Ließe sich alles retten? Schon morgen!?

Das Nachdenken über den Staat wird ja heutzutage etwas erschwert. Überall steht geschrieben, der Staat solle Banken retten, Hauptschulen und Atomkraftwerke abschaffen und, sofern er sich in der Lage sieht, Olympische Spiele veranstalten. Wenn man von diesen Luxusproblemstellungen absieht, die die Moderne dem Staat aufbürdet, bleibt von der Institution Staat ein zweiseitiges Prinzip übrig: Er soll soziale Ordnung garantieren in dem er individuelle Freiheit einschränkend und absichernd reguliert. Die Phänotypen dessen sind das Steuerrecht und das Strafrecht.

Ein Staat versorgt sich mit Geld und investiert es in die soziale Sicherungsarchitektur, die dieses Steueraufkommen erst ermöglicht. Dieses einfache Prinzip macht den Staat zum Garanten für Freiheit, obwohl er sie, sofern man sich das Prinzip am empirischen Einzelfall ansieht, meistens mit Zielsetzung Sicherheit einschränkt. Es ist ein übliches Steigerungsverhältnis, das darauf beruht, Individuen voneinander abzulenken und eine dritte Instanz im Alltag zu institutionalisieren (die sich dann dezent zurückhält und nur von Zeit zu Zeit an ihr Potenzial erinnert).

Man kann theoretisch gut rückversichert behaupten, dass diese einfache Definition von Staat zutreffend und vollständig ist und das alle weiteren aktuellen Kompliziertheiten, die den Staat als Institution betreffen, erfunden wurden, weil das Vorhandensein von Staat erst die Möglichkeiten schuf (darunter fällt alles, was unter Zivilrecht einsortiert wird).

Wenn die Definition von Staat so einfach ist, weil das zu lösende Problem so leicht verständlich ist, warum ist dann das Steuerrecht und Strafrecht so kompliziert? Für das eine kann folgende Erklärung gelten: Das Strafrecht ist ein regulierendes Recht, es muss der facettenreichen Realität entsprechen, darf daher nicht allzu scharf kategorisieren und niemals den Einzelfall selbst vernachlässigen.

Das Steuerrecht ist dagegen ein generatives Recht. Der Staat muss die Einkommenssteuer nicht differenzieren. Er kann sagen, Einkommen ist Einkommen und die Steuer ist 25%. Ein bisschen ‚Gerechtigkeit‘ wird noch gewonnen, wenn zwischen Arbeitseinkommen und Vermögenseinkommen unterschieden wird. Gleiches gilt für Konsum- und Umsatzsteuern. Man muss Güter und Dienste nicht zwingend klassifizieren, um sie zu besteuern. Und es gibt auch keinen Grund, irgendwo mitten in laufenden Prozessen Steuern festzuschreiben, wenn man auch einfach nur Ergebnisse besteuern könnte (und die Ausbalancierung der Steuerlast der Wirtschaft selbst überlässt).

Auch wenn sich über die Inhalte von Paul Kirchhofs (neuem) Steuerrecht noch wenig sagen lässt (habe noch nicht gesucht), ist es doch ein äußert begrüßenswerter, mutiger Vorschlag. Allein aus Prinzip. Und der Autor des neuen Rechts hat auch recht, wenn er sagt, es sei das „sozialste Steuerrecht, das es je in Deutschland gegeben hat“, allein, weil man es verstehen könnte. Wenn sich nämlich die soziale Komplexität des Staates nicht hinter der sachlichen Kompliziertheit seines Steuerrechts verstecken würde, wäre die Akzeptanz des thymotischen Steuerspendens, wie es Peter Sloterdijk mutig argumentiert, nur noch eine individuelle Fingerübung.

(Dieser Text beinhaltet mein 100.000 sozialtheoristisches Wort. Ich bin recht froh, dass sich ein so bedeutendes qualitativ-konstruktives Thema ergeben hat, mit dem ich diese unbedeutende quantitative Wörter-Grenze überrschreite.)

(Bild: zak mc)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

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