Twitter ist witzig, aber nicht für alle

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Ein Argument, das doch irgendwie auf der Hand liegt. „Lasagne“, „Vollprofis“, „Pferd“ und rund 60.000 weitere Tweets und dann plötzlich der Abschied von Twitter, weil der Stress zu hoch und die Resonanz zu gering ist? Rund 99 Prozent der Kommentatoren, die Christopher Lauers Abschied von Twitter mit Häme begrüßen, müssen mit ihren Ansichten recht haben: Lauer hat sich falsch verhalten. Man kann Twitter konstruktiv und klug nutzen und müsse es sowieso als basisdemokratische Wunderwaffe schützen.

Aber würde diese Argumentation nicht auch eine ganz andere These untermauern, nämlich die, dass sich alle Probleme der Piratenpartei mit Intelligenz lösen ließen? Wenn es doch nur um Verhalten und Einstellung geht, dann wäre es doch so. Die Kritik von Piratenparteimitgliedern an Christopher Lauer, die sich seit Stunden auf Twitter zeigt, sagt im Grunde Folgendes: Wir sind eine dumme Partei, könnten es aber besser. Allerdings zeigen wir das nicht, sondern halten es exemplarisch einem einzelnen Mitglied vor.

Schwupp, sind sie alle in der Schleife gefangen, die Lauer in seinem Artikel beschreibt und für die er nur eine Konsequenz sieht: Probleme, die sich nicht auflösen lassen, müssen abgelöst werden. Ablösung ohne Auflösung bedeutet aber, irgendwo bleibt ein Schrotthaufen zurück. Lauer verlässt eine Unfallstelle, für deren Katastrophe er selbst mit gesorgt hat. Das ist wahr. Aber Lauer ist mit seinem Schritt eben der einzige (mit einem Mindestmaß an Prominenz), der überhaupt etwas tut.

Die Probleme der Piratenpartei sind mit höherer Intelligenz und besserem Verhalten nicht zu lösen, dafür ist der Bogen vom einzelnen Tweet zur großen Parteiorganisation viel zu groß. Er lässt sich eben nur durchschlagen. Es ist, wie es Klaus nun schon vielfach geschrieben hat. Die Piratenpartei ist ein Versuch, der in seinem Scheitern zeigt, dass sein Grundgerüst mehr als eine fixe Idee war. Politische Innovationen lassen sich heute nur noch schwer institutionalisieren, erst recht, wenn mit ihnen die Idee einhergeht, dass man Institutionen nicht mehr braucht, weil man ja ein Internet habe.

Die Piraten haben, zu ihrem Leid aber zum Lernerfolg aller klugen Beobachter, auch politischer Konkurrenten, empirisch untermauert, was schon längst in allen Büchern stand: Organisationen haben mehr Lösungen als Probleme, riskante Entscheidungen lassen sich durch mehr Wissen nicht rationaler treffen und (am allerwichtigsten) zu wenig Information und Kommunikation war noch nie das größte Problem von Organisationen, das Gegenteil, zu viel Information und Kommunikation aber sehr wohl. Die Piratenpartei hat sich totgequatscht, sie ist an Informationen erstickt.

Man kann nur noch eins festhalten, bzw. zum zigsten Mal wiederholen: Ohne Twitter zöge die Piratenpartei im Herbst mit 70 Abgeordneten in den Bundestag ein. Diese Tatsache liegt so klar auf dem Tisch, dass sich nur noch eine interessante Frage stellt: Wie konnten es die Mitglieder selbst so vermasseln? Wieso sind Tweets so attraktiv (schreibend wie lesen)? Wie schaffen es diese kleinen Kommunikationsfetzen nur so große Medienstürme zu entfachen. Blickt man nur einen Monat zurück, konkurrierte ein einzelner Hashtag, nachts dahingeschrieben, mit dem größten Medienecho, das eine investigative Fernsehreportage in den letzten Jahren in Deutschland ausgelöst hat. Warum (siehe Bild oben) weist der Chef der Deutschen Presse Agentur von San Francisco aus einen der rund zweieinhalbtausend Landtagsabgordneten nochmal öffentlich und hämisch auf seinen in einer deutschen Tageszeitung offen dargelegten Lernerfolg hin???

Das ist alles sehr verrückt. Es verwundert wenig, dass die orientierungslosesten Menschen, die Religion als Lösungsstrategie für sich völlig ablehnen, ihr Heil in der Lobhudelei für Twitter als politisches Medium suchen. Als demokratisches Politikinstrument ist Twitter aber schon längst gescheitert. Man vergleiche nur mal, was Angela Merkel mit einer geheimen SMS alles an- und ausrichten kann und lache dann kurz über die dargestellten Verheißungen von Twitter.

(Was alles aber nichts daran ändert, dass Twitter neben Podcasts und Instant Multimedia-Massaging, noch immer zu den Top3-Erfindungen im Internet zählt.)

Veröffentlicht von Stefan Schulz

Diplom-Soziologe aus Jena via Bielefeld in Frankfurt am Main. Kümmert sich promovierend um die Bauernfamilien des 12. Jahrhunderts mit ihrem Problem der erstmaligen "Kommunikation unter Unbekannten" und ist heute Journalist. stefanschulz.com

3 Kommentare

  1. […] Ein Pirat springt ab, Realsatire des Tages: Der Zwitscherdingens-Tod des Christopher Lauer, Twitter ist witzig, aber nicht für alle, Dynamisch und ohne Twitter (OMG! Ich habe “Neues Deutschland” verlinkt. Aber bei der […]

  2. Soziobloge sagt:

    Die Utopie der Piraten waren für mich schon immer nur Utopien. Obwohl ich es schade finde, dass das Experiment vorerst gescheitert ist, ist es andererseits auch gut, dass es so ist. Wie ein Professor mal sagte, man kann etwas ewig lang diskutieren, aber um eine Entscheidung fällen zu können muss man am Ende doch vereinfachen.

    Man könnte beim Fall Lauer auch sagen, er hat gemerkt, dass er ein totes Pferd reitet und ist abgestiegen. Wie man es auch betrachten will. Twitter ist schon eine gute Erfindung, verleitet aber zu sehr zu Hypes, die wenig durchdacht sind. Wenn ich so darüber nachdenke, erscheint mir aber gerade das eine Eigenschaft zu sein, die den „großen Medien“ (oder wie auch immer man die nennen mag) in die Hände spielt. Kleine Sachen werden zu Skandalen aufgeblasen. Die „Skandale“ findet man ja auf Twitter täglich. So hat jeder was davon.

  3. […] Twitter ist witzig, aber nicht für alle – Sozialtheoristen […]

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