Männer denken zu viel, Frauen träumen zu viel

Man kann es immer übertreiben, gerade in der Liebe.

Na gut, nehmen wir einmal an, sie hat hiermit recht: Die ‚neuen Männer‘ sind rücksichtsvoll verlegen, mutlos und durch ständiges Denken in ihren Taten gehemmt. Was wäre die Konsequenz? Soll man es als Plädoyer lesen, als Mann (wieder?) tatkräftig, undurchdacht und fordernd mit Frauen umzugehen?

Mich erinnert das lesen des Textes an eine kurze Interviewepisode mit Heiner Lauterbach. Er saß im TV in großer Runde und beschwerte sich darüber, dass die Jugend den Mädchen so viel einfacher fällt als den Jungen. Denn diese müssen rackern und arbeiten, während die Mädels einfach an der Bar sitzen und sich ansprechen lassen können. Auf den Hinweis aus der Runde, dass dies aber nur für sehr wenige Mädels zutrifft und fast alle anderen unbeachtet und leidend neben diesen Mädels sitzen, schwieg er kurz und ergänzte dann, das habe er wohl übersehen, aber naja.

Ich möchte aus dem Text von Nina Pauer kein Plädoyer herauslesen. Viel zu schlüssig und plausibel erscheinen mir die von Eva Illouz bislang zum Thema lesbaren. Nicht nur die Männer verändern sich, sondern das Prinzip und die Funktionsweise der Liebe selbst. Wenige Frauen können sich auf ihre Physiognomie verlassen und werden sich, zumindest in ihrer Jugend, niemals langweilen. Diese Frauen können darauf hoffen, dass es immer Männer gibt, die sich für sie interessieren, sodass sie ihr Annehmen-Ablehnen-Spiel spielen können.

Für den Rest, eventuell die Mehrheit, ist Liebe aber vielleicht wieder mehr als ein Spielchen, dass man in der Jugend mit Freude und später mit Anstrengung spielt. Es sind nicht mehr die 80er heute. Eckhard von Hirschhausen, „Glücksexperte„, hat immer den guten Hinweis parat, schon am Anfang des Kennenlernens keine Dinnerspielerei zu machen, sondern sich direkt ins Leben zu stürzen. Warum nicht gleich eine Alltagsprobe machen? Eine berechtigte Frage. Für Romantik bleibt immer noch Zeit, nachdem man sich vertraut geworden ist.

Es ist heute schwierig genug. Eroberungswillige Frauen, die von den Männern noch immer die 95% Initiative einfordern, ständige Opferbereitschaft verlangen und nicht zum kleinsten Anzeichen von Sicherheit bereit sind, müssen eben manchmal sehen, wo sie bleiben. Sich über junge Männer in diesem Ton zu beschweren, oder gar lustig zu machen, während gleich nebenan berechtigterweise auf die Rape-Culture hingewiesen wird, ist weder dumm noch klug, aber ziemlich verwirrend. Es könnte für viel junge Männer schlicht einfacher sein, wenn die jungen Frauen ihre neue Rolle finden würden, anstatt der alten Prinzessinnenidee hinterherzutrauern.

(Bild: alice_ling)

Nachtrag: Weiterführende Leseempfehlung.

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

5 Kommentare

  1. Enno sagt:

    Interessant finde ich, wie du das zu Grunde liegende Geschlechter-Klischee des Pauerschen Lamentierens aufdeckst. Sie legt einen spezifischen Idealtyp der (jungen) Frau zu Grunde, die sich im (Liebes-)Kontakt zum Mann auf ihre Physiognomie verlassen kann. Das Problem an dieser impliziten Unterstellung ist aber nicht, dass er überholt ist. Dafür gibt es m.E. auch keine haltbaren Anzeichen. Problematisch an diesem unterstellten Idealtyp ist, dass er nur in den allerseltensten Fällen der Realität entspricht. Wenn Pauer unreflektiert von diesem Standpunkt argumentiert, sind alle daraus generalisierten Schlüsse – an der Realität gemessen – natürlich nicht haltbar. Es geht also auch für die Frau in meinen Augen nicht darum, einer _alten_ Prinzessinnenidee hinterherzutrauern (und sich dafür eine neue, aktuellere zu suchen? Welche wäre das? Und was würde das an dem von dir angesprochenen Problem ändern?).

    Geht es nicht viel eher darum, sich von den Wirkungen und Bedeutungen eines Idealtyps zu befreien – oder die Wirkungen zumindest zu reflektieren? Und zwar sowohl für Mann also auch für Frau? Und vor allem darum, was es bedeutet, einen Idealtyp vom Gegenüber zu erwarten (um gegebenenfalls seinen eigenen Idealtyp erst herzustellen?)?

    Gerade der Verweis auf die Erwartungen an das Gegenüber machen deutlich, wie abhängig das eigene Erreichen des Idealtyps davon ist, dass das Gegenüber sich idealtypisch verhält (erst die Symbiose aus Tarzan und Jane – oder besser noch: aus King Kong und der Frau in seiner Hand – macht deutlich, wie stereotyp der ‚fit‘ sein muss). Um diese reflexive K.O.-Argumentation durch zu spinnen: Vielleicht argumentiert dann Pauer gerade aus einer Perspektive einer (jungen) Frau, die eben nicht dem vom Gegenüber gewolltem Idealtyp entspricht und gerade deshalb nur an weinerliche, introvertierte und unsichere Männer gerät. Das ist letztlich auch egal. Jedenfalls wir der Frust, nicht selbst nicht dem Idealtyp zu entsprechen – und sei es, weil es einfach kein passendes Gegenüber gibt mit dem der Idealtyp erreicht werden kann -, wird dann weil es so bequem ist gerne extern attribuiert.

    Kurz gesagt, es ist nicht das Problem, dass es keine King Kongs mehr gibt, die sich die schönen Frauen von der Bar abholen. Es ist das Problem, dass wir häufig glauben, dass so etwas auch in der Realität tatsächlich passiert, oder zumindest zu passieren hätte.

  2. Stefan Schulz sagt:

    So sehe ich es auch. Frau Pauer hat implizit auf ein ganz anderes Problem hingewiesen als sie beabsichtigte: Die Passung von Ansprüchen und Wirklichkeit und wie man mit Enttäuschungen umgeht.

  3. DrNI sagt:

    Die Mädels, die das Röckchen hochschieben, sind wohl in der Tat nicht in der Überzahl. Das ist das eine. Das andere ist, dass heutzutage auch der Mann Zielgruppe der Schönheitsindustrie ist. Mehr als früher muss der Mann äußerlich gewissen Vorstellungen entsprechen. Es ist durchaus vorstellbar, dass das auf beiden Seiten zu einem gewissen Massenminderwertigkeitskomplex führt, aus dem heraus sich niemand mehr was traut. Wenn man jemanden sieht, der spontan anziehend wirkt, geht man dann offen und ehrlich auf die Person zu, oder winkt man innerlich sowieso gleich ab?

    Die Romantiker reden dann von den Fehlern des anderen, und dass man die mindestens genau so lieben könne wie die Vorzüge. Aber warum tun wir es dann nicht einfach?

  4. Wo wurde denn auf rape culture hingewiesen? Auf Mädchenmannschaft selbst?

    Ansonsten danke für den Beitrag. Ich bin ja leider nicht so theoriefest, werde jetzt aber mal Luhmann lesen. Illouz ist bereits eingekauft und zT schon gelesen.

  5. Stefan Schulz sagt:

    Ich wollte die „rape culture“ erwähnen, da sie ein bedeutender Teil der neufeministischen Argumentation ist. Pauer erwähnt sie nicht. Viel Spass bei den guten Lektüren! ;-)

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