Oder: die Mythen der Bildungsforschung
Ich werde niemanden damit überraschen, wenn ich schreibe, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben, deren gesellschaftlicher, organisationaler und individueller Wandel immer schneller voranschreitet und in der wissensbasierte Qualifikationen und lebenslanges Lernen von höchster Priorität sind, um den mehrdimensionalen Wandel nicht nur zu bewältigen, sondern auch gestalten zu können. Jeder kann und darf unhinterfragt behaupten, dass wir es mit einer dynamischen Wissensgesellschaft zu hätten. Die fraglose Verbreitung dieser beiden gesellschaftlichen Mythen überrascht mich allerdings jedes mal aufs Neue. Wer oder was ist denn die „Wissensgesellschaft“ und wo ist der Tacho, auf dem man die zunehmende Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels ablesen kann?
Höher! Schneller! Weiter!
Warum darf sogar in wissenschaftlichen Publikationen, quer durch die Disziplinen in den Einleitungen immer wieder behauptet werden, dass der gesellschaftliche Wandel (hier ließe sich je nach Thema oder Disziplin auch etwas spezifischeres einsetzen) immer schneller voranschreite, ohne dass dafür irgendein Beleg angeführt werden muss? Mal angenommen, es gäbe noch ein ernsthaftes Lektorat, warum werden solche Behauptungen nicht gestrichen? Bei der Behauptung der gesellschaftlichen Dynamik handelt es sich um einen Alltagsmythos, der unreflektiert auch in der Wissenschaft verwendet wird, weil er immer wieder Begründungen für die abenteuerlichsten Forschungsvorhaben liefert. Da alles immer schneller wird und alle zu erfoschenden Phänomene dementsprechend etwas neues an sich haben müssen, legitimiert dieser Mythos nahezu jede Fragestellung. Das führt dazu, dass Projekte immer wieder aufs Neue durchgeführt werden können, was unter forschungsökonomischen Gesichtspunkten natürlich eine großartige Chance ist. Das Resultat ist eine ahistorische Forschung, die ihre eigene Geschichte und Tradition negiert, ja vergessen und ignorieren muss. Der wissenschaftliche Wandel, der sich ja ebenso rasant entwickelt, bringt zwar in immer schnelleren Zyklen neue Begriffe, Theorien und Moden hervor. Aber die Veränderungen spielen sich dabei eben meist auf der semantischen Oberfläche ab und auf der inhaltichen Ebene wird das Rad für jede Publikation neu erfunden. Neues entsteht dabei selten und wenn, dann nur aus Zufall.
Wissensgesellschaft?
Mal davon abgesehen, dass die Gesellschaft nicht aus Wissen, sondern durch Kommunikation besteht, bleibt doch die Frage, ob es tatsächlich immer „geistiger“ zugeht. Zumindest was das Fernsehen angeht, kann man mit Reich Ranicki gegenteiliger Meinung sein.
Das Fernsehen mag ein singuläres Phänomen sein, dem ja schon seit seinem Bestehen „Verblödung“ vorgeworfen wird. Aber auch andere Bereiche, insbesondere Schule, Universität und Ausbildung erleiden einen Wandel, der durch Bemühungen der Wissensgesellschaftsgläubigen gekennzeichnet ist. Hier trifft man auf das gleiche mythologische Phänomen, das ich oben schon beschrieben habe. Lehr- und Lernprozesse werden mit dem Verweis auf die zunehmende Bedeutung der Wissensgesellschaft ständig neu erfunden. Dabei wird die Wissensgesellschaft einfach behauptet und im wissenschaftlichen Kontext so gut wie nie belegt. Die Bildungsforschung im besonderen Fall wird dadurch besonders ahistorisch und semantisch marktschreierisch, weil sie gleich zwei gesellschaftlichen Mythen in einer obskuren, aber etablierten Verbindung aufsitzt. So kommt es dazu, dass immer neue Kompetenzen entdeckt, „gemessen“ und gefordert werden und mittlerweile der Komplettmensch in Form von Humankapital in das Visier der Wertschöpfungsbemühungen geraten ist und sich die Bildungsambitionen nicht mehr nur auf die fachlichen Ressourcen beschränken. Selbstkompetenz, lebenslanges Lernen, lernende Organisationen, Qualitätssystem, Schlüsselqualifikationen und Gestaltungsphantasien sind das Resultat der letzten Jahrzehnte Bildungsforschung und -beratung. Die Kakophonie semantischer Feuerwerke erzeugt ein Gewitter greller Begriffe, die die Bildungsbeteiligten erfürchtig staunen und letztlich verblöden lässt. Denn vor allem die ahistorische, ehemals etablierte Erkenntnisse negierende Forschung und Beratung im Bildungsbereich führt zu einer Reformspirale, die Lernprozesse (egal auf welcher Ebene) in der Regel verhindert. Lernen des Lernens Willen. Pädagogische Bemühungen zum Selbstzweck. Soweit ist es mittlerweile vielerorts gekommen. Es ließen sich mannigfaltige Beispiel aus den verschiedensten Bereichen heranziehen. Letztlich sind sie offensichtlich, werden aber durch mythisch begründete Begriffserfindungen überdeckt. Und für das Bildungssystem und die daran interessierte Forschung ist das nur funktional: Es ermöglicht, immer weiter zu machen, da sie ihre eigenen Prämissen nicht benennt.
Publikationen, die die Dynamik des gesellschaftlichen Wandels unbelegt behaupten oder propagieren, man lebe in einer Wissensgesellschaft, sollten mit Skepsis gelesen werden. Bücher, die beides in Verbindung behaupten, können eigentlich gleich wieder in das Regal gestellt werden.
Wissensgesellschaft und Geschwindigkeit stehen für mich in einem konkreten Zusammenhang. Sozialer Wandel entsteht durch Wissen und Wissen lässt sich durch das Internet viel schneller erfassen und aneignen. Die Frage nach der Qualität dieses Wissen möchte ich einfach mal hinten anstellen.
Und die Frage, ob wir unsere Gesellschaft nun Wissens- oder Kommunikationsgesellschaft nennen wollen, erübrigt sich für mich, denn „Kommunikation“ (Internet) ist „Wissen“!
Abgesehen davon vermisse ich hier aber auch belege dafür, dass sozialer Wandel nicht schneller abläuft. Aber ist ja wahrscheinlich auch nur ein Blog. Genau wie dieser Kommentar, der auch nur ein Kommentar ist und – ich weiß es – nicht mit irgendwelchen Belegen aufwarten kann.
Enno, gute Diagnose. Philip, falls du es mit der Gleichsetzung von Wissen und Kommunikation ernst meinst wären wir ja gar nicht mehr zu retten. Mit der Etablierung des Begriffsmülls wie etwa „lebenslanges Lernen“ haben die Pädagogen erfolgreich ihren eigenen Bedarf erschaffen, genau wie die Medizin, die uns laufend was von Ballaststoffen und Provitamin 2b-alpha erzählt. Es gibt so viele Dinge die wir einfach ignorieren sollten. Ich behaupte, die einfache Verfügbarkeit von „Wissen“ heutzutage ist im Grunde eher die Basis für eine generelle Verdummung und hat mit „Bildung“ nichts am Hut. (Beitrag folgt)
Gesellschaftsbegriffe die sich im Gegensatz zu Wissensgesellschaft belegen lassen würden wären übrigens: Hungergesellschaft, Naturzerstörungsgesellschaft, Kriegsgesellschaft.
Ich habe nicht Kommunikation mit Wissen gleichsetzen wollen. Da war ich wohl ein bisschen vorschnell. Ich bin aber wohl der Meinung, dass Kommunikation und Wissen in einem direkten Zusammenhang stehen. Denn ohne das eine wohl kaum das andere. Und wenn ich Wissen nun schneller über neue Medien, Web2.0 bekommen kann, dann kann man – wie ich finde – durchaus behaupten, dass alles etwas schneller geht. Inwieweit nun dieses Wissen mit Bildung zu tun hat, dass mag ich auch zu bezweifeln, aber die Verdummung sehe ich nun auch nicht.
Weiter weiß ich jetzt nicht, was das mit dem „Begriffsmüll lebenslanges Lernen“ zu tun haben soll? Und: was wäre denn die Alternative? Nach der Schule aufhören, zu lernen? Das ist dann wohl eher die Verdummung! Die Pädagogen haben sich einen eigenen Begriff erschaffen und hinken dennoch hinterher? Na schön, dass die Soziologen immer einen Schritt voraus sind! (Achtung, kann als Ironie gelten…)
Ja, und dann noch die anderen Gesellschaften… Hunger, Naturzerstörung, Krieg…. ja, dass kann man alles schön Messen. Essen/Kopf; Co2-Ausstoß, Tote… Wissen und Bildung lassen sich nun mal nicht so einfach errechnen, auch wenn es PISA versucht. Vielleicht schaffen sich da die Soziologen auch nur die eigenen Begriffe, weil man da so schön mit großen, objektiven Zahlen hantieren kann.
Guten Abend.
Zum Wissen: Wissen ist doch eine relative Angelegenheit. Vielleicht ziehst du Nutzen aus deinen Kenntnissen darüber, wie du die Wikipedia schnell durchsuchst. Umso klüger einige werden, umso dümmer sind die anderen. Oder wie willst du Wissen bewerten wenn nicht komparativ? Ausserdem, umso mehr Wissen in Praxis umgesetzt wird, desto mehr Probleme haben wir zu bewältigen, für deren Lösung uns noch kein Wissen zur Verfügung steht. Atomenergie zu produzieren ohne zu wissen, wie man den Müll beseitigt ist keine kluge sondern eine unfassbare dumme Sache. (Die Welt besteht quasi nur aus solchen Beispielen. Ich will nicht sagen, das Wissen schlecht ist, aber es fördert die Dummheit, das steht für mich ausser Frage.)
Begriffsmüll: liegt dann vor, wenn Begriffe Dinge implizieren, die, aufgelöst, auf Schwachsinnigkeit verweisen. Wir lernen sowieso unser ganzes Leben, jede Sekunde, immer. Wie soll „nicht lernen“ denn funktionieren??? Die Frage ist also nicht ob wir lebenslang lernen oder nicht, sondern es geht darum, wie schwachsinnig die Programme sind, die unter „lebenslangem Lernen“ firmieren. 90% der Coaching-, Training- und Weiterbildungsprogramme sind einfach blöd.
Soziologen sind übrigens nicht „voraus“. Es geht auch nicht darum Dinge besser zu machen. Allerdings gibt es eine Notwendigkeit ein paar Mythen zu entzaubern die mir nichts, dir nichts in die Welt gesetzt und blind geglaubt werden (und viele Menschen unglücklich und arm machen).
Das Wissen: Pädagogisch gesehen gibt es da schon eine andere Möglichkeit, Leistung zu bewerten. Die macht aber soziologisch wahrscheinlich keinen Sinn. Oder zumindest hilft sie der Soziologie nicht viel weiter. Und weiter: Wenn durch Wikipedia – bleiben wir bei dem Beispiel – eine Wissenskluft entstehen sollte, dann doch wohl nicht, weil Wikipedia dumm macht, sondern weil nur ein paar Nutzer die Ahnung (oder auch Kompetenz) haben, wie man mit ihr umgehen soll. Dadurch kriegen die paar dann auch keinen Uni-Abschluss, das ist klar. Aber warum das Instrument verteufeln, anstatt das Problem anzugehen? Womit wir dann bei den Pädagogen und dem „lebenslangen Lernen“ sind. Der Begriff ist sicherlich eine Erfindung von Pädagogen. Der Vorgang an sich aber nicht, lernen tut man auch so immer. Aber ich denke auch nicht, dass irgendwelche Pädagogen meinen, sie hätten es erfunden. Vielmehr wird versucht, diesen Vorgang zu verbessern. Und da wären wir auch schon wieder beim Thema „Wikipedia (und andere Medien)“: Konzepte zum „lebenslangen Lernen“ können dazu beitragen, dass unsere Generation nicht irgendwann einmal vor den dann neuen Technologien sitzen und ähnlich wie unsere (Groß-)Eltern-Generation nicht einmal den Power-Schalter findet. Alternativ kann ich mich natürlich auch hinstellen und sagen: „Freie Erreichbarkeit von Wissen ist blöd, da profitieren ja nur ein paar wenige von und ändern… nö!“
Was die Coaching-Programme und so weiter angeht, da kann ich nicht allzu viel sagen, aber ich denke, dass ich dir da zustimmen kann. Sicherlich gibt es viele Anbieter, die unter dem Slogan „Lerne fürs Leben“ mächtig viel Geld machen und wenig bieten. Aber es wird ja nun auch gekauft und was nix kostet, dass ist für manche auch nix!
Und wieso kein Wissen in die Praxis umsetzen? Oder soll ich das so verstehen, dass nur eine bestimmte Elite, die die Bildung inhaliert hat, Wissen umsetzen? Und wenn ich schon dabei bin (obwohl ich denke, dass du das nicht so gemeint hast ;-) ): Der Vergleich Wikipedia und Atommüll… der hinkt…
[…] (seit 09.02.08) Ich woanders 18. November 2008, 20:46 Gespeichert unter: Kurze Eine Diskussion mit mir in den Kommentaren. Wer wissen will, worum es geht, der fragt bitte die Wikipedia. Aber […]
Philip, eine Frage: Wozu lebenslanges Lernen? Was sind die Funktionen & wer zieht daraus Nutzen?
Nunja! Wer soll das schon Nutzen raus ziehen? Zunächst einmal der, der lebenslang lernt!? Und dann auch sicherlich noch sein direktes Umfeld. (Mann, was wäre ich froh, wenn ich nicht meinem Opa immer wieder den Videorekorder erklären müsste und ich hoffe, dass auch ich nicht irgendwann meine Enkel mit ähnlichen Dingen nerven muss)
Und ansonsten sehe ich sozialen Wandel und Kommunikation und somit Wissen in einem Zusammenhang – wie ich ja schon angedeutet habe.
Ohne Medienkompetenz (ja, auch so ein pädagogischer Begriff) keine Kommunikation (durch Medien), ohne die Kommunikation kein sozialer Wandel.
Die Funktion eines „lebenslangen Lernens“ wäre hier also zB ein sozialer Wandel. Wenn sich dieser vielleicht auch nur in einem besser Generationen-Verhältnis (Zusammenleben usf) ausdrücken würde.
>>Ausserdem, umso mehr Wissen in Praxis umgesetzt wird, desto mehr Probleme haben wir zu bewältigen, für deren Lösung uns noch kein Wissen zur Verfügung steht.<<
Das finde ich jetzt aber sehr propagandistisch in den Raum gestellt. Ein Wachstum an Wissen mit einem Wachstum an Problemen gleichzusetzen halte ich für erklärungswürdig und unterstelle jetzt einfach mal die mangelnde Kausalität. Selbstredend erfordern neue Herangehensweisen auch neue, dedizierte Denkmethoden und -muster, welche in möglicherweise neuen Forschungsfeldern erworben werden müssen. Auch denke ich nicht, dass Praxisarbeit begonnen wird ohne jene durchdacht zu haben. Bei den mir vertrauten Gebieten wäre dies einerseits durch den persönlichen Habitus kaum denkbar, andererseits wohl auch kaum drittmittelwert, worum es in der Praxis wohl oft gehen dürfte. Ist das Wissen um einen bestimmten Vorgang akquiriert, so muss in der Tat meist weiteres Wissen folgen, möchte man systemisch denken. Ich glaube dies könnte einer der Gründe für den derzeitig stark betonten Trend der Interdisziplinarität sein.
Und hier schließt sich der Kreis, denn das „lebenslange Lernen“ begreift sich für mich generationsübergreifend und steht auch für das Schaffen immer neuer Anforderungen, sei es teilweise auch ex machina – dennoch dürfte ein Großteil der aktuellen Bestrebungen im hiesigen Habitat auf die Convenience abzielen; Lebensweisheiten sind das Ziel kleiner Cluster des Wissenserwerbs, meist wohl unintendiert.
@Philip: Hm, ich denke du sprichst hier von Lernen ganz allgemein und von technischem Wandel, an den man sich durch Erfahrung anpasst.
Das Verständnis zwischen den Generationen gelingt im übrigen, wenn man davon absieht andauernd aller Welt sein eigenes Medien- und Kommunikationsverständnis aufzuzwängen. Am angenehmsten ist immer noch die nicht mediengestützte, direkte Interaktion. Ein Verlust lässt sich auch nur kurzzeitig mit Telefon oder Internet kompensieren.
Dein Wissen-Kommunikation-Wandel-Konzept ist ansonsten überhaupt nicht durchdacht, sondern geprägt von dem Semantikmüll, denn Enno im Artikel oben beschreibt. (Halte mich für arrogant, wenn es lindert.)
@Florian: Hier muss keine Kausalität bewiesen werden. Solange die Menschheit keine Glaskugel entwickelt, die die Zukunft offenbart, ist jede zielgerichtete Entwicklung mit unabsehbaren Nebenfolgen verbunden (vorheriges „Durchdenken“ hin oder her).
Die Technik und Sozialstruktur war noch nie so komplex wie heute, noch nie gab es so komplizierte (Folge-)Probleme wie heute.
Semantikmüll? Wenn du damit meinst, dass man einfach mal Behauptungen aufstellt und sie einfach mal so stehen lässt…. mal im ernst: „ohne dass dafür irgendein Beleg angeführt werden muss?“ da erwarte ich ja nun auch mal einen belege und nicht nur sätze über mehrere zeilen
und noch zum Kommtar zum Kommentar von Florian: Sollen wir uns nun verstecken und gar nix mehr machen?? Das ist die einzige Alternative, die ich mal grade dann sehen würde…. wenn ich die Folgen nicht absehen kann und dann Atommüll ensteht… dann doch lieber nix machen
Wie man mit unvorhersehbaren Folgeproblemen umgehen soll ist die große Frage… „nix machen“ ist jedenfalls nicht die Alternative, da gebe ich dir recht.
(Wen zitierst du in deinem vorletzten Kommentar? Falls du mich mit meinem Hinweis, dass Kausalität nicht bewiesen werden muss meinst, kann ich nur sagen, dass es weder Objektivität nocht Kausalität in deinem Sinne gibt. Man kann nur falsifizieren.)
Ich zitiere Enno, im Absatz „Höher! Schneller! Weiter!“. Und ich will damit eigentlich nur sagen, dass Enno sich hier darüber erbost, dass überall von einem schnelleren sozialen Wandel die Rede sei und es alle glauben würde, ohne dass es dafür Belege gäbe. Aber dennoch verläuft der Text doch nur in Behauptungen, die auch wieder nicht belegt werden. Also doch auch nur semantischer Müll, wenn ich das mal so übernehmen darf. Sätze über viele Zeilen und viele Kommata, tolle Fachwörter. Ergebnis: Wissensgesellschaft gibt es nicht und fertig is! Und falsifiziert wird hier nun auch nicht.
(und wenn du nun sagen willst, dass ich ja auch nicht belegen würde, dann suche dir eins auch:
1) sind ja nur kommentare oder 2) „wie du mir, so ich dir“ oder auch 3) keine grundlage…)
und: was meinst du mit „dass es weder Objektivität nocht Kausalität in deinem Sinne gibt“ ???
Zu der Frage, ob man wiederum belegen müsste, dass sozialer Wandel nicht schneller voranschreitet als der Alltagsmythos behauptet und viele Autoren im Gleichschritt mitbehaupten, möchte ich antworten, dass es mir nicht in erster Linie um Belegbarkeit geht. Weder in der einen noch in der anderen Frage. Es geht mir also nicht darum, dass ich fordere, dass die zunehmende Geschwindigkeit sozialen Wandels belegt werden sollte (was ja schlicht weg nicht möglich ist, mangels Tacho, bzw. Methodik und Messkriterien). Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass es schlichtweg eine Behauptung ist, die soweit verbreitet ist, dass sie nicht belegt werden muss. Da es sich bei diesem Sachverhalt aber nicht um eine einfach erfahrbare Gestalt wie den immer wiederkehrenden Sonnenaufgang oder das Faktum der Erdanziehungskraft geht, sondern um ein gesellschaftliches Konstrukt handelt, das dazu noch in einer gewissen Art und Weise instrumentalisiert wird, leuchten bei kritischen Soziologen die Alarmglocken. Denn gesellschaftliche Mythen haben in ihrer Instrumentalisierung immer die Funktion Begründungszusammenhänge zu verkürzen und damit bestimmte Themen durchzusetzen. In diesem Fall werden eben pädagogische Maßnahmen immer wieder neu verkauft und eine gane Disziplin ahistorisch.
Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Geschwindigkeit des Wandels tatsächlich zunimmt, abnimmt, konstant bleibt oder belegbar ist. Vielmehr geht es um die Behauptung, ihre Funktion und Instrumentalisierung. Und da niemand in der Lage ist, zu sagen, wie die Geschwindigkeit sozialen Wandels einzuschätzen ist, bleibt die Möglichkeit der Instrumentalisierung. Und wie ich zu zeigen versucht habe, wissen sich viele das zu Nutze zu machen. Darum geht’s.
So weit, so gut. Du meinst also, dass die Geschwindigkeit des sozialen Wandels nicht belegt wird und trotzdem gibt es pädagogische Programme, die sich quasi den Verlierern dieses Wandels annehmen und sie unterstützen. Wobei sie – in deinen Augen – zu großem Teil nur darauf aus sind, immer wieder neue Produkte zu verkaufen. Dieses Programme scheinen dir ein Dorn im Auge zu sein, du möchtest ihnen quasi die Lizenz entziehen. Das behaupte ich jetzt einfach mal.
Weiter sagst du, dass man die Geschwindigkeit des sozialen Wandels nicht belegen kann; und das Gegenteil auch nicht. Wo ist da jetzt deine Grundlage, pädagogische Programme anzugreifen?
Ich behaupte jetzt einfach mal, dass es den schnellen sozialen Wandel gibt und somit die Programme wichtig sind. Du aber bist ja der Meinung, dass man den Wandel nicht messen kann, also kannst du eigentlich auch nicht gegen die Instrumentalisierung dieses Mythos wettern, ohne zu belegen, dass es nicht schneller geht. Wenn man das belegen könnte, dann könnte man auch viele Programme einstampfen. Aber man kann es ja nicht und deshalb sehe ich auch erstmal keine Konsequenz für die Pädagogik.
Weiter muss ich dir aber zustimmen, dass auch ich der Meinung bin, dass viele Coaching und Trainingsprogramme nicht viel taugen. Viele kosten viel Geld und nachher ist der Kunde auch nicht schlauer. Das ist sicherlich ein pädagogisches Problem. Sicherlich kommen auch oft die Menschen zu solchen Trainern und sagen „Mach mal, ich muss das und das können!“ Und das funktioniert natürlich nicht. Und wenn das ganze dann unter dem Banner „In der heutigen Zeit wird es immer schwieriger xyz zu machen! Wir helfen ihnen!“ läuft, dann bin ich da auch immer skeptisch. (Ich finde den Ausdruck „heutige Zeit“ alleine schon schrecklich!) Ich bin da auch kritisch, weil oft die Auffassung besteht, Pädagogen können die Welt retten und wieder „reparieren“, was man selber falsch gemacht hat. Und das beginnt auch schon im Kindergarten, wenn manche Eltern froh sind, dass die Kinder ausm Haus sind und im Kindergarten ja „so schön pädagogisch aufgehoben“ sind und nachher ganz bestimmt tolle Menschen sind. Und wenns nicht klappt, dann sind die Pädagogen schuld. [Ich weiß nicht, ob ich noch beim Thema bin, aber auch egal]
Ich wehre mich aber gegen die Auffassung, dass der Mythos des schnellen sozialen Wandels, das „lebenslange Leben“ und ähnliche Begriffe von Pädagogen erfunden wurden, nur um ihre Disziplin zu erhalten.
Als Alternative für „schnelle sozialen Wandel“ möchte ich jetzt noch kurz den Begriff „Lebenswelten“ einwerfen. Die Veränderung von „einfachen Lebenswelten“ hin zu „multiplen Lebenswelten“ (nenne ich jetzt mal so) lässt sich belegen und bedingt auch die Reaktion von Pädagogik. Ersetzt man also die Begrifflichkeiten, dann ließen sich durchaus ein paar Programme retten, die ansonsten vielleicht keine Berechtigung hätten.
Ja, genau. Es sind die Verlierer eine Wandels, den es nicht gibt. Die Verlierer sind aber als Adressaten real und damit existent. Insofern schafft sich die Pädagogik ihr eigenes Betätigungsfeld, indem sie auf Grund einer unbewiesenen Behauptung Verlierer stigmatisiert, bzw. die Angst vor dem Verlieren schürt und selbstredend Antworten kennt, die vor Verlust schützen. Das ist nicht verwerflich. Das machen alle so. Davon lebt die Welt. Soziologie bedeutet einfach nur, hinter den Spiegel zu schauen. Und siehe da: Mythos.
Ob die Pädagogik den Mythos „erfunden“ hat, kann ich nicht sagen. Sicher ist nur, dass sie am Bestehen des Mythos einen beträchtlichen Anteil hat.
Übrigens wird es die Programme auch ohne diesen konkreten Mythos geben. Warum auch nicht? Es spricht ja insofern nichts dagegen, weil es keine bessere Alternative gibt. „Nichts-Tun“ ist ja keine Lösung, wie ihr schon festgestellt habt. Nur darf man die Sache nicht sonderlich ernst nehmen. Insbesondere gilt es aber die pädagogischen Lösungskonzepte mit Vorsicht zu genießen, wenn sie allzu ernst genommen werden. Das kann das Ende von Organisation und Individuum bedeuten. Siehe nur das Beispiel Kindergarten: Nimmt man die Pädagogik zu ernst, geht sowohl das Kind als auch der Kindergarten zu Grunde. Insofern ist das Beispiel zwar weit weg, aber dennoch brauchbar.
Jetzt hast du ja doch behauptet, dass es den sozialen Wandel _nicht_ gibt.
Wenn es dir nicht um Belegbarkeiten geht, dann musst du natürlich nichts belegen. Aber die Behauptung, der soziale Wandel findet _nicht_ statt – das muss dann doch belegt werden, oder?
Dann würde ich gerne noch festhalten, dass es in der Pädagogik eigentlich nicht den Anspruch gibt, ein Allheilmittel für alle Probleme zu sein. Ganz im Gegenteil weiß die Pädagogik, dass sie nicht auf alles reagieren kann und eben auch durch die multiplen Lebenswelten nicht auf alles Einfluss haben kann. Will, sollte und darf sie auch gar nicht. Ernst sollte man sie durchaus nehmen, aber kritisch betrachten auch.
OK, das war ungenau formuliert. Sicher gibt es sozialen Wandel! Es wäre absurd, das Gegenteil zu behaupten. Es hätte heißen müssen, dass es die Verlierer einer nicht existenten (da unbeweisbaren) Zunahme der Dynamik des sozialen Wandels sind. Sorry. (Edit: Jetzt aber richtig formuliert…)
Vom universalen Lösungsanspruch der Pädagogik war von mir auch nicht die Rede. Ich sage lediglich, dass sie Lösungen für Probleme bietet, die sie selbst geschaffen hat. Ich werfe ihr wirklich nicht vor, für alle Probleme verantwortlich zu sein. ;-)
Na dann is ja gut ;-)
Dann möchte ich aber noch mal auf den Begriffswechsel „sozialer Wandel -> multiple Lebenswelten“ hinweisen. Der lässt sich beweisen, da bin ich mir sicher. Und das könnte dann das ganze Problem überwinden. Etwas zumindest.
Und dann noch: Ich meine doch wohl auch, das zum Beispiel auf dem Gebiet der Medienpädagogik durchaus auch auf Soziologie zurückgegriffen wird. Will damit sagen, dass die Idee eines, sagen wir mal, problematischen sozialen, medialen Wandels nicht ein genuiner Gedanke der Pädagogik ist.
Ja, die Mediensoziologie und allgemein eine Vielzahl von Soziologien macht sich am Sematik-Müll, den Gesellschaft verkraften mitschuldig. Keine Frage. Auch hier ist es einer Ungenauigkeit geschuldet. Denn wenn ich von kritischer Soziologie oder soziologischen Aufgaben gesprochen habe, dann war soziologische Systemtheorie gemeint, die ein Sonderfall allgemeiner Soziologie ist. Der großteilige Rest produziert überwiegend ähnlich viel Müll wie andere wissenschaftliche Disziplinen. Ich rede daher nur von „unserer“ Soziologie als die einzig wahre Leere.
„die einzig wahre Leere“ ??? ein freudscher Versprecher? ;-)
Nein, Absicht.
Aha!