht nur „die einen“ und „die anderen“, es gibt noch ein „paar“ mehr, ganz ganz anders ordnende, dankenswerter Weise …, es sind wie im richtigen Leben stets multifunktionale Äquivalente.
Es ist die Vielfalt, nicht die Einfalt, es sind die UNTERSCHIEDE, die unsere „Welt ordnen“ – es gibt weder Ungläubige noch Nurgläubige, es sind alles richtige Menschen …
Auch der, der nicht glaubt, glaubt das nur, auch wer glaubt, glaubt das NUR!
Das heißt: Alle glauben, und damit: alle hoffen – was auch immer – nur nicht im rechts-links-(black-white)Schema deiner Ausführungen.
Und der „höhere IQ“ ist wohl kaum anders zu bewerten, er ist einer von hunderten gleichwertigen Qualitäten und nur als solcher von Bedeutung, wenn überhaupt – für soziale Kooperation für, in und mit Vielfalt.