Dr. plag. (plagium)

Lügenbaron

Roland Preuß schlägt in der heutigen Ausgabe der SZ auf der Meinungsseite vor, Plagiate verjähren zu lassen und bezieht sich dabei direkt auf die Diskussionen rund um die Doktorarbeit von Anette Schavan. Dieser (inhaltlich wie praktisch abstruse) Vorschlag ist für mich besonders interessant, weil er einen zentralen Aspekt der Diskussionen widerspiegelt. Es geht dabei um eine differenzierungstheoretische Perspektive. So lässt sich das Ringen um Wahrheit und politische Hoheit als ein Wechselspiel von Eingriffs- und Schließungsversuchen von Wissenschaft und Politik verstehen. Im Kern lautet die Forderung von Roland Preuß, die erfolgreiche Plagiatsprüfung von dem Entzug des Titels zu trennen:

„Während die Universität also auch nach Jahrzehnten noch feststellen kann, dass ein Werk auf Copy und Paste beruht, entzieht sie nach einer Frist von zehn oder 20 Jahren trotzdem nicht den Titel. Auch akademische Fehltritte sollten irgendwann verjähren.“

Um den Vorschlag zu verstehen und zu kritisieren, kann man auf drei rhetorische Kniffe eingehen, mit denen der Autor seinen Vorschlag garniert.

Der erste Kniff entsteht durch einen Vergleich. Dass auch (s.o. im Zitat) akademische Fehltritte verjähren sollen, begründet Preuß damit, dass alle rechtlichen Vergehen (bis auf Mord) nach einer bestimmten Frist verjähren. Der Vergleich hinkt. Nein, er ist unfähig durchzugehen. Denn bei dem Entzug des Titels handelt es sich ja nicht um einen Vorgang im Rechtssystem. Eine Universität entscheidet keinen strafrechtlich relevanten Sachverhalt. Sie entscheidet einen wissenschaftlichen Sachverhalt. Es geht um die zentrale Frage, welche Arbeiten zum gemeinsamen geteilten Wissenskanonen zu zählen sind. Und welche nicht, weil sie den Mindestanforderungen wissenschaftlichen Arbeitens nicht genügen. Plagiate können diesen Anforderungen nicht genügen. Heute nicht, vor dreißig Jahren nicht und in Zukunft auch nicht.

Preuß nutzt noch einen zweiten rhetorischen Kniff. Er spinnt einen Vergleich, den er selbst grotesk nennt, ohne von ihm jedoch in irgendeiner Form Abstand zu nehmen:

„Wer hat damals bei der Abiturprüfung gemogelt? Das könnte eine spannende Frage sein dieser Tage, vor allem, wenn sich Siegfried und Gabriele noch lebendig daran erinnern, wie der Mitschüler einst den Spickzettel aus dem Ärmel fummelte. Der Unterschleif muss Konsequenzen haben – und so erkennt das Gymnasium dem Trickser im nachhinein das Abitur ab, was – natürlich – weitere Folgen hat: sein Studium hat er dann ja unberechtigt aufgenommen und abgeschlossen. Und was die spätere Doktorarbeit angeht, sieht es mangels Studienabschluss auch nicht gut aus.“

Diese Verkettung von Entscheidungen möchte Preuß mit seinem Vorschlag verhindert wissen. Das Anliegen menschelt sehr. Drückt der Autor doch sein Mitleid mit den ach so hart verfolgten Doktoren des Landes aus. Einerseits. Andererseits soll denjenigen der Titel nicht aberkannt werden, die sich auf ihrem erfolgreichen Betrug lang genug durchgemogelt haben. Das entwertet nicht nur die Leistungen all derjenigen, die ehrlich ihren Titel erworben haben. Der Vorschlag führt auch dann in die Sackgasse, wenn man ihn mal praktisch durchdenkt. Das scheint der Autor nicht getan zu haben, sonst wäre er vielleicht nicht auf so eine abstruse Idee verfallen.

Eine Möglichkeit ein Plagiat nachzuweisen ohne den Doktortitel abzuerkennen, würde darin bestehen, dass die Universität praktisch nichts unternimmt. Sie müsste die Erkenntnis ja geheim halten. Ansonsten würden sich die Konsequenzen für den Titelträger ja nicht unterscheiden. Das bedeutet aber, von der Wissenschaft zu fordern, ihre zentrale Orientierung an der Wahrheit zu korrumpieren. Man würde ihr in diesen Fällen sogar auferlegen, von sich aus darauf zu verzichten, Wahrheit von Unwahrheit zu trennen. Diese Art Forderungen werden von der Wissenschaft natürlich als ein nicht-legitimer Eingriffsversuch verstanden und bleibt daher folgenlos. Interessant ist aber, dass diese Forderungen häufig von denjenigen vorgebracht werden, die sich kaum in die Logik wissenschaftlichen Arbeitens hineindenken können.

Eine offensivere Variante würde darin bestehen, dass der Titel zwar bestehen bleibt, aber sichtbar abgewandelt wird. Aus einem Dr. phil (philosophiae) würde so der Dr. plag. (plagium) werden. Damit wäre zumindest der wissenschaftliche Schließungsmechanismus gewährleistet. Aber was nützt der Doktortitel, dem Doktor, wenn (potentiell) jeder weiß, dass er keine Grundlage hat? Wer an seinem Titel hängt und damit keine eigen Leistung verbinden muss, der kann den Titel doch von irgendeiner Universität einer Bananenrepublik käuflich erwerben (man hört gelegentlich, dass man Titel auch in Deutschland käuflich erwerben könne).

Die zentrale Schwäche der gesamten Argumentation resultiert allerdings aus einer Personifizierung „der Universität“, die nun späte Rache nehmen könne. Diese Rache sei nicht angebracht, weil viel mehr als der Titel entzogen werde (siehe die Entscheidungskette des zweiten Beispiels). Dabei übersieht der Autor, dass die Universität nichts weiter tut, als den unrechtmäßig erworbenen Titel zu entziehen. Alle weiteren Entscheidungen, die aus der Aberkennung des Titels resultieren, liegen doch gar nicht in der Hand der Universität! Wenn Politiker als Plagiatoren politisch nicht mehr tragfähig sind, ist das doch eine politische Entscheidung. Wird der Angestellte aus seinem Dienstverhältnis entlassen, ist das eine (in der Regel) wirtschaftliche Entscheidung oder ein Verwaltungsakt. Es handelt sich um Folgeentscheidung, die nach anderen Funktionslogiken gefällt werden. Und nach zwanzig Dienstjahren geht es bei diesen Entscheidungen doch nicht um den Titel! Es wird doch in den allermeisten Fällen darum gehen, dass ein Betrüger das Vertrauen, das in ihn gelegt wurde, missbraucht hat. Wir leben in Zeiten, in denen Menschen gefeuert werden können, weil sie für sich selbst eine Frikadelle aus dem Müll des Betriebs mit nach Hause genommen haben. Das mag man schändlich halten. Aber wer nach dem Entzug des Doktortitels vor den Trümmern einer Karriere steht, ist Opfer seines eigenen Betrugs. Diese Personen verdienen kein Mitleid und keine Nachsicht. Und schon gar nicht, können sie herhalten, um Eingriffe in die Freiheit der Wissenschaft anzuregen.

Abschließend ein Beispiel, das sich viel eher als Vergleich anbietet. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Hochstapler nach mehreren Berufsjahren, bspw. als Arzt auffliegen. Nicht selten haben sie dabei ohne Qualifikation kompetente Arbeit geleistet (oder wurden wenigstens als kompetent wahrgenommen). Dem Vorschlag von Roland Preuß folgend müsste diesen Hochstaplern ja gleichermaßen eine Amnestie zustehen. Sollte man auf Rücksicht auf ihre „Karriere“ diesen falschen Ärzten nachträglich ihre Approbation, den falschen Piloten ihren Flugschein und den falschen Lehrern ihre Lehrbefugnis zugestehen?

Foto: Anne_Roth

2 Kommentare

  1. schorschi sagt:

    Erbärmlich. Jeder Schüler,der betrügt,bekommt eine 6 dafür. Aber bei Promotionen vermeintlich wichtiger Politiker kann man ja gerne mal eine Auge zudrücken…
    http://www.gutefrage.net/frage/darf-mein-lehrer-wenn-er-mich-beim-spicken-erwischt-eine-6-geben

  2. […] für Politprominenz angeführt wird. Zu den Stilblüten dieses Verteidigungstalks gehört es, Verjährungsfristen zu fordern. So, als sei ein Doktorgrad ein Hut aus alten Zeiten, den man nur so lange auftun muss, […]

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