Organisation⎡-sprobleme⎤ der Architektur ⏊ Vom Rechnen mit Zufällen

Robert Müller

Kritik am Büro
Die Kritik an Hierarchie und Bürokratie in Form horizontaler Unternehmen, agiler Methoden, flacher Kommunikationswege und lose gekoppelter Gruppenkommunikationen in Teams und Projekten geht einher mit einer Kritik der Büroarchitektur. Sie gilt als materielle Strukturierung der Arbeitsverhältnisse und sodann als räumliches Symbol verkrusteter Arbeitsstrukturen. Bewegbare Tische und Raumteiler, Wände auf Rollen sind nur eine Variante flexibler Büros (Petendra 2013), die die Angestellten in Bewegung versetzen: Im Medium der ortsunabhängigen Arbeit buchen sich moderne Arbeitnehmer_innen in Systeme von Desk-Sharing, Office-Hoteling und Hot Desk ein — sie sind Nomaden im non-territorialen und mobilen Büro (Waber, Magnolfi, Lindsay 2014). Das soll nicht weiter stören, vor allem nicht den/die flexiblen Büroarbeiter_in oder Arbeitskraftunternehmer_in.
Zufällige Begegnungen
Das Interesse an der Organisation der Arbeit durch Raumgestaltung und Architektur — von einem „Spatial Turn“ in den Organisationswissenschaften ist gar die Rede (etwa Halford 2004, Carlile, Nicolini, Langley, Tsoukas 2013) — kann als Suchprozess moderner Beratungs- und Managerhandlungen verstanden werden. Dies zeigt etwa die Dokumentation »Work Hard — Play Hard« (Losmann 2011). Das Objekt der Suche sind, neben vermeintlichen Kostenersparnissen, inkrementelle und im besten Fall ungenutzte Innovations- und somit Strukturänderungschancen. Ein Konzept genießt dabei besondere Aufmerksamkeit: »random encounters«, »collisions« oder »casual collisions« (stellvertretend Phillips 2016). Die Vorstellung lautet: Mitglieder unterschiedlicher Abteilungen stoßen am Arbeitsplatz aufeinander und fangen an, über private und persönliche Themen zu reden, gehen dann über zu beruflichen und tauschen hierbei Wissen aus, was idealerweise zu neuen Problemlösungen führt. Im Medium zufälliger Begegnung kreuzt sich unterschiedliches Wissen als Quelle der Innovation. Das komplementäre Stichwort dazu lautet ‚informelles Lernen‘ (etwa Molzberger 2007, Bollweg 2008). Es handelt sich um soziales Lernen, das außerhalb der dafür vorgesehen Situationen, wie etwa Fortbildungen oder Meetings, stattfinden soll — auf der goffmanschen Hinterbühne sozusagen. Es bedeutet, mit den richtigen Personen am richtigen Ort zur richtigen Zeit und unter den richtigen Vertrauensverhältnissen zusammenkommen zu können — Zufall eben.
Orte der Kollision
Die Chance zufälliger Begegnungen liegt in einem Rechnen mit dem Unberechenbaren, in der paradoxen Frage, wie Zufall wahrscheinlich gemacht werden kann. Die Lösung aus Manager- und Beraterperspektiven: Zufällige Begegnungen (und damit informelles Lernen) sollen durch Räume, spezifische Orte und demnach Veränderungen informaler Kommunikationswege möglich gemacht werden (Laing, Bacevive 2013; Shortt 2015). Die Orte verringern die Suche beziehungsweise steigern das Glück der Kollisionen, sie sollen so gestaltet sein, dass sich Personen unterschiedlicher Abteilungen begegnen und ins Gespräch kommen. Es sind Tee- und Kaffeeküchen, Flure (Paris 2001, auch Luhmann 2000: 358) und Gänge (Hurdley 2010), der Ort vor dem Drucker (Fayard, Weeks 2007) und allerhand weitere »Zwischenräume«. Hier solle man in Anwesenheit anderer laut denken und einen kreativen Leistungsaustausch pflegen, so die Steuerungsfantasie. Diesen kommunikationsdichten Orten stehen »stille Räume« oder »Denkerzellen« gegenüber, die im Medium des Rückzugs als Konzentrationsinseln dienen.
Paradoxe Programmierung
Mit was rechnen Organisationen, wenn sie im Medium der Zwischenräume mit Zufall rechnen? An dem Ausgangspunkt jener Steuerungsfantasien, der Frage nach Innovation, kristallisiert sich ein für Organisationen altbekanntes Thema: Es geht um Erwartungen, die nicht formalisierbar sind — »Sei kreativ!«, »Tauscht euch kooperativ aus!« und »Unterstützt andere bei ihren Projekten!«. Solche Erwartungen lassen sich nur auf Kosten einer paradoxen Programmierung formal über die Mitgliedschaftsbedingungen festlegen und daher kaum kontrollieren und sanktionieren (Luhmann 1994: 154f.). Es kann nicht erwartet werden, dass jemand kreativ ist, da es hierfür nötig wäre festzulegen, was kreativ sein bedeutet, um jene Anforderungen der Organisation an die Mitglieder konsistent und daher sanktionsfähig halten zu können. Jene Festlegung von Kreativität würde dieselbe aber bereits unmöglich machen. Ebenso schwierig ist es, formal zu erwarten, dass sich Personen »frei« und »gesellig« über ihre Projekte austauschen, da Freiheit und Geselligkeit bekanntlich abhanden kommen, wenn sie geregelt werden. Genau diese Widersprüche werden, im wörtlichen Sinne, durch Räume und Orte verdeckt. Ein zufälliges Treffen in der Kaffeeküche oder an anderen ‚creative workspaces‘ kann kaum als Regelung erfahren werden, man entscheidet sich schließlich selbst einen Kaffee trinken zu ‚wollen’.
Informalität als Steuerungsobjekt
Die beschriebenen Begegnungen sollen unabhängig von den Arbeitsstrukturen sein, vor allem von den formalen Erwartungen und Rollenverständnissen. Hier wird mit der ganzen Person, nicht nur der Rolle gerechnet (greedy organizations).[1] Dies legt die Vermutung nahe, dass es an jenen Orten zu einer Vermischung von beruflichen und privaten Umgangsformen kommt. Wenn Organisationen im Medium zufälliger Begegnung mit Innovation rechnen, rechnen sie sodann mit einer Paradoxierung formaler und informaler Erwartungsgrenzen. Für die Mitglieder bedeutet dies in erster Linie Unsicherheit, eine Unsicherheit darüber, in welchen Rollen ihre Person gerade angesprochen und welche Erwartungen an sie herangetragen werden. Die Orte können sodann als Verräumlichung der »zones of indifference« (Bernard 1938: 168ff.) interpretiert werden.

Es kann aber auch deshalb von einer erhöhten Anforderung gesprochen werden, da gerade in diesen Räumen erwartet wird, dass sich Akteure überzeugend präsentieren, was nicht zuletzt auf eine Domestizierung der Hinterbühnen hinausläuft — diametral zur Möglichkeit der Unpersönlichkeit und Wahrung von Intimität. Es ist damit zu rechnen, dass es zu neuen Formen der Informations- und Situationsskontrollen oder »involvement shields« (Goffman 1963: 39) kommt: Welche Strategien müssen entwickelt werden, um jene Privatheit wiederzuerlangen? Es ist etwa an »strategic anonymity«, »selective exposure«, »entrusted confidence«, »intentional shielding« und »purposeful solitude« zu denken (Congdon, Flynn, Melanie 2014: 55f.) — einer Zunahme mikropolitischen Agierens. Dies ist auch deshalb der Fall, weil die Sanktionierung unkooperativen Verhaltens auf die Seite der Informalität ausgelagert wird: Wer faktisch nicht mit seinen Kollegen spricht, gilt schnell als Außenseiter, wer keine Geheimnisse preis gibt, schnell als unkooperativ — die Organisation rechnet mit Klatsch und Tratsch (March, Sevön 1984). Dies steht konträr zum eigentlichen Planungsinteresse der Raumgestalter, da es nicht zu einem produktiven Austausch kommen muss, sondern auch zu Anfeindungen oder deviantem Verhalten, das zwangsläufig als Dysfunktion erscheinen muss, da es nicht entschieden worden ist. Das Rechnen mit Torheiten ist und bleibt ein Glücksspiel (March 2001).
Architektur & Wertschätzung
Gerechnet wird aber auch nach außen hin. Die Unsicherheit des Inneren wird im Außen zur Identitätschance. Neben Sprache, Kleidung und Corporate Design bieten Raummuster die Möglichkeit, ein konsistentes Bild der Organisation zu zeichnen. In diesem Sinne stellen sie, neben dem Gebäude, eine Möglichkeit der Bearbeitung von Rekrutierungsproblemen dar: Kreative Raumgestaltung, offene Büros und helle Farben sollen vor allem Führungsverständnis und dessen ‚Up-to-date‘-Sein beweisen. Auch sie sind Ressourcen im ‚war for talents’: Flexible, offene und innovative Arbeitsplätze und Büros sind Argumente. Eine außergewöhnliche Arbeitsumgebung soll außergewöhnliche Wertschätzung symbolisieren und die innovative Arbeitsumgebung zugleich die Motivation der Angestellten erhöhen, so lautet das Beratercredo (Willenbrock 2014). Für die Organisation bedeutet dies aber auch, dass das Personal als Entscheidungsprämisse mehr Aufmerksamkeit erfährt: Introvertierte Personen sind dann nicht mehr ‚brauchbar’. Die Wahl der Person wird weniger von den von ihr zu erfüllenden Aufgaben abhängig, da »gesellig sein« keine Aufgabe der Organisation sein kann.
Literatur

  • Barnard, Chester I. (1938). The Functions of the Executive. Cambridge, Harvard University Press.
  • Bollweg, Petra (2008). Lernen zwischen Formalität und Informalität: zur Deformalisierung von Bildung. Wiesbaden, VS Verl. für Sozialwiss.
  • Carlile, Paul R., Nicolini, Davide, Langley, Ann, Tsoukas, Haridimos (2013). How Matter Matters: Objects, Artifacts, and Materiality in Organization Studies, OUP Oxford.
  • Congdon, Christine, Flynn, Donna, Redman, Melanie ( 2014). Balancing We and Me. Harvard Business Review Singapore, Harvard Business School Publishing: 50 – 58.
  • Fayard, Anne-Laure, Weeks, John (2007). Photocopiers and water-coolers: The affordances of informal interaction. Organization Studies 28(5): 605 – 634.
  • Goffman, Erving (1963). Behavior in Public Places: Notes on the Social Organization of Gatherings. New York, Free Press.
  • Halford, Susan (2004). Towards a Sociology of Organizational Space. Sociological Research Online 9(1).
  • Hurdley, Rachel (2010). The Power of Corridors Connecting Doors, Mobilising Materials, Plotting Openness. The Sociological Review 58(1): 45 – 64.
  • Laing, Andrew, Bacevive, Peter A. ( 2013). Using design to drive organizational performance and innovation in the corporate workplace: implications for interprofessional Environments. Journal of Interprofessional Care 27(2).
  • Losmann, Carmen (2011). Work Hard – Play Hard. DE.
  • Luhmann, Niklas (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main, Suhrkamp.
  • Luhmann, Niklas (1994). Funktionen und Folgen formaler Organisation, Duncker & Humblot.
  • Luhmann, Niklas (2000). Organisation und Entscheidung. Wiesbaden, VS Verl. für Sozialwiss.
  • March, James G., Sevón, Guje (1984). Gossip, information, and decision making. Advances in Information Processing in Organizations 1: 95 – 107.
  • March, James G. (2001). „Wenn Organisationen wirklich intelligent werden wollen, müssen sie lernen, sich Torheiten zu leisten”. Ein Gespräch mit James G. March. Zirkuläre Positionen 3: Organisation, Management und Beratung. T. Bardmann and T. Groth. Wiesbaden, Westdeutscher Verlag: 21-33.
  • Molzberger, Gabriele (2007). Rahmungen informellen Lernens. Zur Erschließung neuer Lern- und Weiterbildungsperspektiven. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Paris, Rainer (2001). „Warten auf Amtsfluren.“ KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 53(4): 705-733.
  • Petendra, Brigitte (2015). Räumliche Dimensionen der Büroarbeit : eine Analyse des flexiblen Büros und seiner Akteure. Wiesbaden.
  • Phillips, Mark N. (2016). Kollisionen Raum für Kreativität und Innovation im Büro. Göttingen, Cuvillier Verlag.
  • Shortt, Harriet (2015). Liminality, space and the importance of ‘transitory dwelling places’ at work. Human Relations 68(4) 633 – 658.
  • Waber, Ben, Magnolfi, Jennifer, Lindsay, Greg ( 2014). Workpspaces that move People. Harvard Business Review Singapore, Harvard Business School Publishing.
  • Willenbrock, Harald (2014). Die stille Botschaft der Räume. Brandeins Ausgabe 04/2014, 74 — 84.

[1] Siehe hierzu auch die Definition von Zufall nach Niklas Luhmann (1997: 450): »Zufall ist die Fähigkeit eines Systems, Ereignisse zu benutzen, die nicht durch das System selbst (also nicht im Netzwerk der eigenen Autopoiesis) produziert und koordiniert werden können. So gesehen sind Zufälle Gefahren, Chancen, Gelegenheiten. ‚Zufall benutzen‘ soll heißen, ihm mit Mitteln systemeigener Operationen strukturierende Effekte abzugewinnen«.

Veröffentlicht von Felix M. Bathon

Felix M. Bathon studierte Soziologie, Politik und Wirtschaft im Bachelor am Bodensee und Soziologie im Master in Bielefeld mit dem Schwerpunkt soziologische Theorie und Organisationssoziologie. Derzeit promoviert er zur Kleingruppensoziologie.

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