Fast drei Jahrzehnte schrieben Ökonomen, Soziologen und Psychologen für das auf interessante Weise ungewöhnliche Journal „Managementforschung“. Mit dem charmanten Nischenangebot ist nun Schluss. Ein Blick auf grundsätzliche Feinheiten im akademischen Publikationswesen. – Und Versuch eines Nachrufs.
In die Jahre gekommen? Einige Bände der Zeitschrift Managementforschung. Bild: Privat.
Kürzlich war zu erfahren, dass die Zeitschrift „Managementforschung“ bereits mit dem laufenden Jahrgang eingestellt werde. In einer abschließenden Stellungnahme würdigten die Herausgeber die beinahe dreißigjährige Entwicklung des Blattes und begründeten ihren Schritt – nicht ohne manches ungenau oder unerwähnt zu lassen – damit, dass das Journal seinen Zweck, die deutsche Publikationslandschaft im behandelten Themenfeld einerseits stärker an internationale Diskurse anzubinden, andererseits sich über die Grenzen der Betriebswirtschaftslehre hinaus für sozialwissenschaftliche Forschung zu öffnen, erreicht habe. Und so schrieben die Herausgeber: „Mission accomplished“.
Hier könnte die Geschichte enden und das Fazit lauten: Das kommt eben vor. Doch wollte man eine zu knappe Kommentierung meiden, so ließe sich bei der Managementforschung von einem Kleinod in der deutschen fachwissenschaftlichen Zeitschriftenlandschaft sprechen. Im nun finalen Jahrgang erscheint das Journal zum 28. Mal. Lediglich einmal jährlich wurden hierin um die sieben bis zehn Aufsätze aus allen Bereichen der Managementforschung, der die ebenso benannte (Zeitschrift für) Managementforschung eine Stimme im deutschsprachigen Raum zu geben versuchte, präsentiert. Und dies in großzügigen Textlängen. Der Begriff „Managementforschung“ ist von keiner Disziplin geschützt oder reserviert. Was man sich darunter vorzustellen hat, ist eine gewiss bunte Mixtur aus Betriebswirtschaft, Organisationssoziologie und -psychologie, querschnittiger Führungstheorie und ihren praktischen Realisierungsbedarfen.
Avanciertes Format
Das mag manchem zu wild erscheinen. Eine hier und da hörbare Kritik an der Managementforschung aus der sozialwissenschaftlichen Warte ist die, wonach sie aufgrund ihrer disziplinären Verzweigung zuweilen „immer schon ,leichtfüßig‘ im Umgang mit Begriffen und Theorieentwicklungen“ (Tacke 2015, S. 38, Fn. 2) wahrgenommen wird. Andere hingegen schätzten vermutlich eben diese dezent verspielte Neigung zur Über- und Nachbarfachlichkeit, wie sie die deutsche Betriebswirtschaft (bei allem heutigen Inter, Trans und Multi bleibend die Heimatdomäne des Managements) wohl kein zweites Mal hervorbringt. Ökonomen, Soziologen und Psychologen schrieben in der Managementforschung – mit dem Ergebnis, dass das Journal ein breites theoretisches und empirisches Meinungsspektrum nicht nur duldete, sondern programmatisch gedeihen ließ. Eben darin bestand zu einem Gutteil sein Charme.
Die jährlich abgedruckten, leicht variierten Leitsätze machen den Unterschied explizit. So heißt es im 25. Band des Jahres 2015: „Ziel der ,Managementforschung (MF)‘ ist es, einen Überblick über den aktuellen Stand und die Ergebnisse der Forschung zu Managementproblemen zu geben; zugleich soll sie ein Diskussionsforum für neue Trends und Strömungen im gesamten Bereich des Managements sein. Die MF versteht sich als eine transdisziplinäre Fachzeitschrift für avancierte Fragen und kritische Analysen der Koordination und Steuerung komplexer sozialer Systeme […]. Im Weiteren machen die Herausgeber aus der dann doch fast erwartbaren Positionsbestimmung des Journals keinen Hehl: „Sie steht in der Tradition eines verhaltens- und sozialwissenschaftlichen Paradigmas, ist aber offen für alle Theorieströmungen, die einen Beitrag zur Lösung von Managementproblemen leisten.“
Mit dieser Profilgebung wurde die Managementforschung zu einem kleinen Unikat – und blieb es inmitten einer über die Jahre fraktionierten Gemengelage aus erstens andere Zielgruppen ansprechenden, nicht (oder nicht primär) wissenschaftlich orientierten Magazinen ,für eilige Leser‘ der Managementpraxis (ausschließlich deutsch), zweitens einem demgegenüber anspruchsvollen, hochrangigen Angebot durchweg englischsprachiger Periodika sowie drittens wiederum nationalsprachlichen Beiträgen, die verstreut in den Zeitschriften besonders der Allgemeinen und speziellen Soziologie(n) – Organisation, Arbeit, Innovation, Technik – ihren originären Platz haben. So hatte sich die Managementforschung durchaus zu einem eigenständigen und ,heterodoxen‘ Blatt entwickelt, das für ein nicht gerade übergroßes Klientel jener Autoren und Leser interessant erschien, die ,irgendwie‘ mit der BWL zu schaffen hatten und zugleich ,irgendwie‘ mit Stoffen der Sozialwissenschaften in Berührung kamen. Im Zusammentreffen der Fachkulturen wird die Faszination vonseiten der Ökonomen für Systemtheorie, Netzwerk- und Innovationsforschung sowie psychologische Studien sicher überwogen haben.
Sozialwissenschaftliche Konturen
Jedenfalls bündelte das Blatt Beiträge, die man nicht einfach als redundante Wiederaufbereitung zweckrationaler und entscheidungstheoretisch-normativer Betriebswirtschaftslehre wird abtun können. Nebenbei angemerkt, waren viele Autoren der Managementforschung im ökonomischen Metier zuhause. Ein interessantes Detail im Hinblick auf die deutsche Betriebswirtschaftslehre ist schließlich, dass sie sozialwissenschaftlich affine Vertreter hervorgebracht hat und diese breitere Beachtung finden. Manche unter ihnen können mit bestimmten Theorieinhalten schlagartig identifiziert werden: Alfred Kieser (Managementmoden), Peter Walgenbach (Neo-Institutionalismus), Alexander Nicolai (Beratungsfunktionen), David Seidl (Systemtheorie), Gertraude Krell (Geschlechterrollen) oder Günter Ortmann (praktisch alles, was Soziologen interessiert), um einige (längst nicht alle wichtigen) Personen zu erwähnen. Auch im Ausland sind markante Nähen zwischen Betriebswirtschaft und soziologischer Theoriebildung bekannt geworden. Man denke derzeit an Nils Brunsson, der als gelernter Wirtschaftswissenschaftler wohl zu den bekanntesten (soziologisch arbeitenden) Organisationsforschern gehören dürfte. Vielleicht sind diese entstandenen Nähen aber primär das Ergebnis einer allmählichen, behutsamen Emanzipierung der Betroffenen von ihrem Fach.
Ins Leben gerufen wurde das Journal 1991 u.a. von dem Betriebswirtschaftslehrer Wolfgang Staehle am Institut für Management der Freien Universität Berlin. Staehle war Professor in Darmstadt, sodann für Organisation und Führung in Berlin, wo er 1992 früh verstarb und ein Kollegen- und Nachfolgerkreis um Georg Schreyögg, Peter Conrad und Jörg Sydow die Zeitschrift am Berliner Institut fortsetzte und weiterentwickelte. Heute noch ist Wolfgang Staehle BWL-Studenten ein Begriff. Das wohl kaum wegen der von ihm mitbegründeten Zeitschrift, sondern wegen seines opulenten Lehrwerks, das den so voraussetzungsvollen wie folgenreichen Titel „Management – Eine verhaltenswissenschaftliche Einführung“ trägt. Ein Blick in den Inhalt des Buches führt den nicht eben niedrigen sozialwissenschaftlichen Kontextuierungsanspruch vor Augen. Ein verhaltens- und sozialwissenschaftliches ,Paradigma‘, wie es bis heute in der Managementforschung (der Zeitschrift) hervorgehoben wird, dürfte Staehles rund eintausend Seiten starker Band nach wie vor zum Ausdruck bringen.
Abwechslungsreiches Alternativangebot
In 28 Jahren hat in der Managementforschung eine thematisch farbenreiche Vielzahl an Beiträgen einen Platz gefunden. Notierte Eindrücke: „Redundanz, Slack und lose Kopplung in Organisationen“, „Soziologie des Managements – Eine Prozeßperspektive“, „Vertrauen und Macht in zwischenbetrieblichen Kooperationen“, „Zur Fehlkonstruktion des deutschen Konzernrechts“, „Über den empirischen Umgang mit Beziehungsqualitäten“, „Sensemaking-Prozesse in Meta-Organisationen“, „Nichtwissen als vernachlässigte Variable im Verhältnis von Organisation und Umwelt“, „From Event Management to the Management of Event“, „Tertium Datum – Figuren des Dritten in der Organisationstheorie (und -praxis)“, „Organisationskultur – Eine Konkretisierung aus systemtheoretischer Perspektive“. Wem das nicht genug Abwechslung bietet, der kann auf den Seiten des Springer-Verlags, welcher bereits seit Jahren die Managementforschung herausgegeben hat, weiter fündig werden.
Wenngleich man heute gut daran tut, hegemoniale Entwicklungen im Zeitschriften-Ranking mit gebotener Skepsis zu betrachten, dürfte es berechtigten Gründen entsprechen, dass die Managementforschung in die Spitzengruppe als sogenannte „wichtige und angesehene wissenschaftliche Zeitschrift“ (= B-Bewertung) aufgenommen wurde. Wo sonst allein internationale Formate höchsten Zuspruch finden, stand die Managementforschung seit Jahren in der zweitbesten Kategorie des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB Journal Ranking). Wohlgemerkt: als einzige auf Managementthemen ausgerichtete wissenschaftliche Zeitschrift in deutscher Sprache. Gut möglich, dass sie es zu dieser exponierten Stellung auch deshalb brachte, weil fachliche Aufmerksamkeit mangels direkter Konkurrenten auf sie beschränkt geblieben ist.
So wurde das Organ gerade für – wenn man so sagen darf – publizistisch besonders aktive Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler begehrt, die unter dem Erwartungsdruck stehen, ihre Beiträge in höherrangigen Periodika zu platzieren („publish or perish“) und gleichzeitig allerdings nicht konsequent Willen oder Überwindung (und Unterwerfungsbereitschaft?) aufzubringen bereit waren, ihre Texte den Wünschen solcher Zeitschriften anzupassen, die zwar vergleichbaren oder noch höheren Kategorien entsprechen, dafür allerdings nachteilig eine zum Teil deutlich geringere Offenheit bezüglich des Meinungs- und Darstellungsspektrums aufweisen. Genau hier bot die Managementforschung eine hübsche Nische zum Herantasten, Ausprobieren, Einspielen und Andenken innovativer und gegen den Strich gebürsteter Thesen. Manch experimenteller Gedankengang hätte an anderer Stelle wahrscheinlich keine Erlaubnis erhalten, sich entfalten zu können.
Auswahl mit Anspruch
Dass dies gerade jenen Forschern attraktiv erschienen haben mag, die bei der Übersetzung komplexer Begriffs- und Theoriegebäude schnell an typische Barrieren (beobachtet man langwierige Begutachtungen in den ausschließlich international orientierten Journals) stoßen, liegt auf der Hand. Die Managementforschung gewährte ihren Autoren einen Kompromiss: Deutschsprachig, dafür jedoch ein höheres Maß an handwerklicher Toleranz und dazu ein solider Rangplatz. Auch wurde die Managementforschung in den letzten Jahren sukzessive ,modernisiert‘ und gestattete nun ein bilinguales Angebot: Deutsch oder Englisch, je nach Vorliebe der Autoren. Tatsächlich wurden kaum Artikel auf Englisch gedruckt, erst in den letzten Jahrgängen bzw. im aktuellen wendet sich buchstäblich das Blatt (wie viele abgewiesen wurden, bleibt unbekannt). Das Mischverfahren scheint nicht auf solches Interesse gestoßen zu sein, wie ein zumindest um minimale internationale Sichtbarkeit bemühter Herausgeberkreis es sich heutzutage wünschen dürfte.
Das Peer Review der Managementforschung war, soweit aus der Unwelt zu sehen ist, anspruchsvoll. Ich erinnere bei einem eingereichten Beitrag einen rund zehnmonatigen Prüfungsprozess. Insbesondere bleibt positiv in Erinnerung, dass die erhaltene Kritik, inklusive eines ausführlichen Gutachterbriefs, motivieren konnte, das Verfahren bis zum Abschluss zu durchlaufen; wenn auch mit zum Teil umfangreich aufgetragenen und noch zusätzlich freiwilligen Anpassungen. Die Kommunikation mit der Zeitschrift verlief bis zur Drucklegung so, wie man sie sich gerade als Nachwuchswissenschaftler wünscht: reibungslos respektvoll.
Manche mögen die Einstellung heimischer Periodika sogar begrüßen, da ihnen an einer englischsprachigen Uniformierung ziemlich gelegen ist (wie meinte der Bamberger Soziologe Richard Münch vor Jahren provokant während einer Podiumsdiskussion an der Bielefelder Soziologischen Fakultät: Wer auf Deutsch schreibe, der sei schon mal gar nichts mehr wert). Andere werden meinen, dass hier und da noch ein kleines alternatives Angebot für Managementthemen zu finden ist. Beispielsweise mit der ebenfalls etablierten „Zeitschrift für Personalforschung“, die sich kürzlich in „German Journal of Human Resource Management“ umfirmierte und – konträr zur MF – seit Jahren nahezu ausschließlich auf Englisch publiziert, wiewohl sie ausdrücklich beide Sprachen zulässt. Ob angesichts eines solchen faktischen Ungleichgewichts der Sprachen wirklich noch von einer echten Wahl die Rede sein kann? Wie kommt es überhaupt, dass zwei so gut wie ebenbürtige Blätter (das besagte Human Resource-Journal wird im aktuellen VHB-Ranking in der C-Kategorie aufgeführt) so unterschiedliche Entwicklungen nehmen? Das wäre ein eigener Gegenstand für die Forschung und bleibt an dieser Stelle Spekulation. Vielleicht lag es u.a. daran, dass die einen sich einen englischen Namen gaben, die anderen nicht.
Publizistischer Kompromiss
Doch beides, die einem Internationalisierungsdruck geschuldete Kritik an den (zu) kleinen deutschen Nischen, als auch der Verweis auf die (hierzulande ohnehin an einer höchstens halben Hand abzuzählenden) ,Spezialblätter‘ kann dann nicht überzeugen, wenn es darum geht, zumindest ein paar gut gepflegte, thematisch genügend breit ausgerichtete, nationalsprachliche Periodika fortzuführen. Dass die Debatte um Präsenz der Nationalsprache in der Wissenschaftsgemeinde eher schwach köchelt, heißt nicht, dass es dazu keine Kontroversen gibt. Ebenso eindimensional wie Abschottungs- und Schutzreflexe zugunsten der Heimatsprache sind pauschale Abwertungen deutschsprachiger Beiträge. Ein Blick in die Publikationslisten deutscher Management- und Organisationsforscher offenbart, dass diese weiterhin auch die gelegentlich kritisch beäugten Sammel- und Tagungsbände bedienen.
Gegenwärtig aber gibt es in der Wissenschaft die regelrechte Trenderscheinung, mit einer geringeren Publikationstätigkeit von Wissenschaftlern eine höhere Publikationsqualität erzielen zu wollen. Was jedoch daran per se mangelhaft sein soll, Publikationen angemessen zu diversifizieren und in Auskopplungen für diverse Publika hervorzubringen, bleibt fraglich. Gerade der Aspekt Social Media und insofern die Mehrung der Ausspielkanäle ist in gängigen Debatten noch weitgehend unterbelichtet oder wird vorschnell als Qualitätsrisiko ausgeblendet. Härtere Beschneidungen beim Publizieren nützen in erster Linie fest etablierten Stars in der Forschung. Für den handelsüblichen akademischen Nachwuchs geschweige talentierte Studierende und frische Absolventen, die erste Publikationserfahrungen allein oder in Koautorschaft mit Forschern unternehmen, ist damit nichts zu gewinnen. Es können nicht alle Forscher gleich high end publizieren. Ein breites Angebot für erste Platzierungsversuche kann nur im Sinne einer Wissenschaft sein, die noch mit der Verfeinerung von Schreibbiografien rechnet. Diversifikation in Breite und Tiefe bereichert jede Forschungslandschaft. Die Alternative dazu sind, bildlich gesprochen, literarische Fichtenwälder: Baum für Baum in Reih und Glied, weitgehend ein Standard, zeitige Ernte. Obschon ökologisch und optisch weit unterhalb der forstlichen Möglichkeiten.
Generell besehen, nimmt die (Selbst-)Kritik am Pubikationswesen der Wissenschaft abstruse Züge an. Einerseits beklagen Wissenschaftler rigidere Bedingungen des Publizierens im Zuge einer Oligo- und Monopolisierung der verfügbaren Darstellungsformate. Andererseits sind es ausschließlich sie selbst, die diese Verschärfungen im eigenen System institutionalisieren. Auch dadurch, dass z.B. Bücher in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften teilweise als Publikationen ,zweiter Klasse‘ gelten, da sie von den Autoren leichter auf den Markt gebracht werden können (und eventuell ein größeres Publikum finden, weshalb man mögliche Marktverzerrungen künstlich zu limitieren versucht?). Strenge Vertreter in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften dulden ausschließlich englischsprachige Artikel in hochgerankten Zeitschriften, geht es um nächste akademische Karriereschritte. Sie haben wenig Hemmung jene, die weniger angelsächsisch-puritanisch publizieren, kaum zur Kenntnis zu nehmen, da sie schnelle Selektion in der wissenschaftlichen Debatte anstreben. Es sind Fälle bekannt, in denen sogar solche Beiträge, die die eigenen Thesen stützen können, von Nachwuchsforschern dennoch nicht zitiert werden (sollen), da das Journal, in dem sie zu finden sind, einer lediglich mittleren Ranking-Kategorie entspricht oder der Text auf Deutsch erschienen ist und die Autoren deswegen Nachteile für ihre Arbeit fürchten.
Fragwürdige Reinheitsideale
Offener Diskurs sieht freilich anders aus. So werden im ungünstigsten Fall die jungen Forscher früh zu engstirniger Haltung gebracht, die einer Schreibsouveränität zuwiderläuft. Was hier fehlt ist eine gewisse Nachsicht im Umgang mit Thesenbildung. Man sieht die Zeitschriften bevorzugt als gedruckte Produkte höchster akademischer ,Reinheit‘, statt sich mit einer Erwartung als Foren vorläufiger Diskussionsstände zu begnügen (Was sonst ist der tatsächliche Normalzustand der Wissenschaft?), wie u.a. die Ökonomen Margit Osterloh und Alfred Kieser mit dem Vorschlag einer stärker im Schreibprozess ansetzenden Begutachtung empfehlen. Hier wird ein Verfahren der kollektiven Verbesserungs-Kommentierung der Thesen (online) diskutiert, das sich von langwierigen nachträglichen Reviews markant unterscheiden könnte.
Gerade überdurchschnittlich engagierte Wissenschaftler könnten mehr denn je ein Interesse daran haben, wissenschaftliche Information ihres Faches nicht allein einem oft minimal empirisch substantiierten Markt der Lehrbücher und Beratungspostillen zu überlassen, sondern instruktive und irritierende Impulse auch von sich ausgehend einzusteuern. Anders als die organisationswissenschaftliche BWL ist die deutsche Organisationssoziologie, sofern es so etwas gibt, offensichtlich noch ganz und gar in ihrer Heimatsprache zu Hause. Dies ermöglicht bei allen Nachteilen internationaler (Un-)Sichtbarkeit (man könnte viel mehr über duale Übersetzungen diskutieren) barrierefreie Bezüge zur geistes- und rechtswissenschaftlichen Forschung, die deutlich überwiegend deutschsprachig orientiert ist.
Erstaunlicherweise modifizierte die Managementforschung erst im vergangenen Jahr die eigene Aufmachung: Statt feststehender Themenjahrgänge konnten nun, jederzeit nach Wahl, Beiträge empirischer, theoretischer oder essayistischer Art eingesandt werden. Dazu gab es fortan ein Online First-Angebot, das eine rasche digitale (Vorab-)Publikation auf der Verlags-Webseite, gleich nach Annahme der Texte erlaubte. Eingedenk der heutigen Dynamik internationaler Internet-Publikationspraxis war dies eine nützliche Neuerung, die im Übrigen längst nicht jede gefragte Zeitschrift im noch weit hochkarätiger angesehenen Level bietet.
Natürlich kann es bei all der Ausweitung an Angebot zu wirtschaftlichen Abwägungen kommen. Lohnt es für ein Verlagshaus noch, lediglich alle zwölf oder mehr Monate in Buchform eine Zeitschrift zu drucken, die eine verhältnismäßig kleine Anzahl an Beiträgen abbilden kann? Hier gehen gerade jüngere angelsächsische Journals den Weg, die Zeitschrift gleich direkt als Download-PDF anzubieten; so etwa das jüngst an der Stanford University entstandene „Journal of Organizational Theory in Education“ oder das etablierte „Scandinavian Journal of Public Administration“, welches übrigens bis vor einigen Jahren noch auf Schwedisch erschien und zwischenzeitlich ins Englische übergegangen ist.
Beiträge in diesen volldigitalen Journals werden ebenso nach gängigen Standards (Double Blind Peer Review) begutachtet, wie es für gedruckte Journals zu erwarten ist; und sie werden klassisch gelayoutet und in Datenbanken erfasst. Aufwändige Herstellung entfällt, ausgenommen die Bereitstellung einer kleinen (oft ohnehin neben- oder ehrenamtlichen) Redaktion oder eines besseren Sekretariats an den Instituten, die sie ins Leben rufen bzw. ihre Geschäftsführung innehaben. Zeitschriften, die auf derartige Weise verfahren, bieten ihre Hefte dann entweder vollständig frei zugänglich an (open access) oder orientieren sich an den Preismodellen der Print-Anbieter.
Chancen für Nachfolger?
Von all diesen Optionen wollten die Herausgeber der Managementforschung zuletzt keinen Gebrauch machen. Fast meint man, dass immerhin ein runder 30. Jahrgang noch hätte ,drin‘ sein können. Und es ließe sich darüber sinnieren, ob ein ebenso interdisziplinär adressiertes Nachfolgeformat heute noch Chancen haben könnte, die Lücke in der zugegeben mit globalen Verhältnissen verglichen relativ kleinen inländischen Szene abermals zu füllen. Oder ist dieser Zug abgefahren? Unterschätzt man zu leicht, wie sehr Zeitschriften, mit Herzblut und Energie betrieben, an den Köpfen hängen, die hinter ihnen stecken? Und an ihrer Bereitschaft, hohes Engagement zu investieren, ohne zu wissen, wie ergiebig sich ihr Tun unter verschärften publizistischen Wettbewerbsbedingungen auswirkt?
Eine jahrzehntelange Institutionalisierung kann gewiss niemand einfach kopieren oder ausgleichen. Vermutlich genügen Pensionierungen, Fluktuation, zwischenzeitlich fortgeschrittene andere Projekte und gewechselte fachliche Standpunkte, um das Ende einer Zeitschrift allmählich einzuläuten. Und vielleicht wäre es die sicherste Methode, ein Werk mit Tradition rechtzeitig in jüngere Hände zu geben, um das Verschwinden eines guten Produktes hinauszuzögern. Aber das stellt man sich womöglich einfacher vor, als es ist. Dass genügend junge Menschen, die in der Universität noch etwas werden wollen, heute andere Prioritäten setzen, als eine kritisch-experimentelle Fachzeitschrift fortzuführen, dürfte angesichts einer um Drittmittel und Förderanträge kreisenden Nachwuchsforschung wenig wundern. Wobei es gerade eine Pointe ist, dass diese jungen Leute am meisten von heimischen Blättern profitieren könnten, ist der Zugang zu internationalen Zeitschriften in den ersten akademischen Jahren doch alles andere als bequem.
Die Herausgeber erinnern in ihrer Erklärung an das ökonomische Konzept der Pfadabhängigkeit. „Pfade sind ja bekanntlich nicht nur dafür da, dass man auf ihnen immer weitermarschiert, sondern auch dazu, dass man sie – möglichst zur rechten Zeit – verlässt. Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen.“ Dass man meinen kann, es könnte einen geeigneten Zeitpunkt geben, das letzte (!) namhafte Produkt einer Sparte vom örtlichen Markt zu nehmen, kann nur als einzelne Meinung unter anderen Meinungen aufgefasst werden; und sei es als Verlegenheitsmeinung, da es an stichhaltigeren Erklärungen am Ende mangelt? Es ist ein wenig so, als würde die Postfiliale in einem gut besuchten Urlaubsort geschlossen; und man den Leuten sagen, in der Kreisstadt, etwa zwanzig Kilometer weiter, nehme man künftig ihre Karten, Briefe und Pakete gern entgegen. Nur, dass man dort häufiger mit längeren Schlangen rechnen müsse, da mehr und mehr Leute von dieser Filiale in der Region versorgt werden. Dafür habe man doch sicher Verständnis, nicht wahr?
Hinsichtlich neuer Experimente ist das allerletzte Wort bestenfalls noch nicht gesprochen. Manchmal folgt auf das Ende eines Mediums nach einer gewissen Zeit ein Format, das an den Vorgänger anschließen kann. Indes: Es bleiben Zweifel.
Eine Autoren- und Artikelliste bis einschließlich 25. Jahrgang (2015) kann hier heruntergerladen werden.
Weiterführende Literatur und Informationen
Göteborgs universitet/School of Public Administration (2018): Scandinavian Journal of Public Administration.
Kühl, Stefan (2015): Die publikationsorientierte Vermittlung von Schreibkompetenzen. Zur Orientierung des studentischen Schreibens in der Soziologie am wissenschaftlichen Veröffentlichungsprozess. In: Soziologie. Forum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 44 (1), S. 56–77.
Osterloh, Margit/Kieser, Alfred (2015): Doppelt-Blind-Begutachtung und Impact-Faktor: Wider die Diktatur akademischer Fetische. In: Forschung & Lehre 22 (2) S. 106-107.
SAGE Publishing (2018): German Journal of Human Resource Management (Zeitschrift für Personalforschung).
Springer Gabler (2017): Managementforschung (Bände 26-28).
Springer Gabler (2016): Managementforschung (Bände 1-25).
Staehle, Wolfgang/Conrad, Peter/Sydow Jörg (1999): Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. 8. Auflage. München.
Stanford University/Stanford University Graduate School of Education (2018): Journal of Organizational Theory in Education (JOTE).
Tacke, Veronika (2015): Formalität und Informalität. Zu einer klassischen Unterscheidung der Organisationssoziologie. In: von Groddeck, Victoria/Wilz, Sylvia Marlene (Hrsg.): Formalität und Informalität in Organisationen. Wiesbaden, S. 37-92.
Universität Bielefeld (2009): Exzellenz – Studienreform – Hochschulautonomie. Welche Konsequenzen haben die Reformen des Wissenschafts- und Hochschulsystems der Bundesrepublik für das sozialwissenschaftliche Feld? Podiendiskussion anlässlich des 40jährigen Bestehens der Fakultät für Soziologie am 16. Dezember 2009.
Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (Hrsg.) (2015): VHB-JOURQUAL3.