#postprivacy

Man kennt es vielleicht. Man kommt zu einer privaten Party, der Gastgeber hat noch mit letzten Vorbereitungen zu tun und zwei, drei oder vier andere frühe Gäste sind auch schon eingetrudelt. Einen von denen kennt man vielleicht. Die anderen sind einem unbekannt und sich untereinander auch. Was tut man? Man versammelt sich um den Gastgeber in der Küche und sucht nach einem netten Thema, um nicht die ganze Zeit aufs kleine Buffet starren zu müssen. Man hält sich tapfer an seinem Getränk fest und beginnt zu reden, über das Essen, das es geben wird, über die Gäste, die noch erwartet werden, über den Abend, der erst noch passiert. Es ist eine der Situationen, in denen Gesprächsthemen nicht die Probleme der Interaktion sind, sondern die Lösung: Geselligkeit.

Wenn ich nachlese, was die Spackeria übers Internet und seine Zukunft ins Internet schreibt, erinnert mich das am ehesten an solch einen Partybeginn. Man weiß, es wird ein langer Abend. Aber man kann noch nicht sagen, wie es wird. Man kann aber schon mal einen Blick aufs Buffet (technischen Möglichkeiten, normative Gesetze, private Meinungen) werfen und die Gästeliste (Aluhüte/Spackeria, Wirtschaftsverbände, Politik, Hacker, Interessenorganisationen)  erfragen – den Rest ersinnt man sich herbei und lässt sich vom weiteren Geschehen immer wieder überraschen.

Wie auf jeder guten Party kann man nur mit Humor überzeugen. Im Verlauf der Zeit kristallisieren sich die Stars des Abends heraus. Die Anforderung an sie ist nicht, sachlich zu überzeugen – schließlich ist man auf einer Party und nicht im Seminarraum – sondern Anschluss zu provozieren ohne sich zu sehr festzulegen. Die Party wird umso witziger, desto erfolgreicher Running Gags etabliert werden können. Es muss nicht darauf geachtet werden, dass jemand außerhalb dieses Referenzzirkels versteht, was da passiert. Gute Partys gehen in Mysterien über. Von außen betrachtet sind sie ein Geheimnis, über das nur die Beteiligten sinnvoll erzählen können. Aber „man muss dabei gewesen sein, um es zu verstehen“.

Dass es in der ganzen #postprivacy Diskussion um nicht viel mehr geht, als dass Interaktionsstars des Inner Circle der abgeschotteten Diskussion sich über Provokation profilieren, sieht man schön hieran. So etwas ist nicht dumm aber es folgt eben der gleichen Logik, mit der Volker Kauder regelmäßig Bundestagsdebatten blockiert, weil er abgekoppelt von allen Sachfragen nur namentlich auf die Opposition eindrischt.

Die #postprivacy Bewegung ist weder dumm noch klug, weder unwichtig noch relevant. Sie zeigt einfach nur, dass man mithilfe des Internets viel miteinander reden kann, dass aber kaum offene, themenzentrische & problemorientierte Diskussionen möglich sind. Der Raum wurde aufgelöst, die Zeit spielt keine Rolle mehr – und dennoch gibt es die üblichen Barrieren, die die Utopien Utopien bleiben lassen.

Manchmal vermute ich, dass wir, die U30-Generation, gar nicht so sehr in die Zukunft spekulieren müssen, um zu lernen was die „Internetrevolution“ bedeutet, sondern dass diese schon längst geschehen ist und wir uns noch viel weniger vorstellen können, wie es früher, vor wirklich nicht sehr langer Zeit, einmal war. Inaktuelle Wikipedia als Kiloware im Bücherregal, keine Möglichkeit des Spontankontakts, kein Twitter, keine Satellitenbilder in der Hosentasche – das ist mir im Rahmen meiner privaten Alltagstheorie bei Weitem unvorstellbarer, also die kühnen Ideen zur Zukunft. Und diese Verständnisschwierigkeit ist auch ein wirkliches Problem.

(Bild: eclipse_etc)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

5 Kommentare

  1. Das ist der mit Abstand beste und treffendeste Kommentar, den ich bisher gelesen habe. Chapeau!

    Beste Grüße
    Julia (laprintemps)

  2. […] Schulz hat bei den Sozialtheoristen mal wieder einen sehr schönen Artikel über diese postprivacy-Diskussion geschrieben; und ich merke, dass ich mich in Zukunft, was […]

  3. adat sagt:

    Was ich so traurig finde, ist dass Leute sich Facebooks Sorgen und Wünsche zu eigen machen (gebt uns die Daten), anstatt sich mit dem demokratischen Möglichkeiten des Netzes auseinanderzusetzen, die doch weitaus aktueller und spannender sind. Warum sich Facebooks Kopf zerbrechen? Die Spackeria klingt für mich wie die jungen Liberalen, beide finden immer Staat voll schlimm ey, aber Wirtschaft supi, blos nicht regulieren. Und dann denke ich, das Privatsphäre der Ort ist, wo man allein sein kann, weit weg von euch, und wie schön es ist, dass das geht.

  4. kusanowsky sagt:

    Vielleicht kann man mal auch auf etwas anderes aufmerksam machen. Man könnte sich, wenn man die Bereitschaft hätte, sich auf etwas Disziplin einzulassen, mal mit historischen Fragestellungen befassen. Denn die Einführung von Neuerung sind in der modernen Gesellschaft schon immer mit sehr viel Aufwand beobachtet und beurteilt worden. Ich denke dabei gerade an das Beispiel des Autos und die Herausbildung eines motorisierten Straßenverkehrs.
    „Die Motorisierung des Individualverkehrs war nicht nur mit einem Zugewinn an Freiheit und Effizienz verbunden, sondern führte bereits vor der massenhaften Verbreitung des Autos zu Konflikten und Widerständen. Uwe Fraunholz beschreibt und untersucht diesen teilweise gewalttätigen Widerstand, der sich vor allem auf dem Land manifestierte und erst in der Weimarer Republik abflaute.“
    http://www.perlentaucher.de/buch/12856.html
    Man könnte sich einen Fragenkatalog ausdenken, und mit Hilfe dieses Katalogs vorhergehende Innvoations- und Modernisierungsprozesse abklopfen, hier insbesondere in Hinsicht auf Fragen, die Ängste und Hoffnungen betreffen. Es würde mich nicht wundern, wenn man ein ziemlich genaues und wiederholtes Muster feststellen könnte, das zeigt, wie Irritationen sich ausbreiten, wenn sie auf jeweils höchst empfindliche Stellen aufmerksam machen. Man denke z.B. an die Einführung der Gewerbefreiheit, mit welcher den heruntergekommenen Zünften der Garaus gemacht wurde. Diese empfindliche Stelle bestand darin, dass während des ganzen Mittelalters alle Konkurrenz und Innovation in der urbanen Produktion streng verboten war. In England beispielsweise die Einführung der Handelsfreiheit im 17. Jahrhundert, weil man den Schmuggel aufgrund des Kostendrucks nicht mehr kontrollieren konnte; kaum erwähnungsbedürftig wäre die Atomenergie, die Einführung der Frauenbildung, überhaupt die ganze Ausbreitung demokratischer Freiheiten. All diese Phänome traten dämonisch auf, heissst: unvorhersehbar und weder erlaubt noch verboten. Sie überzogen die ganze Gesellschaft mit ihren Imperativen; und immer mussten die Menschen lernen, damit zurecht zu kommen; gestützt durch Hoffnung einerseits, blockiert durch Angst andererseits. Und wenn wir uns nüchtern fragen, ob beides berechtigt war, könnte man sagen: ja. Alle Hoffnungen haben sich genauso erfüllt wie die Ängste.
    Vielleicht könnte man, wenn man eine solche Betrachtung ernst nimmt, etwas nüchterner den ablaufenden Innovations- und Modernisierungsprozess betrachten, also durch Berücksichtigung von Erfahrung. Aber genau das, nämlich Erfahrung, war schon immer die empfindlichste Stelle bei Modernisierungsprozessen der Gesellschaft. Daher diese Diskussionen.

  5. Siri sagt:

    @kusa
    „Man könnte sich, wenn man die Bereitschaft hätte, sich auf etwas Disziplin einzulassen“
    „Vielleicht könnte man, wenn man eine solche Betrachtung ernst nimmt“

    Tja, aber schon diese beiden humorlosen Prämissen, sich auf Disziplin einlassen und Ernstnehmen, sehen sich, wenn sie heute als Gratisvorleistung eingefordert werden, unausgesetzt der ruinösen und gleichzeitig unabdingbaren Deplausibilisierungsroutine ausgesetzt: „Warum sollte man?“ So kann das also nix werden.

Schreibe einen Kommentar zu adat Antworten abbrechen

Pflichtfelder sind mit * markiert.