Was es kann und was wir wollen #Hangout

Diese ganzen Social-Media-Hypes sind ja eigentlich nur was für Spielkinder, die sich schon immer für magische Maschinen interessiert haben. Wer sich heute mit finanzieller Hilfe bei Ebay um eine Google-Plus-Einladung bewirbt und das Glück hat, dies nicht aus beruflichen Gründen tun zu ‚müssen‘, folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit einem lebensbestimmenden Muster. Chronologisch rückwärts hat man sich mit ähnlicher persönlicher Inbrunst und finanzieller Hingabe um die Anschaffung digitaler, elektronischer und mechanischer Maschinen gekümmert. Alle 5 – 20 Jahre änderte sich die Spezies der Maschine, die Neugier bleibt dieselbe.

Wenn nicht die Media-Maschine, sondern der Social-Aspekt im Vordergrund stünde, müsste man beinah der gesamten Schar, der in Deutschland bekannten und als solche profilierten „Early Adopters“ dazu raten, eine Familie zu gründen und Kinder zu zeugen*. Nichts vergrößert den Freundeskreis schlagartiger als das erste eigene Kind.

Von beruflichen Kontexten abgesehen, führen auch die Kinder erstmals die Notwendigkeit stetiger, technologiegestützter Kommunikation vor Augen. Man verabredet sich zum Krabbeln, Baden und Buddeln und muss die Termine immer variabel halten, weil Kinder machen was sie wollen und vor allem im ersten Jahr so unregelmäßig schlafen, dass alle Terminabsprachen immer nur vorläufig sind.

Aus dieser Blickrichtung kommt dann auch das ganze Elend mit den (Versprechungen der) Online Social Networks zum Vorschein. Denn das, was die interfamiliäre Tagesplanung erträglich macht ist immer noch, und beinah ausschließlich, die gute alte SMS.

Twitter eignet sich für die Kommunikation mit Unbekannten, Facebook ist beinah ein reines Präsentationstool, dessen „soziales“ Potenzial darin besteht, andere im Nachhinein damit zu beeindrucken, was man tolles gemacht/gesehen/erlebt hat. Skype ist eine recht nützliche Sache, um zu verabredeten Terminen Gespräche mit Ton und Bild zu führen. Zur spontanen Koordination der nahen Zukunft eignet es sich nur bedingt.

Es sind weiterhin Wünsche offen. Letzt Woche ist nun mit Google Plus das nächste Angebot gekommen, Koordinierungsleistung zu erbringen. Ich kenne es bislang nur aus Videos und Berichten und stelle fest, für das oben skizzierte Szenario hält es wohl ein paar Überraschungen bereit. Insbesondere die Idee des Google+ Hangout. Ich stelle mir vor, wie wir uns zu 15 Uhr im Schwimmbad verabreden und gegen 14 Uhr beginnen nachzufragen, ob die Kiddis bereit sind. Natürlich schlafen manche noch und die Eltern sitzen im Zimmer nebenan und vertreiben sich die Zeit. Wäre es nicht witzig, wenn ein Kiddi-Termin schon zuhause beginnen würde? Warum gelingt das nicht, wenn doch alle die Zeit dafür schon freigeräumt haben? Was sind die Hürden?

Wie immer ist an dieser Stelle kurz aber explizit darauf hinzuweisen, dass bei einer Thematisierung von Online Social Networks, trotz des Namens, eine online/offline-Unterscheidung kaum problematisiert wird. Der Problembezug zeigt auf den erlebten Alltag: die Koordination von Verhalten in und von Familien, die nicht im selben Haushalt leben. Familien benutzen mechanische Autos, elektronische Türklingeln und digitale Handytechnik. Die zu lösenden Probleme liegen nicht in den technologischen Bedingungen. (Auch wenn sie als Lösungen neue Probleme hervorrufen.)

Die Frage ist, wie zwischen den Familien, zum Zwecke der gemeinsamen Tagesplanung, Interaktion ermöglicht werden kann. Die Ansprüche sind hoch: Es geht um Gespräche, die Pausen und Ablenkungen zulassen, Freiräume bieten, ohne explizite Begrüßungen und Verabschiedungen auskommen, usw. Die Soziologie schreibt in ihren Definitionen für Interaktion bislang als zentrale Bedingung Anwesenheit fest. Einen Schritt weiter lässt sich ermitteln, dass Anwesenheit verdeckt, um was es eigentlich geht: Wahrnehmung.

Bislang blockiert die technologiegestützte Kommunikation Wahrnehmung beinah vollständig. Texte und Telefonate lassen keinen Spielraum für Peripheres, Implizites oder Indirektes. Man kann sich am Telefon mehrdeutig Räuspern und Texte verklausulieren – doch es bleibt Ungesagtes ungesagt und zwischen den Zeilen Geschriebenes ungeschrieben. Das Verstehen lässt sich nicht kommunikativ kontrollieren. Was wirklich gemeint wurde, bleibt verborgen. Für Verstandenes kann man niemanden außer sich selbst unter Rechtfertigungsdruck setzen. Das Einzige, was bliebe, ist die Nachfrage – die wiederum das eigentliche Thema blockiert und weniger Aufklärung verspricht, als ein Angebot zum Zurückrudern darstellt (und dabei dem anderen wiederum unverbindlich zu verstehen gibt, schon ‚genau richtig‘ verstanden zu haben).

Interaktion ist gegeben, wenn es diese Wahrnehmungsblockaden nicht gibt. Sie müssen in zwei Aspekten abgebaut werden. 1. Zum Einen sollte sich die an Interaktion Beteiligten gegenseitig wahrnehmen. Sie sollten sich sehen und hören können: (1) Gesprochene Sprache ohne Umbrüche in Text; (2) Hören ohne Zeitverzug. Und ergänzend dazu sollte die Bandbreite an Gesten und nonverbalen Unterstützungen einsetzbar sein. Die Leistungsfähigkeit des Gespräches ruht auch darauf, dass man beim Sprechen bereits eine Antwort/Rückmeldung erfährt bzw., dass man als Zuhörender aktiv am Gespräch beteiligt ist. (Die Sachlage müsste an dieser Stelle mit viel Text ausgebaut werden. Denn es geht nicht nur darum, den anderen zu beobachten, sondern auch sich selbst als den Beobachter des anderen beobachten zu können und darauf zu reagieren, dass man reflektiert, dass man vom Gegenüber als der Andere beobachtbar ist / beobachtet wird, usw. Diese Kopplung von Beobachtung und Verhalten ist an die Körper selbst gebunden, sie werden beobachtet, sie verhalten sich – sie erfüllen die Anwesenheitsbedingung.)

2. Zum anderen scheint es wichtig, dass man in einem Gespräch dieselbe Umgebung beobachtet. Wer sich im Gespräch begegnet, sich also einfachster Weise gegenübersteht, sieht den Ausschnitt von der Welt, den der andere nicht sieht. Man könnte nun sagen, beide sehen völlig unterschiedliche Dinge. Aber man muss auch feststellen, dass beide, sich gegenseitig ergänzend, eine – genauer – eine gemeinsame Welt beobachten. Die für Punkt Eins wichtige Ermöglichung der Perspektivenübernahme gelingt umso besser/schneller, je mehr über die Umgebung Klarheit herrscht (und man beispielsweise nicht erst durch Fragen Erzählungen provozieren muss: Wo bist du gerade? Oder: Störe ich?). Das gilt umso mehr, je sachzwangloser und geselliger man sich unterhalten möchte.

Der Wunsch nach Interaktion unter Abwesenden macht klar, die Wunschliste an das „socialweb“ ist noch immer und beinah unverändert lang. Und es ist auch klar, selbst eine Telekommunikationstechnologie auf Basis von synchronisierten Holodecks würde nicht alle Problemstellungen bewältigen. Klar ist aber auch, dass Abstriche sehr wohl hingenommen werden können. Der Problembezug ist an dieser Stelle ja recht spezifisch und überschaubar. Kompromisse sind kein Problem.

Die Möglichkeiten der Videotelefonie sind in dieser Hinsicht schon recht revolutionär. Und bei Google Plus kommen sie nun ziemlich weit zum Zuge: Die Möglichkeiten, einen „Ort“** zu schaffen, in dem Gespräche sich so einfach ergeben, wie wenn es an der Tür klingelt; in dem es möglich ist in ein Gespräch ein- und auszusteigen; in dem viele technologischen Belange übernommen werden und es weder eines Administrators noch eines Moderators bedarf, sind ziemlich toll. Zwei Google-Entwickler sprechen hier darüber, und man kann feststellen, dass bei der Entwicklung nicht nur technologische und wirtschaftliche Überlegungen zentral standen.

Während alle anderen Online Social Networks derzeit verkümmern – aus euphorischen Blogposts wurden hingerotzte Tweets, aus denen zuletzt Ja/Nein-Likes wurden (dazu ein wirklich toller Text im WSJ) – ist es Google gelungen, eine völlig neue Idee zu haben: ein Online Social Network, das seinen Fokus auf echtzeitige, wechselseitige ‚Kommunikation unter Bekannten‘ unter Einbezug mehrerer Sinne per Video setzt. Zwar bietet sie auch die Möglichkeiten, Timelines zu füllen und zu konsumieren. Doch diese Datensammeleinrichtungen ließen sich wohl schlicht ignorieren, wenn man nur daran interessiert ist, einem begrenzten Zirkel an Menschen sanfte Hinweise über die eigene Verfügbarkeit zu geben und die Möglichkeiten der Kommunikation per Video per einfachem Klick zu nutzen. Großartig.

Das Internet muss nämlich überhaupt nicht ständig irgendwas revolutionieren. Es reicht völlig, wenn es sich darauf beschränkt zu versuchen, kleine Hindernisse zu überbrücken. Facebook hat Leben ins Adressbuch gehaucht, dass uns nun ständig mit Lebenszeichen unserer Telefonbucheinträge versorgt. Twitter versorgt uns mit Witzen, auch in den Situationen, in denen sie völlig unangebracht aber passend sind. Google Plus ermöglicht nun ziemlich echte Geselligkeit, obwohl alle woanders sind.

Microsoft hat ja zuletzt Skype gekauft und schon eine Weile den kinect-Kontroller für die Spielkonsole im Angebot. Auf die Idee, Wohnzimmer-zu-Wohnzimmer-Videotelefonie zu bewerben ist man dort aber irgendwie nie gekommen. Doch genau das ist eigentlich das, was heute noch fehlt.

***

Erklärende Ergänzung: Ich habe oben von Kompromissen gesprochen. Im Grunde geht es darum, zu ermitteln, ob die Möglichkeit besteht, per Internet eine Stammtischsitzung durchzuführen. Ich bin da recht zuversichtlich. Ich schaue mir nicht immer aber regelmäßig ein paar Sendungen des twit-Programms live an. Leo Laporte redet mit Gästen gleichzeitig on- und offline über das Internet der Gesellschaft (so ist es korrekt). Man kann dort beobachten, gerade kurz vor den Sendungen, wie sich die Teilnehmer in der Interaktion in Stimmung bringen und wie selbstverständlich sie miteinander plaudern. Man müsste sich einmal eine derartige 5-10-Minütige Gesprächsepisode transkribieren und den Text genauer ansehen. Mein Gefühl sagt mir, die Asymmetrisierung und Rollenverteilung verläuft ähnlich, unabhängig davon, ob sich die Personen im Studio befinden oder einzeln zugeschaltet sind. Bzw. man könnte allein anhand einer Transkription (die es inhaltlich nicht verrät) nicht erraten, wer vor Ort und wer zugeschaltet ist. Und meine zweite Vermutung ist: Umso mehr sich die Beteiligten kennen, umso einfacher Gelingt die Interaktion, umso schneller ist das Gespräch fremdreferenziell.

* Jawohl, sie sind alle männlich.
** Unter Ermangelung besserer Begriffe und Vermeidung von „Sphäre“.

(Bild: Anthony Catalano)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

3 Kommentare

  1. Schroeder sagt:

    Interaktion unter Anwesenden heißt dann nur noch „zeitliche Anwesenheit“, was m. E. eh als einziges Kriterium für Interaktionssysteme taugt.

  2. Stefan Schulz sagt:

    „Zeitlich anwesend“ ist man auch am Telefon oder im Chat jeglicher Art. Es geht aber darum, reflexive Wahrnehmung zu ermöglichen. Dein Erachten reicht für eine tragbare Definition von Interaktion nicht aus.

  3. Schroeder sagt:

    stimmt leider – deshalb ja in Anführungszeichen, weil nicht sauber

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