Soziologische Kränkungen

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1917 [1947] veröffentlichte Sigmund Freud (1856 — 1939) den Aufsatz »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse«. Darin beschreibt er unter anderem drei (narzisstische) Kränkungen, die die Menschheit durch wissenschaftliche Erkenntnisse erfahren hat: Die kosmologische Kränkung des 16. Jahrhunderts, die nach Nikolaus Kopernikus (1473 — 1543) benannte Wende vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild. Sie erschüttert den Glauben daran, der Mensch und die Erde seien der Mittelpunkt des Universums. Die biologische Kränkung erfährt die Menschheit nach Freud einige Jahrhunderte später durch Charles Darwin (1809 —1882), muss der Mensch doch anerkennen, dass er aus dem Tierreich hervorgegangen und demnach dem Entwicklungssystem der Organismen untergeordnet ist. Als letzte Kränkung fügt Freud die von ihm (mit)entwickelte Libidotheorie des Unbewussten und der Neurosen hinzu, die den Menschen darauf aufmerksam macht, dass er »[…] nicht Herr sei in seinem eigenen Haus« (1947: 11), verstehe er doch den Großteil seines Seelenlebens nicht.[1] Mit diesem Aufsatz diagnostiziert Freud einerseits die Verfasstheit der Menschen, andererseits erklärt er, warum sie der Psychoanalyse skeptisch gegenüberstehen. Letzteres führt, soziologisch formuliert, eine Widerspruchsschranke ein, da jede Kritik an seiner Theorie nun so beobachtet werden kann, als sei sie nur aus verletzter Eitelkeit und nicht aus sachlich-wissenschaftlichen Gründen formuliert worden.

Auch der vorliegende Text begibt sich auf die Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der freudschen Lesart folgend, als Kränkungen der Menschheit gelesen werden können: Er fragt nach soziologischen Kränkungen und deren Organisationsform, Kränkungen also, die die Menschheit erfährt, wenn sie sich auf die Soziologie einlässt. Wir entscheiden uns, auf Vollständigkeit verzichtend, für Erving Goffman (1922 — 1982), Bruno Latour (* 1947) und Niklas Luhmann (1927 — 1998).[2]

Neben vielen weiteren Erkenntnissen, die Erving Goffman während seiner reichhaltigen Schaffensphase hervorgebracht hat, kann die Theatermetapher und die Frage nach Authentizität als eine mögliche Kränkung des Menschen gelesen werden: Goffman modelliert jedes Verhalten und Handeln als Darstellung und Inszenierung, die unter anderem der Imagepflege dienen. Akteure sind Darsteller, die um vorteilhafte Selbstinszenierungen bemüht sind, während ihre Selbstdarstellungen wechselseitig voneinander abhängig sind. Goffman argumentiert demnach nicht anthropologisch, sondern auf Grundlage von sozialen Rahmungen, die situative Begrenzungen von Handlungsspielräumen zur Verfügung stellen. Der Darsteller ist die dramaturgische Wirkung der Selbstdarstellung in jenen sozialen Situationen — nicht der Darsteller, sondern die dargestellte Rolle bekommt eine feste Identität zugeschrieben. Das Authentische rutscht sodann hinter die Maske und hinter das Problem, dass soziale Situationen immer nur einen Teil der Darstellungsmöglichkeiten integrieren. Jeder Anspruch auf Authentizität steht unter Druck erneut als reine Selbstdarstellung ausgezeichnet zu werden — ein generalisierter Motivverdacht der auch eine Erklärung dafür darstellt, dass Entlarvungs- und Verdeckungsstrategien umfänglicher ausgeprägt sind als Manipulationen des Ausdrucksrepertoires. Das Verlangen nach Authentizität ist, wenn das Image sozial konstruiert ist, nur durch solche Konstruktionen erfahrbar. Dann dokumentiert etwa die Offenlegung von Gefühlen als Form eines authentischen Verhaltens nur eine Enthüllungsbereitschaft, sie wird Inszenierung und Form der Eindrucksmanipulation auf der Vorderbühne, die dazu anregt zu fragen, was ‚wirklich‘ auf der Hinterbühne passiert.

Während die hier gewählten soziologischen Erkenntnisse Goffmans vor allem deshalb eine Kränkung darstellen, weil sie als Absage an Authentizität im alteuropäischen Sinne und als Autonomieverlust auf Grund eines niemals endenden Verweises auf das Soziale gelesen werden können, liegt Bruno Latours Kränkung, parallel zu der Kopernikus’, in einer Verschiebung des Menschen aus dem Zentrum. Die moderne Netzwerktheorie löst bekanntlich die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur auf. Der Mensch unterscheidet sich nun nicht mehr nur von den Tieren (Darwin), vielmehr wird er mit nicht-menschlichen Akteuren gleichgesetzt. Während dies schon genug Empörung auslösen könnte — zumindest erscheinen die Kritiken an Latour häufig auch als Polemiken — wird der Mensch zudem als der Urheber von Handlungen schlechthin beraubt. Er ist nicht mehr Zentrum seiner Handlungen, sondern ein Vermittler, ein Knotenpunkt von Agency. Handeln, das machen hybride Kollektive, Mensch und Maschine, Pistole und Hand. In jenen Handlungsketten werden Menschen und Nicht-Menschen symmetrisiert und der Mensch erscheint nur noch als einer von vielen Partizipierenden (vgl. auch Hirschauer 2014: 129).

Niklas Luhmann ist ein weiterer Autor, der, ähnlich Latours Anthropologie, die Menschen aus dem Sozialen ausklammert, indem er ihre Handlungen als Attributionsleistungen von Kommunikation modelliert und, im Sinne Plessners exzentrischer Positionalität, in die Umwelt der Gesellschaft verbannt (vgl. auch Fuchs 2010: 54f.). Neben dieser Kränkung lassen sich weitere Kränkungen des Menschen aus der Theorie selbstreferentieller Systeme ableiten, von denen hier jedoch nur zwei vorgestellt werden: Die Kommunikationstheorie wendet, abgesehen von der empörungsfähigen Aussage, die bereits angeklungen ist, es sei nur die Kommunikation, die kommuniziert, nicht der Mensch, das Verständnis von Verstehen. Luhmann modelliert Kommunikation bekanntlich als dreifache Selektion aus Information, Mitteilung und Verstehen, während eine vierte Selektion die Wahl einer Anschlussoperation darstellt, die wieder aus denselben Komponenten besteht. Gegen ein klassisches Sender-Empfänger-Modell geht es demnach nicht um die Übertragung von Informationen, dies schließt die Annahmen der selbstreferentiell geschlossenen (sozialen und psychischen) Systeme aus, sondern um ein Prozessieren von Selektionen im Medium der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation. Kommunikation wird Voraussetzung gemeinsamen Wissens, nicht umgekehrt (Intersubjektivität). Verstehen ist sodann permanent ablaufendes Missverstehen, das immer wieder dazu anhält, das Vorherige zu präzisieren — eine Beobachtung, die sicherlich auch emanzipatorisch gelesen werden kann.

Die Annahme der Geschlossenheit selbstreferentieller Systeme und die Absage kausaler Einflussnahmen kann auch den Eifer nach politischer Steuerung kränken: Die Gesellschaft verfügt nach Luhmann über keinen Steuerungsprimat. Sie lässt sich nicht durch Politik steuern, da sie, ebenso wie der beliebteste Adressat, die Wirtschaft, über eigene Logiken verfügt, die nur sehr bedingt in die anderer Systeme übersetzt werden können. Denkt man an die hohen Inklusions- und Identitätschancen politischer Kritik und mit Goffman an deren Selbstdarstellungsmöglichkeiten, kann dies zu einer Kränkung führen, da der Verweis auf die Verantwortung der Politik mit diesen Erkenntnissen ins Leere oder zumindest in nicht absehbare Folgen verläuft.

Die vorgestellten soziologischen Erkenntnisse kränken vor allem lebensweltliche Erfahrungsräume. Sie verweisen wesentlich auf die Komplexität und Vielschichtigkeit des Sozialen. Ein zentraler Bestandteil soziologischer Kränkungen besteht in der Unentrinnbarkeit des Menschen aus dem Sozialen. Paradoxerweise befindet er sich in (poststrukturalistisch-)undurchsichtigen Strukturen (auch blinden Flecken) auch wenn er nicht der Mittelpunkt seiner Handlungen ist. Letztlich kränken sie auch mit dem Verweis darauf, dass ein romantisch-heroischer Humanismus nur ein Modus der Herstellung von Ordnung ist.[3] Mit diesen Abhängigkeiten, die der Mensch selbst nicht kontrollieren kann, was sich nicht zuletzt auch in den berühmten (dysfunktionalen) Nebenfolgen ausdrückt, verliert das Soziale seine Unschuld, ebenso wie dies für andere Wissenschaften und die Natur gilt, denke man etwa an die Physik und ihre Atombombe, die Biologie und ihre Gentechnik, die Neurologie und ihre Manipulation der Gehirne.

Die vorgestellten Theorien und Erkenntnisse weisen neben ihren Enttäuschungen auch darauf hin, wie wunderbar verstrickt das Soziale schlechthin ist. Es könnte sodann auch umgekehrt nach ‚sociological empowerments‘ oder zumindest nach Abwicklungsmodi gefragt werden. Letzteres, so die Vermutung wird gerade über die Wissenschaft selbst hergestellt, indem sie ihre Kränkungen parallel mit ‚Coolings‘ (Goffman 1952) markiert. Eine Form dieser Enttäuschungsabwicklung sind Fakultäten, wie etwa die für Soziologie in Bielefeld. Sie organisiert einerseits als Lebenswelt einen Erfahrungsraum für Kränkungen, indem sie ihre eigenen Geister (hier Luhmann) in Form von Lektüren, Seminaren oder Forschungsausrichtungen reproduziert. Andererseits legt sie im Modus eines Kommunikationsabbruchs Abwehrstrategien gegen jene Verunsicherungen nahe, indem sie etwa über Studienordnungen einen kühlen, unempathischen Umgang mit Theorie einfordert — eine Forderung, die schon deshalb überzeugen solle, weil Gefühle wissenschaftliche Neuerungen verhindern und Diskussionen erschweren, so Freud (1947: 3). Fakultäten ermöglichen demnach die ‚Entzauberungen der Welt‘ und deren Anschlussfähigkeit, während sie diese zugleich abkühlen. Sie stellen sodann, an Kant erinnernd, eine Wiedergutmachung dar, versuchen sie doch die Dezentrierung der kopernikanischen Wende mit dem Verweis auf den Menschen als (selbstbewusstes) Erkenntnissubjekt rückgängig zu machen.

 

Literatur

  • Carnap, Rudolf (1932/33): Psychologie in physikalischer Sprache. In: Erkenntnis 3(1), 107 — 142.
  • Freud, Sigmund (1947 [1917]): Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. In ders. Gesammelte Werke, Band XII (Werke aus den Jahren 1917 — 1920). Frankfurt am Main: Suhrkamp, 7-11. Zuerst abgedruckt in der Zeitschrift Nyugat (Der Westen), Budapest 1917.
  • Fuchs, Peter (2010): Die Metapher des Systems – Gesellschaftstheorie im dritten Jahrtausend. In Wolfram Burckhardt (Hrsg.): Luhmann Lektüren Dirk Baecker, Peter Fuchs, Norbert Bolz, Hans Ulrich Gumbrecht und Peter Sloterdijk. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 53 — 69.
  • Goffman, Erving (1952): On Cooling the Mark out. Some Aspects of Adaptation to Failure, Psychiatry, 15(4), 451 — 463.
  • Guwak, Barbara, Strolz, Matthias (2012): Die vierte Kränkung: Wie wir uns in einer chaotischen Welt zurechtfinden. Goldegg Verlag, Wien.
  • Hirschauer, Stefan (2014): Intersituativität. Teleinteraktionen und Koaktivitäten jenseits von Mikro und Makro. Zeitschrift für Soziologie, Interaktion – Organisation – Gesellschaft revisited. Stuttgart: Lucius & Lucius, 109 — 133.
  • Reich, Kersten (2009): Die Ordnung der Blicke Perspektiven des interaktionistischen Konstruktivismus, Bd. 1 Beobachtung und die Unschärfen der Erkenntnis. Online verfügbar unter http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/buecher/ordnung/index.html. Abgerufen am 30. Mai 2018.
  • Rohbeck, Johannes (1993): Technologische Urteilskraft. Zu einer Ethik technischen Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Vollmer, Gerhard (1994): Die vierte bis siebte Kränkung des Menschen. Gehirn, Evolution und Menschenbild. Online verfügbar unter http://http://www.gkpn.de/vollmer.html. Abgerufen am 30. Mai 2018.

[1] Auch wenn sich diverse Kritiker dieser Kränkungen angenommen haben, genoss die Aufzählung ein reges Interesse um Vervollständigung: Der Physiker Gerhard Vollmer (1994) fügt sieben weitere Kränkungen der Menschheit hinzu: die ethnologische, epistemologische, soziobiologische, ökologische und neurobiologische Kränkung, sowie die Kränkung durch das Computermodell des Geistes. Dem ließe sich die technologische Kränkung hinzufügen, in der der Mensch, an den Zauberlehrling Goethes erinnernd, das von ihm selbst Geschaffene nicht beherrscht (etwa Rohbeck 1993 und Guwak, Strolz 2012). Rudolf Carnap (1932/33: 109f.) nennt neben Freud auch Friedrich Nietzsche (1844 — 1900), der kränke, weil er »die Ursprünge der Moral ihres Nimbus entkleidet« sowie Karl Marx (1818 — 1883), der »die Faktoren, durch die der Geschichtsverlauf kausal zu erklären ist, aus der Spähre der Ideen in die des materiellen Geschehens herabgezogen« hat.

[2] Die Liste kann beliebig ergänzt werden (siehe Anm. 3). Sie ist eine kontingente Setzung und dies schon deshalb, weil die von den Autoren produzierten Erkenntnisse für einige Beobachter nicht zwangsläufig als Kränkungen wahrgenommen werden. Zudem sei angemerkt, dass es sich meist um Autorengruppen handelt, die sich um eine soziologische Kränkung versammeln, auch wenn im Folgenden von einzelnen Autoren gesprochen wird.

[3] Der Konstruktivismus könnte diesbezüglich schlechthin als Kränkung beschrieben werden (siehe hierzu Reich 2009 Kap. 2). Erwähnenswert wird auch eine soziologische Tradition, die sich weniger um interpretative oder konstruktivistische Perspektiven versammelt, die des Rational Choice, nach der alles und vor allem das schöne, ästhetische oder romantische Handeln plötzlich zum Nutzenkalkül wird.

Veröffentlicht von Felix M. Bathon

Felix M. Bathon studierte Soziologie, Politik und Wirtschaft im Bachelor am Bodensee und Soziologie im Master in Bielefeld mit dem Schwerpunkt soziologische Theorie und Organisationssoziologie. Derzeit promoviert er zur Kleingruppensoziologie.

13 Kommentare

  1. St. Kraft sagt:

    Eine weitere soziologische Kränkung werden wir wohl kurzfristig auch noch schlucken müssen. Nämlich die, dass wir nicht Herr über unseren eigenen Körper und unseren Geist sind. Der wirkliche Herr kommt aber nicht aus einem Göttlichen, sondern aus Kleinstlebenwesen in unserem Körper. Mikorben bilden ein Mikrobiom, welches schon auf unsereb gesamten Weg der Menschwerdung begleitet, seit wir noch ein Einzeller waren.

    Als wir diese Mikroben in uns entdeckten, waren sie als unliebsame Blinde Passagiere gesehen worden. Dann gewannen wir die Erkenntnis, dass diese uns auch nützen und z.B. im Verdauungstrakt wichtige Aufgaben erfüllen. Langsam mehren sich aber Indizien, dass das nicht nur eine einfache symbiotische Beziehung zu sein scheint, sondern, und das sollte eigentlich niemanden verwundern, darüber hinaus geht. Dass diese Mirkoben biochemische Prozesse beeinflussen, mag noch jeder anerkennen, dass diese aber auch unsere Entscheidungen und somit unser Handeln beeinflussen können, wäre schon kränkend.

    Welche Indizien sprechen dafür? Z.B. gibt es in der Natur hinreichend Beispiele, wo „einfachste“ Parasiten das Handeln ihres „höherentwickelten“ Zwischenwirtes so beeinflussen, dass dieser sogar selbstzerstörerisch agiert und sich auffällig als Futter für den Endwirt anbietet.
    Wenn Bakterien immer schon Lebenwesen als Wirt genutzt haben, werden sie auch immer schon beginnend in einem Einzeller ein Interesse daran gehabt haben, diesen Wirt so zu beeinflussen, dass dieser für die Bakterien das optimale Lebens- und Reproduktionsumfeld schaffte. Warum sollte diese da irgendwas „dem Zufall überlassen“ – nur weil wir nicht anerkennen wollen, dass so primitive Wesen dazu in der Lage wären? Und warum sollte diese ihr Überlebenskonzept mit fortschreitender Entwicklung/Komplexität Ihres Wirtes abgelegt haben? Die Wahrscheinlichkeit ist doch höher dafür, dass diese es vervollkommnet und perfektioniert haben.

    Also werden wir wohl die Kränkung hinnehmen müssen, dass wir eigentlich nur ein Boot sind, welches von einer Bordcrew gesteuert wird. Damit könnten wir die 3. Kränkung evtl. schon besser erklären und getrost durch diese Mikrobiom-Kränkung ersetzen.

    siehe dazu:
    https://www.heise.de/tp/features/Leben-in-unseren-Gehirnen-Bakteriengemeinschaften-die-uns-beeinflussen-koennen-4221415.html
    https://www.spektrum.de/news/die-darm-hirn-achse/1378268

    • wolfgang chambers sagt:

      leider stoßen wir hier auf eine typische verschwörungstheorie. selbst wenn mikroben unser handeln beeinflussen, ja steuern sollten, wären sie ja auch für diese, in meinen augen mehr einfältige erkenntnis, verantwortlich. ob der mensch in irgend einer form souverän handelt, ist hinreichend besprochen worden, auch wenn sein handeln in letzter kosequenz nur philosophisch erklärbar bleibt. ihn als wirt, und im endeffekt dann sklaven seiner parasiten darzustellen, zeugt von rasanter selbstverleugung und einem willen zur destruktion des erfahrbaren. politisch gesehen wäre diese haltung die bedingungslose unterordnung unter den despoten, die absolute aufgabe eigener verantwortlichkeit ( was für viele ja eine akzeptable, weil bequeme lösung ist ).

    • Partizipator sagt:

      Super geiler Text hätte ich so nie zusammenstellen können: Ein Gedanke von vielen beim Lesen:
      Kränkung ist dann doch etwas Subjektives. Die Definition von Gesundheit als ein erstrebenswertes Ideal über die Sterblichkeit hinaus ist ebenso wenig erstrebenswert, wie das Abschütteln aller Kränkung. Nur das Defizitäre treibt an. Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit in gesunden Dosen deren Einheiten nicht Bier sind, helfen dem Subjekt, in welcher Sozialität externer und interner Konstitution es sich auch wähnt.
      Um FightClub zu zitieren: Fühle dich nie komplett.

  2. Margret Vogt Overhage sagt:

    Sehr guter Artikel ,für mich eine Bereicherung .

  3. G. Johanna sagt:

    Der Aufsatz ist sehr interessant, vielen Dank. Sie könnten aber im Vorspann noch mehr, das was immer wieder als Kränkung so selbstverständlich betitelt wird mehr erklären. Da ich persönlich vieles davon garnicht als kränkend empfinde. Ich glaube das dieser Begriff ein Modewort in akademischen Kreisen ist mit dem man sich gerne selbstkritisch schmückt. Es klingt irgendwie kokett.

    Besonderes Interesse hat Erving Goffmann bei mir gefunden, ich hab noch nie von ihm gehört und werde mehr von ihm lesen, da ich schon das wenige hier auch so empfinde.

    Unentrinnbarkeit des Menschen aus dem Sozialen,stößt viele Menschen in großes Unglück. Denn das Soziale scheint nur demokratisch.

  4. S sagt:

    soziologische Kränkungen

  5. Paul sagt:

    Soz Kränkungen

  6. wolfgang chambers sagt:

    wenn wissenschaftliche erkenntnisse als soziologische kränkungen erfahren werden, weist dieser umstand alleine schon darauf hin, dass etwas im ansatz des denkenden nicht stimmt. sich selbst, oder auch die menschen im gesamten, so wichtig zu nehmen, erscheint mir in der heutigen zeit als ziemlich gewagte haltung. kopernikus, darwin und freud sollten wir verdaut haben, das ist kalter kaffee. wir sollten allerdings denjenigen, die seinerzeit oder heute noch einen wie auch immer gearteten glauben als heilsbringende lösung fordern oder leben, maximale skepsis entgegen bringen. die menschen brauchen keinen glauben, um sozial handeln zu können, es braucht eine humanistisch orientierte ethik und wertediskussion. kränkungen der art, wie sie von darwin und co. verursacht worden sind, gehörten dann dem endgültigen scheiterhaufen der geschichte an.

  7. Der Ausgangspunkt: Freund beschreibt „drei (narzisstische) Kränkungen, die die Menschheit durch wissenschaftliche Erkenntnisse erfahren hat“.

    Es handelt sich um auf wissenschaftlicher Forschung beruhende Erkenntnisse, die mehr oder weniger rasch als wahrhaftig anerkannt wurden und so das bis dato bestehende Weltbild erschüttert haben.

    Bathon begibt sich „auf die Suche“ nach soziologischen Kränkungen, „die die Menschheit erfährt, wenn sie sich auf die Soziologie einlässt“.

    Der Unterschied ist riesig: Hier Bezugnahme auf manifeste (und der Menschheit bekannte) Erkenntnisse, die zur Änderungen des Weltbildes führten, dort die Relativierung und der zutreffende Verweis darauf, dass man zunächst überhaupt einmal Kenntnis der jeweiligen Theorien haben müsse, um sie dann gegebenenfalls als Kränkung erfahren zu können. Das ist schon ein himmelweiter Unterschied.

    Die im Kontext von Freuds Psychoanalyse erwähnte Widerspruchsschranke trifft (nur nach Lesen dieses Thestes und ohne Kenntnis anderer Schriften) auch auf Erving Goffman zu. Seine Theorie lässt sich weder bestätigen noch falsifizieren – man kann sie nur glauben oder nicht glauben. Aber selbst wenn man ihr folgt, bedeutet dies noch keine Kränkung. Eine Kränkung ergibt sich ja erst dann, wenn diese neuen Erkenntnisse stark vom allgemein anerkannten Weltbild abweichen würden. Wie dies bei Goffman der Fall sei soll, erschließt sich mir nicht.

    Insofern – alles etwas sehr vage…

  8. Eleonora sagt:

    Was ist eigentlich das Gegenteil von Kränkung? ;-) Denn das erleben gerade die, die sich mit der DNA-Genealogie beschäftigen und so etwas wie personalisierte Geschichte erleben, wenn sie z.B. feststellen, dass sie die gleiche Haplogruppe wie Petrarca oder Richard III haben (was auf einen gemeinsamen – wenn auch sehr entfernten – Vorfahren deutet). Für die Blaublüter andererseits vielleicht doch eine kleine Kränkung, wenn sie wiederum feststellen, dass sie ihren berühmten Vorfahren mit einer ganzen Reihe Normalsterblicher teilen…

    http://geneticgenealogygirl.com/de/2018/10/was-eine-der-erstsiedlerinnen-von-montreal-und-ich-gemeinsam-haben/

  9. Peter S sagt:

    Eine viel intensivere „Kränkung“ erfahren die meisten, wenn sie sich das erste Mal mit der Herrschaftstheorie Max Webers befassen. Diese schließt für Viele nämlich die Auswege aus der eigenen Verantwortung. Etwas das die meisten nicht ertragen.
    Allerdings fußt die, in diesem sehr interessanten Artikel dargestellte Kränkung, wie auch die angesprochene Einflussnahme des Microbioms meiner Meinung nach auf einer fehlerhaften Konzeption des freien Willens. Diese findet man allerdings sehr häufig.
    Der freie Wille wird oft als Möglichkeit des Menschen gesehen, sich komplett frei zu entscheiden. Jede Beeinflussung, sei es durch chemische Substanzen, Hormone, Elektroden im Hirn oder eben auch Mikroorganismen wird als Einschränkung oder auch als Beweis seiner Nichtexistenz gedeutet.
    Der freie Wille ist jedoch nur die Möglichkeit bei Kenntnis mehrerer möglicher Handlungenweisen sich für eine zu entscheiden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die moralische Entscheidung.
    Menschen sind keine reinen Intellekte, die jede Situation komplett durchdenken und dann entscheiden, wie es die übliche Version des freien Willens impliziert. Wir unterliegen allen möglichen Einflüssen und sind auch inhärent begrenzte Wesen. Gefühle oder viele andere Einflussfaktoren sind also keine direkte Beschränkung des freien Willens, sondern oft vielmehr die Bedingung für diesen. Entscheidungen fußen auf einer Interpretation der Realität, wie begrenzt diese auch immer sein mag. Das macht einen freien Willen im üblichen Sinne komplett unmöglich.
    Das wir inhärent soziale Wesen sind, sollte eigentlich niemanden überraschen. Wir sind eigentlich nur Menschen, in dem wir uns selbst ständig an anderen „reiben“ und uns im Spiegel ihrer Reaktionen betrachten. Ohne das sind wir nur relative schwache, wenn auch potentiell mächtige Tiere. Dabei hat die angesprochene Inszenierung meist viel mehr mit Minimierung von Reibungsverlusten als mit Manipulation oder Vorteilen zu tun.
    Die dargestellten Kränkungen sind vor allem Kränkungen des Bildes des Menschen von sich selbst. Wobei diese Kränkungen eigentlich recht blass ausfallen neben denen, die wir durch die Astronomie und Darwin erfahren mussten.

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