Unter welchen Strukturbedingungen werden Geschlechterdifferenzen aktiviert?

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Über strukturschwache Interaktion in Organisationen und strukturstarke „Vollinklusion“ in „totalen Institutionen“

Über kaum ein anderes Thema gibt es so viele Begriffe und polemische Uneinsichtigkeiten wie über die formalen und informalen Ungleichheiten am Arbeitsplatz: Diversity, Gender-Gerechtigkeit und Frauenquote sind es aktuell. Es geht bei diesen Themen um gleiche Chancen bei gleicher(!) Qualifikation, nicht um Gleichheit oder Gleichmacherei. Das ist oft genug betont worden, und oft genug wird dann dennoch über solches eben Nicht-Gemeinte und auch Nicht-Intendierte geredet.

Wie etliche Studien über PISA und durch die OECD gezeigt haben, werden Ungleichheiten gerade in Deutschland v.a. informal reproduziert. Es ist ähnlich wie in der Schule und im Kindergarten, wo sozio-ökonomische Herkunftskriterien (also Merkmale wie Geschlecht, Einkommen, Nationalität) entscheidend für den weiteren Berufsweg sind. Während aber für den Ausgleich von Ungleichheiten in der Ausbildungszeit eine Unzahl an unterschiedlichsten Programmen bereitstehen, bleibt der Weg in die Kindertagesstätte, Krippe oder den Kindergarten relativ uneben. Und nach dem langen nivellierten Bildungswegen im Job angekommen, gilt wieder das Gesetz des (informal) Mächtigeren. Dabei gilt, wie so oft wenn es um Ungleichheit geht, nicht ein Mangel an Nachfrage oder am Angebot ist die Herausforderung, sondern ihre Allokation.

Mit Blick auf die aktuelle Debatte um geschlechtliche Gleichberechtigung – und warum sollte man nicht über andere Formen der Gleichberechtigung sprechen, wie ethnisch- oder altersbedingte) beschreibt Prof. Michael Kimmel (Stony Brook University in New York) in einem Vortrag über sein Buch „Guy’s Guide to Feminism“, wie seine Studierenden das Thema Gleichberechtigung bereits als historische Errungenschaft verbuchen, für die sie ihrer Eltern dankbar seien: „Students really do believe that the whole world is possible and available to them (10:10min)… and that they can balance career and family.“ Und dann aber nach dem Einstieg in den Beruf resigniert feststellten, dass es ein täglicher Kampf ist, sich gegen gleichrangige Kollegen sowie bei der Aufteilung haushaltlicher und elterlicher Pflichten zu behaupten.

Es ist in Deutschland geradezu grotesk, wie Frauen den Zugang zu Stellen über eine 30% oder 50% Quote ablehnen (hier eine 21-jähige Studentin), die für Männer bei über 90% liegt. Kein Mann hat sich bislang damit schwer getan oder besorgt geäußert, Teil der bisherigen informellen Privilegierung zu sein. Prof. Michael Kimmel weist in seinem Vortrag auf amüsante Weise darauf hin, dass Privilegien eben nicht sichtbar sind für diejenigen, die sie haben („Privilege is invisible to those who have it“ (19:50min)).

„Making inequality visible means making privilege visible“ (M. Kimmel)

Prof. Kimmel illustriert die Unsichtbarkeit von Privilegien am Beispiel eines Gastauftritts bei Oprah Winfrey. Neben vier weißen Männern war Kimmel zu Gast bei einer Sendung unter einem Titel, der zugleich ein Zitat eines der vier eingeladenen Männer war: „A black woman stole my job“. In der Sendung berichteten die Männer, wie qualifiziert sie für die Stelle oder die Beförderung gewesen seien, die sie dann nicht bekommen hätten. Winfrey habe dann an Kimmel die Frage gerichtet, was er darüber denke. Und er fragte zurück: Was macht Sie so sicher, dass es Ihr Job war?“ Warum sei der Titel der Sendung nicht: „A black woman took a job, or took the job?“. Laut Kimmel sei der Titel „my job“ dabei Ausdruck dessen, wie Privilegien zu Anrechten umgedeutet würden, dessen Entzug dann als Verlust wahrgenommen würde – tatsächlich aber kein Verlust an formalen Rechten sei.

Wenn, wie in den SPIEGEL-Interviews, Frauen formulieren, dass sie bei einer Frauenquote Angst hätten, eben solch eine Person zu sein, die Männern einen Job nehmen würde, kommt auch hierzulande diese Umdeutung von Privilegien in Anrechten zum Ausdruck – und als „gute“ Frau wolle man ja nicht einem Mann etwas wegnehmen. Wären SPIEGEL-Journalisten Soziologen, würden Sie in solchen Momenten wahrscheinlich auch zurückfragen: Was macht Sie so sicher, dass Sie als Frau den Job eines Mannes „wegnehmen“ würden?

Kimmels Erklärung und Beobachtung ist: Männer nehmen die Formalisierung von gleichberechtigten Berufschancen als Nullsummenspiel wahr – und wie der Vergleich mit den Interviewten im SPIEGEL zeigt, ist diese Wahrnehmung auch unter Frauen vertreten. Selbst Frauen fühlen sich also unwohl, wenn Männer nicht mehr privilegiert sind. Man könnte die Debatte schließen und feststellen. Ungleichheit am Arbeitsplatz ist sozial akzeptiert, warum also darüber nachdenken? Die jahrzehntelange Sozialisation nach patriarchalen Familienbildern hat sich wieder mal reproduziert. Deutlich wird bei solchen Vergleichen dann, dass Männer und Frauen(!) bei der Debatte nicht zuletzt Opfer wie Täter ihrer eigenen Sozialisation in traditionellen Rollenmodellen sind. Dabei geht es nicht darum, die Kategorien Geschlecht und Leistung auszutauschen. Es geht darum, mit beruflichen Leistungen von Frauen wie beruflichen Leistungen von Männern umzugehen. Und ein erster Schritt ist, diese Chancen und ihre oft machtbasierte Verdunkelung sichtbar zu machen.

Paradox- Suche nach Gleichheiten läuft über die Beobachtung von Ungleichheit

Wer die SPIEGEL Interviews zu Ende liest, wird auch vier andersartige Meinungen hören, um die es im Folgenden gehen soll. Kimmel’s Vortrag bei der Heinrich-Böll Stiftung ist nun fast auf den Tag genau zwei Jahre alt. Zwei Jahre ist auch die Einführung des Kaskadenmodell in der Wissenschaft her. Was beinhaltet dieses Modell? Im Prinzip beinhaltet es die Einführung einer Frauenquote auf höheren Ebenen nach der Repräsentativität von Frauen auf unteren Ebenen. Mit anderen Worten: „Der in der Regel höhere Frauenanteil einer unteren Personalstufe soll zur Zielquote für die nachfolgend höhere Stufe werden. Dies kann sich etwa auf die Stufenfolge Doktoranden-Postdoktoranden-Professoren oder auch auf die einzelnen Vergütungsstufen beziehen. Wenn also beispielsweise 30 Prozent der Doktoranden einer Einrichtung weiblich sind, so sollten sich diese dreißig Prozent demnächst auch auf der Ebene der Postdoktoranden wiederfinden. Das Modell beansprucht Gültigkeit über die gesamte Hierarchie des Personals hinweg – von den Absolventen bis hin zum Institutsleiter beziehungsweise von den E13- zu den W3-Positionen.“

Über das Modell wurde moniert, dass eine solche Regelung die biologischen Berufsnachteile von Frauen – weil sie eben diejenigen seien, die das Gros der Erziehung und des Haushalts leisten – auch nicht durch eine Quote abschaffen würde. Natürlich kann keine Politik und auch keine Unternehmenspolitik solche biologischen Fakten aufheben. Aber sie kann Berufs- und Karrierechancen institutionalisieren und sie kann eine Unternehmenskultur schaffen, die informelle Privilegien und Statusrechte auf ihre arbeitskulturellen, personalen und letztlich auch betriebswirtschaftlichen Effekte hin prüft und dabei fragen, wem es schadet, wenn Führungsrollen auch im Rahmen von Teilzeit-Arbeitsverhältnissen verantwortungsvoll und qualifiziert ausgefüllt werden?

Die Situation in Deutschland wird oft auch mit der in den skandinavischen Ländern verglichen, in denen Frauenquoten bereits zum politisch formalisierten Allgemeinplatz gehören – wie damit ebenso die Einsicht, dass eine Frauenquote für Aufsichtsräte auch mit einer Frauenquote für Vorstandspositionen einhergehen muss – solange sich diese nicht als Praxis darstellt. Denn dass keine Frau eine „Quotenfrau“ sein möchte und ja die Qualifikation im Vordergrund stehe, sind Aussagen, die auch die Existenz informaler Strukturen ignorieren. Uni es in Gruppen oder Organisationen. Wer also die Faktizität informaler Strukturen ignoriert, hat ihr stillschweigend zugestimmt. Denn wer keinen Widerspruch leistet, der legitimiert den Konsens über den geltenden Status quo. Und das heißt Stillstand („To choose not to intervene [against structural inequality], is to perpetuate it“ (25:45min) findet sich auch in Kimmel’s Vortrag)

30% oder 50% Frauenquote? Was heißen solche Zahlen eigentlich gegenüber der Realität von 97% oder 99% Männerquote in Aufsichtsräten? Tatsächlich müssten sich Frauen erst darüber sorgen, ob sie eine „Quotenfrau“ werden könnten, wenn die erste unqualifizierte Frau im Aufsichtsrat sitzt. Denn dass es in Aufsichtsräten unqualifizierte Männer gibt, davon berichten die Massenmedien fast täglich. Bislang hört man in der öffentlichen Debatte jedoch keinen Mann Angst davor äußern, nur aufgrund mangelnder, fehlender weiblicher Anwärterinnen als „Quotenmann“ in den Aufsichtsrat berufen worden zu sein. Und ebenso gilt, dass eine Männerquote in Kindergärten oder Grundschulen erstrebenswert ist, sobald eine unkompetente Frau eine solche Position hält. Dagegen berichten Männer jedoch häufig, sie wären bei Bewerbungen als Kindergärtner gegenüber gleichqualifizierten Bewerberinnen im Vorteil. Klagen darüber von Frauen vernimmt man darüber wenig. Im Gegenteil. Wer die Kommentare zu Artikeln über die Frauenquote in Aufsichtsräten oder anderen „männlichen Berufen“ liest, bekommt einen virtuellen Eindruck von der von Kimmel beschriebenen männlichen Verteidigung männlicher Privilegien und dem regelmäßig implizit oder explizit mitlaufenden Vorwurf „feministischer Ideologie“. Selbst in der FAZ steht dann in der Schlagzeile „Frauen klar im Vorteil“ ohne jeglichen Verweis auf die Quellen der Erhebung von Gender-Professuren oder eine vergleichende Information über den Normalfall an deutschen Universitäten, der gerade anders ausfällt. In der New York Times haben jüngst zwei der international erfolgreichsten Autoren über informale Strukturen in Unternehmen, Professor Adam Grant (Wharton School at the University of Pennsylvania) und Sheryl Sandberg (COO Facebook), aus eigener Erfahrung und mit Verweis auf wissenschaftliche Studien über die Diskriminierung von Frauen veranschaulicht, wie das Wissen um die starke Stereotypisierung einer Gruppe die Stereotypisierung dieser Gruppe noch verstärkt. Es ist ein paradoxer Effekt. Und so erklärbar dieser Effekt soziologisch und pyschologisch ist, umso folgenschwerer ist er gesellschaftlich und ökonomisch. Die Schlussfolgerung der beiden Autoren ist entsprechend deutlich und ein Appell an alle(!): „vast majority of people try to overcome their stereotypic preconceptions. […] So let’s be clear: We want to see these biases vanish, and we know you do, too.“

Dass es um vielmehr als nur formale Quoten- und Kaskadenregelungen gilt, zeigt ein Vergleich mit einem Bereich außerhalb der Wirtschaft, in dem es aber ebenso um Leistung geht – wenn auch nicht zum Zweck profitabler Wertschöpfung als vielmehr zum Zweck wissenschaftlicher Erkenntnis. Der Vergleich soll deutlich machen, dass formale Quoten kein Aufbrechen von informalen Informationschancen und Aufstiegsschranken sind. Versuche der Behebung von informalen Machtgefällen durch formale Gleichheitsregeln können insofern den angesprochenen paradoxen Effekt zeitigen, dass nämlich Frauen nur formal in Posten und Programme „gesteckt“ werden. Ihnen der Zugang zu informalen Informationskanälen jedoch verwahrt bleibt, weil beispielsweise „Mann“ es als „positive Diskriminierung“ wahrnimmt, wenn Seinesgleichen bei Einstellungsentscheidungen an 2. Stelle stehen.

Ein Problem in der wissenschaftlichen Praxis, dass sich ebenso im beruflichen Alltag zeigt, ist das Plagiieren von fremden Leistungen. Angesprochen sind damit die vielen Fälle, wenn Frauen Argumente, Themen, Texte und Ideen einbringen und diese dann an höherer oder anderer Stelle gegenüber Dritten als die eigenen präsentiert werden. So ein machtbasiertes Schmücken mit fremden Federn ist keine männliche Konstante. Jede(r) Vorgesetzte und Kollege, der oder die nur in der „ich“ oder „wir-Form“ kommuniziert oder in Meetings und Seminaren nur die eigenen Freunde benennt, wenn es um die Leistungen anderer geht, der reproduziert einen solchen informellen Status quo. Dieser unterläuft jedoch die Logiken wissenschaftlicher Erkenntnis, Forschung und Teamarbeit. Solche informellen Machtspiele und Praktiken der Verdunkelung fremder Leistungen geschehen beispielsweise wenn die Präsentation des Praktikanten als die eigene vorgestellt wird, das Diskussionspapier der wissenschaftlichen Mitarbeiterin stillschweigend für den eigenen Berufungsvortrag genutzt wird, wenn beim Kundenbesuch die vorher noch kritisierten Argumente der Kollegin dann doch als eigene Verkaufsargumente formuliert werden, und wenn beim Vorstand sodann die Berechnungen der Senior Managerin als das eigene Modell „gefeiert“ werden. Und solche Invisibilisierungspraktiken und „Leistungsvertauschungen“ verhindern langfristig den Aufstieg qualifizierter Mitarbeiter – weiblich wie männlich.

Was haben Invisibilisierungspraktiken von fremden Leistungen und Erkenntnissen in Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam?

Wie in der Wissenschaft ist ein solches Vertauschen bzw. „informelles Plagiieren“ fremder Erkenntnis und Leistung jedoch schädlich, denn es demotiviert die Urheber nicht nur bei der Konzeption zukünftiger Arbeits- und Forschungsaufträge, und es behindert nicht nur die Realisierung von Ideen an den Stellen, die diese erarbeitet haben, sondern es behindert auch das Lernen an anderen Stellen. Solche informellen Macht-Praktiken sind nur möglich, weil es Hierarchien und Arbeitsteilung gibt – weil es Vorleister und Vorgesetzte gibt. Das ist gut so und hat seine Funktion – so lange der Nutzen nicht den potentiellen Aufstieg und die Einkommens- sowie Erkenntnissausichten anderer qualifizierter Mitarbeiter einschränkt.

Der Fall Gutenberg hat massenmedial deutlich gemacht, dass es für Plagiieren eigentlich nur ein Motiv gibt, das aber ausserhalb von Erkenntnis, Leistung und Wertschöpfung liegt: Das Tragen eines Titels und das Erlangen von informellen Privilegien. Für alle anderen gilt unbenommen, das Zitieren Grundlage erfolgreicher eigener und fremder Erkenntnis ist – und damit kein Verlust an Kompetenz. Die wissenschaftliche (oder auch publizistische) Leistung liegt nicht darin, als erster aus dem Nichts etwas geschaffen zu haben, sondern daran anschließen zu können, Argumente und Nachrichten zu rekombinieren und die Grundlagen der gewonnenen Erkenntnis durch Nennung (Zitate) sichtbar zu machen – damit sie eben weiter genutzt werden können – als eigene und fremde Erkenntnis und Leistung. Das Sichtbarmachen fremder Ideen ist deshalb kein Verlust von eigener Kompetenz. Es ist wie Prof. Kimmel für die Umdeutung von Privilegien in Anrechten deutlich macht: Geichstellung ist kein Nullsummenspiel. Es bedarf nicht der Invisibilisierung fremder Leistungen, um selbst visibel zu sein oder es zu bleiben. Wie in der Wissenschaft gilt es, Leistungen nach Autor bzw. Mitarbeitern und Kollegen zu differenzieren, Erkenntnisse und Leistungen kenntlich zu transferieren und zu honorieren. Es ist ja gerade die Kompetenz von Vorgesetzten, Leistungen der Mitarbeiter und Kollegen nicht nur zu fordern und zu prüfen, sondern auch sichtbar zu machen. Wissenschaft und berufliche Arbeit sind also immer auch ein Verweisen auf fremde Leistungen und das Gewähren von Chancen zu weiterer Leistung.

Strukturschwache Interaktion in Organisationen und strukturstarke „Vollinklusion“ in „totalen Institutionen“:

Zweifelsohne enthält der Vergleich zwischen Wissenschaft und Wirtschaft einige Analogiefallen, wenn man ihn streng zu Ende führt. Er macht jedoch deutlich, dass nicht nur formale Schranken Berufschancen behindern, sondern auch das informale Verschweigen oder Aneignen fremder Leistungen. Dies ist kein Plädoyer für die Nivellierung von Unterschieden. Es geht vielmehr darum, sensibel für die informalen, oft auch unintendierten Muster bei der „Kommunikation von Erfolg und Macht“ zu werden. Es geht also um die (unternehmens-)politische Frage, ob gegenwärtiger Erfolg nicht nur für bestimmte Gruppen zur Bedingung von zukünftigen Erfolg wird, sondern dass Personen, die aufgrund von beruflichen Leistungen beruflich aufsteigen wollen, dies potentiell auch dürfen und können. 

Erst wenn die erste, unqualifizierte Frau eine (Aufsichtsrats-)position inne hat, kann man deshalb über die Sinn- und Zweckmäßigkeit der Frauenquote reden. Denn erst wenn eine unqualifizierte Frau im Aufsichtsrat sitzt, ist eine Situation eingetreten, die auch bei männlichen Führungspersonen auftreten kann bzw. auftritt – jedoch weitgehend ohne Verweis auf geschlechtsspezifische Merkmale thematisiert wird. Bevor solche Referenzen nicht auch bei weiblichen Führungspersonen im Fall einer möglichen Fehlbesetzung ausbleiben, enthält die Einführung einer Frauenquote in Unternehmen ein doppeltes Lernpotential bereit: Sie verweit auf die kommunikativen Chancen und Risiken bei der (De-)Aktivierbarkeit bzw. (Ir)Relevanz geschlechtlicher Differenzierungen.

Bild: Screenshot of Grant&Sandberg, in NYT, Dec. 6, 2014

 

8 Kommentare

  1. kusanowsky sagt:

    Was spricht eigentlich gegen den Vorschlag, nach der Einführung einer Frauenquote auch eine Behindertenquote einzuführen? Was spricht gegen den Vorschlag, eine Quote für Homosexuelle einzuführen? Warum nicht auch eine Quote für farbige Menschen?
    Ich meine diese Fragen ernst. Mich würden die Einwände gegen solche Vorschläge deshalb interessieren, weil entsprechende Einwände Rückschlüsse darauf zu lassen, weshalb vergleichbare Einwände für eine Frauenquote nicht angeführt werden können oder dürfen. Waum ist Weiblichkeit ein Kriterium für Qualifikation (bei gleicher Eignung), aber nicht Hautfarbe, Behinderung, sexuelle Orientierung? Wenn man ausweichen möchte mit dem Einwand, dass Frauen einen 50% Bevölkerungsanteil ausmachten, dann würde ich dagegen einwenden und sagen, dass es sehr viel mehr farbige Menschen auf der Welt gibt als weiße. Auch gibt es sehr viele Menschen mit schlechten Augen, also: Behinderung. Außerdem könnte man auch das Alter anführen: Bei gleicher Eignung könnte der ältere/jüngere Menschen bevorzugt werden. Es gibt sehr viel mehr alte Menschen als junge Menschen. Warum also die Weiblichen bevorzugen und nicht die Älteren?

    Ich möchte mich beeindrucken lassen von einer Antwort, die zur Auskunft gibt, warum Weiblichkeit ein zuverlässigeres Qualifikationskriterium sein sollte als Hautfarbe, Behinderung, sexuelle Orientierung oder das Alter. Warum Geschlecht? Außer der wiederholten Behauptung, dass es eben so sei wie es ist, dass Frauen benachteiligt würden, habe ich noch keine andere Begründung dafür gelesen, warum Ansprüche an eine Quote für andere Menschen mit anderen Körpermerkmalen unberechtigt und seien und nicht die gleiche Aussicht auf Erfolg haben sollten.
    Oder liegt es einfach daran, dass Menschen, die aufgrund anderer Körpermerkmale keine Chance auf eine Quote haben, dies nur deshalb nicht haben, weil sie keine Macht haben, weil sie keine Durchsetzungschance hätten? Das würde mir einleuchten. Aber dann ist nicht Weiblichkeit ein überzeugendes Kriterium für die Einführung einer Quote, sondern Macht. Man müsste Macht organisieren können, um eine Quote durchzusetzen. Und wer das nicht schafft, hat dann auch keine „guten Gründe“ eine Quote zu fordern. Und wenn das so wäre, dann ist nur Macht dasjenige, das entscheidet und nicht Geschlecht. Und ich vermute, da liegt der Hase im Pfeffer. Es geht um Macht, nicht um Gleichbereichtigung, auch nicht darum Macht gleichbereichtigt auszuüben.

    Ich wünschte mir, jemand würde mir meinen Irrtum erklären. (Um nicht falsch verstanden zu werden: ich bin mit jeder Frauenquote einverstanden. Ich wäre dies aber auch mit jeder anderen.)

    • Ja, vielen Dank für den Anschluss an die Diskussion. Ihre Fragen finde ich berechtigt. Ich bin kein Politiker und auch kein Personaler, aber ich denke, es hat machtpolitische und wahlpolitische Gründe, warum nun eine Frauenquote oder keine Quote für andere Merkmale eingeführt wird. Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, Merkmale wie Alter oder Herkunft oder Geschlecht zu hierarchisieren. Es gibt vielmehr Minderheiten, die keine große Lobby haben und die weniger gut organisiert sind, wie Industrieverbände oder die so genannten „old boys networks“ oder ähnliche Gruppen mit informellen Privilegien. Mein aktueller Eindruck ist, dass die Einwände, die gegen andere Quoten sprechen auch gegen die Frauenquote vorgebracht wurden und immernoch werden (z.B. dass es einen Mangel an qualifizierten Bewerberinnen geben würde; dass es bürokratisch zu hohe Regulierungskosten verursacht, dass es in einen infiniten Regress bei der Klassifikation von Gruppenmerkmalen hinausläuft, dass schon das Gleichstellungsgesetz besage, dass Alter, Geschlecht, politische oder sexuelle Orientierungen keinen Unterschied machen sollten). Tatsächlich machen Gruppenmerkmale einen Unterschied, weil trotz der formalen Gleichstellungsvorgaben (wenn ich die Stellenanzeigen richtig verstehe: nicht nur für Geschlecht, auch für Behinderung), informal anders entschieden wird – auch wenn formal dann Entscheidungen mit ungleichwertiger Qualifikation legitimiert werden. Natürlich spielt Sympathie und „Chemie“ eine Rolle bei der Stellenvergabe. Das darf es auch, aber es darf die fachliche Qualifikation nicht überwiegen. Wie ich versucht habe, in dem Artikel aufzuzeigen, geht es (soziologisch gesprochen) um informelle Macht und „Mikropolitik“. Meiner Meinung nach spricht nichts dagegen auch für andere Gruppenmerkmale eine Quote einzuführen, denn bei gleichwertiger fachlicher Qualifikation auf eine Stelle machen für die Ausführung der Stelle Merkmale wie Alter, Geschlecht, Hautfarbe etc. keinen Unterschied. Wenn ich die Gleichstellungsgrundsätze richtig verstanden habe, würde eine andere Einstellungspraxis auf diskriminierendes Verhalten hinauslaufen.

  2. Wie hoch eine solche Quote sein sollte, und ob diese Quote abhängig von der Repräsentation eines Merkmals in der Bevölkerung bestimmt werden sollte, ist eine nicht nur empirisch und statistisch vermutlich nur annäherungsweise zu lösende Frage. Dass dahinter ein bürokratischer Aufwand steht, ist unbenommen. Zumal es nicht um Repräsentation geht oder gehen kann. Für mich ist eine Quote momentan aber das probateste Mittel informale Machstrukturen sichtbar zu machen. Konkurrenz am Arbeitsplatz findet oft dort statt, wo Frauen bislang nicht zuletzt aufgrund informaler Mikropolitik keinen Zugang hatten. Es geht ja nicht um Gerechtigkeit und die Nivellierung von Unterschieden, sondern darum, dass Gruppenmerkmale bei fachlich gleichwertiger Qualifikation bei der Stellenvergabe keinen Unterschied machen dürfen. Wenn sie einen Unterschied machen, verursachen Sie Kosten – auf persönlicher Ebene (weil hier permanente Enttäuschungen auftreten), für das Unternehmen (weil eine Stelle unterqualifiziert ausführt wird und Motivationsprobleme potenziert werden) und damit auch gesellschaftlich. Ich befürchte, dass Sie diese Antwort nicht beeindrucken wird.

  3. kusanowsky sagt:

    „Ich befürchte, dass Sie diese Antwort nicht beeindrucken wird.“

    Wenigstens bin ich nicht übermäßig enttäuscht. Das ist zwar nicht viel, aber ich bin, gerade was dieses Thema angeht, eigentlich wenig Sachlichkeit gewohnt. Insofern bin ich durchaus zufrieden. Trotzdem möchte ich das Thema von einer anderen Seite anfangen:

    „Für mich ist eine Quote momentan aber das probateste Mittel informale Machstrukturen sichtbar zu machen.“

    Dem möchte ich nicht widersprechen, obgleich es für diese Auffassung wenig empirische Hinweise gibt, was aber bedeutet, dass das auch für die gegenteilige Einschätzung gilt. Empire ist nur in ihrer Kontingenz zu bekommen und aus diesem Grunde ist sie nicht so einfach kommunikabel zu machen.
    Deshalb, statt besinnungslos Empirizität zu behaupten, wo basal-empirisch mindestens nur Möglichkeiten zu beurteilen sind, möchte ich folgende Möglichkeit anführen:

    Es geht um Macht. Es geht um Macht in Organisationen. Macht bedeutet, dass Wenige, sagen wir: Führungskräfte, Entscheidungen treffen, die für Viele von Bedeutung sind, ohne, dass die Vielen, also die Mehrheit, diese Entscheidungen so einfach revidieren können. Kommunikation von Entscheidung in Organsation geht nicht ohne Macht. Wie kommt diese Macht zustande? Erklärungen gibt es viele, ich möchte eine Erklärungsmöglichkeit ausschließen: Es ist nicht wahr (im Sinne einer konventionellen Wahrheitsaussage), dass Macht durch rationale Entscheidungsverfahren zustande kommt. Es ist keineswegs so, dass die Selbstbeschreibung der „Machthaber“ zuverlässig ist. Die Selbstbeschreibung möchte sagen, ich darf das verkürzen: den Vorzug in konkurrenten Karriereverhältnissen erhalten vernünftigerweise diejenigen, die tüchtiger, fleißiger, intelligenter, zuverlässiger, kompetenter, kurz: erfolgreicher sind. Die Selbstbeschreibung will sagen: der Erfolg ist das Kriterium für Bevorzugung und sonst nichts. Nicht Herkunft oder Familie, nicht Geld, nicht Besitz, nicht Aussehen, nicht Geschlecht, nicht Alter oder sonst etwas sei ein Kirterium, sondern allein der Erfolg sei das Kriterium für Karriechancen.
    Schon die alltägliche Erfahrung informiert darüber, dass diese Selbstbeschreibung unhaltbar ist. Und trotzdem wird sie kommuniziert, sie ist trotzdem durchsetzbar. Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass dieser Irrtum so erfolgreich ist? Die Antwort lautet: Macht entsteht als soziale Ordnung nicht ohne symbiotische Mechanismen der gegenseitigen Gestattung von Handlungen, die gerade ob ihrer Kontingenz innerhalb der Mikrodiversität situativer Differenzerzeugung Ordnungsfindung sehr viel zuverlässiger und belastbarer ermöglicht als überprüfbare, also kontingenzreduzierte Operationen der Kommunikation. Mit symbiotischen Mechanismen ist alles gemeint, wodurch sich die Beteiligten gegenseitig in ein Einverständnis setzen können, ohne darüber auf einem Monitor der Kommunikation Überprüfbares zu hinterlassen. Das betrifft alle Art von sozialer Symbolverwendung, die sich auf Körperlichkeit, Affekte, Gefühle, also alles was nicht differenzierbar und darum messbar ist, bezieht. Es sind eben diese symbiotischen Mechanismen, so banal und alltäglich sie sind, die sehr entscheidender und wirkmächtiger sind als alles, was man auf Wirkung überprüfen könnte: Sympathie, Mögen, Nichtmögen, Geduld, Toleranz, Bereitschaft zu vergeben oder auch nicht, Vetraulichkeiten usw. Wird dies mit Symbolen versehen, die sich in ihrer Verwendung kommunikativ erhärten, dann haben sie eine viel größere Verlässlichkeit. Wer geht mit wem in die Kantine? Die Verlässlichkeit solcher Symbole entsteht gerade dadurch, dass da nichts im Geheimen geschieht und trotzdem kann auf der Ebene eines soziale Monitors der Beurteilung nicht genau gewusst werden, was andere davon halten sollten, wollten oder könnten. Jeder denkt sich sein Teil. Aber darauf kommt es nicht an.
    Da nun diese Dinge nicht oder nur sehr schwer beurteilbar sind, aber unverzichtbar, um Macht zu organisieren, müssen sie verdeckt, vertuscht, verheimlicht, verblendet werden und zwar ohne, dass der Aufwand dafür größer ist als der Aufwand der Kommunikation zur Organisation von Macht selbst. Denn andernfalls würde der Vertuschungsaufwand die ganz Organisation aufffressen. Ergo: es muss eine rationale Nachträglichkeit eingeführt werden, die Messbares für den Fall hinterlässt, dass alles Entscheidende immer schon entschieden ist. In diesem gilt: wem schließlich durch soziale Ordnungsfindungsprozesse Erfolg zugerechnet werden kann, weil sich keiner mehr einer Ordnungsfindung so einfach widersetzen kann, dem kann man überprüfbar Wertschätzung zuteil werden lassen, weil nur der Erfolg es zulässt, dass etwas anderes als der Erfolg als Grund nicht mehr kommunikabel ist.
    Erfolg als Kriterium ist deshalb die beste Verblendungsstrategie innerhalb von konkurrenten Karriereverhältnissen, weil die Empirie der Resultate ob ihrer Imposanz die Bedingungen der Möglichkeit des Erfolgs einfach verschluckt. Wer erfolgreich geworden ist, macht sichbar, was dann jeder sehen kann: er ist erfolgreich. Wer das bestreiten will, muss einen Machtkampfaufnehmen. Das Argument reicht nicht aus.

    Sollte die Frauenquote ein geeigneter Versuch sein, einen solchen Machtkampf zu führen? Symbiotische Mechanismen spielen auch im Konkurrenzverhalten zwischen Frauen eine wichtige Rolle. Wenn erfolgreiche Frauen sich durch eine Frauenquote auf ihr Geschlecht als Kriterium für Erfolg ansprechbar machen, dann gilt, dass anderen Frauen, denen dieser Erfolg versagt bleibt, nicht so einfach einsichtig werden kann, warum im Fall der anderen Frau Weiblickeit ein Kriterium sein sollte, aber im eigenen Fall nicht. Warum soll Weiblichkeit ein Erfolgskriterium sein, wenn in Konkurrenzverhältnissen nicht Frauen gegen Männer konkurrieren, sondern jeder gegen jeden? Wenn es um eine Geschlechterkonkurrenz ginge, dann wäre das einigermaßen nachvollziehbar. Aber darum geht es nicht. Es geht um die Rechtfertigung für Macht. Eine Frauenquote würde diese symbiotischen Mechanismen gar nicht aufdecken, sondern im Gegenteil: durch eine irgendeine Art der Rationalität, die immer auch anders aufgefasst werden kann, wird nur gerechtfertigt, was ohne Strukturen der Macht zur Rechtfertitgung keinerlei Plausibilität hätte. Die Machtstrukuren werden überhaupt nicht sichtbar gemacht, sondern es wird nur ein Geschlechterkonflikt sichtbar gemacht, denn keiner wünscht, weil er gar keine Rolle spielt. Durch die Rationalität einer Frauenquote, die, wenn sie erfolgreich durchgesetzt wird, wird nur die Rationalität des Erfolgs durch Erfolgs prolongiert und nicht die Bedingung der Möglickeit von Macht aufgedeckt

  4. Ja. Sie haben das Problem soziologisch schön beschrieben und die Unterscheidungen nochmal geschärft. Luhmann hat natürlich recht. Geschlecht ist kein Kriterium für Erfolg. Es geht um formale und informale Stellenmacht. Es geht um Konkurrenz. Und die Konkurrenz zwischen Frauen ist nicht weniger Konkurrenz als die zwischen Frauen und Männern oder zwischen Männern. Das hat Jo Freeman ja auch in ihrem Aufsatz aufgezeigt. Macht lässt sich in Gruppen und Organisationen nicht ausschalten, weil die informalen Strukturen nie vollständig formal kontrolliert werden können. Die symbiotische Logik der Macht und Mikropolitik bleibt. Die Frauenquote wird also nicht auflösen, dass es weiterhin um Entscheidungsmacht in Organisationen geht, die über Erfolg legitimiert wird und ebenso über Erfolg invisibilisiert wird – weil diejenigen, die über Erfolgskriterien folgenreich entscheiden gerade i.d.R. zugleich auch die Macht haben, über die Zurechnung von Erfolg entscheiden zu können (z.B. in Form von Stellenmacht) haben.

  5. Aber wie Sie auch gesagt haben: Erfolg ist eine kontingente Zuschreibung, die auch anders möglich ist. Und Erfolgszuschreibungen sind selbstverstärkend (unter dies wiederum zwischen Frauen und Männern, Homosexuellen, Farbigen etc.). Und dennoch bleibt die Frage, wie Frauen Zugang zu machtbasierter Konkurrenz in Aufsichtsräten gewährt werden kann, wenn sie auf dieser Ebene schlicht nicht als Adresse vorkommen? Das gängige Erfolgskriterium für den Sitz im Aufsichtsrat ist der Erfolg in einer Vorstandsposition. Und da liegt bzw. wiederholt sich das vorgelagerte Problem, scheint mir.

  6. Wie in dem Artikel angedeutet, werden Leistungszuschreibungen (von Männern wie auch von Frauen selbst) – sei es in der Wissenschaft oder in der Wirtschaft – oft nicht kommuniziert. Dies ist natürlich, wie Sie treffend sagen, schwer empirisch beweisbar oder widerlegbar. Aber wenn Erfolg und Leistung nicht kommuniziert wird, können sie auch keine Karriere legitimieren. Und wenn dann die über Nächte hinweg erarbeitete Präsentation wieder von anderen Kollegen vor dem Vorstand oder dem Kunden vorgestellt wird, dann wird nicht nur verhindert, dass Erfolg und Leistung entsprechend zugeschrieben werden, sondern auch dass dieser Erfolg Aufstieg legitimieren kann. Und in dem Sichtbarmachen dieser machtbasierten Invisibilisierungen von Leistung und ihrer Kommunikation lag der (provokant formulierte) Erklärungsversuch des Artikels.

  7. k sagt:

    Was Kusanowsky da oben schreibt.

    Als relativ kleiner Mann habe ich nachweislich mit Nachteilen zu rechnen im zu erwarteten sozialen Status, Gesundheit, Einkommen, Aufsichtsratsposten, etc.. Dies alles hängt an meinem Geburtsmerkmal und ich hätte allen Grund und jedes Recht dafür einen Ausgleich zu fordern oder eben eine Zwangsmassnahme zu meinem Gunsten.

    Wie wären die Reaktionen, würde ich für mich hier eine Quote fordern?

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