Johannes Ponader twitterte vorhin darüber, dass nun 200 Demonstranten am Brandenburger Tor seien, um die dortigen Hilfe- und Asylsuchenden zu unterstützen. Die eigentliche Information steckt natürlich in der Nachricht selbst: Johannes Ponader ist im #refugeecamp!
Nach dem turbulenten Freitag für die Piratenpartei, warteten am Wochenende viele Journalisten auf eine Gelegenheit, J. Ponader habhaft zu werden. Auf der Suche nach Konflikten – so würde man es positiv sagen – wollten sie ein Statement der Gegenseite, nachdem ihnen Matthias Schrade in seiner Erfindung des ‚angekündigten Wenn-Dann-Rücktritts‘ inkl. namentlicher Beschuldigungen seine Seite aufs Auge gedrückt hatte.
Ponader hatte recht schnell aber auch butterweich reagiert (tatsächlich ohne irgendwo im Text seinen Namen als Autor zu hinterlassen). Das reichte verständlicherweise nicht. Doch weder Ponader, noch die Piraten wollten diesen Konflikt weitertreiben. Nicht weil sie keine Lust hätten, sondern weil ihnen der Konflikt aus den Händen geglitten war. Shitstorming ist für Piraten eigentlich eine Art Spiel. Nicht zielführend, aber immer auch ein bisschen mit dem Blick darauf, dass nicht allzu viel kaputt geht. Als ihr Buvo plötzlich in Mitleidenschaft gezogen wurde, erkannte man offenbar, dass ihnen doch die ohnehin nicht vorhandene Kontrolle verlustig gegangen war.
Aber neben dem Shitstorming haben die Piraten noch eine andere Strategie parat: Hijacking; sie suchen sich ein Thema, möglichst eins das schon erste Attraktionshürden genommen hat, und übernehmen es. So manche Petitionen wurden so zu Piratenthemen, auch der Feminismus bekam durch Piratenhijacker seine neofeministische Seite und nun vereinnahmten die Piraten den Konflikt zwischen Asylsuchenden und dem deutschen Staat.
Dafür gibt es gut Gründe. Zum Beispiel: Man kann, nimmt man sich ihm an, eigentlich nichts falsch machen und man ist erst einmal beschäftigt. Wer Asylsuchende unterstützt ist immer auf der richtigen Seite, das Unterstützungspotantial ist enorm und, einer der Vorzüge, der Konfliktgegner ist bekannt, er passt, er bietet sich gerade zu an. Es sind die regierenden Parteien, etwas diffus aber irgendwie plausibel. Die Piraten sitzen nicht im Bundestag, also machen sie außerparlamentarische Opposition. Das wurde lange von ihnen gefordert, nun tun sie es.
Als nun ein Journalist mit seinem naheliegenden Kalkül die Konfliktlinien vermischte, und beim Berliner #refugeecamp Johannes Ponader erwartete und in dieser Angelegenheit eine Twitter-PM an Laura Dornheim schrieb und ihr das genau so mitteilte, da kam ihr eine Idee:
Journalist antworter per dem auf meinen #refugeecamp tweet: „Ist der @johannesponader dort? Dann würde ich auch vorbeikommen.“
— schwarzblond (@schwarzblond) Oktober 28, 2012
Meine Antwort: Verdammt, da hungern Menschen. Wenn es hilft stell ich mich da oben ohne hin. Seine Antwort: Deal. Meine??? @seeroiberjenny
— schwarzblond (@schwarzblond) Oktober 28, 2012
Mein Gedanke: Verdammt, dass man bei der Unterstützung von Asylsuchenden nichts falsch machen könne, musste als Idee doch wieder verworfen werden. Es war allerdings auch klar, dass es bei der Ankündigung bleiben würde, denn Piraten machen Fehler, sie richten aber keine Katastrophen an. Das hoffte ich zumindest und kommentierte, wie das Ankündigungskalkül von nackten Brüsten den gesamten Folgenreichtum der Piratenidee abbilde: programmierte Enttäuschung.
Plötzlich hieß es jedoch:
Wenn ich sage, ich ziehe mich aus, dann ziehe ich mich auch aus. #tits4humanrights #refugeecamp @anked @laprintemps @seeroiberjenny
— schwarzblond (@schwarzblond) Oktober 28, 2012
Es war offenbar doch besser erst einmal abzuwarten. – Letztlich kam es dann aber wie erwartet: Die jungen Damen zogen sich nicht aus, sie kamen mit bedruckten T-Shirts und warben für die Anliegen der Asylsuchenden, bzw. mehr als „Humanity“ passte auch nicht auf die Hemden. Transparenz, Partizipation & Humanity – der guten Dinge…
Allerdings – und deswegen der Aufriss an dieser Stelle – hatte das Spektakel ein kleines mediales Nachspiel, das mich ein wenig aufstoßen ließ. Denn laut taz nahm die Veranstaltung ein interessantes Ende:
Es waren doch nackte Titten versprochen. Wo sind die? Die gibt es nicht. Stattdessen steht auf den T-Shirts „Human rights, not tits“. Die Piraten rufen: „Sex sells. Human rights are not for sale“ – Sex verkauft sich immer. Aber Menschenrechte sind nicht für den Schlussverkauf da.
Was soll das? Die PiratInnen sagen es: „Schämt euch.“ Damit meinen sie die Journalisten. Was die nämlich nicht wissen: Die Piratinnen hatten nie vor, sich auszuziehen. Es ist ein Fake. Mit dem wollen sie „die Medien und deren Sexismus vorführen“.
„Ist es nicht traurig“, fragt Anke Domscheit-Berg, „dass niemand der Journalisten auf die Idee kommt, dass wir uns niemals ausgezogen hätten?“
Die Piraten locken mit, von Anbeginn an dämlichen „Versprechungen“ Journalisten zu einer Demonstration, die auch ohne Piraten für einige Massenmedien interessant geworden ist, feiern dann die Präsenz der Journalisten als ihren Sieg, beschimpfen sie allerdings gleichzeitig und halten 200 Demonstranten für einen nennenswerten Erfolg bei einem Thema, zu dessen Problem sie nicht durchdringen wollen und das sie darüber hinaus in der Frist der nächsten 10 Tage sowieso wieder vergessen werden.
Strohpuppen, na gut; so als ob es in Deutschland, dass sie mitregieren wollen – trotz allem – keine politisch ordentlich behandelbaren Probleme gibt, denen man sich schon bei ernsten Ambitionen auf bundesparlamentarische Mitbestimmung widmen kann. Es gibt – neben den Aktionismusschauplätzen – sogar engagierte, handelnde Problemlöser, denen nicht geholfen wird, wenn man ihnen die Probleme hijackt um sie dann öffentlichkeitswirksam zu beerdigen.
Es ist unverständlich, weshalb bei den Piraten kaum noch mitgedacht wird.
Seminarfrage für alle Mitleser: Welche Gründe sprechen dafür, beim Thema Asylrecht / Umgang mit Asylsuchenden die Öffentlichkeit zu mobilisieren?
(Bild: Suzanne Hamilton)
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