Reputation als Kredit

Die gestrige Anne-Will-Sendung war, wie jede Ausgabe die ich bisher davon (zumeist teilweise) sah, wieder einmal kaum zu unterbieten. Das lag zum einen an den Gästen. Hauptsächlich jedoch daran, dass es sich um ein Medienangebot für Jedermann handelt, in dem Sätze mit Teilen wie „…ein Plagiat…“ von der Moderatorin unterbrochen wurde, um zu erklären, dass es in dem Satzteil um „…hat abgeschrieben“ geht. So etwas ist schade und auch unverständlich, weil die ARD an Sonntagabenden sowieso nicht das Publikum hat, dass daraus noch etwas lernt. (Außerden vermute ich, dass die erste und die letzte Frage der Sendung die exakt gleiche war. Vielleicht hat jemand Lust, das nachzusehen.)

Jedenfalls ging es in der gestrigen Sendung hauptsächlich um die Person v.u.z. Guttenberg und es hat Herrn Lauterbach mehrere vergebliche Versuche gekostet, genau das doch noch einmal zu korrigieren. Denn diese Personalisierung ist zwar medial interessant, betrifft aber wirklich in kaum einer Weise das Problem, dass durch die zusammengebastelte Dissertation von v.u.z. Guttenberg entstanden ist. Machen Menschen Fehler? Na klar. Doch ist jeder Fehler entschuld- und korrigierbar? Wenn ja, von wem? Wer hat eigentlich welchen Fehler begangen? Nur v.u.z. Guttenberg durchs Plagiieren?

Im vorherigen Text ging es um die Reputation als Währung, einen Schritt weiter ist hier zu fragen, wie dieser Währung ihr Wert gegeben wird. Denn Reputation ruht nicht darauf, dass man einmal eine Dissertation geschrieben hat. Diese ist an sich nur ein längerer Text, wie es viele solcher Texte gleicher Qualität gibt, die nicht zu einem Promotionsverfahren gehören. Die Reputation eines Doktortitels, der wie ein Kredit für zu erwartende Arbeiten einer Person Vorvertrauen gibt, benötigt einen Kreditgeber. Wie jede zirkulierende soziale Währung (etwa Amtsmacht, Arzt- und Anwaltszulassung, Geld) kann man sich nicht selbst mit Guthaben aufladen, sondern benötigt externen Rückhalt (Wähler, Ärtzekammern, Finanziers).

Ein wissenschaftliches Plagiat hat eigentlich nur eine Folge für die betreffende Person: Aberkennung jeglicher Reputation(stitel) (sofern vorhanden) und Verbannung aus der Wissenschaft. Normalerweise geht so etwas relativ schnell. Drei kopierte, unbelegte Stellen in einer Hausarbeit eines Studenten – ein Brief genügt. Nur bei Guttenberg macht man sich sorgen, weil er außerhalb der Wissenschaft ebenso aus den Rückhalt bietenden Zirkeln ausscheiden wird müssen. (Zumindest wird er seine Amtsmacht verlieren und seine mediale Tauglichkeit wird extrem leiden. Sein Geld darf er wohl behalten, da eine Strafsache nach der betreffenden Promotionsordnung wohl nicht im Raum steht.)

Die Frage ist jedoch, was ist die Alternative – was würde es bedeuten, wenn er seinen Titel behielte? Karl Lauterbach meinte gestern, wenn Guttenberg seinen Titel behält, braucht man an deutschen Unis eigentlich keine Prüfungen mehr veranstalten. Aber es gibt auch konkretere Folgen. Der Reputationskreditgeber „Uni Bayreuth“ wird seine Kreditfähigkeit verlieren und mit ihm jegliche dort ausgestellte Promotionsurkunde. Und, der Verlag, Duncker & Humblot, der meiner Ansicht nach sowieso nicht viel mehr als Fake-Reputation besitzt, wird endlich entzaubert. Er hat den Dissertationstext von Guttenberg in sein Programm aufgenommen, ohne anscheinend auch nur irgendeine Form von Qualitätskontrolle zu unternehmen. (Die Qualitätskontrolle sollte natürlich eigentlich von der Promotionsprüfungskommission kommen. Dennoch könnte man seinem Katalog ja mal ein bisschen hinterher recherchieren.)

Seit Generationen hindert der Verlag Studenten daran, sich das beste Soziologielehrbuch aller Zeiten „Niklas Luhmann – Funktion und Folgen formaler Organisation“ schlicht wie jedes andere Luhmann-Buch (bei Suhrkamp) für den Preis einer händischen Kopie zu kaufen. 52 Euro zieht der Verlag jedem Studenten aus der Tasche (wohl, weil irgendwann mal Goethe, Hegel und Eichenforff dort publizierten) oder zwingt ihn, das Buch mühsam per Hand zu kopieren. Das ist wirklich schlimm. Dass der Verlag mit seinem dünnen Papier und seiner ach so traditionsreichen Corporate-Identity-Covergestaltung jetzt ein bisschen leiden muss, freut mich ein bisschen.

(Bild: Matthew Boyer)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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