Des Soziologen guter Freund, der Taxifahrer

Jetzt, da ich gerade diesen nichtssagenden Text lese, muss ich an zwei Dinge denken, die jeden Bielefelder Soziologiestudenten betreffen – oder besser: plagen. Denn wo immer man auf Menschen trifft, die den Anforderungen gemütlicher Geselligkeit nicht gewachsen sind und das Thema Wetter schon hinter sich haben, kommt man darauf zu sprechen: (1) Bielefeld gibt’s doch gar nicht und (2) Was willst du nach dem Studium machen? Taxifahren in einer Stadt, die es nicht gibt? Hahaha.

Nun, da es Bielefeld gibt und (erstaunlicherweise möchte man sagen, man sah ja, mit wem man studiert hat) auch jeder Soziologe einen Job für sich findet – gibt es noch ein anderes Thema, Soziologen und Taxifahrer betreffend, das bislang schlicht vernachlässigt wird. Seit ich nämlich in Frankfurt am Main als Journalist tätig bin, also hin und wieder mit dem Taxi fahre, in Frankfurt und anderen Städten, in denen ich mich entweder kaum oder gar nicht auskenne, mache ich immer wieder die gleiche sehr interessante Entdeckung.

Teilt man die Soziologen in zwei Lager, in die, die gut abstrahieren und analysieren und die, die gut beobachten und beschreiben können, finden sich unter den Taxifahrern eine hochqualifizierte Soziologenscharr der zweiten Gruppe. Man muss es einmal austesten und etwa zur Buchmesse nachts mit dem Taxi durch Frankfurt fahren. So lernt man die Stadt, ihre Menschen und Gäste wirklich kennen. Jeder Taxifahrer erzählt nach Mitternacht, wenn sich die Ruhe der Stadt auch aufs Gemüt gelegt hat, Geschichten, die so wahr wie unglaublich sind.

Taxifahrer haben es während ihrer ganzen Arbeitszeit unmittelbar mit der Gesellschaft zu tun. Sie haben sie im Auto, sie haben sie ständig um ihr Auto herum. Sie wechseln andauernd ihre Perspektive, räumlich und sozial. Sie wissen, wie sie Menschen auflockern und – das trifft zumindest auf Frankfurt häufig zu – es sind Menschen, die selbst aus anderen Kulturkreisen kommen also ihrerseits eine ganz eigene Ausgangsperspektive haben. Es ist so, wie es Reinald Grebe sang: „Sabine Christiansen macht die Welt nicht klarer / Die Wahrheit sagt dir jeder Taxifahrer.“

(Bild: Bruno. C.)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

4 Kommentare

  1. Stefan Schulz sagt:

    Sieh mal einer an… Steil!

  2. Charles sagt:

    von Soziologe zu Soziologem:

    Wolfgang Kroner: Taxifahrer – Szenen aus der Großstadt
    schon etwas angegraut (1981), was den Bezug zru Wissenschaft (Soziologie), die Abschnitte zur ökonomischen Situation und zu den verwendeten Technologien (damals eben nur Taxameter) betrifft, aber in der Beschreibung der Interaktion zwischen Fahrer und Fahrgast nach wie vor aktuell. Warum: Zwar ändern sich Sprache, Inhalte (z.B. Stories), doch nicht grundlegende soziale Kommunikationsformen, -techniken und Handlungsabläufe (z.B. Einsteigen-Zielortbestimmung-Fahrt-Ankunft-Bezahlen-Aussteigen) in der gesellschaft. Das Buch ist vergriffen, aber wie ich bei Amazon gesehen habe, noch antiquarisch erhältlich. Seinerzeit mehrere Auflagen. Damals von Wissenschaftlern zur Lektüre empfohlen wie von Taxiverbänden.

  3. Stefan Schulz sagt:

    Sehr interessant, danke, Charles!

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