„Politische Gier“

„Die Gier“, das egoistische und rücksichtslose Verhalten, ist das Übel der Wirtschaftskrise, sagen all die, die nicht zwischen sozialen Strukturen und ihren Akteuren unterscheiden können, bzw. nur problematische Akteure sehen und keinen Sinn für Gesellschaftsstrukturen haben. Bestes Beispiel dafür ist die FDP mit all ihren Hampelmännern, die mit Händen und Füßen kämpfen, um ihre Ideologie zu retten. „Der Markt ist in Ordnung, das ist, liegt ja teilweise… überwiegend auch an den Managern“ ist von FDP MdBs zu hören (hier länger und lustiger).

Das Gier, als menschliche Eigenschaft, nicht Ursache des Übels sein kann liegt auf der Hand. Für „Gier“ gibt es, wie für jede andere Instanz menschlicher Motivation, keinen absoluten Maßstab. Alle Wertungen beruhen auf Ansichten, die auch anders ausfallen können, weshalb es sich lohnt, darüber politisch zu streiten. Man braucht sich aber keine Illusionen machen, darüber auch entscheiden zu können. Moralische Appelle in diesen Dimensionen haben nur die Funktionen, die zu besänftigen in deren Sinne gesprochen wird.

Gier ist allerdings keine rein wirtschaftliche Motivationsgrundlage. Die Semantik „Gier“ lässt sich soziologisch als Übertreibung der Positivseite des Wirtschaftscodes (des Finanzmarktes) Profit/Verlust zuweisen. Alle wollen Geld gewinnen, aber wer zu viel will, ist gierig. Allerdings lässt sich diese Übertreibung neben der Wirtschaft in allen Funktionssystemen konstruieren. Auch dopende Sportler sind „gierig“. Genau wie profilierungssüchtige und zitationenzählende Wissenschaftler oder bühnengeile Aufmerksamkeitsjunkies in den Medien.

Oder aber, machtbesessene Politiker. Was den Börsenhändlern ihr Geld ist den Politikern ihr Amt. Ob „geldgierig“ oder „machtbesessen“ es geht um das gleiche Phänomen, im beinah gleichen gesellschaftlichen Kontext, nur das Thema ist ein anderes. Allerdings brauchen sie für die Befriedigung ihrer Gier Anerkennung, die sich in Wählergunst darstellt.

Daher ist es besonders perfide, wenn Politiker, wie gestern bei Maybrit Illner und Johannes B. Kerner meinen, sie könnten im ersten Atemzug den Finanzakteuren Gier vorwerfen um im zweiten Atemzug dem politischen Gegner vorhalten, unfähig und inkompetent zu sein. Es gestaltete sich gestern ungefähr so:

Ein Börsenhändler, Dirk Müller, erklärte eindringlich, dass zurzeit niemand wisse, mit was für einer Situation man gegenwärtig zu tun hat. Die Anzeichen seien aber Besorgnis erregend, man müsse nun nach Orientierung suchen und zusammenarbeiten. Was macht daraufhin Hubertus Heil? Er zieht ein Blatt Papier aus seiner Tasche und liest Otto Fricke von der FDP alte Zitate und Programmpunkte dessen Partei vor. Man kann der FDP inhaltlich natürlich alles vorwerfen, aber in einer Regierungs- und Entscheidungsverantwortung waren sie die letzten 10 Jahre auf Bundesebene nicht. Hubertus Heils SPD dagegen schon und als einzige Partei sogar durchgehend. In der folgenden Sendung, bei Kerner, äußerte sich Hans Eichel, welcher zweiteilig sogar Finanzminister war, und meinte sinngemäß: „Ich habe ja damals dagegen angekämpft, dass wir in Deutschland einen Finanzmarkt wie den im Amerika bekommen um Krisen wie diese frühzeitig abzuwehren.“ Man könnte diese Aussage einem kurzen Fakten-Check unterziehen aber schon die Lächerlichkeit dieser behaupteten Voraussicht soll an dieser Stelle genügen.

Es ist nicht schwierig politischen Gestaltungswillen und Machtgier zu unterscheiden. Politische und wirtschaftliche Gier sind, wenn schon, gleich übel. Amerika erlebt es gerade, die „Geldgierfolgeprobleme“ hätte man vielleicht besser im Griff, wenn man nicht gleichzeitig all seine politische Gier nach Macht in zwei Kriegen ausgespielt hätte.

2 Kommentare

  1. […] angebbare Gründe für das Zusammenbrechen des Finanzsystems, seien es unfassbar große Lügen oder unfassbar große Gier.  Aber es gibt keine Ursache für den Kollaps. Und damit gibt es auch keine Lösung für das […]

  2. […] dieser Phänomene schaut und es erstmal dabei belässt. Diese Strukturen können dann eher psychisch oder sozial sein – und schon ist ein ausreichendes Grundgerüst für weiteren Soziologiespaß […]

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