Was kann der König?

Dieser Tage hat, endlich, William seine Kate geheiratet. Eine schöne Zeremonie, zwei Versprechen, besiegelnde Küsse und Ringe – eine romantische Traumhochzeit aus dem Märchenbuch. Oder anders: Am 29. April 2011 hat Fürst William Arthur Philip Louis Mountbatten-Windsor, KG die bürgerliche Catherine Elizabeth Middleton geheiratet und wurde dadurch Herzog von Cambridge. Romantische Traumhochzeit oder ernste Staatsräson, das ist die Frage. Und es war natürlich beides.

Das Medienangebot hat zumindest beides geboten. Im Fernsehen, von dem RTL-Blödsinn mal abgesehen, wurde eher staatstragend berichtet. Sibylle Weischenberg kommentierte für Sat1 mit ausschweifender Protokollfachkenntnis und Sensibilität für die Romantik und in der ARD kommentierte Rolf Seelmann-Eggebert auf etwa gleiche Weise fachmännisch und ergriffen, mit etwas mehr historischem Wissen. Bei BILD (mit Désirée Nick) und Spiegel Online (mit Martin Sonneborn) ging es sicherlich ironisch und lustig zu und auf Twitter kokettierte man mit Desinteresse, war also auch voll dabei.

Während das Fernsehen also ordentlich mitspielte, wurde mit den Privatmeinungen immer wieder betont, dass solch ein Theater absolut unzeitgemäß ist. Hochadel, Monarchie, Adelshochzeiten – das sind die Hinterlassenschaften, die blieben, weil die Gemeinten nie ordentlich wegrevolutioniert wurden. Das sieht zwar alles noch sehr schön aus aber brauchen tut es keiner mehr. Und außerdem ist es viel zu teuer.

Stephen Fry fand es alles ganz reizend, hat aber Snooker geguckt (Tweet). Jeri Ryan fand die beiden Liebenden in ein zu emotionsloses Ritual gezwängt (Tweet). Mein Highlight war zu sehen, wie Prince Philip an den Lippen von Rowan Williams, dem „Archbishop of Canterbury“ hing – das hatte mit der Hochzeit fast nichts zu tun.

Also. Verflüchtigt sich so ein reizender, weltweit beobachteter Moment – oder bedeutet es doch etwas mehr, dass sich die britische Queen, der Erzbischof von Canterbury, der Premierminister und Elton John gestern zusammenfanden, um eine Eheschließung des Hochadels zu bezeugen? Leben wir in einer Zeit, in der Politik in den Regierungsvierteln und Wirtschaft in den Glashaussiedlungen gemacht wird und in der für die königlichen Paläste nicht viel mehr zu tun bleibt, als Kulisse für Staatsbesuche und Adresse für die Bewunderung der Gelangweilten zu sein?

So denkt man gemeinhin. Doch wer das tut, verschätzt sich vielleicht. Nicht, weil das oben gezeichnete Bild nicht stimmt, sondern weil in diesen Behauptungen eine gewisse Verklärung des vergangenen europäischen Jahrtausends steckt. Die Queen regiert heute nicht mehr. Das ist klar. Aber wenn man „Regieren“ sagt, was meint man dann? Das ratlose Hoffen von David Cameron? Das ewige Reden von Barack Obama? Das verschwiegene Strippenziehen von Angela Merkel?

Wer vom Regieren mit Bezug auf Monarchie spricht, sollte weder an politische Macht im modernen Sinne noch an die zentrale Ausübung hoheitlicher Rechte mit Hilfe von Waffengewalt denken. Wenn man auf das letzte Jahrtausend in Europa zurückblickt, bestand Regieren fast ausschließlich im notwendigen aber kontrollierten Abgeben von Einflussmöglichkeiten. Kein König, kein Kaiser hatte je absolute Macht, sondern vergab allenfalls Land- und Amtsrechte, teilweise über den Tod der Begünstigten hinaus. Der Hochadel war Hochadel, weil er sich durch Machtweitergabe Unterworfene und Abhängige schuf. Es ging nur selten darum, den Bischöfen und Fürsten ins Handwerk zu pfuschen, im Mittelpunkt stand beinah ausschließlich die kostspielige Versorgung des Hofes. Anfänglich reiste dieser durchs Land und hinterließ, von Station zu Station, ausgezerrte Fürstentümer, später institutionalisierte sich eine Infrastruktur, die einen ständigen Hof nachhaltig versorgte.

Gute Historiker mögen (mit Recht) die Hände über den Köpfen zusammenschlagen, wenn ich das soziale Prinzip mittelalterlicher Herrschaft wie folgt zusammenfasse: Regieren hieß Delegieren. Der Monarch stand an der Spitze, verband im Sakralkönigtum sogar geistliche und weltliche Autorität. Der Investiturstreit änderte daran nicht all zu viel. Die Bistümer standen in Konkurrenz zu den Fürsten, doch in den Klöstern war die Äbtissin die Tochter des Grafen. Wie sich das im einzelnen darstellte, interessiert heute Historiker, es interessierte die betroffenen Könige aber wohl kaum. Es ging, wie gesagt, letztlich darum, eine pyramidenförmige Abgabenkette am Laufen zu halten, an dessen Anfang der selbstständig arbeitende Bauer stand.

Die Idee, diese Abgabenkette in umgekehrter Richtung, von oben nach unten, mit Zielsetzungen kontrolliert zu beeinflussen, ist relativ neu. Diese ersten Versuche eines politischen Verwaltungshandelns zählen wohl mit zu den Grundsteinen, die zur heutigen Form der Trennung von Kirche, Politik und Wirtschaft führten. Der Begriff „Trennung“ soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese modernen Formen eigentlich erst dadurch entstanden. Als die „politische Macht“ von den Fürsten und Bischöfen in die Parlamente überging, wurden dem Monarchen gar nicht so viele substanziellen Herrschaftsrechte genommen, wie man auf den ersten Blick glaubt.

Trotz Strukturwandel sind grundlegende Prinzipien gleich geblieben. Die britische Queen ist das Oberhaupt von Staat und Kirche und sie wird weiterhin von ihren Untertanen versorgt. Nicht mehr durch spezifizierte Abgaben, sondern durch allgemeine Steuern. Ein Phänomen ist jedoch hinzugekommen. Die britische Queen verfügt, neben dem Papst, über die weltweit wichtigste massenmediale Bühne. Queen Elizabeth II. nutzt sie bemerkenswert selten, doch sie hat sie zur Verfügung. Wie wirkmächtig sie ist, sieht man noch immer am besten an Lady Di. Aber auch daran, wie sehr eine Adelshochzeit wie die aktuelle mittlerweile in Richtung „Traumhochzeit“ abdriftet. Der Sinn der Zeremonie ergibt sich nämlich – eigentlich – nicht aus dem romantischen Anmut, sondern aus der durch Sakralität gestützten Tradition. Die heute beinah alles bestimmende Idee, die Eheschließung als Traumhochzeit zu inszenieren, zu der der Bräutigam David Beckham einlädt und die Braut in der Kirche Bäume aufstellen lässt und beide verzagt Rollendistanz inszenieren, indem sie in die alte Zeremonie moderne Elemente einbauen, zeigt, dass die Prinzipien der Herstellung von Weltöffentlichkeit auf besondere Weise verstanden wurden. (Man vergleiche das mal mit dem aktuellen, sich von der Welt abschottenden Papst.)

Die Frage lässt sich an dieser Stelle wiederholen. Was bedeutet königliche Macht und hat die britische Monarchie tatsächlich keine? In einer Welt, in der zwar mächtige Politiker Politik machen und ein paar Wirtschaftler sehr viel Geld verdienen, aber niemand wirklich herrscht, sondern alle im Blindflug einer Kontrollillusion hinterherjagen – in einer Welt also, in der eigentlich niemand auf das hört, was ein anderer sagt, kann sich die britische Queen Gehör verschaffen, wie sonst niemand. Sie ist die einflussreichste Person der Welt in einem spektakulären Amt. Jeder Fünfjährige weiß, was ein König ist und jede Vierjährige kennt den Status einer Prinzessin.

Als William gestern seine Kate heiratete, hat er den Grundstein gelegt, einmal dieses Amt bekleiden zu können. Was wir davon halten sollen, wissen wir nicht, weil wir es mit nichts auf der Welt vergleichen können. Für die einen ist es Staatsräson, für die anderen eine Traumhochzeit. Vielen ist es egal, aber jeder kriegt es mit. Und egal welche Meinung man hat, jede ist irgendwie verständlich. Alle können darüber reden. Die Romantiker weinen mit, die Traditionsbedürftigen erfreuen sich, die Monarchienostalgiker haben was zu erleben, Republikaner können sich darüber aufregen, usw. Ein Ereignis mit tausend Facetten.

Und wer weiß. Noch ist Prince Charles der erste Thronfolger. Und es verdichten sich die Hinweise, dass er zu denen gehört, die vom gegenwärtigen Zustand der Welt überhaupt nicht begeistert sind und ihren Unmut durchaus auch in Worte fassen. Vielleicht wird er einmal damit überraschen, womit Barack Obama unfassbar enttäuscht hat – mit einem nicht ignorierbaren Vorschlag, wie es besser zu machen sei. Wenn es überhaupt noch eine gesellschaftliche Position gibt, auf der das gelänge, dann ist es die Spitze der britischen Monarchie – gerade weil sie nicht im Verdacht steht, irgendeiner Rationalität zugeordnet zu sein.

(Bild: The British Monarchy)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

4 Kommentare

  1. Henrik sagt:

    Ich finde, du hast recht, was die massenmedial exponierte Position der englischen Monarchen angeht. Wahrscheinlich ist das im Sinne der Weltöffentlichkeit wirklich eine einmalige Position, die man durchaus ausnutzen könnte!
    Aber ich frage mich, wie realistisch es ist, dass sich deine Hoffnung erfüllt, dass ein Vorschlag – wie auch immer er aussehen kann – faktisch so zwingend ist, dass er sich durchsetzt. Ich glaube, dass so eine Durchsetzungsrationalität immer scheitern muss an den verschiedenen Rationalitäten der dominierenden Kontexte der modernen Gesellschaft, sei dies nun Wirtschaft, Politik, Erziehung, Wissenschaft, usw. Aber nen Versuch wäre es sicher wert…

  2. Stefan Schulz sagt:

    Jo. Mir schwebt dar auch gar keine „Durchsetzungsrationalität“ vor, sondern eher „Themensetzungspotenzial“. Ein britischer Monarch kann eben Themen ansprechen, die danach als weltweit bekannt unterstellt werden können – ohne dass sich erstmal jemand konkret zum Handeln aufgefordert fühlt.

    Der kluge Lenin merkte damals an, dass eine gemeinschaftliche Verbesserung der Welt kaum passiert, wenn die Lage schlecht ist, sondern dann, wenn die Perspektiven gut sind. Unter einer miesen Ausgangslagen leiden inzwischen viele, was fehlt ist eine gute Perspektive. Vielleicht wird mal ein Queen-Nachfolger da entscheidend nachhelfen.

    Wie man das soziologisch argumentiert, kann erstmal offen bleiben. Wenn man sich aber die Historie ansieht, gehen viele Dinge (Gründung von Nato, EU und UN; Einführung des Euro; Schaffung des Universitätssystems), trotz sozialer Selbstläuferei, auf Vordenker zurück. Vielleicht ist Charles so ein Initialzünder, oder hat einen im Ärmel.

  3. Henrik sagt:

    Ich hätte da sicher nichts gegen, aber ich muss sagen, dass ich mich etwas wundere über die Zentralität, die du Charles beimisst. Also für mich ist der Mann noch nicht großartig in Erscheinung getreten…

    Ich muss aber fairerweise anmerken, dass ich mich damit auch nicht sonderlich beschäftige. Gefühlt sind aber die beiden jüngeren durchaus präsenter in den Massenmedien. Und nicht nur dann, wenn einer sich als Nazu verkleidet…

  4. Stefan Schulz sagt:

    Jo, naja – er ist ja erstmal formaler Thronfolger… Und der Rest noch ungeschehene Geschichte. Mal sehen. (Ich bezog mich auch nur auf Gerüchte.)

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