„Echtzeitliche Verimmerung“

Welches Problem haben alte Männer eigentlich mit der Zeit..? Nicht nur, war früher alles besser – jetzt ist es schon problematisch, dass die Welt passiert, wenn sie passiert und sie sich nicht mehr an die Tagesagenda hällt: Lebensweltkonfrontation von 9 bis 5 und die weltverändernden Neuigkeiten aus dem Outaspace von 20:00 Uhr bis 20:15 Uhr. -> „Die Echtzeit wartet schon“ „Die totale Verimmerung“. Die zentrale Frage: was passiert mit uns Individuen und unseren Gehirnen, was passiert mit uns allen und unserer Gesellschaft, jetzt, da es keine regelmässigen Neuigkeitsrituale mehr gibt. Auch diese Debatte wird geführt, ohne dass die Ausgangslage geklärt ist.

Es lässt sich kurz und polemisch umreissen: Es gab mal eine Zeit, in der war die Welt die Lebenswelt – sie reichte bis zum Horizont des für menschliche Sinne Erreichbares. Wer das Dorf verließ war im Outaspace und falls er je zurückkehrte, konnte alles über die Welt jenseits der Wiesen und Wälder erzählt werden. Die Lebenswelt war friedlich und beschränkt. Diese friedliche Beschränkung bezog sich jedoch nicht darauf, das man sich um nichts sorgen musste, weil im Outaspace eine Nachrichtenredaktion schuftete, um Abends zu verkünden, das man keine Sorgen haben müsse, da nichts Schlimmeres dort draußen geschehen sei. Diese friedliche Beschränktheit bezog sich eben darauf, dass man von der Welt nichts mitbekam. Die Dinge geschahen einfach, und sofern man nicht selbst eingreifen konnte, berief man sich auf Schicksal und klärte die Ungemütlichkeiten betend.

Die Frage, die in der heutigen „Medien-Gesellschaft“ zu klären ist, ist nicht: Wie kommen wir damit klar, dass die Tagesschau nun immer kommt? Sondern: Welches Verhältnis hat das Individuum eigentlich zu der Welt jenseits des eigenen Lebenswelthorizonts? In schöner Polemik greift Peter Sloterdijk die Frage auf und beantwortet sie, thematisch zugeschnitten, mit der Feststellung einer „nahezu unglaublichen Hysterieresistenz“ der Bevölkerung gegenüber dem Geschreibe in den Zeitungen. Das könnte doch in den Feuilletons mal aufgegriffen werden – eine Abhandlung über die Unwichtig- und Folgelosigkeiten dessen, was in den Tagesschaun präsentiert wird. (Schirrmacher weisst, denke ich zu Recht, auf einige unvorhersehbare Nebenfolgen hin, die man nicht ganz übersehen sollte – die aber eben auch keine Hysterie rechtfertigen.)

Die Welt passiert in Echtzeit, die Lebenswelt hat dies immer getan und der Outaspace tut es nun auch. Weder der Sebelzahntiger und so auch nicht die Finanzkrise stürtzten sich Punkt 20:00 auf uns Dorfbewohner.

Von daher, meine Meinung in Kürze -> Unwichtige Fragen für 2010ff: Wer schützt die Relevanz, wer entscheidet über Qualität? Wie finanzieren sich Welt und Bild? Wer bewundert und bezahlt die Dortmunder Journalisikabsolventen? Wichtige Fragen für 2010ff: Wie wird entschieden, welche Informationen verfügbar sind? Wer speichert meine Aufenthaltsorte und Verbindungsdaten?

(Bild)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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