Massenmedien verständlich, wahr, richtig und wahrhaftig

„Massenmedien“ lassen sich einfach als Kommunikationsform fassen, die entgegen gewöhnlicher Interaktion oder geregelter Interaktion in Organisationen nicht schon beim Verfassen ihrer Inhalte über ein direkt adressiertes Publikum verfügt. Am besten lässt sich das mit der Unterscheidung von privat/öffentlich fassen.

Massenmedien sind demnach all diese Kommunikationen, die einfach in den Raum geworfen werden. Diesen Raum der Öffentlichkeit zu erschließen war lange Zeit schwierig aber seit die Chinesen das Papier und die Europäer die Drucktechnik erfunden haben und der Gesellschaft bewusst wurde, was es bedeutet öffentlich zu kommunizieren, sprießen die Verbreitungsmedien nur so aus dem Boden. Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet. Kein Verbreitungsmedien hat je ein anderes ersetzt, sondern es wurde einfach das „Erschließungspotential“ bezüglich „Öffentlichkeit“ erhöht.

So ist die strukturelle Faktenlage. Auf Seiten derjenigen, die diese Verbreitungsmedien mit Inhalten füllen gibt es allerdings die Ansicht, das man die öffentlich/privat Unterscheidung einer professionell/nicht professionell Unterscheidung unterordnen soll. Auf der einen Seite sollen sich dann demnach die Journalisten finden, auf der anderen Seite Bloger. Der einzige Unterschied, der sich (noch) strukturell finden lässt, ist jedoch, dass die einen ihr Schreibwerk beruflich, die anderen hobbymäßig erbringen. Diese Form, Professionalität und Hauptberufstätigkeit gleichzusetzen, ist jedoch allenfalls ein semantischer Trick, der es den Akteuren erlaubt die wahren Bedeutungen dieser Sprachregelung zu verschleiern.

Ein noch größerer und auch unverschämter Trick ist es, Professionalität als Begriff mit selbstbeschreibenden, verherrlichenden Merkmalen aufzuladen und zu glauben, dass man damit durchkommt. (Ein dokumentiertes Beispiel dafür hier.) Denn einer Überprüfung nach Habermas, nach der Journalisten sich dadurch auszeichnen, dass sie verständlich, wahr, richtig und wahrhaftig handlen ist so albern, dass man das gar nicht weiter kommentieren muss. Was soll schon wahr und richtig sein? Dafür gibt es weder Kriterien noch könnte man maßstäblich vergleichen. Und was verständlich ist, liegt immer auf Seiten des Lesers. Gleichsam könnte man diese Großkategorien erweitern um: gefällig, anregend, unterhaltsam, …

Eine Unterscheidung von Blogerei und Journalismus entlang semantischer Selbstbeschreibung ist also, außer zur Ideologiebildung, für nichts zu gebrauchen.

Geht man nach gesellschaftsstrukturellen Merkmalen um Bloger von Journalisten zu unterscheiden erlebt man das Wunder, dass sie sich nicht unterscheiden lassen. Beide haben, grob gerechnet, ähnliche Leseraten (vgl.), nutzen Text, verfügen über unbestimmtes Publikum, …

Alle Unterschiede sind semantisch Konstruiert bzw. wurden in Zeiten anderer Entwicklungsstadien der Verbreitungsmedien notwendig tradiert. Man erkennt es auch daran, das jeweils bei der Thematisierung der einen Seite stets die andere mitgeführt werden muss, weil man den Graben ansonsten gar nicht markieren könnte.

Luhmann sagt, alles was wir über die Welt wisse, wissen wir aus den Massenmedien und meint damit, das wir ohne Massenmedien quasi nichts wüssten. Wir könnten zwar wahrnehmen, was in unseren unmittelbaren Umfeld passiert, jedoch müssen wir es heute, um auf dem Laufenden bleiben zu können, in einem Kontext einordnen, dessen Horizont der der Weltgesellschaft ist. Wie Liebe geht, wissen wir aus den Medien, was gute Demokratie ist wissen wir aus den Medien, weil sie uns schlechte Diktaturen gezeigt haben und das die ARD-Kriegsberichterstattung falsch sein könnte, vermuten wir, weil wir auf anderen Kanälen andere „richtigere“ Kriegsberichte gesehen haben.

Die Crux der Massenmedien ist vor allem, dass wir nicht mehr die Welt, sondern die Massenmedien beobachten. Zugang zur Welt haben wir also nur über Bande. Wir beobachten Beobachter und sind uns darüber bewusst, das die Beobachter auch anders hätten beobachten können.

Und vielleicht ist das die große Leistung der Blogs, die, wenn man den thematischen Fäden der Blogosphäre folgt, nicht wie die Journalisten (ihrer Selbstverherrlichung nach) die Welt, sondern die Journalisten in ihrer Weltkonstruktion beobachten und aufzeigen, wie man anders hätte beobachten können. Dieses Watchblog-Phänomen führt uns nicht näher an eine „wahre“, „richtige“ Welt heran, aber sie entlarft den Konstruktivismus der „alten“ Massenmedien. Das alles natürlich auch nur durch eigene Konstruktionen, die wir mit unseren Sinnen nicht überprüfen können, die aber dennoch sehr erhellend sind.

2 Kommentare

  1. Michael sagt:

    Vielen Dank für diesen grandiosen Text, der auch nach über sechs Jahren nichts an Aktualität eingebüßt hat.

  2. dieterbohrer sagt:

    Lieber Stefan, danke für diese gelungene Rekapitulation des Vertrauten: So wie es Übungen gibt zur Stärkung von Muskeln und Bändern, so gibt es Texte, die mensch „nachsingen“ kann wie eine vertraute Melodie eines alten Kinderliedes: Das macht einen selbstsicher und dadurch heiter und weltoffen: Lasst uns unsere Welt auf unsere Weise anschauen und mit unseren eigenen Worten, (die auch geliehen und „abgekupfert“ sind), melodienreich und „singbar“ beschreiben.

    Rudi Karl Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders.

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