Immunabwehr der Gesellschaft und die Unmöglichkeit der Kritik

Was geschieht eigentlich, wenn Facebook Gesellschaft verändert und Regulation ausbleibt? Wie übt man hieran Kritik und an wen müsste sich diese richten, welche Gegenstände hat sie? In der Diskussion geht es um die grundlegenden Transformationsprozesse der Gesellschaft heute, die Möglichkeit der Regulation grosser Konzerne wie Facebook und Google, versagende Immunsysteme der Gesellschaft, die Auflösungsstärke soziologischer Theorie, das Gesundheitsrisiko sozialer Einsamkeit, das Loblied der Interaktion und die Ideologiekritik der Kritik. 

Literatur und Hinweise:

  • Baecker, Dirk 2016: „Management im digitalen Wandel“. Zur Reaktion von Organisationen auf den Kontrollüberschuss durch Computer. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=ROH2OFvEP4I („Dieses Video-Interview bildet eine mediale Ergänzung zu der Veröffentlichung des Sachbuchs „Morgen weiß ich mehr. Intelligenter lernen und arbeiten nach der digitalen Revolution“, welches im August 2016 veröffentlicht wird“).
  • El País 2018: “For God’s sake, spare us governing philosophers!”. In: El País. Interview mit Jürgen Habermas. Online: https://elpais.com/elpais/2018/05/07/inenglish/1525683618_145760.html
  • Losmann, Carmen 2011: „Work Hard – Play Hard“. Dokomentarfilm: Online: http://www.workhardplayhard-film.de/.
  • Luhmann, Niklas 1975: „Interaktion, Organisation, Gesellschaft“. In: Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag.
  • Luhmann, Niklas 2000: „Struktureller Wandel und die Poesie der Reformen“ (Kap. 11). In: Ders. Organisation und Entscheidung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 330-360. (Über die räumliche Ermöglichung zufälliger Kontakte als Bedingung für „Lernen“, siehe S. 356f.)
  • March, James G. 1991: „Exploration and Exploitation in Organizational Learning“. In: Organization Science 2(1), 71-87.
  • Tacke, Veronika 1997: „Systemrationalisierung an ihren Grenzen. Organisationsgrenzen und Funktionen von Grenzstellen in Wirtschaftsorganisationen“. In: Managementforschung 7 – Gestaltung von Organisationsgrenzen. Schreyögg G. & Sydow J. (Hrsg.). Berlin: De Gruyter: 1-44.

Links zu den Clips:

Quelle Episodencover: Gregor Fischer/re:publica:
https://www.flickr.com/photos/re-publica/40085343450/in/album-72157666469451957/


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8 Kommentare

  1. Jan sagt:

    Danke für sie Sendung, höchst anregend! Auch wenn ich der Diagnose von Vereinsamung und auch der Rolle von „sozialen“ Medien dabei zustimme, will ich doch bezweifeln, ob beide Phänomene ursächlich verbunden sind. Zufällig lese ich derzeit Mertons „Social Theory and Social Structure“, in der er sein Konzept funktionalistischen Denkens entwickelt. Einige Hinweise finde ich in Bezug auf die Sendung sehr wichtig. (Sorry, bin ein bisschen ins Schreiben gekommen, deswegen ist es länger geworden!)

    Zunächst ist es die Annahme, „Funktion“ bedeute eine gesellschaftsweite „positive Funktion“, Optimierung eines Zielwertes usw. Stefan unterstellt das in der Gleichsetzung der Parsons’schen Selbsterhaltungsannahme und dem Wunsch nach einem langen Leben. Erst einmal würde ich vermuten, dass diese einfache Definition von Selbsterhaltung eher noch aus der kruden Ethnologie eines Malinowski stammt. Da er sich nur für Stammesgesellschaften interessierte, konnte er noch von gemeinsamen, religiös und traditional koordinierten Gemeinschaften ausgehen (selbst bei diesen stimmt die Integrationsthese nicht immer). Merton weist hingegen darauf hin, dass moderne Gesellschaften eben gerade nicht durch gemeinsame, selbstverständliche, alle Strata der Gesellschaften gleichartig verbindende Funktionen definiert sind. Dass solche Gesellschaften eine feste, selbstverständliche Funktion für alle ihre Mitglieder erbringen oder erbringen sollen, ist deswegen falsch.

    Wenn dies so wäre, müsste es sicherlich auch keinen TED-Talk geben, bei dem die Selbstverständlichkeit unseres Lebens durch statistische Analyse geoffenbart wird! Wenn man selbsterhaltendes Verhalten nun auf diese Weise erklären wollen würde, müsste man außerdem alle Dinge auf der Liste des Verhaltens ernst nehmen, die im TED-Talk genannt werden und sich fragen, warum Leute so gern Alkohol trinken, obwohl es ihr Leben verkürzt. Oder, warum sie sich für andere aufopfern, auch wenn es ihr Leben verkürzt. Warum sie in den Krieg ziehen. Warum sie aus religiösen Gründen auf medizinische Hilfe verzichten usw. usf. Ich glaube, dass ein langes und gesundes Leben aus einer einfachen utilitaristischen Sicht ein zentraler Wert ist, an dessen Schaffung politisches Handeln orientiert sein sollte. Aber ihm eine funktionalistische Begründung zu geben, halte ich für grundfalsch.

    Interessanter wäre dann doch die Sozialstruktur des langen Lebens. Ein langes Leben macht nur Sinn, wenn ich etwas habe, wofür es sich lange zu leben lohnt. Als Sklavenarbeiter in einem Entwicklungsland wird mir der Gedanke vielleicht anders erscheinen als einem gut situierten, relativ sorgenfreiem Publikum bei einem TED-Talk. Gleichzeitig hat der Sklavenarbeiter sicher ein aktiveres soziales Leben, weil er in seiner Subalternität darauf angewiesen ist. Der Gedanke liegt nahe, dass es sich hier um die soziale Transformation der latenten Funktion von Interaktion (psychische und physische Gesundheit) in eine manifeste Funktion handelt. Dadurch wird sie durch Professionen, Politik und Medien handhabbar — und sicher, wie man im Rahmen des TED-Publikums hinzufügen muss, auch zum Diskurs eines neuen Marktes für zwischenmenschliche Interaktion (Therapie, Coaching usw.).

    Ob die „sozialen“ Medien des Silicon Valley indes für den Verfall des Zusammenlebens in den westlichen Gesellschaften verantwortlich ist, würde ich zumindest bezweifeln. Ich habe kürzlich Putnams „Bowling Alone“ gelesen, in dem Ende der 1990er Jahre ja schon die überzeugende Diagnose steht, dass die Menschen in der Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts völlig vereinzeln. Die Gründe sind hier: Zeit- und Gelddruck, steigende Mobilität und Suburbanisierung, Massenmedien, generationaler Wandel (wie in The Lonely Crowd beschrieben). Erst einmal sind das alles Wohlstandsphänomene. Zu klären wäre die Frage, warum sie bestimmte Gesellschaften bzw. Gruppen in diesen mehr betreffen als andere.

    Dass die sozialen Medien in diese Lage mit bestimmten Versprechen hinein gegangen sind, die sich als Illusionen herausgestellt haben: geschenkt. Dass sie Probleme der Vereinzelung verstärkt haben: Ganz klar. Aber ihre Rolle ist doch etwas komplexer. Was ihre Ideologie angeht, haben wir es meist mit einem verflüssigten Modernismus zu tun: Eine der Gesellschaft enthobene Elite macht hier Pläne, wie am besten zusammengelebt wird. Beim Städtebau waren es ästhetische Optimierungen, die nachbarschaftliche Strukturen und Zusammenleben zerstörten (wie es Jane Jacobs und andere seit den 1960ern kritisierten). Im Silicon Valley sind es psychologische Optimierungen im Dienst der Shareholder, die uns zu „autistischen“ Subjekten machen.

    Sicher haben wir hier auch ein Regulierungsdefizit, aber nicht nur. Ich denke an den chinesischen Fall. Ohne empirisch viel darüber zu wissen, gehe ich aber davon aus, dass sie dieselben Probleme mit sozialen Medien und Vereinzelung haben. Durch die Ein-Kind-Politik womöglich noch schlimmer. Insofern wäre die Frage nicht in der Regulierbarkeit als solcher zu suchen, sondern in der Frage, welche Regulierung notwendig ist, um diese Medien auf eine politisch erwünschte Weise (wieder) zu vergesellschaften.

    • Diet sagt:

      Eieiei… Dass derjenige, der mit so viel Sturm und Drang den so ganz anderen Diskurs sucht und die ganz eigensten Fragen gestellt haben will, zuletzt seine Zuflucht in einer immer präsenten, nur verborgenen Urzeit sucht, ist leider wenig überraschend. Man kennt das von Romanen und Denkern aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert. Moritz geht da einen steinigen Weg. Dass er aber auf Ursprünglichkeiten zurückweichen muss, ist kein gutes Omen. Denk das aus, ohne grausig zu werden, und ich ziehe meinen Hut.

  2. Andreas sagt:

    Beste Sozialtheoristen-Folge so far! Die kompletten 2,5 Stunden ausnahmsweise in einfacher Geschwindigkeit durchgehört. Perfekte Themenwahl und spannende Diskussion! Danke :)

  3. ernstvonalt sagt:

    Wollen wir im theoretischem bleiben? Im Zwitschern passiert das die ganze Zweit

  4. ernstvonalt sagt:

    bis 10:30 gehört. Wollen wir im theoretischem bleiben? Im Zwitschern passiert das die ganze Zeit! Versteht ihr die Konsequenzen nicht? Ich bin kein Soziologe aber hört mir mal zu ihr penner!

  5. Ernstvonalt sagt:

    min25:00 gute Metapher ist nicht Kaffehaus sondern Opiumhaus, Ihr vergesst die menschliche Psyche, da liegt das Problem. Ihr schaut immer auf die Technelogie und vergisst wie das menschliche Gehirn funktioniert! Wir sind abhängig von unserer Unwelt und haben somit nicht diesen freien Willen, unsere Erfahrung baut auf Vertrauen…ach…es hört niemand zu, ich hoffe ihr versteht die psychologischen Dimensionen.

  6. Ernstvonalt sagt:

    min25:00 gute Metapher ist nicht Kaffehaus sondern Opiumhaus, Ihr vergesst die menschliche Psyche, da liegt das Problem. Ihr schaut immer auf die Technelogie und vergisst wie das menschliche Gehirn funktioniert! Wir sind abhängig von unserer Unwelt und haben somit nicht diesen freien Willen, unsere Erfahrung baut auf Vertrauen…ach…es hört niemand zu, ich hoffe ihr versteht die psychologischen Dimensionen. Es ist keine adressierung, es ist Kontrollübernahme

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