Nicht nur in Deutschland erlebt der Konservatismus und seine politischen Protagonisten und Anhänger gerade das ernste Problem der Abgrabung der Machtmasse von rechts. Diese Veränderung scheint grundlegend. Der politische und Ideologische Kampf zwischen den Konservativen und Progressiven bzw. den Konservativen, Liberalen und Sozialisten ist historisch und nervenaufreibend. Über die Jahrhunderte konnte sich mal die eine, mal die andere Seite in schönerem Licht darstellen. Die Lager sind gebaut und die Gräben tief. Doch es bestand doch immer die (philosophisch untermauerte) Gewissheit, dass, wenn eine Seite die Oberhand hat, bald die Gegenbewegung kommt und letztlich eine Balance gehalten wird. Anfänglich bestand dieser Gegensatz zwischen Diktaturen (Volk = Partei) und Demokratien („Volkspartei“ geg. „Volkspartei“), heute hat sich die Gesellschaft, der Komplexität wegen, ganz auf der Demokratieseite eingependelt und trägt den Konflikt intern lösungslos fort. Alle vier Jahre werden die Regierung ausgetauscht und hin und wieder erscheint ein neues Buch.
Doch anscheinend ist die westliche Hemisphäre 2010 an einem Punkt, in dem das demokratische Prinzip der Lagerkämpfe nicht mehr hinreicht. Aus wenigen Volksparteien sind, nicht nur in Deutschland, mehrere Klientelparteien geworden. Der politische Kampf lässt sich so gut führen, doch das notwendige Zusammenraufen in Koalitionen und Regierungen fällt zunehmend schwer. In Deutschland muss man noch abwarten, was mit der CDU als letzter Volkspartei passiert, wenn ihre Spitze abgewählt ist und der jetzige Mittelbau neue Macht erringen muss statt bestehende zu erhalten.
Erschreckend (weil nun schon Karl Rove besorgt ist) ist, was gerade in den USA passiert. Aus dem Zwei-Seiten-Lagerkampf mit einem unüberwindbaren Graben ist innerhalb nur eines Jahres mit der Tea-Party-Bewegung ein kleines, gefährliches Monster erwachsen. In den USA sind politische Splitterbewegungen („Klientelbewegungen“ sind das falsche Wort) bekannt, seit Ewigkeiten treten nicht nur zwei Kandidaten bei Präsidentschaftswahlen an, es gibt eine mehr oder weniger etablierte Grüne und Liberale Bewegung. Doch seit Obama im Amt ist, ist die Gegenseite (das ist der beste Begriff für den wilden Haufen, der sich allein über „Gegen-Obama“ identifiziert) außer Rand und Band. Die Tea-Party-Bewegung starte im Wahlkampf 2008 als Geldsammelaktion von Anhängern von Ron Paul. Ron Paul ist (so würde ich ihn in Kürze charakterisieren) eine Art texanischer, liberaler Peter Gauweiler. Ein übermäßig engagierter Politiker, der auf seine alten Tage alle formal gangbaren Wege geht, um nochmal richtig Dampf in den Regierungsmaschinerien zu machen. Doch wurde „seine“ liberale Bewegung inzwischen von den Konservativen übernommen, die, dass muss man mal so sagen, in erster Linie die Dummen anziehen. Die inhaltslosen Abstoßungskräfte zu Obama sind die Gravitationskräfte der Tea-Party-Bewegung – und deren Stärke wurden total unterschätzt.
Gegen „die Konservativen“ kann man inhaltlich vieles argumentieren, aber ein strukturelles Phänomen sollte man nicht aus den Augen verlieren, und dies gilt insbesondere für Deutschland: Konservative politische Parteien sind ein Sammelbecken für kleine, freie Radikale in der Gesellschaft. Menschen die in erhöhtem Maße Ordnung und Orientierung als vollendete Tatsache alternativlos vorgesetzt bekommen möchten, finden bei den konservativen Parteien halt. Dort wird ihnen in Rede- und Textform vorgetragen, was sie hören möchten und wonach sie sich sehnen. Eine intakte konservative Partei ist keine Partei, die die Stimmung des Volkes einsammelt, gewichtet und in Parlamentswillen transformiert, sondern die den Volkswille in der Parteispitze austüftelt und dann zur Orientierung präsentiert. (Man möchte sicherlich nicht wissen, auf welche politischen Ideen diese Leute von alleine kämen.) Da normalerweise nicht die Biedermänner-Basis dieser Parteien loszieht und politisch kämpft, führt das zudem dazu, dass sich nur die Parteispitze mit dem politischen Gegner (in Parlamentsarbeit) auseinander setzt.
Bislang war es zumindest so. Der Aufstand des kleinen Mannes, war bislang ein Phänomen der liberalen und progressiven Anstrengungen. Auf dieser Seite des Grabens ist es viel schwieriger ein Sammelbecken zu bilden, weil jede Einzelmeinung mit viel Engagement vorgetragen wird und inhaltlich sofort neue Grenzen zieht. Die Grünen, denen ja immer nachgesagt wird sie seien Umweltbewegung, Frauenrechtlerei und Friedensbewegung sind in der Hinsicht ein interessantes historisch recht singuläres Phänomen.
In den USA ist nun zu beobachten, dass der Konservatismus (dort also die Republikanische Partei) nicht mehr ausreichend als Sammelbecken akzeptiert wird. Noch eint die Tea-Party-Bewegung ihr Hass auf Obama, doch was passiert, wenn Obama 2012 nicht antritt und zur Neuorientierung die Frage aufkommt, ob die Tea-Party-Bewegung nun eigentlich libertär oder doch konservativ ist. Die grundlegenden Fragen (gleichgeschlechtliche Ehe, „Big Government“, …) sind bereits in dieser grundlegenden Frage unvereinbar. Zudem haben die Strategen des amerikanischen Konservatismus die Tea-Party-Bewegung als politisches Phänomen überhaupt nicht unter Kontrolle.
… den Rest kann man sich denken. bzw. muss man nun erst mal abwarten wie sehr Obama im November „massakriert“ wird (so redet man schon in den US-Medien) und wer so alles gewählt wird. In Amerika wird sich die Republikanische Partei viel Gedanken darüber machen müssen, wie sie ihren Sammelbeckencharakter zurückbekommt. Wie in Deutschland wird zu klären sein, was Konservatismus eigentlich bedeutet und man müsste für all die konservativen Ideen, die bei so einer Diskussion aufkommen, eine Partei schaffen die sich damit identifiziert. Das wird aber nur schwer gelingen, weil sich diese Ideen, gerade wenn sie mit liberalen Ideen zusammengebracht werden, häufig grundlegend unterscheiden. Die Einigung der Republikanischen Partei auf einen Präsidentschaftskandidaten wird interessant und ebenso interessant wird der nächste Wahlkampf der CDU. Einen inhaltsleeren Wahlkampf wie 2009 wird sie sich nicht leisten können. Sie wird ihr konservatives Profil präsentieren müssen. Wahrscheinlich ist die explizite inhaltliche Ausgestaltung von Konservatismus gleichzeitig sein einziges tatsächlich Existenz bedrohendes Problem (zumindest als politisches Phänomen).
(Oder es war alles doch nur eine große, flüchtige Tea Party.)
(Bild: Gabriela Camerotti)