Rezension zu: Sprenger, Reinhard K. (2015): Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. München: DVA

Arbeitswelt

Seit seinem Bestseller „Mythos Motivation“ schreibt Reinhard Sprenger immer wieder das gleiche Buch, aber das ganz hervorragend. Ob man nun seine Bücher „Radikal führen“, „Das Prinzip Selbstverantwortung“, „Die Entscheidung liegt bei Dir“, „Aufstand des Individuums“ oder das gerade erschienene Werk „Das anständige Unternehmen“ nimmt – das Argument ist immer das gleiche. Die Unternehmen sollten aufhören, ihre Mitarbeiter zu infantilisieren, zu therapieren und zu vereinnahmen, sodass die Mitarbeiter selbst Verantwortung übernehmen könnten. Das würde viel eher zum Erfolg des Unternehmens beitragen als die vielen übergriffigen aktuellen Führungstechniken und Personalentwicklungsmaßnahmen. Er richtet sich damit gegen die Gutmensch-Prosa in den Leitbildern von Unternehmen, die häufig an religiöse Großveranstaltungen erinnernden salbungsvollen Managementansprachen oder die Maßnahmen zur Corporate Social Responsibility, die letztlich häufig nichts anderes seien als ein luxurierendes Wohltätigkeits-Schaulaufen (S. 359).

In den Unternehmen herrsche zurzeit, so Sprenger, eine große Heuchelei. Explizit würde man die Mitarbeiter als unternehmerisch denkende und handelnde Menschen ansprechen, als Intrapreneure, als Innovateure. Implizit würde man mit Anwendung der aktuellen Führungstechniken und Personalentwicklungsmaßnahmen allerdings genau das Gegenteil kommunizieren. Die Mitarbeiter sollten, so die implizite Nachricht, aufhören, erwachsene Menschen zu sein, sie sollten aufhören zu denken, sie sollten ihre Mündigkeit aufgeben, ihren Eigensinn fahren lassen. Selbst unter dem aktuellen Schlagwort „Diversität“ in Organisationen werde letztlich nichts anderes als Konformität eingefordert (S. 345). Mit dem französischen Philosophen Michel Foucault sieht Sprenger eine neue „Disziplinarmacht“ in den Unternehmen am Werke, die sich so unauffällig eingeschlichen habe, dass die so „Entmündigten ihre Entmündigung“ oft nicht wahrhaben wollten. An die Stelle der Stechuhr-Fabrik sei das flexible Wellness-Unternehmen getreten, die lebenslange Weiterbildung ersetze den Schulzwang. Umzingelt von fürsorglichen, hilfreichen und wohlmeinenden Organisationen, gäben die Mitarbeiter freiwillig und arglos ihre Freiheit auf und tauschten sie gegen Zielvorgaben, Frauenquote und Feedbackrunden (S. 352).

Sprenger denkt sich in jedem neuen Buch immer wieder kleine innovative Drehungen für seine immer gleiche Forderung aus. Bei seinem aktuellen Buch geht es ihm um eine Management-Ethik des Weglassens. Manager sollten nicht davon träumen, Mitarbeiter motivieren zu können, aber sie sollten alles tun, um sie nicht zu demotivieren. Wenn sie wollten, dass die Mitarbeiter sich verstärkt dem Kunden zuwenden, sollten sie permanente Rechtfertigungs- und Berichtsschleifen – die „Kundenablenkungsbürokratie“ – reduzieren. Wer wolle, dass die Mitarbeiter kreativer sind, müsse den Rechtfertigungsdruck in den Organisationen zurückfahren.

Aus soziologischer Perspektive ist Sprengers Forderung letztlich nicht mehr und nicht weniger als ein intelligent gemachtes Plädoyer für Rollentrennung. Statt einer immer weiteren „Entgrenzung der Arbeitswelt“, statt einer immer weiteren Einbeziehung des Individuums unter dem Label der „Subjektivierung von Arbeit“, statt der Ausbildung eines „Arbeitskraftunternehmers“, der seine Bildung, seine Arbeit, seine Freundschaften und seine Beziehungen in Bezug auf ihre Verwertbarkeit zu optimieren versucht, komme es in den Unternehmen darauf an, einen „Anstand des Abstands“ zu wahren.

Man findet in dem Buch die üblichen Sprenger’schen Evergreens – die Forderung, endlich mit der Motivierung von Mitarbeitern aufzuhören, die Klage über die leistungsabhängige Managementvergütung, die Hinweise auf die Pathologien von Rankings in Unternehmen oder den Nachweis des Irrsinns von Mitarbeiterbefragungen. Aber weil Sprenger zu den wenigen Management-Beratern gehört, deren Texte sich nicht wie abgeschriebene PowerPoint-Folien lesen, findet man auch immer wieder neue nette Formulierungen: Die bei leistungsabhängiger Bezahlung implizierte Wahrnehmung der Mitarbeiter als „Mängelwesen“, „Wer nichts zu sagen hat, wird befragt“ als implizite Logik von Mitarbeiterarbeiterbefragungen oder die „Pädagogisierung der Unternehmensführung“, die letztlich nur zu einer Normierung des Führungsstils führen würde.

Besonders interessant wird es bei Sprenger immer dann, wenn er die aktuellen Managementtrends analysiert. Der verzweifelten Suche nach der „Authentizität“ im Management setzt er die überzeugende Analyse entgegen, dass es „immer nur simulierte Authentizität“ gebe und die Forderung nach Authentizität der Führungskräfte nicht nur eine Grenzüberschreitung darstelle, sondern letztlich auch die Heuchelei in den Organisationen nur auf ein neues Niveau hebe (270). Die Gedankenlosigkeit, mit der in Unternehmen von einem „wertschätzenden Umgang“, einer Kultur der Wertschätzung oder gar einer „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ gesprochen werde, betrachtet er als weiteres Ornament in der Fassade von Unternehmen. Es werde in einem allgemeinen Korrektheits-Talk suggeriert, dass ein Verhalten per se wertvoll sei, dass Leistung ohne Gegenleistung möglich sei (286), obwohl alle wüssten, dass in Unternehmen nach ganz anderen Prinzipien gearbeitet werde. Reinhard Sprenger lebt seit Jahrzehnten davon, dass ihm die Manager auf Veranstaltungen zujubeln, sich dann aber zu Hause wieder von ihren Personalern, PR-Abteilungen und Strategieteams die allerneuesten Verfahren und Techniken zur Leistungsmessung, zur Mitarbeitermotivation, zur Steigerung der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit aufschwatzen lassen.

Auf den Workshops und Großveranstaltungen finden die Manager Sprengers Forderungen nach der Respektierung der Menschenwürde auch in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern und Universitäten spontan plausibel, kaum zurückgekehrt, produzieren sie jedoch unter dem Deckmantel der Optimierung / der Vorsorge / der Transparenz ihren Mitarbeitern gegenüber weiter einen schwer zu ertragenden „Überschuss an Zudringlichkeit“ (S. 17). Man mag Sprengers Variation des immer gleichen Arguments irgendwann ermüdend finden, aber solange Manager immer wieder die neuesten, häufig übergriffigen Personalentwicklungsinstrumente und Führungstechniken übernehmen, kann man nur hoffen, dass Sprenger „sein Buch“ noch häufig schreibt.

(Bild: ɹǝɥdɐɹƃoʇoɥd ɐ ʎldաıƧ)

Von Stefan Kühl ist vor Kurzem in erweiterter Neuauflage erschienen „Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur“ (Campus 2015).

1 Kommentar

  1. Dirk Heidemann sagt:

    Im Rahmen eines Strategieforums beklagte kürzlich ein Behördenleiter, man würde alles tun, die Mitarbeiter „mitzunehmen“ im Sinne von zu beteiligen. Aber es bliebe ein große Zahl, die sich einfach nicht in den gut gemeinten Strategieprozess einbrächte. Daran müsse man noch arbeiten.

    Mit dem „Anstand des Abstands“ könnte man auch zu dem Ergebnis kommen, dass es viele Mitarbeiter gibt, die schlicht und einfach gut arbeiten und dann nach Hause gehen wollen und man kann dankbar für diese Mitarbeiter sein.

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